Eine Woche ist es her, dass die Siegener Zeitung einen Artikel über das im nahegelegenen Burbach eröffnete Flüchtlingsheim veröffentlichte, der vielfach als „rassistische Hetze“ wahrgenommen wurde. Seitdem ist einiges passiert: Die von dem Lokalblatt herbeigesehnte Eskalation in Burbach selbst hat es nicht gegeben, dafür aber sehr wohl andere Reaktionen. Zusammengetragen von unserem Gastautor Steffen Benjamin Herbig.
Aber fangen wir chronologisch an: Am Erscheinungstag des Tendenzartikels berichtete auch die zusammengeschrumpfte Lokalredaktion der WAZ- Gruppe über die Thematik „Flüchtlingsheim Burbach“, allerdings in einem deutlich anderem Tenor. Der dortige Artikel „Notunterkunft für Flüchtlinge in Siegerlandkaserne Burbach fast ausgelastet“ berichtet sachlich:
„So hat es kleinere Ladendiebstähle und Beleidigungen gegeben. Laut Polizei sieben in den ersten gut fünf Wochen. „Das werten wir nicht als exorbitant hoch“, sagt ein Polizeisprecher gegenüber dieser Zeitung, „Dramatisches ist nicht passiert.“ Ernsthafte Übergriffe blieben aus.“
Die Autorin veröffentlicht am selben Tag auch den Artikel „Ein gutes Gefühl, ihnen zu helfen“ und zitiert dort unter anderem einen vor Ort beschäftigten Sozialarbeiter:
„‘Viele fragen, wie sie helfen können‘, erzählt Amir Aarabi. So verteilt er kleinere Hausmeisterjobs oder Zangen zum Müllsammeln. Dafür gibt es auch einen gesetzlich festgelegten Lohn, der so gering ist, dass ihn der Leiter der Einrichtung nicht in der Zeitung lesen möchte.“
In diesem Artikel ist das erste Mal von Eigenengagement der Geflüchteten zur Verbesserung ihrer Lage die Rede. Nicht ihre vermeintliche Kriminalität, sondern ihre Initiative wird hervorgehoben (Welche allerdings eine nicht erwähnenswerte Belohnung nach sich zieht. Gewerkschaften, die sich dieser Form der Ausbeutung annehmen gibt es in deutschen Landen nicht!)
„Eine virtuelle Hetzjagd“
Als nächstes erscheint am 31.10.2013 im Wochenblatt Siegerlandkurier der investigative Artikel „Eine virtuelle Hetzjagd“ welcher mit der Kälte Burbachs beginnt und letztlich auch endet:
„Auf den Web- und Facebook-Seiten bekannter Internetportale häufen sich unzumutbare Äußerungen, die alle Flüchtlinge in Sippenhaft nehmen. „Ohne wenn und aber zurück in die Heimat schicken“, ist da noch eine harmlose Forderung. „Die belästigen Kinder“, argwöhnt eine junge Frau. Ein Mann freut sich – wohl bezugnehmend auf die Flüchtlingsdramen vor Lampedusa – „dass von denen einige abgesoffen sind“. Und ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr Siegen wünscht sich „einen kleinen A…. H….. zurück. Dann wäre Deutschland besser dran.“
Es ist kalt im Siegerland. Verdammt kalt.“
Doch ganz so kalt, wie es der November erscheinen lässt ist es wohl doch nicht! Das BaSF trat mit einem „Refugees welcome!“-Banner in Aktion. Die WAZ- Restredaktion im Siegerland berichtete unter der Überschrift „Fans der Sportfreunde Siegen setzen Zeichen gegen Rechts“:
„Das Bündnis aktiver Sportfreunde-Fans (BaSF), ein Zusammenschluss wichtiger Fanclubs, reagiert damit auf einen Bericht in der Siegener Zeitung vom vergangenen Mittwoch. Dort hatte die Tageszeitung Ängste vor Ausländerkriminalität geschürt. Das Thema Flüchtlingsunterkunft im siegerländischen Burbach wurde daraufhin in verschiedenen Foren diskutiert. Es gab rassistische Kommentare. Ein Onlineportal im Ruhrgebiet setzte die Diskussion in einen Kontext mit Neonazi-Aufmärschen gegen eine Unterkunft für Asylsuchende in Berlin-Hellersdorf vor gut einer Woche.“
Hier muss ich dem mangelnden Leseverständnis des Autors leider widersprechen, denn in dem vorangegengenem Artikel war keine Rede von Aufmärschen. Pogromstimmung, bzw. das Herbeischreiben derselben waren vielmehr das Thema, aber zurück zu selbigem:
„Mit der Banner-Aktion wollen die Sportfreunde-Fans rechten Parolen entgegen treten, bevor sie – wie in jüngerer Vergangenheit in vielen deutschen Stadien geschehen – den Weg zurück in die Fankurve finden. Im Leimbachstadion kennt man das Problem mit rechtsradikalen Fans, als der Verein noch in höherklassigen Ligen spielte. Derzeit tritt die Szene nicht mehr offen im Stadion auf. Kreisweit sind Neonazis aber durchaus aktiv.“
Kritik an Panikmache
Schlussendlich lässt Joachim Karpa, für die WAZ- Gruppe das, was im Siegerland Politprominenz ist, zu Wort kommen.
