Vom 11. bis zum 15. September 2011 findet der XXII. Deutsche Kongress für Philosophie zum Thema „Welt der Gründe“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München statt. Unser Gastautor Bernhard Becker* wagt einen glossarischen Ausblick auf die anstehenden Debatten. Durchaus ernst gemeint ist dabei Beckers Erinnerung an die debattierenden Betrachter: wir sehen die ,Welt` nicht so, wie sie ,ist`, sondern immer nur so, wie wir sind.
Vom 11. – 15. September 2011 findet der „XXII. Deutsche Kongress für Philosophie“ statt. Das Tagungsthema lautet: „Welt der Gründe“, was vielleicht sogar ein Fortschritt sein könnte – denn hatte man uns früher nicht immer mit einer Welt der Ursachen gedroht, deren „unverursachte Ursache“ nur der Herr (oder irgendein anderer oberster Strippenzieher) sein konnte?! Dann nervten die Positivisten alle Welt mit einer Welt der Tatsachen, die jeder, der als „rational“ gelten wollte, genauso zu sehen hätte wie sie. Schopenhauer schließlich (der jedoch niemals auf solchen Tagungen erschienen wäre) unterschied zwischen Gründen und Ursachen: das eine formuliert aus der Sicht des Handelnden Ziele und edle Absichten, das andere liefert zwar Kausalerklärungen in unendlicher Zahl, die aber leider meist ebenso hilfreich sind wie die unseres alten Physiklehrers: „Ohne Luft, liebe Kinder, würde es keine Fallschirmspringer geben.“ In der „Welt“ gibt es nämlich weder Gründe noch Ur- oder Tatsachen, sondern immer nur in unserem Reden über sie: die „Welt der Gründe“ ist somit die Welt der Kommunikation, die ihre Konstrukte an uns austestet.
Sowohl die „wissenschaftliche als auch die lebensweltliche Praxis“, heißt es in der Einladung, sei jedoch „ohne den Austausch von Gründen nicht denkbar“. Ein Nichtphilosoph wie Galilei hat es Brecht zufolge zwar mal mit dem unsittlichen Angebot versucht, einfach durchs Fernrohr zu schauen, um selbst festzustellen, ob der Jupiter nun Monde hat oder nicht. Doch gottlob griff da der Hofphilosoph ein, dessen formaler Disput über das Thema: „Können solche Himmelskörper existieren?“ der Sache wieder Niveau gab. Hier können Gründe also nur mit anerkannten Theorien geführte „Beweise“ sein – und nicht bloß platte Evidenzen wie etwa Havard-Philosoph Michael Sandel, der beim üblichen Knallkopfthema „Schutz des ungeborenen Lebens“ nachfragte, ob man aus einem brennenden Krankenhaus eher einen einzigen Säugling oder 20 Embryonen in Petrischalen retten würde. Das leuchtete dann zwar sogar CDU-Bundesfamilienministerin Schröder ein, nannte jedoch keinen einzigen verallgemeinerbaren „Grund“. Es gibt keine Gründe, die nicht wiederum aus guten Gründen bestritten werden könnten, und ob ihr „ontologischer Status“, wie der Einladungstext wissen will, nun „objektiv oder subjektiv“ sei, könnte heute wohl nur den jucken, der dreißig Jahre Kognitionswissenschaft verpennt hat: alles, was gesagt wird, liebe Philosophen, wird nämlich von Beobachtern gesagt, die schon allein darum nicht objektiv sein können, weil sie beobachten. Niemand – nicht einmal Kant – könnte jedoch das, was er dann sieht, zugleich von dem unterscheiden, wie er es sieht: denn wir sehen die „Welt“ nicht so, wie sie „ist“, sondern immer nur so, wie wir sind.
Vermutlich tut es aber auch diese praktische Regel: „Wenn Du etwas willst, suchst Du nach Wegen. Wenn Du etwas nicht willst, suchst Du nach Gründen.“ Wer etwa wie Kanzlerin Merkel alle deutschen Atomkraftwerke abschaffen wollte, hatte deshalb leichtes Spiel: sie mußte nur eine „Ethikkommission“ einberufen, die dann zu dem erwartbaren Ergebnis kam, jeder weitere Betrieb sei viel zu riskant. Als es allerdings wenig später um den Verkauf von Kampfpanzern nach Saudi-Arabien ging, konnte sie auf solche Experten gut verzichten.
Mit Brechts Turandot-Bearbeitung könnten die versammelten „Tuis“ ihr Thema daher auch so formulieren: „Ist der Gelbe Fluss wirklich oder existiert er nur in unseren Köpfen?“ Da hier offenbar niemand „Harry Potter“ gelesen hatte, tagte zu dieser Frage ebenfalls ein Kongreß, jedoch nicht in München, sondern in einem chinesischen Kloster an eben diesem Fluss, den es dann aber, bevor es zu einer Einigung kam, dank einer Schneeschmelze mit sämtlichen Teilnehmern forttrug. So wurde zwar auch in diesem Fall kein endgültiger Beweis gefunden, die „Welt der Gründe“ aber immerhin zu einem überraschend plausiblen Abschluss gebracht.
* Bernhard Becker lebt in Duisburg. Kürzlich erschienen ist seine Monografie „über die Grenzen von Glauben und Wissen: Warum ich an Gott glaube“. Neben seinen religionsphilosophischen Studien engagiert sich Becker noch im deutschsprachigen Alternativ-Poprock-Projekt The Krach.
Ich finde es ja sehr wichtig, dass die Philosophie als wissenschaftliche Disziplin mit eigenen Fakultäten erhalten bleibt. Sonst wandert der ganze Quatsch irgendwann ab in die Sozialwissenschaften.
