Bis vor Kurzem erfreute sich die Idee einer Gesellschaft ohne Wirtschaftswachstum großer Beliebtheit. Diese Zeit ist vorbei. Nun beginnen die Verteilungskämpfe.
Heute wird nach vielen Jahren wieder in Düsseldorf eine große Demonstration gegen die Landesregierung stattfinden. Schwarz-Grün macht Schulden und obwohl der Haushalt so groß wie nie ist, muss das Land sparen. Ministerpräsident Henrik Wüst sagte nach einem Bericht der WAZ gestern vor der Landespressekonferenz in Düsseldorf: „Ich habe Verständnis für jeden, der morgen sein Anliegen vorträgt. Wir müssen aber besonders sparsam sein, um diese Prioritäten setzen zu können, und auch, weil uns ganz viel Geld fehlt. Darum sind Dinge notwendig, die schmerzen.“ Seine Regierung kürzt nicht gerne im Sozialen. Dann versprach Wüst: „Sobald wir wieder Luft zum Atmen haben, kommen wir gerne wieder zusammen, um wieder mehr gemeinsam zu machen.“
Wüst, die Union im Land und auch die Grünen sparen nicht gerne. Sparen macht Ärger, treibt diejenigen, bei denen nun die Mittel gekürzt werden, auf die Straße und sorgt für eine schlechte Presse. Die Zeitungen im Land sind heute voll von Artikeln, in denen AIDS-Beratungsstellen, Flüchtlingshelfer oder Frauenhäuser, die künftig mit weniger Geld auskommen müssen.
Sowas kommt von sowas: Seit Jahren wächst die Wirtschaft in Deutschland nicht mehr. Die einfache Erkenntnis, dass man nur verteilen kann, was man vorher erwirtschaftet hat, ist bei vielen in Vergessenheit geraten. Und das Land hat sich auch nicht besonders dafür interessiert, für was es sein Geld ausgibt, als noch genug da war: Bis heute hat es keinen Überblick darüber, wem es alles für was Geld gibt: In der Antwort auf die Anfrage der FDP-Landtagsfraktion zur „Bürokratischen Mittelverschwendung im immer intransparenteren Förderdschungel“ teilte sie mit: „Grundsätzlich bleibt mit Blick auf die Datenlage festzuhalten, dass in Nordrhein-Westfalen bislang keine umfangreichen Vordokumentationen oder ein Förderprogramm-Controlling existieren.“
Auf Anfrage bezifferte die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalens die Ausgaben für die verschiedenen Förderprogramme im Jahr 2023 auf mehr als fünf Milliarden Euro. Sparpotential für die Zukunft ist also reichlich vorhanden. So bekommen Soziokulturelle Zentren nicht nur Geld dafür, dass auf ihren Bühnen Bands spielen, Theatergruppen auftreten oder es Kinderprogramme gibt. Es gibt auch Mittel dafür, sich zu überlegen, was man überhaupt anbieten will. Das nennt sich Konzeptförderung und wird noch bis Mai 2027 mit annähernd 8,2 Millionen Euro finanziert.
Für ein „buntes“ NRW stehen im Diversitätsfonds 8,5 Millionen Euro bereit und allein die „Sichtbarmachung“ des zivilgesellschaftlichen Engagements muslimischer Communities ist dem Land bis Ende nächsten Jahres 7,5 Millionen Euro wert. Normalerweise erhält man als engagierter Mensch nichts dafür, wenn man an Arbeitsgruppen im Kulturbereich teilnimmt oder ein Kennenlerntreffen besucht. Anders ist das im Rahmen des diesjährigen Kreisch-Festivals in Essen, dessen Organisator, das Netzwerk X, sich als „queer- und transfeministisches, antirassistisches & antifaschistisches Veranstaltungskollektiv“ beschreibt. Auf Anfrage teilte das Kulturministerium mit, die Aufwandsentschädigungen seien nicht aus den von ihm bewilligten Mitteln finanziert worden. Doch die Summe dieser Mittel konnte sich sehen lassen: „Soziokultur NRW hat im Rahmen der Landesmittel zur allgemeinen Projektförderung die Konferenz der Kleinen Orte und Kollektive des Netzwerk X zuletzt im Jahr 2022 mit 7000 Euro und 2023 mit 10.000 Euro unterstützt“, teilte ein Sprecher des Kulturministeriums mit. Das Festival hatte auch andere Einnahmen, etwa eine Förderung in Höhe von 10.000 Euro vom Regionalverband Ruhr.
Geld ist auch für grüne Hobbys der Landesregierung vorhanden: 25,9 Millionen Euro gibt Nordrhein-Westfalen zum Beispiel dazu, wenn Städte unter anderem Parkplätze zurückbauen.
Man kann nicht behaupten, dass das Land mit seinem Geld verantwortungsvoll umging. In den kommenden Monaten wird es sicher weitere Demonstrationen und Proteste gegen Einsparungen geben.
Es wird dauern, bis das Land es sich wieder leisten kann, mit seinem Füllhorn die unübersichtliche Szene der Initiativen und NGOs zu finanzieren. Wann die Wirtschaft in Deutschland wieder wächst, kann niemand sagen. Bevor das passiert, müssen die Energiepreise runter, Bürokratie abgebaut werden und Geld in die bröselnde Infrastruktur, in Brücken, Schienen, Schulen und Straßen investiert werden. Das Land muss nachrüsten, um sich gegen ein immer brutaler Auftretendes Russland behaupten zu können.
Wer heute in Düsseldorf gegen die Kürzungen im Sozialbereich auf die Straße geht, sollte auch Transparente mitnehmen, auf denen Wirtschaftswachstum gefordert wird. Ohne das ist der Sozialstaat schlicht nicht zu finanzieren.
Teile dieses Textes erschienen bereits in einem Artikel in der Welt am Sonntag