Falk Heinrichs (SPD):
„Dass das subjektive Sicherheitsbedürfnis der Burbacher durch Berichte vermeintlich zunehmender Straftaten von Ausländern leidet, hält er für wenig hilfreich: „Das ist Panikmache.“ Zumal es sich in der Regel um Bagatellfälle gehandelt hätte, von der Zahnbürste bis zum Deo-Stift. Heinrichs war als Soldat von 1983 bis 1990 in der Siegerlandkaserne kaserniert und damals zuständig für die Verteilung der Aussiedler in den Räumen: „Hier sind früher Russen und Polen untergebracht worden. Von daher ist mir die Problematik nicht unbekannt.“ Tanja Wagener, Parteikollegin und Landtagsabgeordnete aus Siegen, lobt die Fans der Sportfreunde ebenfalls und geht mit Berichten in den Medien, die Ausländerfeindlichkeit schürten, hart ins Gericht: ‚Man muss sich über die Konsequenzen im Klaren sein. Was passiert denn bei den Leuten, die für so etwas empfänglich sind?‘ Fremdenfeindliche Äußerungen im Internet lieferten die Belege. ‚Das ist nicht hilfreich.’…
„Das unterschreibt Paul Breuer, Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein auch. ‚Die Aufnahme der Flüchtlinge ist eine humanitäre Verpflichtung. Dazu stehe ich‘, sagt der Christdemokrat. Wichtig sei es, die Bevölkerung bei der Versorgung der Flüchtlinge mitzunehmen: ‚Nicht mit einer Berichterstattung, die die Bevölkerung verunsichert.’“
Aufruf zur Kundgebung
Weitere Reaktionen: Unbekannte bringen am Abend des 05.11. über alten Mauern gegenüber des Redaktionsgebäudes der Siegener Zeitung ein Transparent mit dem Schriftzug „Stoppt Rassistische Propaganda“ an.
Die Siegener Zeitung selbst veröffentlichte zur Thematik einerseits einen Leserbrief eines Siegener CDU- Rechtsaußens, andererseits die Pressemitteilung der Partei „die Linke“, in der Berichterstattung der Siegener Zeitung üblich: ebenfalls als Leserbrief. Ansonsten bleibt die einzige, dürftige Replik der Siegener Zeitung auf Kritik die Antwort auf einen Kommentar bei Facebook:
„KOMMENTATORIN: Herzlichen Glückwunsch, Siegener Zeitung, für eine hetzerische Berichterstattung mit bewusster Hervorhebung bestehender Ressentiments. Die Stammtisch-Parolen-Verbreiter habt ihr ja auch schon versammelt. Werde eure Meldung mal an den Presserat geben.
SIEGENER ZEITUNG: Hallo KOMMENTATORIN Der Autor hat sich lange mit dem Thema beschäftigt und eine ausführliche Stellungnahme der Polizei eingeholt, auf deren Fakten aufgebaut wird. Von Hetze kann in diesem Fall also keine Rede sein.“
Na dann ist ja gut! Schon in ein paar Tagen wird sich ein weiteres Mal zeigen, wie weltoffen, tolerant und gastfreundlich Burbach wirklich ist, denn die „AG Solidarität mit Geflüchteten! Rassismus stoppen“, ruft für Samstag, den 09.11.2013 zu einer Kundgebung auf dem Burbacher Marktplatz auf.
Geht es nun um Ressentiments, Ausgrenzungen oder nur um Rassismus von rechts? Wenn man mal den Kontext mit Neonazi-Aufmärschen aussen vorläßt, ob es nun um Flüchtlingsunterkünfte, eine Fixerstube oder „nur“ um ein Obdachlosenheim geht, der Deutsche will keine Ausgegrenzten und Ausgestoßenen in seiner Umgebung haben.
