Lange nichts mehr vom Kraftwerksstreit rund um ‚Datteln 4‘ gehört, oder? Nun war es aber tatsächlich mal wieder soweit. Denn die Stadt Waltrop ist mit ihrem Vorhaben das umstrittene Kohlekraftwerk im Kreis Recklinghausen noch einmal planungsrechtlich anzugreifen vor dem Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen am Dienstag gescheitert.
Und das, nachdem man sich auf auf der Seite der großen Mehrheit der Waltroper Lokalpolitik und der sie in dieser Angelegenheit vertretenen Fachanwälte über Jahre hinweg doch stets recht optimistisch zeigte, dem ungeliebten Kohle-Meiler in der Nachbarschaft noch einmal juristisch ein Bein stellen zu können. Eine weitere Hürde also, die der Uniper (ex-E.On)-Konzern als Betreiber des Milliardenprojektes auf dem Wege zur angestrebten Inbetriebnahme nun aus dem Wege räumen konnte.
Aktuell geht man bei Uniper somit noch immer von einer Inbetriebnahme des Milliardenprojekts im Jahre 2018 aus. Im Jahre 2009 war das Projekt, wie auch hier im Blog bereits mehrfach berichtet und diskutiert, juristisch über Jahre gestoppt worden, dann jedoch zuletzt ein neuer Genehmigungsanlauf seitens der Befürworter und der Stadt Datteln unternommen worden.
Inzwischen laufen seit einigen Monaten auch die Bauarbeiten auf der riesigen Kraftwerksbaustelle wieder. Daran wird sich nun so schnell wohl auch nichts mehr ändern, wie seit gestern immer klarer wird. Denn die Richter entschieden nun in Gelsenkirchen, dass die Anpassungen der Zielvorgaben für das Projekt im Landesentwicklungsplan so nicht zu beanstanden sind. Die Stadt Waltrop habe hier keine Klagebefugnis, so das Gericht dazu gestern.
Die Stadt Waltrop sah das seit Jahren ganz anders: „…Als Belegenheitsgemeinde ist die Antragstellerin in besonderer Weise betroffen. Die mit der Standortfestlegung verbundenen langfristigen Einschränkungen ihrer Entwicklungsmöglichkeiten verlangen zumindest einen Ausgleich durch einen Anspruch auf Planungskonsistenz und konsequentes Verhalten. Die Antragstellerin muss erwarten können, dass – wenn sie schon ihr Gemeindegebiet für die Ansiedlung von Kraftwerken oder flächenintensiven Großvorhaben zur Verfügung stellen muss – dies auch an dem freigehaltenen Ort geschieht und nicht an beliebiger Stelle im nahen Umgebungsbereich, mit der Folge, dass sie neben der Neuansiedlung weiterhin dem eigentlichen Standort und den damit einhergehenden Einschränkungen ihrer Planungsfreiheit ausgesetzt ist“ hieß es in der Stellungnahme der Stadt Waltrop noch im Frühjahr 2015.
Ursprünglich war ein möglicher Kraftwerksstandort nämlich auf der Fläche des heutige sogenannten ‚NewPark‘ in den Rieselfeldern als möglicher Standort ausgewiesen worden, und eben nicht der später von E.ON/Uniper für seinen Neubau gewählte Bauplatz.
Waltrops Bürgermeisterin Nicole Moenikes (CDU) erklärte noch im April 2015 dazu gegenüber den Ruhrbaronen weiter: „Gegen das Immissionsrecht und das Wasserrecht wird die Stadt keine Einwendungen erheben. Unser Focus liegt allein auf dem Bebauungsplan und unsere Entwicklungseinschränkung durch den Bau des Kraftwerkes.“
Dieses Vorhaben ist nun misslungen. Die ersten Reaktionen einiger Waltroper Lokalpolitiker gegenüber den Ruhrbaronen sind bunt gemischt, reichen von Freude bis hin zu völligem Unverständnis.