[…] Die Welt der Gründe in München: Vom 11. bis zum 15. September 2011 findet der XXII. Deutsche Kongress für Philosophie zum Thema “Welt der Gründe” an der Ludwig-Maximilians-Universität München statt … ruhrbarone […]
[…] die “Welt der Gründe” ist somit die Welt der Kommunikation, die ihre Konstrukte an uns austestet.
Versteh‘ ich nicht.
[…] ob ihr “ontologischer Status”, wie der Einladungstext wissen will, nun “objektiv oder subjektiv” sei, könnte heute wohl nur den jucken, der dreißig Jahre Kognitionswissenschaft verpennt hat: alles, was gesagt wird, liebe Philosophen, wird nämlich von Beobachtern gesagt, die schon allein darum nicht objektiv sein können, weil sie beobachten.
Das ist, wie der alte Kant gesagt hätte, eine Subreption. Selbst wenn man zugesteht, daß einer Person, etwa einem Philosophen oder einer Philosophin, ‚objektive‘ Einstellungen einer Person, etwa eines Philosophen oder einer Philosophin unmöglich sind, folgt nämlich mitnichten, daß die für Handlungen oder Einstellungen geltenden Gründe selbst nur ’subjektiv‘ genauer ’subjektrelativ – sind. Platon hätte die Unmöglichkeit objektiver Überzeugungen für verkörperte Seelen ohne weiteres zugestanden und dennoch die Objektivität der für richtige Handlungen oder wahre Überzeugungen ausschlaggebenden Gründe behauptet.
argh: „Selbst wenn man zugesteht, daß einer Person, etwa einem Philosophen oder einer Philosophin, ‘objektive’ Einstellungen einer Person, etwa eines Philosophen oder einer Philosophin unmöglich sind, folgt nämlich mitnichten“ heißt richtig natürlich „Selbst wenn man zugesteht, daß einer Person, etwa einem Philosophen oder einer Philosophin, ‘objektive’ Einstellungen unmöglich sind, folgt nämlich mitnichten“
@ crusius
#3 „die Welt der Kommunikation, die ihre Konstrukte an uns austestet“ – am Ende des Tages wird Becker auf Luhmann hinauswollen.
Aber eben nicht auf Kant oder Plato. Die mögen gefallen oder auch nicht. Die arbeiten aber nicht auf Beckers Baustelle.
# 4 überflüssiger Kommentar. Wenn kurz nach Mitternacht etwas schief geht: Ruhe bewahren! Merkt sowieso kein Mensch. Einmal zuviel copy & paste, na und?! Auch dies ist „die Welt der Kommunikation, die ihre Konstrukte an uns austestet“ 😉
Gerade bei einem Begriff wie „Subreption“ zeigt sich, wie nützlich doch in einem philosophischen Text ein Fremdwort sein kann, das nicht ohne weiteres geläufig ist. „Subreption“ bedeutet im Lateinischen nämlich „Erschleichung“ und bezeichnet laut Duden unter Juristen die „unrechtmäßige Erlangung eines (rechtlichen) Erfolges durch Entstellung oder Verschleierung des wahren Sachverhalts“, bzw. in der Logik „das Erhalten eines (bewusst fehlerhaften) Beweisschlusses durch Stützung auf Voraussetzungen, die nicht auf Tatsachen beruhen.“
Richtig interessant wird es allerdings, wenn man weiß, dass diese „Subreption“ sich bei Kant auf den Gottesbegriff bezieht. Denn dieser, so Kant, gehöre zu den „Dichtungen, die zwar an sich gegründet, aber nicht real, sondern immer nur ideal sind.“ Zugleich sei es jedoch „unvermeidlich, sich, vermittelst einer transzendentalen Subreption, dieses formale Prinzip als konstitutiv vorzustellen, und sich diese Einheit hypostatisch zu denken“ (KrV B647). Die Verwendung des Begriffs „Gott“, so sah Kant es also bereits vor 200 Jahren, sei so etwas wie das „zwölfte Kamel“, die „unehrliche“ Auflösung einer Paradoxie – ein „MacGuffin“: „Ich denke mir nur die Relation eines mir an sich ganz unbekannten Wesens zur größten systematischen Einheit des Weltganzen, lediglich um es zum Schema des regulativen Prinzips des größtmöglichen Gebrauchs meiner Vernunft zu machen, indem ich alle Verbindungen so ansehe, als ob sie Anordnungen einer höchsten Vernunft wären.“
Der als Subreption unterstellte „Gott“ der Theorie Kants ist somit weder „schlechthin anzunehmen“ oder „an sich zu supponieren“, sondern „regulativ“, d.h. für uns als Beobachter wichtig – und entspricht damit jenem von Douglas Hofstadter beschriebenen strange loop: „something in the system acts on the system as if it were outside“. Möglicherweise versucht er hier etwas zu sagen, was Sprache und Philosophie seiner Zeit noch nicht hergaben: dass Wahrheiten Konstruktionen sind, die wir nicht entdecken können, sondern stets erfinden müssen.
Ob das aber «Gott» im Verständnis der Religion ist – oder bloß ein informationstheoretischer, d.i. für den Fortgang der Kommunikation erforderlicher selbsterzeugter „Dämon“, damit der Kantianer sich seine Welt als transzendental geordnet vorstellen kann, diese Frage überlasse ich gern philosophischen Erkenntnistheorien. Mit Al-Ghazali (und gegen Aristoteles) bin ich allerdings der Auffassung, dass die „Erschleichung“ eines quasi-göttlichen „objektiven“ Beobachterstandpunkts für Menschen nicht nur unmöglich ist – es ist zudem gemeingefährlich: denn allein der Versuch, so Luhmann, „definiert den Teufel“.
Gruß
BB