In Münster zum Beispiel – wie die TAZ berichtet – richtet sich der Zorn von anonymen Flugblattautoren auf Obdachlose, Hartz-IV-Empfänger und osteuropäische Armutsflüchtlinge, die das Strassenmagazin „Draußen“ in der Stadt verteilen wollen und dafür nach neuen Räumen in der Innenstadt suchen.
In dem Viertel, in dem jetzt der Volkszorn erwacht, wurden bei der letzten Bundestagswahl mehrheitlich SPD, Grüne und Linkspartei gewählt.
Die Frage stellt sich doch, ob die Motivation für solche Stimmungen, eher in der Furcht vor Veränderungen oder in der Ablelehnung von Ausgegrenzten liegen?
https://www.taz.de/Flyer-gegen-Strassenmagazin-in-Muenster/!126979/
Ich habe den Eindruck, dass die Siegener Zeitung mit ihrem stimmungsmachendem Artikel nicht nur Asylsuchende, sondern auch die Burbacher in Sippenhaft nimmt. Die hetzerischen Online-Kommentare Einzelner mal außen vor gelassen: Am Tag des Erscheinens des Artikels hab ich aus Neugier und weil ich wissen wollte, was am Gegenstand der Berichterstattung eigentlich dran ist, den Heimleiter des Übergangsheims und die Pressesprecherin der Betreibergesellschaft angerufen. Statt von Angst und schlechter Atmosphäre erzählten beide von einer überraschend großen Spenden- und Hilfsbereitschaft in der Umgebung. Bestimmt gibt es Ängste Einzelner, aber dass die SZ es darstellt, als würden in dem kleinen Städtchen Misstrauen und Abneigung den Umgang miteinander beherrschen, unterschlägt auch die Freundlichkeit und Bemühungen von vielen Anwohnerinnen und Anwohnern. Der Artikel pauschalisiert in beide Richtungen: gegen Asylsuchende und gegen Burbacher. Die Konkurrenzmedien, die sich vor Ort umgehört haben, fanden schließlich gar keine Konflikte. „Zündstoff“ hat ja lediglich die Siegener Zeitung herbeigeschrieben.
Toll zusammengefasst, Herr Ex-Kommilitone. Die beim Blaettche haben den Schuss echt nicht mehr gehoert. Leider kenne ich auch noch alle beteiligten.
@Julia Dombrowski #2
Ja, kommt mir auch so vor, als wenn die Siegener Zeitung sich da als die „schweigende Mehrheit“ geriert, ein wiederkehrender Topos rechter Stimmungsmache („heimlich denken alle so, die traun sich das nur nicht zu sagen…“).
Viel bedenklicher finde ich es, wenn Artikel des WAZ-Online-Portals „Der Westen“ sich scheinbar neutraler Berichterstattung befleißigt und dabei verschiedene Berichte über „Klaukinder“, überfallene Senioren, „Problemhäuser“ und „Armutsflüchtlinge“ ganz unauffällig in einen Zusammenhang setzen, der objektiv nicht immer vorhanden ist, und die Leserkommentare (der Absicht entsprechend?) tatsächlich vielleicht nicht die schweigende Mehrheit, aber eine nicht zu vernachlässigende Minderheit zeigen, die sich in widerwärtigster Gehässigkeit Luft macht – gerne unter Pseudonym, aber auch ganz offen mit Klarnamen.
@Puck:
Das ist ja wohl eine Frechheit – eine nicht zu vernachlässigende Minderheit schreibt Leserkommentare unter Pseudonym, aber auch ganz offen mit Klarnamen.
Gibt es noch eine dritte Art und Weise Leserbriefe zu schreiben, die man beklagen könnte? 😉
Habe ich das richtig verstanden?
Werden hier politisch korrekte Provinzpostillen für rechte Hetzblätter gehalten?
Tja, man/frau lernt nie aus.
Der Artikel besticht leider nicht durch eine gute Lesbarkeit, könnte man daran noch was ändern? Einheitliche Schriftart, das Vermeiden von kursiv gehaltenen Absätzen und Links am Ende des Artikels anstelle von Hyperlinks wären nett. Vielen Dank!
@Nansy: Es wird kritisiert, daß „eine nicht zu vernachlässigende Minderheit…sich in widerwärtigster Gehässigkeit Luft macht“. Der Nachsatz ist eher illustratorisch zu verstehen. Da Sie sogar selbst Artikel verfassen, ist Ihnen soviel Lesekompetenz doch sicherlich zuzutrauen – lag wohl an der Uhrzeit 😉
@Stock: In einem Weltbild, das nur politisch korrekte Zeitungen und rechte Hetzblätter kennt, ist das im Artikel geschilderte Problem nicht zu verorten.
