Kiosk und Trinkhalle sind ein fester Bestandteil der Alltagskultur im Ruhrgebiet. In den letzten Jahren haben viele Büdchen geschlossen, weil das Geschäft immer schwieriger geworden ist. Immerhin soll es noch rund 18 000 Buden im Ruhrgebiet geben. Der Bochumer Tom Gawlig hat an der Bochumer Straße 139 in Gelsenkirchen seine Trinkhalle der besonderen Art eröffnet.
Michael Voregger: Was ist ein glückliches Solei?
Tom Gawlig: Ursprünglich hieß das sogar glückliches Solei von arroganten Hühnern. Das heißt einfach, dass die Hühner ein sehr schönes Leben gehabt haben und hoffentlich noch haben. Und besonders hochwertige Eier legen. Da legen wir großen Wert drauf, dass der Ursprung, die Herkunft unserer Lebensmittel möglichst biologisch – in jedem Fall aber regional und von hier ist.
Michael Voregger: Jetzt sitzen wir hier in der Trinkhalle in Gelsenkirchen. Was ist für Sie eine Trinkhalle im Jahr 2019?
Tom Gawlig: Die Idee daran war tatsächlich die Institution Trinkhalle – die Ruhrgebietsinstitution – zu retten, indem man sie modifiziert und fit macht für die Gegenwart und die Zukunft. Wir haben alles was es in einer normalen Trinkhalle im Ruhrgebiet auch gibt. Das geht los mit Süßigkeiten, Lakritz, Wein, Bier, Soleier, Frikadellen – alles nur auf ein anderes Niveau gehoben. Unbedingt regional und korrekt hergestellt. Das habe wir ganz gut geschafft, wir haben Biere aus Franken und Belgien, aber das Rückgrat bilden schon Sachen, die von hier kommen.
Michael Voregger: In den Ruhrgebietsstädten ist Hansa-Bier ja das Bier der Wahl, weil es günstig ist und man für wenig Geld, viel Bier bekommt. Was hier das Besondere bei dem Bier?
Gar nichts gegen Hansa-Bier. Ich gehe auch manchmal zum Kiosk und kauf mir eins. Super Sache. Es gehört inzwischen zu einem großen Konzern – gehört zu Dr. Oetker. Wir wollen ganz bewusst die kleinen Brauereien fördern und vertreiben. Der Niedergang der großen Bierstadt ist ein warnendes Beispiel. Es gibt jetzt wieder zwei kleine Brauereien aus Dortmund, aber ansonsten war das alles weg. Wir kennen das alle noch. Jede Ruhrgebietsstadt hatte ihr eigenes Bier – Glückauf-Bier aus Gelsenkirchen und Stern aus Essen. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben die kleinen Brauer, die hier arbeiten und typische Biere machen zu unterstützen und in unserem Kühlschrank zu vertreiben.
Michael Voregger: Die Trinkhalle gibt es schon sehr lange in Bochum. Gelsenkirchen ist jetzt eine Stadt mit vielen sozialen und wirtschaftlichen Problemen. Der Trend ist eher, dass Menschen die Stadt verlassen und dazu gehören auch Gastronomen. Warum also Gelsenkirchen?
Das konnte uns jetzt nicht schrecken. Für uns wäre es jetzt nicht interessant gewesen irgendwo eine Filiale aufzumachen. Das hätte in funktionierenden Viertel sicher mehr Aussicht auf Erfolg gehabt. Wir hätten in das Dortmunder Kreuzviertel gehen können oder an die Rüttenscheider Straße in Essen. Gelsenkirchen und auch Ückendorf – man muss das auch auf die Stadtteile beziehen. Ückendorf ist für uns interessant, weil hier viel Potenzial ist. Wir fahren immer mit der 302 auf dem Weg zum Schalker Stadion hier durch und sind auch ein paar Mal ausgestiegen – haben uns die Heilig Kreuz Kirche angesehen. Wir dachten immer das spielt doch wahnsinnig unter seinen Möglichkeiten. Das ist fußläufig keine zehn Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Die Anmutung, der Leerstand haben uns immer unbefriedigt zurückgelassen. Wir glauben an das Potenzial von Ückendorf. Wir sind nach den ersten Tagen bestärkt in unserer Annahme.
Michael Voregger: Wenn man hier aus dem Fenster schaut, dann ist der Stadtteil immer noch ein schwieriger Stadtteil. Es gibt sehr viel Leerstand, die Häuser sind zum Teil in einem schlechten Zustand und man hat hier nicht unbedingt eine hippe Bevölkerung. Also nicht so wie in Essen oder Bochum mit vielen Studenten. Was ist für ein Publikum nötig, damit die Trinkhalle funktioniert? Wer kommt hier hin?
