Die unüberwundene Steinzeit

Stone Age: the feast. Detail 2 – Wiktor Michailowitsch Wasnezow – Gemeinfrei

Die Menschheit hat sich seit über 40.000 Jahren nicht mehr entwickelt. Ihre Evolution stagniert. Biologisch sind wir weiterhin Steinzeitwesen. Würde man aus diesem Blickwinkel die aktuellen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika oder der Ukraine betrachten, könnte man auf Verhaltensmuster stoßen, deren dumpfe Gruppendynamik im Kampf um Führungsanspruch, Höhlen, Siedlungs- und Wasserstellen altbekannt ist. Sogenannte ‚Kultur‘ wird, falls überhaupt, nur vorgeschoben. Ob dumpfe Eingebungen oder lichte Schauen von Schamanen, Koranphrasen aus dem 7. Jhd., oder ein formales Völkerrecht, dessen ‚Subjekte‘ nicht Völker, sondern Nationen sind, zumal es durch diverse Wanderbewegungen und Vermischungen gar keine Völker mehr gibt und jene Nationen aus Krieg, Kriegen und Krieg hervorgegangen sind. Jeder Friede beruhte auf Konventionen, die ihre Willkürlichkeit nicht verbergen konnten, ebenso wieder Krieg aufflammen ließen und lassen können. Der in Europa geschehene Dreißigjährige Krieg offenbart geradezu eine ‚kulturelle‘ Blüte der Menschheit.

Um nicht ganz so blöd zu wirken, hat die Menschheit allerdings Metaphern erfunden: Derzeit evolutionieren die nationalen Gesellschaften. Die Wirtschaft sondiert die sogenannten ‚Schwachen‘ aus, und sozial ist, wer sich wirtschaftlich durchsetzt. Auch Künste, Wissenschaften und Philosophie haben Marktwerte, zumeist geringe, es sei denn, sie orientieren sich am ‚Cash‘. Dieser primitive Pragmatismus, einst von William James verbreitet, ist allgegenwärtig und zeigt die Höhe der ‚Kultur‘ an, der wir mehr oder weniger dienen. In diesem sonderbaren Reduktionismus siegt die größere Keule und das Glück, im Kampf nicht über einen Stein gestrauchelt zu sein. Die Evolutionsmethaphern könnten sogar dazu ermutigen, gesellschaftlich Auswege zu nehmen, die früher in Erwägung gezogen wurden, wenn es – dem Glauben nach -, die Götter nicht gut mit einer Gesellschaft meinten: Opferrituale sind durch archäologische Funde vielfach bezeugt und neuerdings in Mode geraten.

Und nun? Das Seti-Institut [HomePage] möchte Nachrichten [Spiegel] an außerirdische Zivilisationen senden, als hätten wir in der Vergangenheit nicht schon Lärm genug ins All gesandt. Erstaunen – oder auch nicht -, kann der begonne Streit darüber, was denn von wem mit welcher Erlaubnis zu senden sei, oder ob man nicht besser darauf verzichten sollte, auf sich aufmerksam zu machen, und wie man sich zu verhalten habe, falls eine Antwort eintreffen würde, könnte man sie als solche erkennen. Zudem gibt es ein technisches Problem: Ob die für Menschen ohne Empfangsgeräte nicht wahrnehmbaren Radiowellen für außerirdische Zivilisationen überhaupt relevant sind, die Technik differenziert nicht nach Urspüngen, sie könnte dort ziemlich veraltet sein, würde ein blindes agieren befördern. Und ob die Menschheit, die sich vorgenommen hat, die unüberwundene Steinzeit auch ins All zu tragen, willkommen wäre — ich müsste gestehen, mir nicht.

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Arnold Voss
9 Jahre zuvor

Ich empfehle zum Thema das Buch „Tauschen und Täuschen – Warum die Gesellschaft ist, wie sie ist“ von Manfred Drenning. Umfangreich, manchmal etwas langatmig, insgesamt aber in ernüchternder Weise lehrreich.

r.
r.
9 Jahre zuvor

Nur das die Evolution bei uns Menschen nicht stagniert. Ein Beispiel: Erst vor relativ kurzer Zeit, ca. 5000 Jahren, hat sich das Gen, welches erlaubt dass auch nach dem Säuglinglsalter Milcheiweiß verwerted werden kann, hier in Europa bei den Menschen durchgesetzt.

