Gabi N. ist 24 Jahre alt und kommt viermal in der Woche in das Altenheim im Gelsenkirchener Stadtteil Feldmark. Im großen Aufenthaltsraum wartet schon ein Grüppchen älterer Damen auf den Neuankömmling. Gabi N. ist eine sogenannte Ein-Euro-Kraft. Sie unterhält sich mit den Bewohnern, begleitet sie auf Spaziergänge und hilft beim Mittagessen.
Für die junge Frau ist die Beschäftigung wichtig: Ihr Tag hat eine feste Struktur und sie hat viele soziale Kontakte. Im Altenheim wird man sie schon bald vermissen. In zwei Monaten läuft die Maßnahme aus und eine Verlängerung gibt es nicht. Es wird auch keine Nachfolgerin geben, denn die Gelder für die Ein-Euro-Jobber werden massiv gekürzt.
„Die Bundesregierung wird die Mittel Arbeitsmarktpolitik im Bereich des SGB II um 1,3 Mrd. Euro auf 5,3 Mrd. Euro vermindern“, sagt Ilona Mirtschin von der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. „Welche Auswirkungen dies auf den Mitteleinsatz vor Ort hat, entscheiden die Grundsicherungsstellen in eigener Zuständigkeit“. Die kommunalen Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) zwischen der Agentur für Arbeit und der Kommune legen vor Ort fest, wo gespart werden muss. Eine wirkliche Wahl haben sie dabei nicht. Im letzten Jahr wurden bundesweit 1,045 Milliarden für diese Maßnahmen ausgegeben. Allein im Ruhrgebiet gab es 2009 rund 20 200 Ein-Euro-Jobs. Im Amtsdeutsch spricht man „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung“ und kürzt das mit AGH ab. Das ist eine zusätzliche und im öffentlichen Interesse stehende Tätigkeit für Empfänger von Arbeitslosengeld II und soll die Langzeitarbeitslosen an den sogenannten „Ersten Arbeitsmarkt“ heranführen. Ob das klappt, ist unter Arbeitsmarktexperten umstritten. Für die Statistik macht es auf jeden Fall Sinn, denn die billigen Jobber gelten nicht als arbeitslos und werden nicht in der Arbeitslosenstatistik erfasst. Zusätzlich zum Arbeitslosengeld II wird eine „Mehraufwandsentschädigung“ mit Beträgen zwischen 1,00 Euro und 2,50 Euro pro Stunde gezahlt.
Für die Städte im Ruhrgebiet hat die Kürzung schwerwiegende Konsequenzen. In Duisburg gibt es derzeit 2.686 Stellen und davon sollen 1700 gestrichen werden. „Wenn weniger Maßnahmen angeboten werden können, dann wird voraussichtlich auch die statistische Arbeitslosigkeit in Duisburg steigen“, sagt Johanna Muschalik von ARGE Duisburg. Betroffen sind nicht nur die Ein-Euro-Jobber, sondern auch viele der Anleiter bei den Trägern der Maßnahmen verlieren ihren Job: Pädagogen, Sozialarbeiter und Fachkräfte werden nicht mehr gebraucht. Dabei wollte die Ein-Euro Jobs vor fünf Jahre eigentlich niemand: Die Gewerkschaften nicht, die Arbeitgeber nicht, die Politik nicht, die Berufsverbände nicht und die Handelskammern auch nicht. Die Arbeitsloseninitiativen haben die Jobs immer als versteckte Zwangsarbeit abgelehnt und kritisiert, dass keine versicherungspflichtigen Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden.
Bei der Arbeit vor Ort ist man sich der Problematik dieses Instrumentes bewusst, aber man sieht auch den praktischen Nutzen. „Viele der Teilnehmer haben eine ganze Reihe von verschiedenen Problemen, die eine Vermittlung in eine geregelte Arbeit schwierig machen“, sagt Gabriele Ravenstein von der Caritas in Gelsenkirchen. „Bei aller Kritik an den Ein-Euro-Jobs kann das für den Einzelnen ein großer Schritt in die richtige Richtung sein“. In vielen Familien lebt inzwischen die dritte Generation von Arbeitslosenhilfe und Hartz 4-Bezug. Da gibt es keinen geregelten Tagesablauf und morgens muss niemand pünktlich aufstehen. Das wirkt sich auf den regelmäßigen Schulbesuch der hier lebenden Kinder aus und ihre Bildungschancen sinken weiter. Der normale Arbeitsmarkt ist für diese Menschen in weite Ferne gerückt.