Heinz Josef Mußhoff (FDP) begrüßt die Entscheidung des Gerichts: „Ich freue mich, dass wieder ein kleiner Stein aus dem Weg geräumt wurde. Meine FDP Waltrop war im Rat der Stadt Waltrop übrigens die einzige Fraktion, die eine Klage der Stadt Waltrop gegen das Kraftwerk abgelehnt hat. Waltrop bleibt auf seinen Klage- und Prozesskosten hängen.“
Andreas Brausen (CDU) hingegen zeigt sich enttäuscht und verwundert: „Das man das Landesplanungsgesetz damals in Düsseldorf über den Haufen geworfen hat und nachträglich den Standort Datteln zum Kraftwerksstandort erklärt hat, das bleibt für mich eine mindestens dilettantische politische Entscheidung. Zu klagen war richtig, das Urteil ist enttäuschend.“
Ingrid Täger (Bündnis 90/Die Grünen), seit Jahren eine engagierte Kraftwerksgegnerin, ist regelrecht erbost über die Nachricht aus Gelsenkirchen: „Das Gerichtsurteil des Verwaltungsgerichts ist für uns Grüne unverständlich. Der Stadt Waltrop zu unterstellen, dass keinerlei konkrete Sachstände vorgebracht wurden, ist ein Unding. Durch die zu erwartenden Emissionen des Kraftwerks ist es für Waltrop fast unmöglich ihre GIB Flächen zu vermarkten, da ein weiteres an Emissionen nicht mehr tragbar wäre. Die einzige Fläche von Waltrop, die für eine Konzentrationsfläche für Windräder in Frage käme (siehe Bericht und Berichtserstattung des LANUV im Ausschuss oder Rat der Stadt Waltrop 2013/2014) ist von den Strommasten des Kraftwerks Datteln 4 blockiert. Und die Fläche, die für den Bau einer Siedlung vorgesehen war (Recklinghäuser Straße) liegt schräg gegenüber dem Kraftwerk mit ‚wundervollem‘ Blick auf Kühlturm usw. Da will niemand bauen. Dieses Urteil prangern wir daher auf das Schärfste an.“
Michael Kamps (Die Linke) sieht hier sogar größere Zusammenhänge: „Ich bin schon sehr enttäuscht, dass das Verwaltungsgericht die Klage der Stadt Waltrop negativ beschieden hat. Hier kann man mal wieder sehen, dass Konzerninteressen in diesem Land höher gewichtet werden.“
Die Diskussionen in der Region werden zur Sache nun sicherlich noch einmal neu an Fahrt gewinnen, auch außerhalb der Stadtgrenzen Waltrops.
In Waltrop selber wird das ‚Wundenlecken‘ vermutlich erst einmal noch einige Zeit andauern. Denn noch immer ist auch die Frage nach den die ohnehin chronisch klammen Stadtkasse hierdurch zusätzlich belastenden Kosten nicht wirklich beantwortet. Genau beziffern wollte das angeblich geringe Prozesskostenrisiko bisher, im Vorfeld der Entscheidung, noch niemand. Zumindest nicht öffentlich.
Alleine das Honorar der beauftragten externen Fachanwälte dürfte über die vergangenen Jahre hinweg jedoch vermutlich schon ein ziemlich relevantes Sümmchen erreicht haben. Geld, welches die Stadt Waltrop im Nachhinein sicherlich für andere Dinge auch wesentlich sinnvoller hätte ausgeben können…
Robin,
zur ergänzenden Klarstellung:
Die verwaltungsgerichtliche Klage der Stadt Waltrop vor dem VG Gelsenkirchen hat ausschließlich die Entscheidung der sog. obersten Landesplanungsbehörde NRW zum Gegenstand, mit der in einem beantragten sog. Zielabweichungsverfahren der Abweichung des jetzigen Kraftwerkstandortes vom ursprünglichen -und nach wie vor im Plan ausgewiesenen-Standort in den sog. Dattelner-Rieselfeldern – zugestimmt wurde.
Vor der Einreichung der Klage durch die Stadt Waltrop war jedermann bekannt -m.W. haben die Fachanwälte darauf auch in den Gremien der Stadt Waltrop hingewiesen-, daß bis auf einen einzigen Fall die Verwaltungsgerichtgsbarkeit in Deutschland einer Nachbargemeinde -hier die Stadt Waltrop als Nachbarstadt der Stadt Datteln- keine Beeinträchtigung subjektiver Rechtsinteressen -als jur.Person Stadt Waltrop-zuerkannt hat. Dem ist das VG GE gefolgt. Alles Andere wäre eine Überraschung gewesen, aber keine von vornherein völlig auszuschließen.
Der Einreichung der Klage seitens der Stadt Waltrop gegen die Zielabweichungsentscheidung kommt im konkreten Falle jedoch besondere Bedeutung zu, und zwar mit Blick auf das noch anstehenden sog. Normenkontrollverfahren der Stadt Waltrop -und anderer Käger- vor dem OVG Münster gegen den (neuen) Bebauungsplan der Stadt Datteln; ich nenne dieses Verfahren hier 'mal der einfachheithalber und zur Klarstellung das "Verfahren in der Hauptsache".
In diesem Verfahren in der "Hauptsache" ist auch -aber eben nicht nur!!-die Frage relevant, ob der Bebauungpslan der Stadt Datteln zu vereinbaren ist mit den landesplanungsrechtlichen Vorgaben.
Die Landesplanungsbehörde hat mit ihrer Zielabweichungsentscheidung versucht, diese Vereinbarkeit im nachhinein (!!) herzustellen.