Tom Gawlig: Da richten wir uns nach der Institution der Trinkhalle im Ruhrgebiet. Eine Trinkhalle ist eine soziale Kreuzung. Der Hausmeister aus dem Haus kommt genauso oft wie der Craftbier-Nerd oder der Student der Folkwang-Uni. Wir wollen keine Hipsterbar sein – können wir auch gar nicht bedienen – wir wollen eine Trinkhalle für alle sein.
Michael Voregger: Es gibt ja hier verschiedene Biersorten. Die Trinkhalle für alle muss ja auch alle Preisvorstellungen bedienen. Welche Biere werden angeboten und wie sind die Preise?
Tom Gawlig: Bei uns fängt das normale Bier zu Gastropreisen an. Das sind Stauder und Fiege – die regionalen Biere von hier zu ganz normalen Preisen. Nach oben sage ich mal: the sky is the limit. Natürlich wird ein Kirschbier aus Belgien ein Vielfaches kosten, was ein Export aus dem Ruhrgebiet kostet. Das ist keine Pflicht und man kann auch sein Bier von gegenüber mitbringen. Da sind wir ganz offen. Wichtig ist das wir den Leuten was zu erklären haben. Wir haben einen Bildungsauftrag und wollen den Leuten erklären, dass Bier eine viel größere Bandbreite hat. Vom Geschmack ganz malzig, über dunkel, fruchtig bis hin zu sauer. Das sich das preislich niederschlägt ist ganz klar. Das ist beim Wein den meisten bewusst, beim Bier machen wir das den Leuten langsam klar.
Michael Voregger: Ist Bier für Sie ein verkanntes Kulturgut?
Bier ist unbedingt ein emotionales und regional verankertes Getränk. Die kleinen Brauer, die wir fördern legen da auch einen besonderen Wert drauf. Das geht dann soweit, dass beim Erdbeerbier aus Vörde am Niederrhein, dass der Erdbeerbauer direkt neben der Brauerei ist. Mücke aus Essen macht jetzt ein typisches Ruhrgebiets-Exportbier. Genauso wie das Exportbier früher vom Bergmann getrunken wurde. Das ist ein wenig in Vergessenheit geraten, als alle angefangen haben sauerländische Pilsbiere zu trinken. Das ist uns wichtig in der Region verwurzelt zu sein.
Michael Voregger: Die Trinkhalle knüpft vom Namen ja schon an die Tradition an. Es haben in den letzten Jahren viele Kioske dicht gemacht. Viele werden von Zuwanderern betrieben. Wie passt den die Trinkhalle an der Bochumer Straße in diese Entwicklung?
Tom Gawlig: Es ist teilweise ein selbstausbeuterisch von vielen Einwanderern betriebenes Geschäft. Wir wollen die Trinkhalle transferieren in ein funktionierendes Konzept. Wir glauben der Weg dahin geht nur über mehr Qualität, mehr Nachhaltigkeit und mehr Regionalität. Das ist der Ansatz, um die Trinkhalle zu retten. Ansonsten wird es für die normale Trinkhalle schwer, wo es nur noch über den Preis geht. Wo dann wirklich der halbe Liter nicht mehr ein Euro kostet, sondern 89 Cent. Das ist ein absolut ruinöser Wettbewerb und dem wollen wir uns nicht stellen.
Michael Voregger: Das Ladenlokal ist ziemlich groß. Außerdem gibt es einen Kicker und eine Tischtennisplatte. Was hat das in einer Trinkhalle zu suchen?
Tom Gawlig: Wir haben beobachtet, dass das über wunderschöne Eckkneipenkonzept – was in der Nähe von Werkstoren über hunderte Jahre funktioniert hat – nur schwer aufrecht zu halten ist. Man muss den Leuten noch was anderes bieten. Es kommen Leute auf der Suche nach einem gescheiten Kickerspiel oder Tischtennis spielen wollen. Ab einer bestimmten Zeit wird dann Rundlauf daraus und man kann sehr gut mit einem Bier in der Hand Tischtennis spielen. Die einfache Kneipe, wo es nur Bier und Korn gibt, die hat es sehr schwer. Wir sind ein Fan von Bier und Korn oder vom Herrendgedeck. Darauf haben wir reagiert und bieten deshalb mehrere Freizeitaktivitäten.
Der Beitrag ist in der aktuellen Ausgabe des Stadtmagazins isso erschienen.