Die Energiewende wird auch für die Stadtwerke und ihre Kunden teuer.
Die Stadtwerke Bochum haben im Jahr 55 Millionen Euro aus ihren Erträgen an die Stadt abgeführt. Ob Zuschüsse für Kulturinitiativen, Kunstrasen für Fußballvereine oder neue Kinderspielplätze – vieles war für die Stadt leichter zu finanzieren durch das Geld, das ihr Tochterunternehmen durch den Handel mit Strom, Gas oder Fernwärme einnahm. Bochum ist keine Ausnahme, vielen Städten halfen die Gewinnabführungen dabei, den Spardruck ein wenig abzumildern. Diese Zeiten könnten bald vorbei sein, sagt Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD), der seit Anfang Mai auch Vorsitzender des Städtetags NRW ist, dem Zusammenschluss von 39 Kommunen, in denen etwa die Hälfte der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens lebt: „Die Rolle der Stadtwerke wird sich damit massiv verändern. Heute gibt es in der Regel Ausschüttungen der Stadtwerke an die Städte, damit werden dann zum Beispiel Busse und Bahnen oder das Schwimmbad mitfinanziert. Das kann sich in der einen oder anderen Stadt durchaus ändern.“
Der Grund ist die Energiewende. Sie wird die Stadtwerke Milliarden kosten. Sie müssen ihr Geld nutzen, um die Investitionen stemmen zu können, die in den nächsten Jahren auf sie zukommen. Die Stadtwerke Bochum rechnen bis 2045 mit einem Investitionsbedarf von mindestens 1,5 Milliarden Euro. Wie viel davon auf den Um- und Ausbau der Verteilnetze fallen wird, teilen die Bochumer Stadtwerke ebenso wenig mit wie andere angefragte Stadtwerke und Netzbetreiber. Aber was die Eon-Tochter Westenergie, die einen großen Teil der Netze in NRW und in Teilen darüber hinaus entweder alleine oder gemeinsam mit den kommunalen Unternehmen betreibt, auf Anfrage äußert, zeigt die Dimensionen des Umbaus alleine bei dem Teil des Stromnetzes, über das die Haushalte und Unternehmen in den Städten versorgt werden.
Gebaut wurde das Netz als eine Art große Einbahnstraße: Kraftwerke liefern den Strom und der wird über Kabel an die angeschlossenen Verbraucher verteilt. Doch diese Zeiten sind vorbei: Auf immer mehr Dächern sind Solaranlagen installiert, die Strom in die Netze einspeisen. Aus der alten Einbahnstraße ist eine mehrspurige Straße geworden, auf der der Verkehr zunehmend in beiden Richtungen fließt. Gab es 2021 im Westenergie-Netz noch 220.000 Photovoltaikanlagen, waren es 2022 schon 265.000. Bis 2030 rechnet das Unternehmen mit 940.000 Anlagen. Auch die Zahl der Wärmepumpen wird nach den Prognosen des Unternehmens von 90.000 im Jahr 2021 auf 880.000 im Jahr 2030 steigen. Die Stadtwerke und Westenergie müssen dringend investieren und ihre Netze umrüsten.
“Verteilnetze sind das Rückgrat der Energiewende”, sagt eine Westenergie-Sprecherin auf Anfrage. Die Energiewende sei vor allem für die Verteilnetze der ultimative Stresstest. Die Stadtwerke Düsseldorf werden bis 2030 jedes Jahr bis zu 52 Kilometer ihres Stromleitungsnetzes erneuern. Um die Infrastruktur optimal zu nutzen, digitalisieren die Stadtwerke parallel die Netzinfrastruktur, damit flexibel auf Verbrauch und Einspeisung reagiert werden kann und gleichzeitig die Versorgungssicherheit gewährleistet wird. Auch wenn die Stadtwerke Düsseldorf keine Zahlen nennen, wird am Beispiel von Dortmund klar, was so ein Umbau kostet: Bis 2035, dem Jahr, in dem Dortmund klimaneutral werden will, wird die Dortmunder Netz GmbH (DONETZ), eine Tochter der Stadtwerke Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH, eine Milliarde Euro in ihr Netz investieren. Auf dem Land, davon gehen die Stadtwerker in Düsseldorf wie in Dortmund aus, sei der Aufwand noch höher: “Da wir in Dortmund vor allem ein städtisches Netz mit wenigen ländlichen Ausläufern beliefern, stellt uns die Integration erneuerbarer Energien vor weniger Herausforderungen als es bei regionalen Netzbetreibern der Fall ist, die ländlichere Gebiete versorgen.”
