Die Forderung nach „Ceasefire Now“ wird von jenen, die sich als pro palästinensisch bezeichnen, seit längerer Zeit wie eine unglaublich subversive und dissidente Forderung präsentiert, zuletzt erst auf der Abschlussveranstaltung der diesjährigen Berlinale. Von unserem Gastautor Thomas von der Osten-Sacken.
Nun mag man sich fragen, was an dieser Forderung eigentlich politisch so wünschenswert ist, zielt sie doch nur auf ein temporäres Ende eines Krieges, den die selbe Szene regelmäßig als Genozid oder Vernichtungskrieg bezeichnet. Aber nicht genug, es stellt sich auch die Frage, warum sie fordern, was dieser Tage, um nur einige zu nennen, die Regierungen der EU, der USA und fast aller arabischen Länder auch fordern und unter diplomatischem Hochdruck zu erreichen versuchen.
Selbst wer Israel nur bösen Willen unterstellt, und das tut diese Szene mehrheitlich nun einmal, kann kaum bestreiten, dass auch auf israelischer Seite eine Mehrheit innerhalb der Regierung einen solchen Waffenstillstand befürwortet und lediglich einige Forderungen stellt, die zu erfüllen, eigentlich für die Hamas kein großes Problem sein dürften.
Bleibt die Hamas selbst, die ganz offenbar in der Frage gespalten ist: Während ihr so genannter politischer Flügel, der in Nobelhotels in Qatar residiert, sich eher verhandlungsbereit zeigt, kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass der militärische, angeführt von Yahya Sinwar weit weniger Interesse an einem „Ceasefire“ hat. Aus seiner Sicht macht diese Haltung auch Sinn, hofft er doch, dass eine Großoffensive gegen Rafah mit weiteren zivilen Toten und die sich täglich verschlimmernde humanitäre Situation ihm in die Hände spielt. Er schließlich will nicht Frieden, sondern Krieg – deshalb hat er ihn auch am 7. Oktober angefangen – und Sieg über das verhasste „zionistische Gebilde“. Wohl und Wehe der Zivilisten im Gazastreifen spielen für ihn keine große Rolle, im Gegenteil spielt er, wie der aus Gaza stammende Aktivist Ahmed Fouad Alkhatib vor einigen Tagen schreib, mit ihrem Schicksal Roulette.
Keineswegs hält Sinwar mit diesen Ideen hinter dem Berg, sondern äußert sie sogar vergleichsweise offen:
Mounting civilian casualties in the Gaza Strip will intensify global pressure on Israel to halt its military actions against Hamas, the terrorist group’s leader in Gaza Yahya Sinwar told fellow Hamas officials handling cease-fire talks in Qatar. (Die zunehmende Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wird den weltweiten Druck auf Israel verstärken, seine Militäraktionen gegen die Hamas einzustellen, erklärte der Anführer der Terrorgruppe im Gazastreifen, Yahya Sinwar, vor Hamas-Vertretern bei den Waffenstillstandsgesprächen in Katar. Übersetzt mit DeepL.com)
Inzwischen hat dieser Teil der Hamas nämlich entdeckt, dass die sich verschärfende humanitäre Krise im Gazastreifen zu einer politischen Waffe in ihren Händen wird. Wer will schon genau wissen, warum Hilfsgüter nicht an ihr Ziel gelangen, Verteilung so chaotisch abläuft und immer mehr Menschen nach Monaten des Krieges unter chronischer Unterernährung leiden? Der Schuldige ist immer schnell zur Hand: Er heißt Israel.
Und je länger das Elend und der Krieg dauern, je mehr gerät in Vergessenheit, wer ihn vom Zaun gebrochen hat. Sinwar scheint darauf zu spekulieren, dass nicht nur internationale Israel unter immer mehr Druck gerät, sondern Ramadan, der in wenigen Tagen beginnt, die Lage weiter eskalieren lassen könnte:
Unnamed officials cited by Hebrew media outlets said Jerusalem suspects Sinwar has no intention of reaching an agreement in the coming days and confirmed that they believe he hopes to escalate violence over Ramadan.“
In such a scenario, Israel is wary of an escalation not just along its borders with Gaza and Lebanon, but also across the West Bank, where tensions are already high, as well as in Jerusalem, where clashes over the Temple Mount and access to the Al-Aqsa Mosque are feared. (Nicht namentlich genannte Beamte, die von hebräischen Medien zitiert wurden, sagten, Jerusalem vermute, dass Sinwar nicht die Absicht habe, in den kommenden Tagen eine Einigung zu erzielen, und bestätigten, dass sie glauben, er hoffe, die Gewalt während des Ramadan eskalieren zu lassen.“
In einem solchen Szenario befürchtet Israel eine Eskalation nicht nur an den Grenzen zum Gazastreifen und zum Libanon, sondern auch im Westjordanland, wo die Spannungen bereits hoch sind, sowie in Jerusalem, wo Zusammenstöße um den Tempelberg und den Zugang zur Al-Aqsa-Moschee befürchtet werden. Übersetzt mit DeepL.com)
Kurzum momentan ist es dieser Teil der Hamas, die einem Waffenstillstand im Wege steht. Folgerichtig wäre es also die „Ceasefire Now“ Appelle mindestens mit ähnlicher Verve an sie, wie an die israelische Regierung zu eichten. Das erst machte die Bewegung dann auch glaubhaft. Natürlich wird dies nicht geschehen, denn das würde ja den Narrativ von den Palästinensern als Opfer israelischer Aggression konterkarieren, von dem große Teile dieser Bewegung leben.
Der Text wurde in einer ähnlichen Version bereits in der Jungle World veröffentlicht