Die Bundesregierung hat die vermeintliche Lösung schon fest im Blick und setzt auf das Modell Bürgerarbeit. Nach den Plänen von Ministerin von der Leyen sollen 2011 etwa 34 000 langzeitarbeitslose Menschen gemeinnützige Arbeit leisten. Dafür bekommen sie 900 Euro brutto im Monat und müssen wöchentlich 30 Stunden arbeiten. Wer ein solches Angebot ablehnt, soll mit Sanktionen bestraft werden. Es werden Beiträge zur Sozialversicherung gezahlt und die Jobs können bis zu drei Jahre dauern. Das ist schon wegen der aktuellen Statistik keine wirkliche Perspektive für die große Zahl der Arbeitslosen. So wird es zum Beispiel in Gelsenkirchen 150 Stellen für Bürgerarbeit geben und derzeit leben hier 32 000 Menschen von Hartz 4. In Duisburg sind ebenfalls 150 Stellen geplant und in Dortmund sind es immerhin 400. Die Wohlfahrtsverbände bemängeln die fehlenden Mittel für die Betreuung der Bürgerarbeiter. Ansonsten hält man sich bei den Vertretern der freien Wohlfahrtspflege mit Kritik an der Regierung merklich zurück. Da fallen zwar Vokabeln wie „unsoziale Politik“ und „Spaltung der Gesellschaft“, aber das gehört mittlerweile zum Standardvokabular. Ein Blick auf die Internetseite der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege ist ernüchternd, denn die letzte Erklärung stammt vom September und beschäftigt sich mit dem Thema Zivildienst. Man will es sich mit den Regierenden und den lokalen Arbeitsagenturen wohl nicht gänzlich verderben – immerhin hängen viele Projekte und viele Mitarbeiter am öffentlichen Tropf.
Die Bundesregierung setzt ihre Politik der sozialen Ausgrenzung weiter fort und wer als nutzlos und untauglich für die „Leistungsgesellschaft“ angesehen wird, der kann nicht mit Unterstützung rechnen. Für Gabi N. wird es in absehbarer Zeit keine neue Beschäftigung geben und damit teilt sie das Schicksal von zu vielen Menschen in diesem Land.
Die Gesamtproblematik der EinEurojobs ist mir schon klar, ebenso die des Gesamtarbeitsmarktes. Aber mal ganz ehrlich, wer hindert den Gaby N. daran, weiterhin 4 mal die Woche ins Altenheim in Gelsenkirchen Feldmark zu gehen, wenn sie sonst keine Beschäftigung mehr hat und ihr diese so wichtig ist?
[…] https://www.ruhrbarone.de Tags » Autor: admin Datum: Dienstag, 14. Dezember 2010 18:52 Trackback: Trackback-URL Themengebiet: allgemein Feed zum Beitrag: RSS 2.0 Diesen Artikel kommentieren […]
Zum Kommentar Nr 1 möchte ich gerne antworten. Meiner Einschätzung nach hindert Gaby N. als allererstes das fehlende Geld daran, dort weiter hinzugehen. Zweitens ist ihr rechtlicher Status dann ein anderer. Sie ist dann Besucherin und nicht Betreuerin. Und drittens würde ich gerne fragen, da ihnen ja dies alles bewußt ist, was Sie denn, Herr Voss, dafür tun, dass alte Menschen weiter so menschlich betreut werden, wenn Gaby N. nicht mehr dorthin geht?
Niemand wird in einem Altenheim durch seinen Gaststatus daran gehindert mit alten Menschen zur reden oder ihnen etwas vorzulesen. Man kann alte Menschen auch zu hause besuchen, wenn sie noch nicht in einem Altenheim sind. Alte Menschen sind überall und immer sind welche in der Nähe. Man braucht nicht mal Fahrtkosten um sie zu finden. Menschlichkeit ist kein Bezahlstatus sondern eine Frage der Einstellung.
Geld ist dabei ein gute Motivation, keine Frage. Geld und Professionalität noch besser. Aber gerade beim Umgang mit alten Menschen reicht sie eben nicht aus. Deswegen können auch nicht dafür ausgebildete Menschen alten Leuten viel Gutes tun. Häufig sogar mehr als die Bezahlten.
Wenn auch sie dafür Geld bzw. eine Aufwandsentschädigung bekommen ist dagegen nichts einzuwenden. Aber wenn man selber will, ja sogar gerne hilft, dann ist Geld dazu nicht unbedingt nötig. Erst recht nicht, wenn der eigene Lebensunterhalt ohne Arbeit gesichert ist. Das ganze nennt sich ehrenamtlich, wenn man dafür auch noch einen offiziellen Status braucht, und den vergeben auch Altenheim gerne, bzw. ist man dann nicht mehr nur ein ganz gewöhnlich Gast der von sich aus auf alte Menschen zugeht.
Aber wie gesagt, niemand braucht einen bestimmten formalen Status um einfach nur menschlich zu sein in dem er sich um alte Leute kümmert.
Kommentiert Markus Lanz jetzt unter „Arnold Voss“?
