Das Logo ist Hölle, der Text furchtbar, das Motto indiskutabel. Die SPD, genauer gesagt ihr Kulturforum Emscher-Lippe, lädt zum 9. Kulturgespräch auf Schloss Herten, es geht um die Nachhaltigkeit der Kulturhauptstadt, und die Bude ist voll.
Am Mittwochabend, obwohl Deutschland in Schweden Fußball spielt. Ich sitze als Experte auf dem Podium und habe mir vorher meine Rolle überlegt. Ich werde als Journalist angekündigt und beschließe, dem Berufsstand, dem ich allenfalls als Randexistenz angehöre, alle Schande anzutun. Ich trage missbräuchlich die babyblaue Volunteeruniform der Ruhr.2010 und sehe aus wie ein Volldepp. Prima.
Ein bisschen Vorstadtentertainment kann die Veranstaltung gebrauchen. Wer im Flyer rot-grün auf schwarzem Grund dichtet: „Ruhr Region Kultur Region“, grafisch angereichert, als müsse der C64 noch erfunden werden, hat es so verdient. Die 80 Leute im Saal haben sich nicht von der Proseminarlyrik der Ankündigung abhalten lassen, in der es darum geht, „wie Kulturarbeit als kreativer und produktiver Kern von Kulturpolitik für das Gemeinwesen nachhaltig entwickelt und gestärkt werden kann, und zwar im Sinne einer Gemeinschaftsaufgabe von Kunst und Kultur, Zivilgesellschaft, Land und Kommune.“ Solche Texte entstehen normalerweise, wenn die Antragsberatungskommisssion des Bezirksparteitages den Abend vorher zu lange an der Hotelbar gesessen hat. Das Problem ist, ich kann die Leute auf dem Podium gut leiden. Hella Sinnhuber als Moderatorin, den ehemaligen Gelsenkirchener Kulturdezernenten Peter Rose und Hertens Bürgermeister Dr. Uli Paetzel. Der Akademiker mit dem Kosenamen kommt nicht, er ist krank. Gerne hätte ich mit ihm über mein „Griechenriechen“-Blog gesprochen, in dem es um die touristischen Qualitäten seiner Stadt geht. Stattdessen schickt er Uli Stromberg, den Kulturchef der Stadt, auch ein alter Kumpel. Herten ist eindeutig uliaffin. Dazu kommt Ute Schäfer, Landesministerin für dies und das und irgendwie auch Kultur.
Hella erklärt uns, dass wir uns siezen, damit sich das Publikum nicht ausgeschlossen fühlt. Ich dachte immer, in der SPD duzt man sich bis zum Bundeskanzler, so denn die Partei in diesem Jahrhundert diesen Posten noch mal besetzt. Siezen kann ja auch ganz lustig sein, vor allem, wenn ein Diskutant in der Hitze des Gefechts diese Vereinbarung vergisst. Wie Rudi Völler den völlig entschnäuzerten Waldemar Hartmann nach dem Länderspiel in Reykjavik anging – das ist immer noch eine Sternstunde deutscher Fernsehgeschichte. Hitzigkeit droht heute im Hertener Wasserschloss nicht.
Seitdem ich in der Süddeutschen gelesen habe, dass Ursula von der Leyen für einen Auftritt bei Maybritt Ilner zwei Stunden von ihrem Pressesprecher gebrieft wurde, um schick zu vertreten, wofür sie gut bezahlt wird, weiß ich, dass Scripted Reality keine Erfindung des Nachmittagstrash auf RTL ist, sondern dem politischen Gerede im Öffentlich-Rechtlichen entstammt. Ich habe mich vorbereitet. Leider findet der Off-Kultur-Vertreter aus Essen Ruhr.2010 gar nicht so übel, und den Ruhrbaron Laurin will ich nicht anrufen, ich wäre da nur schlechte Kopie.