Helmut junge
9 Jahre zuvor

Gäbe es eine außerirdische Zivilisation, die Signale senden und empfangen kann, muß sich ein vorsichtiger Mensch fragen, warum sie genau dies nicht tut. Wir suchen ja und empfangen nichts. Also? Niemand sendet draußen.
Warum also sollen wir das tun?
Vielleicht werden die, die senden überhaupt erst entdeckt? Kurz darauf senden sie dann nicht mehr.
Nie mehr.

Frank
Frank
9 Jahre zuvor

@Rainhard Matern:

Evolution entsteht doch durch Mutationen und Auslese. Mutationen finden dauernd statt, aber eine neue „Auslese“ erfolgt erst, wenn sich die Umwelt bedeutend verändert.

Z. B. brauchen wir in unserer Welt der allgegenwärtigen Flachbildschirme künftig kein räumliches Sehen mehr und deshalb keine überlappenden Sehfelder unserer Augen.
Daraus folgt, dass unsere Augen vom Gesicht wieder mehr in Richtung Ohren wandern könnten, um das Sichtfeld zu vergrößern..

Unser Kultur der Technologie dämpft die harte Auslese durch Umweltbedingungen, weil wir ja auf fast jede Herausforderung eine mildernde Antwort haben: Kälte, Hitze, Dunkelheit, grelles Licht.

Der nächste Mutationsschub steht an, wenn unser Magnetfeld seine Pole wechselt. Dann kömmt eine Phase ohne schützendes Magnetfeld vor der kosmischen Strahlung.

Helmut Junge
Helmut Junge
9 Jahre zuvor

Reinhard, der Grad der Agressivität großer Bevölkerungsgruppen über einen Zeitraum von Jahrtausenden ist noch nicht gemessen worden. Insofern ist deine Ausgangsthese nicht wissenschaftlich belegt. Sie entspricht zwar einem gängigen Klischee. Aber so muß sie nicht stimmen. Es gibt Völker, die ihre (inneren!) Konflikte nicht mit Waffen, oder körperlicher Gewalt austragen. Die Inuit z.B. haben andere Methoden entwickelt. Auch wenn ich annehme, daß sie genetisch mit dem Rest der Welt übereinstimmen, ist diese andere Form der Konfliktlösungsstrategie ein ernstzunehmender Faktor, der in die Beobachtung einfließen muß. Ich denke, daß er entstanden ist, weil die Lebensumstände in der Arktis so schwierig waren, daß jeder Erwachsene zu wertvoll für die Gemeinschaft war, um verletzt oder getötet zu werden. Das zeigt aber, daß sich Menschen Regeln geben können, die ihre Veranlagungen überlagern. Wir könnten also, wenn wir wollten auch friedlich sein. Das gilt zumindest für Konflikte innerhalb der eigenen Gruppe. aber mir scheint, daß Du über Konfliktbereitschaft gegenüber außenstehenden Interessengemeinschaften sprichst, also gegenüber der Konkurrenz.

trackback

[…] Der Beitrag entstand für die Ruhrbarone […]

Helmut Junge
Helmut Junge
9 Jahre zuvor

Nur Reinhard, wenn wir annehmen, daß es vor 40000 Jahren schon bereits den gleichen Menschen gab, wie heute, das wäre dann nämlich der Umkehrschluß, müßten alle heute lebenden Kulturen ähnliche Verhaltensweisen haben, die wäre dann ausschließlich genetisch vorgegeben. Denn alle heutigen Kulturen sind genetisch so gleich, daß man nicht einmal von einer rassischen Aufteilung in verschiedene Rassen sprechen kann, obwohl das umgangssprachlich immer noch geschieht. Es gibt im wissenschaftlichen Sinne keine verschiedenen Menschenrassen. Dafür reicht die genetische Differenzierung nicht, (Der Neanderthaler ist demzufolge keine andere Art, sondere eine andere menschliche Rasse, die mit dem Homo sapiens fruchtbare Nachkommen erzeugt hat.)
Dennoch gibt es unterschiedliche Konzepte des Aggressionsabbaus, wie ich am Beispiel der Inuit beschrieb. Es gibt auch noch andere Beispiele von anderen Völkern, die auch, ähnlich wie die Inuit andere „Kriegsformen“ entwickelt haben. (Müßte ich aber mühselig suchen)
Was die archäologische Befundsituation betrifft, gibt die leider für die Zeit zwischen 40000 und 30000 Jahren vor heute nicht viel her. Funde von Menschen aus dieser Phase sind so selten, daß manche Archäologen glauben, daß unsere so frühen Vorfahren ihre Toten nicht beerdigt, sondern in die Luft gehangen haben, wie es auch manche Indianerstämme machten. Je näher wir uns aber dem Ende der Eiszeit und dem damit verknüpften Mesolithikum nähern, desto mehr Funde deuten auf eine hohe kriegerische Aggressivität hin. Das Mesolithikum entstand als Folge der gewatigen Änderungen der Fauna und flora nach dem Rückgang des Eises. Es erforderte extrem neue Überlebensstrategien. Die trditionelle Jagdbeute war weg, aber es gab andere Jagdbeute, wenn man sie kriegen konnte. Mit dem Eintritt des Mesolithikums begann der Kampf um Nahrungsressourcen auf lokal engeren Räumen. Einige Gruppen hatten ein Paradies, andere die Arschkarte mit wenig, bzw veränderlicher Beuteaussicht. Dort, wo gute Jagdbedingungen herrschten, wir z.b. in dem von Klaus Schmidt gefundenen Geblike Tepe, entstanden lokal für alt-bzw. mittelsteinzeitliche Verhältnisse unglaubliche Kulturen. Noch vor dem Ackerbau. Auch an manchen Küstengegenden konnte sie sich entwickeln, wie z.B. in Nordisrael bei Atlit konnte aus vorkeramischer Zeit vor 9000 Jahren eine Siedlung existieren, wie es sie vorher noch kaum gab. Heute steht 30 Meter Wasser darüber.
Aber solche Stellen waren eben immer schon selten und andere Gegenden gaben das nicht her.
Ich glaube, daß sich über diese Fragestellung um lokale Nahrungsquellen Kämpfe entwickelt haben. Es ging um die materielle Lebensbasis. Die Jäger der Altsteinzeit mußten noch nicht so sein. Sie trafen viel zu selten auf andere Menschengruppen. Ihr Jagdgebiet war vergleichsweise riesig.
Über diese Gedankengänge denkend, komme ich zu der Schlußfolgerung, daß unser genetische Ausrüstung sich zwar seit 40000 Jahren nur unwesentlich verändert hat, wir aber so angelegt sind, daß wir sowohl so, als auch so sein können. Wir die Lebensbedingungen für uns günstig sind, werdn wir zu (manchmal spießigen) Weicheiern und wenn wir unsere Lebensbedingungen ungünstiger werden, können wir auch härter werden. aber zwangsläufig ist auch das nicht, weil wir fähig sind, uns Regeln zu geben.

Frank
Frank
9 Jahre zuvor

@ #7 Rainhard Matern

Danke für den Hinweis, dass es keine Frau Evolution gibt. Mit „Natur“ fassen wir aber gewöhnlich das Zusammenspiel der Sub- und Objekte zusammen. Sie kennen sicher das berühmte Beispiel vom Birkenspanner? Eine Schmetterlinksart, die sich vorzugsweise auf Birken aufhielt und deren Flügelmuster einer weißen, gemusterten Birke perfekt angepasst war, um sie vor dem Fraß durch Vögel zu schützen. Birkenspanner, die durch Mutationen mit grauen oder schwarzen Flügeln heranwuchsen, hoben sich vom Birkenhintergrund gut sichtbar ab..

Weiß als Tarnfarbe verlor seine Wirkung, als die Industrialisierung Einzug hielt… Fortan überlebten nur die grauen und schwarzen Birkenspanner. Nennen Sie das Auslese, Filterung oder wie sie wollen.

Die Evolution ist kein Sinnerersatz, richtig. Aber Sie suchen doch den Sinn in ihr, bzw. vermissen ihn. Sie verfolgt auch kein Ziel, und ist auch kein Subjekt.

Ihre Theorie über die Entstehung unseres Gehirns halte ich für einen netten Scherz. Ihre Selbstabwertung der Gattung Mensch in #12 auch.

Es ist doch gerade die Kultur, die uns von der Umwelt unabhängiger macht. Allerdings bedarf sie der Anstrengung und Mühe, will man sich ihrer bedienen oder sie gar durch eigene Beiträge bereichern.

Arnold Voss
9 Jahre zuvor

@ Reinhard Matern # 12

„Sorry, dass ich von der Menschheit wenig bis nichts halte.“

Kann ich verstehen. Aber du gehörst als Einzelexemplar dazu und ich find das prima. 🙂

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