Dirk, ich wusste, dass das jetzt kommt. Ich bin, im Gegensatz zur Markus Lanz, für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Schon lange. Und es wäre finanzierbar wenn all die unsäglichen Hilfsmodelle zur Beschäftigung von Menschen, die keinen Platz im ersten Arbeitsmarkt finden, abgestellt würden. Dann gäbe es keine sogenannten Unnützen mehr.
Nützlich allerdings kann sich jeder für die Gesellschaft machen. Auch im Hartz4 Status. Das ist zwar beschissen wenig Geld, aber es ist immer noch besser als für nur etwas mehr, oder sogar für weniger Geld, jeden Tag eine noch beschissenere Arbeit verrichten zu müssen.
Gaby N. hat(te) dagegen eine Beschäftigung, ich sage bewusst nicht Arbeit, die ihr, wenn ich den Artikel richtig verstanden habe, zusagt(e). Was also hindert sie daran, dieser Beschäftigung in anderen Form weiter nachzugehen, Dirk?
Und damit ich hier nicht noch mehr falsch verstanden werde: Ich bin auch deswegen für das bedingungs l o s e s Grundeinkommen, weil sich niemand für unsere Gesellschaft nützlichen machen müssen sollte! Gesellschaftliche Nützlichkeit kann nur freiwillig sein. Sonst nützt sie niemandem.
@Voß,
Menschlichkeit.
So etwas gibt es wirklich noch, wenn auch nicht so häufig.
Sehr viele Frauen arbeiten ehrenamtlich in Seniorenheimen.
Stichwort „Grüne Damen“. (auch „Grüne Männer“)
Die machen im wesentlichen das, was man unter Menschlichkeit versteht, mit den Alten sprechen, ihnen vorlesen, Spaziergänge, bzw. -fahrten. Auch Betreuung beim gemeinsamen Weihnachtsmarktbesuch. Also das, was das Pflegepersonal sonst nie schaffen könnte.
Und die kriegen ihre Unkosten erstattet. Also daran würde es nicht scheitern.
Und da meine beste Freundin so etwas macht, weiß ich auch, daß es für sie selber eine seelische Bereicherung ist.
Ich denke, viele Menschen würden sich gerne so einbringen, wenn sie nur mal in diese Richtung denken könnten. Aber da fehlt es wohl an Informationen und wohl auch an Anstößen.
@all,
Damit das eigentliche Thema nicht untergeht, möchte ich noch nachtragen, daß mir die Idee mit den Ein-Euro-Jobs nie behagt hatte.
Der Mißbrauch war von der ersten Stunde an vorprogrammiert.
Wenn jemand arbeitet, soll er auch normal bezahlt werden.
Was wir jetzt mit den vielen unterbezahlten Jobs erleben, läßt mich Schlimmes für die Zukunft ahnen. Nebenbei kommt da bei mir die kalte Wut hoch, daß einige sich eine goldene Nase am Elend anderer verdienen. Bei Minilöhnen wird die Menschenwürde mit Füßen getreten. Nebenbei bedeuten sie für die Betroffenen
Altersarmut.
Außerdem habe ich vor einiger Zeit mal über den Daumen durchkalkuliert, daß eine Grundsicherung für alle, vermutlich billiger wird, als Hartz4 und alle Maßnahmen, die scheinbar notwendig sind, um die Arbeitslosenquote zu drücken.
Arnold, dass es die Erwerbslosen sind, die sich, wo sie schon keine Arbeit haben, nun ihrer „Menschlichkeit“ besinnen sollen – das ist es, was auch unter „Lanz“ subsumiere. Tatsächlich müsste sich „Gaby“ – zumindest in dieser Logik – fragen lassen, warum sie nicht bereits vor ihrer 1-€-Arbeitsgelegenheit diese „Menschlichkeit“ an sich entdeckt und zum Wohle der Alten eingesetzt hat.
Zum BGE: wär’ ich auch gern dafür.
Zusammengefasst ist die Idee hinter dem Ein-Euro-Job mit viel Wohlwollen zwar gut gemeint aber in der Praxis dadurch noch lange nicht gut gemacht. Hier werden Hartz-IV-Empf nger f r einen Appel und ein Ei als Dumping-Arbeitskr fte an Unternehmen gegeben die stelleweise ihre Stammbelegschaft dadurch entlassen den Wettbewerb durch g nstigere Preise ausstechen k nnen de facto kein Lohnnebenkosten f r diese Mitarbeiter haben und diese dann als arbeitsf rdernde Ma nahme noch nicht einmal bei guter Arbeit in eine Festanstellung erl sen. Den Ein-Euro-Jobbern geht es oft nicht um das Besch ftigungsverh ltnis die damit verbundene Hoffnung vielleicht ber diesen Weg wieder einen Job zu bekommen.