Ute Schäfer lobt die Kulturhauptstadt. Die Zahl der Übernachtungen in Essen sei enorm gestiegen. Was wohl mehr dem Umzug der ThyssenKrupp-Zentrale und der anspringenden Konjunktur geschuldet sei, haue ich später raus. Sie formuliert den dadaistischen Satz: „Die Nachhaltigkeit lag in der Einmaligkeit“, der ist nah dran an dem Wandel durch Kultur durch Wandel der Ruhr.2010. Dann verkündet sie stolz den Mediawert des Stilllebens auf der A40. Die weltweite Berichterstattung bringe es auf 200 Millionen Euro. Wow, denke ich, da ist aber auch jeder Bericht der Deutschen Welle enthalten, der den verdutzten Bewohner von Burkina Faso erzählt, dass der verrückte Europäer sonntags gerne auf der Autobahn hockt, Bier trinkt und Spaß hat. Wie hoch mag dabei der Wert der beiden 15-Minuten-Live-Schalten im WDR-Fernsehen sein? In denen sah man stundenlang, wie in Duisburg Gurken geschält werden und der Moderator darob vor Glück kurz vorm Kollabieren stand. Und welchen Mediawert mag erst die umfangreiche Berichterstattung von der Loveparade eine Woche später haben? Der muss in die Milliarden gehen. Davon spricht die Ministerin nicht, denn die Loveparade war nicht Ruhr.2010, und mit fremden Federn schmückt man sich heute Abend unter Genossen nicht. Ich mache später eine Gegenrechnung auf. Mit dem Geierabend, jener netten Kleinkunstveranstaltung auf Zeche, hatten wir in der nachrichtenarmen Zeit Anfang Januar Logo und Anmutung der Kulturhauptstadt gekapert und dadurch 800 000 Google-Einträge erschlichen. Eigentlich sei ich virtueller Mediamillionär, ob das mal jemand meiner Bank erklären könne?
Die übrigen Podiumsvertreter tun, wofür sie da sind. Uli Stromberg setzt sich für die kulturelle Bildung ein, was man so tut, wenn man in einer Stadt arbeitet, die eine wunderbare Bibliothek besitzt und ansonsten eine Kleinkunstreihe. Peter Rose redet, dass man glaubt, gleich schneiten Hilmar Hoffmann und Hermann Glaser herein, söffen uns alle unter den Tisch und riefen ein Hertener Manifest zur Kulturrevolution durch Teilhabe aus. Ich denke mir: Passt mal auf, liebe Kulturverwalter, wenn irgendwo wieder Stress ist in einem Ruhrpottghetto, dann schickt Bullen, Sozialarbeiter und die Bildzeitung da rein, aber lasst die Künstler mal in Ruhe. Ob ich das auch gesagt habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich habe es hiermit geordnet und sozialdemokratisch zu Protokoll gegeben.
Wie es mit der Nachhaltigkeit der Kulturhauptstadt aussehen kann, erläutert abschließend Ute Schäfer. Das Land stehe bereit, aber die Kommunen müssten sich melden. Man könne gemeinsam weitermachen, wenn die Städte gemeinsam wollen. Auf dem Heimweg wird sie schallend gelacht haben, weil sie sich geschickt aus der Affäre gezogen hat, wohl kalkulierend, dass die Kulturhauptstadt, vom RVR erschöpfend geführt, am 1.1.2011 wieder aus 53 einzelnen Städten bestehen wird. Das Grend in Essen wird weiter schöne Projekte anstoßen, Rolf Dennemann spannende Inszenierungen hinlegen, die Wattenscheider Schule Geschichten recherchieren, schreiben und lesen. Meine Volunteeruniform wird vielleicht in der Tagesschau auftauchen nach einer Katastrophe in Burkina Faso oder sonst wo auf der Welt, einem Afrikaner würde sie super stehen.
@ Martin Kaysh
„Das Logo ist Hölle“
passt doch zur Veranstaltung, oder?
Ich hab’s mal ein wenig redesigned – und dir geschickt – jetzt steht die Schrift hinter den Gitterstäben des:
„Kultur-Knast-Ruhr“
Hab ich das richtig verstanden? Gabs wirklich keinen einzigen kritischen Satz zur Kulturhauptstadt respektive ihrer Nachhaltigkeit,Martin? Nichtmal der politischen Korrektheit zuliebe?
Ich liebe Kaysh am Dienstag!
Ich liebe Kaysh am Dienstag, auch.