Doch Strom ist nur ein Aspekt der Energiewende. Ebenso bedeutend ist die Wärmversorgung. Nach dem Willen der Bundesregierung soll die künftig zum allergrößten Teil über Wärmepumpen und Fernwärme erfolgen.
Der im vergangenen Jahr in den Ruhestand versetzte Erfinder des Gebäudeenergiegesetzes, Robert Habecks damaliger Staatsekretär Patrick Graichen, riet den Kommunen schon vor zwei Jahren, ihre Gasnetze zurückzubauen. Den Stadtwerken Essen ist klar, dass die Zeit, in der Erdgas das Rückgrat der Wärmeversorgung war, zu Ende geht: “Damit Deutschland sein für 2045 gestecktes Klimaneutralitätsziel erreicht, muss der Energieträger Erdgas zwangsläufig seine Bedeutung verlieren”, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. “Das wird mit einer Stilllegung von weiten Teilen der bisherigen Netzinfrastruktur einhergehen.” Über ein 1.185 Kilometer langes Niederdrucknetz versorgen die Essener Stadtwerke zurzeit ihre Kunden mit Erdgas. Doch wie es damit weitergeht und welche Abschreibungskosten auf die Stadtwerke zukommen, wenn sie ihre Netze aufgeben müssen, ist noch vollkommen unklar. Und auch ob Teile davon künftig für die Versorgung mit Wasserstoff genutzt werden können, steht in den Sternen: “Da Wasserstoff aktuell noch nicht im ausreichenden Maße produziert wird, lässt sich ebenfalls nicht abschätzen, inwieweit er künftig Erdgas im Essener Netz substituieren wird oder hier vor Ort in umgewidmeten Leitungen transportiert wird. Vor diesem Hintergrund sind weder die Kosten für die Abschreibung von Netzen noch die Investitionen in Wasserstoff-Netzinfrastrukturen abschätzbar.” Klar ist nur, dass bislang kein Teil des Essener Erdgasnetzes für die Wasserstoffnutzung freigegeben ist.
Das Düsseldorfer Fernwärmenetz hat zurzeit eine Länge von 282 Kilometern. Künftig sollen mehr Haushalte an dieses Netz angeschlossen werden. Es soll jedoch nicht ausgebaut werden: „Im Fokus haben wir dabei eine Verdichtung des bestehenden Leitungsnetzes, um so unsere Fernwärmeversorgung noch effizienter zu machen und in den jeweiligen Gebieten zudem die CO2-Emissionen zu reduzieren.“ Der Ausbau des Fernwärmenetzes sei aufwändig und komplex. Um welche Summen es dabei gehen wird, zeigt das Beispiel Dortmund: Damit die Stadt bis 2035 klimaneutral werden kann, rechnet DEW21, die Stadtwerke Dortmunds, mit Investitionen von 2,5 bis 3 Milliarden Euro. „Die damit verbundene Frage der Finanzierung“, teilt das Unternehmen mit, „ist bisher noch nicht geklärt.“
Thomas Eiskirch, dem Vorsitzenden des Städtetags NRW, ist klar, dass es die Energiewende nicht zum Nulltarif geben wird. Er fordert von der Bundesregierung Tempo beim angekündigten Klimageld zu machen und die Städte stärker zu unterstützen. „Bei der Energiewende darf bei den Menschen nicht als einziges Signal ankommen, dass Strom und Heizen teurer werden. Sie müssen auch wissen, dass es gerecht zugeht.“ Aber auch eine gerechte Mehrbelastung ist eine Mehrbelastung und die wird auf die Bürger zukommen, wenn die Stadtwerke die Preise erhöhen müssen.
Der Artikel erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag