Den Journalisten Sven Kuntze kennen viele sicherlich noch aus seiner Zeit beim ARD-Morgenmagazin, als Korrespondent in New York, Washington oder Berlin, vielleicht auch durch seine diversen Talkshowauftritte in den letzten Jahren.
Für mich war der 1942 geborene Kuntze immer ein besonders sympathischer Vertreter seiner Zunft, hatte er doch eine ganz besonders ‚charmante‘ Art des Auftretens, ein gewisses Augenzwinkern in seiner Art.
Zu schätzen gewusst habe ich das u.a. bei der Entdeckung seines Buches „New York City, Eine wunderbare Katastrophe“, welches mich bei einem meiner ersten Besuche in der Stadt im Osten der USA damals hervorragend informiert und auch unterhalten hatte. Aber das hier nur am Rande angemerkt.
Aktuell sorgt Sven Kuntze mit seinem aktuellen Buch „Die schamlose Generation“ für Aufsehen, in dem er sich mit seiner eigenen Generation, den ‚Vierzigern‘ (geboren zwischen 1940 und Mitte der Fünfzigerjahre), wie er sie nennt, kritisch auseinandersetzt.
Herausgekommen ist eine sehr zornige Bestandsaufnahme: „Die Vierziger gleichen jenem Narren, der die Eitelkeit besitzt, die Geschichte zu verurteilen, und die Unmoral, sich mit ihr abzufinden.“, so Kuntze.
Die Vierziger haben, lt. dem erfahrenen Fernsehjournalisten, der zuletzt große gesundheitliche Probleme hatte, seit einer Tumoroperation mit deren Spätfolgen kämpft, keinen Grund auf Ihr Vermächtnis stolz zu sein. Sie hatten zwar die besten Voraussetzungen, eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, aber sie sind undankbare Gäste gewesen, so Kuntze.
Er wirft ihnen vor auf Kosten von Klima, Ressourcen und Visionen sehr viel mehr verbraucht zu haben, als ihnen zugestanden hätte. Die Sozialsysteme stünden ‚dank ihnen‘ vor dem Ruin. Kurz gesagt, durch ihr Wirken geht es nun abwärts mit unserer Gesellschaft. Hierzu lässt sich der Journalist auf gut 250 Seiten ausführlich aus.
Das liest sich zwar teilweise ganz spannend, macht einen auch recht nachdenklich, doch wirklich weiter bringt das Buch, das ist zumindest mein Fazit, weder die von Kuntze vermutlich beabsichtigte Diskussion über das Thema, noch trifft es, meiner Meinung nach, im Kern das Hauptproblem bei der aktuellen, tiefgreifenden Wandlung in der Gesellschaft. Ist es nicht viel eher das Problem, dass unsere Gesellschaft aktuell an der Schere zwischen Arm und Reich, welche sich scheinbar rasant öffnet, zu zerbrechen droht, als das die nun vorhandene Rentnergeneration das Land mit ihrer angeblichen Maßlosigkeit und ihrem Egoismus ‚ruiniert‘ hätte?
Mich hat an dem nun vorliegenden Buch vor allem Kuntzes scheinbar aufgestaute unbändige Wut und Bitterkeit überrascht. Der ehemals so charmante und augenzwinkernde Journalist scheint (leider) im Laufe der Jahre einem ‚verbitterten‘ Mann gewichen zu sein. Keine schöne Beobachtung, welche man bei dem inzwischen 72-jährigen da als Leser machen muss…
Lesenswert ist sein jüngstes Buch trotzdem irgendwie, thematisiert es doch zumindest das zweifelsohne zunehmend aufkommende Problem gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten, sorgt damit auch ein klein wenig für die hierfür notwendige Aufmerksamkeit für dieses gesamtgesellschaftliche Problem.
Mir selber hat der verschmitzte, der augenzwinkernde Sven Kuntze von früher trotzdem deutlich besser gefallen. Bitterkeit und Zorn, vermutlich auch den jüngsten persönlichen Erlebnissen des Autors geschuldet, helfen dem aktuellen Anliegen Kuntzes allerdings auch nicht wirklich weiter…
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: C. Bertelsmann Verlag
ISBN: 978-3570102220
Preis: 19,99 Euro
Offen gestanden: Ich kann diese Selbstabwertung, die nun offenbar auch Sven Kuntze vertritt, nicht mehr hören.
Die von ihm kritisierte Generation wurde zu einem Großteil von Nazis aufgezogen. Autoritär, gewaltbereit, risikoscheu, herrschsüchtig. Dass die sich von ihren Eltern freischwimmen wollten, nach Bildung greifen und sich einen Wohlstand erarbeiten (in Trümmern geboren) wollten, kann ich dieser Generation nicht vorwerfen.
Ressourcenverbrauch und Umwelt – bei jedem Tritt auf einen Grashalm ein schlechtes Gewissen haben. Beim Aufdrehen der Heizung stets an die Lieferkette von russischen Oligarchen, unterdrückten Ukrainern bis hin ins eigene Wohnzimmer im Kopf zu haben – ganz zu schweigen von frierenden Menschen anderswo, denen man diesen Kubikmeter Gas gerade „wegnimmt“. Nein, das ist eine religiöse, selbstabwertende Weltsicht, die man aber nicht von anderen erwarten sollte.
Es gibt natürlich die Vorzeige-Ausnahmen. Denen ihre Anerkennungsneurosen Antriebe für die ganz großen Karrieren waren, ohne Rücksicht auf Verluste – Gerhard Schröder, Maschmeyer, Fischer etc. Die stehen aber nicht für eine gesamte Generation.
Ich gehöre natürlich in dieser Generation zu den Jüngeren und möchte für meine Alterskohorte sagen: Wir waren sicher eine verwöhnte Generation. Den rasanten Wohlstandszuwachs, die Vollbeschäftigung u.ä, haben wir zu lange als selbstverständlich hingenommen. Und als es damit zu Ende war, haben wir zu lange den Politikern geglaubt, die uns sagten, das ist nur vorübergehend und wir kriegen es wieder in den Griff. Zu spät haben wir gemerkt, dass die Politiker selber keine Ahnung haben, wie das Wirtschaftswunder funktionierte.
Da sehe ich schon eine Schuld gegenüber den Nachkommen.
@Robin, Ich habe eine andere Rechnung als Kuntze.
Die gesellschaftlichen Umwälzungen der sechziger und siebziger Jahre wurden von denjenigen durchgesetzt, die die Zeiten der Diktatur nie bewußt erlebt hatten. Da wäre der Sven Kuntze kaum noch dabei. Außer vielleicht die damals winzige Minderheit der Akademiker dieser Altersgruppe, die Gelegenheit hatten im alter von 20-24 Jahren noch jung zu sein.
Mann hat damals mit 20 Jahren geheiratet, Kinder gehabt, war also nicht mehr jung. Mit 14 Jahren ging es in die Lehre und mit 18 Jahren hat man eigenes Geld verdient. So war es jedenfalls bei etwa 90% der Nichtakademiker., vor allem in den Arbeitervororten. Wer so alt war wie Kuntze und studieren konnte, stammte selten aus diesen Vororten. Meine Verwandtschaft in Kunzes Alter hat andere Musik gehört und hätte niemals die Haare länger wachsen lassen. Die zählten für mich als guten 47iger Jahrgang zu einer anderen Generation. In der Wirtschaft und in der Politik hat diese Generation die neu entstandenen Chefplätze besetzt und hat sie bis zur Zwangspensionierung behalten. In einigen Bereichen sind die tatsächlich noch immer dran. Ja!
Ich wehre mich schon darum, wenn Kuntze Jüngere mit in den Topf wirft. Über den Rest will ich erst reden, wenn klar ist, daß meine Altersgruppe noch in kleinen Zinkbadewannen (samstags) baden durfte. Das Wasser wurde in einem Kessel auf dem Herd warm gemacht. Gesellschaftlicher Wohlstand kam erst später. Aber wir hatten super Lebensperspektiven! Meine Kinder sind relativen Wohlstand aufgewachsen. Dennoch habe ich sie immer bedauert, weil bei allem materiellen Vergnügen längst nicht so viel Entfaltungsmöglichkeiten für ihre Persönlichkeitsentwicklung hatten. Die Wegwerfgesellschaft ist m.E. erst in den siebzigern entstanden. Erst dann nahm die Verschwendung von Rohstoffen überhand. Wer da hineingeboren wurde hat die zwei Jahrzehnte die meine Altersgruppe ihm voraus hatte, innerhalb des ersten Lebensjahrzehnt schon aufgeholt. vielleicht noch schneller. Aber wer hat denn dafür die Weichen gestellt? Wir sind doch im Strudel mitgetragen worden. Niemand konnte das beeinflussen. Wovon also spricht Kuntze?
Die Generation ist zu vielfältig. Wer Anfang der 40er im Ruhrgebiet als Arbeiterkind geboren wurde, hatte im Regelfall andere Probleme als Ressourcen zu veschwenden.
– Krieg, Flucht, Zerstörung, Evakuierung, Papa gefallen oder in Gefangenschaft, Mangelernährung überall Zerstörung, Massenklssen, Tochter arbeitete im Haushalt, Sohn mit 14 auf der Zeche oder im Stahlwerk. Auto, Telefon waren bis in die 70er für viele Familien unbekannt, das Kindergeld war ein Witz. Psychologische Betreuung etc. war unbekannt.
Ich habe das Buch nicht gelesen, möchte aber nicht wisssen, was das typische Arbeiterkind, das Anfang der 40er geboren wurde darüber denkt.
Wenn man dann an die gestressten kleinen Kinder mit ihrem G9-Stress denkt.. Dass diese Generation, die häufig nur niedrigste Renten hat, dafür aber das ganze Leben arbeiten musste auch der Meinung ist, dass sie sich diese erarbeitet haben, ist nachvollziehbar.
Natürlich gibt es auch andere Lebenswege. Insbesondere die Anfang der 50er geborenen gehören hierzu. Ich würde die Jahrgänge 40-55 nicht zusammenfassen.
@keineEigenverantwortung, volle Zustimmung!
Mir ist übrigens noch eingefallen, daß The Who 1965 das Album „My generation“ herausgebracht haben.
Der Satz „People try to put us d-down“ hat die Generationen deutlich getrennt. Ich hatte keinen Zweifel daß ich selbst zu „us“ gehörte, und die älteren zu „people“. Die Musiker sind nur wenig älter als ich, und meistens galt, daß Musiker auch älter waren als diejenigen, die ihrer Musik lauschten.
Aber das ist natürlich reine Gefühlssache und kein wissenschaftlicher Beweis. Zeigt mir aber, daß ich nicht erst im verklärten Rückblich so denke, wie ich es oben kommentiert hatte, sondern schon damals so empfand. Natürlich ist diese Einschätzung deutlich ausgrenzender als der Satz „traue keinem über Dreissig“, der Ende der sechziger herumgeisterte. Doch der sagte nur, daß diese damalige Altersgruppe hoffnungslos nicht dazugehörte. Bei dieser großzügigen Grenzziehung wäre Sven Kuntze wieder drin. Aber nur dabei.
[…] 2014 dann die große Enttäuschung. Sein Buch „Die schamlose Generation“, das ich seinerzeit auch hier im Blog kurz vorstellte, war urplötzlich geprägt von viel Frust und einer großer Wut. Trotz dieser Enttäuschung habe […]