Tim
Ich bin ebenso entzückt wie froh (und zwar nicht nur dienstags), daß der hier schreibende und von seiner Bank unverstandene virtuelle Mediamillionär niemals zu lange an der Hotelbar sitzt!!!
@Arnold. Kritische Sätze? Die gab es wirklich nicht. Da waren drei Leute von der Kunst Peripherie Ruhrstadt, die nutzen Leerstände für temporäre Ausstellungen und Aktionen, im Eivernehmen mit den Eigentümern. Die sind so schlau, dass sie erst gar keine Anträge auf irgendwas irgendwo stellen. Und der Schmuckdesigner, (also Vertreter eines typischen Spielerfrauenberufs, aber in ernst) aus Castrop-Rauxel, der sein, naja, ambitioniertes Projekt „…im Fluge vergangen“ vorstellte, klagte über die komplizierte Abrechnung, für die man einen Betriebswirt beschäftigen musste. Ansonsten herrschte eine verzweifelte Hoffnung, das Land werde uns im Ruhrgebiet schon nicht vergessen. Ein bisschen Pflichtschimpfen auf die Unterfinanzierung von JEKI, das war es dann. In Herten trafen sich neben einigen Künstlern wie Jan Bormann viele Menschen aus der Kulturverwaltung wie Dr. Uwe Rüth, ansonsten SPD-Funktionäre und Politiker wie der Castroper Bürgermeister Johannes Beisenherz und der Herner Abgeordnete Frank Sichau. Lauter feine Leute, die in teilweise skurrilen Beiträgen ihren Steckenpferden nachgingen. So hielt Recklinghausens ehemaliger Bürgermeister Peter Borggraefe einen Spontanvortrag über antiquarische Bücher.
Ich habe das ein oder andere in Frage gestellt, dem Kunst-Peripherie-Trio zu seiner Entscheidung gratuliert. Denn ihr Kunstschaffen und die Administration kämen nie zusammen. Man verstehe und wolle sie einfach nicht in den Verwaltungen, da träfen zwei fremde Systeme aufeinander, außerdem seien sie einfach nur kreativ, nicht aber Kreativwirtschaft. Kurze deutete ich noch an, dass auch alte Hasen wie Adolf Winkelmann an der Kreativen Klasse im U verzweifelten. Aufgenommen wurden meine Beiräge nicht, aber bei solchen Veranstaltungen hast du ja gerne drei Experten und einen „schrägen Gast“, der nun gerade nicht deshalb geladen ist, um das Gespräch nach vorne zu treiben. Die fanden mich wohl nicht doof, ich kenne ja auch viele von denen und finde ihre Arbeit klasse, also die von Uwe Rüth z.B. oder die Einstellung von Johannes Beisenherz.
Nein, so ein Denken fand öffentlich nicht statt. Aber der Kreis Recklinghausen ist Ruhrgebiet im Kleinen. Zehn Städte, die sich alle für so stark halten, dass sie die anderen nur zur Kenntnis nehmen. Dann gehören zu dieser verquasten Emscher-Lippe-Region auch noch Gelsenkirchen und Bottrop, zusammen genommen also ein Fünftel des Ruhrgebiets. Aber nichts. Keine Idee, kein Mut, nicht mal Wut. Das ist schon deprimierend.
@Pat. Puh, da werde ich rot. Aber vielen Dank. Ich mache das trotz Zeitnot sehr gerne, weil ich das Gefühl habe, dass die Ruhrbaron-LesrInnen und Mitdiskutierer mit so einem unjournalistischen Zeug wie meinem gut umgehen können. Ich bin als Jungblogger immer noch völlig geflasht von der Nähe im Virtuellen, und ich kann gut vergleichen nach einigen Jahren Lokalzetung und öffentlich-rechtlichem Politmagazin.
@Tim. Das gebe ich zurück. Ich liebe Dich genau so, auch nicht nur dienstags.
@Andreas. Menschen mit Geschmack tun gut. Auch wenn das Ding noch nicht bei mir angekommen ist, ich glaube ich habe die Verlinkung auf meine Email-Adresse verpennt. Äh, das ist nicht so meine Welt. Ich gebe Dir mal meine private.
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