@Tolleranz: Die Erklärung „ist eher illustratorisch zu verstehen“ gefällt mir – wäre mir zu der Uhrzeit nicht eingefallen.
Meine Anmerkung war allerdings mit einem Smiley versehen – konnte man zur auch zur Mittagszeit kaum übersehen 😉
@Tolleranz, sie haben Recht, ist etwas chaotisch. Kritik dankend angenommen.
Schönes Wochenende
@Nansy #5
Ich neige leider dazu, Sätze mit mehreren Nebensätzen zu schreiben. Da haben offenbar einige Zeitgenossen Probleme mit dem Verständnis.
Es ging primär darum, daß Gehässigkeit nicht mehr versteckt wird. Das ist für mich ein Zeichen, daß es gesellschaftsfähig geworden ist, z. B. über Asylbewerber (auch HartzIV-Empfänger, Ausländer) herzuziehen. Oder anders ausgedrückt: Man zeigt ganz offen, daß es offenbar Menschen gibt, denen gegenüber man sich sowas lästiges wie Höflichkeit sparen darf.
„….Nicht ihre vermeintliche Kriminalität, sondern ihre Initiative wird hervorgehoben, welche allerdings eine nicht erwähnenswerte Belohnung nach sich zieht. Gewerkschaften, die sich dieser Form der Ausbeutung annehmen gibt es in deutschen Landen nicht!…“
„Ausbeutung“? Entschuldigung, geht es noch? Die Damen und Herren Flüchtlinge
erhalten vom Staat, also von uns allen, eine kostenlose Unterkunft, kostenlose Verköstigung, kostenlose medizinische Versorgung und sonstige kostenlose soziale Vergünstigungen(Kleidung, Bus-/Bahnfahrkarten, usw.) und als Gegenleistungserweisung bietet man ihnen an, freiwillig!!! da und dort gelegentliche, sicher nicht übermäßig geist- und körperstrapazierende gemeinnützige Tätigkeiten auszuführen, für die sie obendrein auch noch eine „nicht erwähnenswerte Belohnung“ erhalten. Wohlgemerkt, für GEMEINNÜTZLICHE Tätigkeiten, aus denen niemand irgendeinen Profit zieht, und soviel wohlwollende, sozialpädagogische Umtriebigkeit erfüllt dann in den Augen des „Gastautors“ den Tatbestand der „Ausbeutung“? Und was die Berichterstattung der Siegener Zeitung betrifft: Meinungsfreiheit und Pressefreiheit beweisen sich ja gerade darin, dass etwas gesagt und geschrieben werden darf, was eben NICHT der allgemeinen Auffassung -sprich, in dem Fall der linksdominierten „Political Korrectness- entspricht. Wenn nur noch verlautbart werden darf, wozu die Wähler der SPD, der Grünen und der Linkspartei, zustimmend den Kopf nicken, dann ist die Demokratie in Deutschland im Kern tot, denn diese lebt schließlich vom Widerspruch und der Kritik und nicht von der Anpassung und der unterwürfigen, gedankenlosen „Ja“-Sagerei. Alle Menschen sind fehlerhaft, nicht nur die „Bankster“ und die „Besserverdienenden“(deren Kritiker man merwürdigerweise nur extrem selten „Populismus“ oder Rassismus“ vorwirft) sondern natürlich auch Flüchtlinge oder Migranten. Insofern dürfen auch alle Menschen in Frage gestellt und kritisiert werden. Wer das nicht will, der will offenbar eine andere Gesellschaft, -die zumindestens ich – nicht für erstrebenswert halte. Soviel mal dazu.
@#1 von NASTY
„…der Deutsche will keine Ausgegrenzten und Ausgestoßenen in seiner Umgebung haben.“
Soso. „DER“ Deutsche will also keine „Ausgegrenzten“ und „Ausgestoßenen“ in seiner Umgebung. Tzetzetze. Ist ja wirklich ungeheuerlich. Ausser natürlich die mutmaßlich staatenlose Posterin „Nasty“, die dank ihrem edlen Gemüt und ihrer gutmeinenden Gesinnung absolut nichts dagegen hat, wenn „Ausgegrenzte“ und „Ausgestoßene“ in ihrer Umgebung ein Zuhause finden. Na wie schön, dass es noch so herzensreine Lichtmenschen wie sie, liebe Nasty gibt, denn ansonsten müsste man ja glatt an der Welt verzweifeln.
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