Wenn das OVG Münster in seiner Entscheidungsfindung über die Rechtmäßigkeit des neuen Bebauungsplanes der Stadt Datteln darauf Bezug nehmen wird, also konkret auf die Frage, ob -jetzt- veranlaßt durch ein Zielabweichungsverfahren-von der Vereinbarkeit des Bebauungsplanes mit der Landesplanung ausgegangen werden kann, dann ist es durchaus von Belang, daß die Stadt Waltrop in dem Verfahren darauf verweisen kann, ihre diesbezüglichen rechtlichen Bedenken in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgebracht zu haben und nicht etwa "durch Stillschweigen", konkludent, wenn man so will, ihr Einverständnis erteilt haben könnte. Insofern , so scheint mir, war unabhängig von der naheliegenden Entscheidung des VG GE, so sie wie jetzt getroffen wurde, aus der Sicht des Kraftwerkgegner -nicht nur der Stadt Waltrop- sinnvoll; das sehe ich auch jetzt noch so
Naheliegend, daß die Befürworter des Kraftwerkes an diesem Standort die Entscheidung des VG Gelsenkirchen als Erfolg für sich verbuchen. Naheliegend, daß die Gegner des Kraftwerkes an diesem Standort in der VG Entscheidung einen Mißverfolg sehen.
Aber……..
"Abgerechnet" wird wie immer im Leben "am Schluß", das heißt dann, wenn die Entscheidung des OVG Münster im sog. Normenkontrollverfahren, beantragt d.d. Stadt Waltrop u.a., zum -neuen-Bebauungsplan der Stadt Datteln rechts- und bestandskräftig geworden ist. Das schließt ein Revisions-Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht -zumindest eine Revisions-Nichtzulassungbeschwerde- mit ein.
Also…..
sollte "man" sich nicht zu früh freuen bzw. sich nicht zu früh ärgern!
Robin,
insofern ist es auch verfehlt, konkret bezogen auf eine Aussage der Bürgermeisterin, , die ex pressis verbis den "neuen" Bebauungsplan der Stadt Datteln betraf, davon zu sprechen, dieses "Vorhaben ist nun mißlungen".
PS
Wenn ich zur Kenntnis nehme, was alles aufgrund des erfolgreichen Normenkontrollverfahrens der Familie Greiwing gegen den ersten Bebauungsplan der Stadt Datteln durch den Kraftwerkbetreiber mittlerweile getan worden ist, um im jetzt anstehenden Normenkontrollverfahren gegen den zweiten Bebauungplan der Stadt Datteln nicht erneut zu unterliegen, dann war schon deshalb für die Menschen, die im "Einzugs- bwz. Einwirkungsgebiet" des Kraftwerkes leben, das von der Fam.Greiwing seinerzeit eingeleitete Normenkontrollverahren von großem Nutzen.
-Dazu gehört z.B. wenn auch nur nebensächlich-, daß der Kraftwerkserbauer/Kraftwerkbetreiber auf seine Kosten nach der damaligen OVG-Entscheidung die m.E. größte Baumpflanzaktion in der Region durchgeführt hat ; u.a zu meiner täglichen Freude durch Neuanpflanzungen in Waltrop im Bereich "Im Hangel", für die ich mich vergebens schon vor ca. 3o Jahren stark gemacht habe-..
Ja, Walter, die diversen Nachbesserungen werden bleiben. Und eine jahrelange Verzögerung der Inbetriebnahme. Und bei mir, wie auch bei vielen anderen, wie ich vermute, letztendlich sehr viel Ernüchterung über diverse Beteiligte der Geschehnisse der letzten Jahre. Insgesamt eine unschöne Erfahrung für mich ganz persönlich. Auf ganz vielen Ebenen. Aber das hier nur noch einmal ganz am Rande erwähnt…
Robin,
da Du noch "ein paar Tage" jünger bist als ich, darf ich Dir gegenüber feststellen, daß Dir mit Sicherheit "im kleinen wie im großen" im gesellschaftspolitischen Alltag noch viele unschöne Erfahrungen bevorstehen -in der Sache, aber auch bezogen auf einzelner Akteure und/oder auf
die beteiligen politischen Parteien. Das gehört zum Leben dazu -im persönlichen Bereich und im gesellschaftspolitischen Alltag. Wie geht man damit um? Ich denke, jeder auf seine Art und mit ganz unterschiedlichen Folgerungen.
Zu den "unschönen Erfahrungen":
Ja, die habe ich auch im Zusammenhang mit "E.ON-Datteln IKV gemacht.
Ich erinnere z.B. daran, dass wir uns u.a. hier bei den Ruhrbaronen mehrfach über die in Sachen Kraftwerkstandort "unsägliche Rolle" von Trittin unterhalten, den ich ansonsten durchaus als politische Führungspersönlichkeit wertzuschätzen weiß.
Wir uns bekanntlich auch mehrfach über die politischen Entscheidungsträger aus Reihen der Grünen unterhalten -in der Verbandsversammlung des RVR, in der Landesregierung NRW,
als es darum ging, den Regionalplan "krafwerkkompatibel" zu machen und daran, wie letztendlich
das jetzt hier diskutierte Zielabweichungsverfahren seitens der rot-grünen Landesregierung durchgesetzt worden ist .Von "meiner" SPD -leider- von Anfang an so gewollt. Von den Grünen wird auf regionaler Ebene und als Koalitionspartner in der Landesregierung bis heute versucht, "Mittäterschaft/Mitverantwortung" zu bestreiten, zumindest weitestgehend zu relativieren.
Robin,
auch das meinerseits "nur noch einmal ganz am Rande".