Diese Spitzelpille telefoniert mit ihrem Arzt

Gestatten! Ihr neuer Psychiater Quelle: Flickr.com; Foto: JD Hancock; CC BY 2.0

Es klingt wie Science Fiction: Eine Pille informiert den Arzt per Funk darüber, ob sie genommen wurde. Aber die neue Abilify MyCite® tut genau das. Der darin befindliche Wirkstoff Aripiprazol ist ein sogenanntes atypisches Neuroleptikum und wird zur Behandlung von Schizophrenien und bipolaren Störungen eingesetzt.
Krankheitsbilder, bei denen die “Compliance”, also das Befolgen ärztlicher Empfehlungen, besonders schlecht ist. Daher soll die neue Technik dem Arzt helfen, die Therapietreue zu überprüfen.
Und so funktioniert es: Die Tablette ist mit einem System ausgestattet, bei dem Kupfer, Magnesium und Silizium auf die Magensäure reagieren. Dies führt zu einem elektrischen Impuls, der von einem High-Tech-Pflaster detektiert wird, das der Patient auf der Haut trägt. Das Pflaster wiederum sendet das erfolgreiche Tablettenschlucken per Bluetooth an die MyCite-App auf dem Smartphone des Patienten. Und dieses stellt die Daten an ein Internet-Portal, auf das der Arzt (nach Zustimmung des Patienten) zugreifen kann.
Was soll das?, kann man fragen. Tatsächlich ist es ein bekanntes und weitverbreitetes Problem, dass Patienten ihre Medikamente nicht einnehmen. Dies gilt in besonderem Maße für Psychopharmaka. Die Gründe sind vielfältig. Gerade für psychische Erkrankungen, und zwar insbesondere die beiden, für die Aripiprazol gegeben wird, besteht häufig eine Krankheitsuneinsichtigkeit. Es ist ja gerade die Definition von Wahn und Halluzinationen, dass der Betroffene sie für absolut real hält. Bei einer Manie (die mit Wahn einhergehen kann, aber nicht muss) kommt die häufig euphorische Stimmung hinzu, die das Krankheitsbild für den Betroffenen sogar angenehm macht. Zur Abwägung von Nutzen und Risiken habe ich hier ausführlicher geschrieben.
Zu wissen, ob der Patient die Mittel überhaupt nimmt, ist also für den Behandler durchaus interessant. Meine Überzeugung als praktizierender Psychiater ist allerdings, dass hier nichts über das offene Gespräch geht. Meine Patienten wissen (hoffentlich), dass ich sie nicht überrede, etwas zu nehmen, wovon sie nicht überzeugt sind und dass sie offen von Nebenwirkungen oder Zweifel berichten sollen. Für solche Menschen, die das Mittel grundsätzlich nehmen wollen, aber vergessen, könnte so eine Anwendung hingegen Sinn ergeben. Sie können ja auch selbst in ihrem Smartphone nachschauen, ob und wann sie es genommen haben und ihr Arzt kann mit ihnen besprechen, welche Umstände zum dokumentierten Vergessen führen.
Aufwand und Nutzen erscheinen dabei allerdings etwas unverhältnismäßig. Man könnte sich auch eine täglich erinnernde Todoliste in seinem Telefon programmieren, bei der man abhakt, ob man es genommen hat.
Denn wenn der Patient das Mittel nicht will, dann nimmt er es nicht und wenn der Arzt ihn mit der technisch überwachten Non-Compliance nervt, geht er eben einfach nicht mehr hin. Etwas Anderes könnte es im forensischen Bereich sein, wobei sich das System vermutlich austricksen lässt, indem man den Sensor statt mit Magensäure mit einer anderen Säure in Kontakt bringt.
Was soll das?, kann man also noch einmal fragen. Und tatsächlich ist der Trend zu solchen High-Tech-Verwertungen von Neuroleptika klar zu erkennen. Bislang betraf das Depot-Zubereitungen. Eine (in vielen Fällen auch durchaus sinnvolle) Lösung der Nicht-Einnahme-Problematik kann es nämlich sein, eine langwirksame Spritze zu geben, die mehrere Wochen anhält. Das ist pharmakologisch aber nicht so einfach. Leider tritt die Neuroleptikaforschung auf der Stelle. Ein neues Wirkprinzip ist nicht in Sicht und alle Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre beruhen im Prinzip auf Abwandlungen der gleichen Grundidee. Für alle diese Neuerungen sind die Patente längst abgelaufen und günstige Generika für Risperidon oder Aripiprazol sind erhältlich. Die großen Firmen, die diese Mittel entwickelt haben, kommen daher – in Ermangelung neuer, besserer Wirkstoffe – mit geschickten Zubereitungen einher. Risperidon als Depot zum Beispiel basiert auf „Mikrosphären“, kleinen Polymer-Kügelchen, die das Mittel nur langsam freisetzen. Solche High-End-Varianten können die Hersteller der Generika nicht bieten und so sichern sich die einstigen Innovatoren ihren Marktanteil auf diese Weise.
Ob die sensorgestützte Pille einen ausreichenden Mehrwert bietet, um gegenüber günstigem Standard-Aripiprazol am Markt zu bestehen, bleibt abzuwarten. In Deutschland hat der Hersteller jedenfalls bislang keine großen Ankündigungen gemacht. Hier stehen vermutlich auch mindestens zwei Aspekte einem Markterfolg entgegen: Der wesentlich kritischere Umgang mit dem Datenschutz und eine sehr strenge Bewertung des tatsächlichen Nutzens bei der Übernahme der Kosten.

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Helmut Junge
6 Jahre zuvor

Wenn ich alle Entwicklungen der letzten Zeit auf die Zukunft hochrechne, wird es bald möglich sein, Menschen, wenn sie Patienten sind, später auch alle anderen, mit chips zu versehen, die Kontrölle über das Denken ausüben. Dann ist diese Mageninhaltskontrolle Schnee von gestern.
Wir fragen uns jedesmal, ob das was gemacht werden kann, auch gemacht werden darf.
Dabei ist es nicht die Frage ob, sondern "wann".
Schön ist der Satz "Zu wissen, ob der Patient die Mittel überhaupt nimmt, ist also für den Behandler durchaus interessant."
Genau das ist es. Es gibt ein Interesse. Übrigens ist das Prinzip "es gibt ein Interesse" überall anwendbar.
TV-Geräte mit Internetanschluß können gesprochene Geräusche aufnehmen und übertragen. Und es wird auch gemacht! warum? Ich weiß es nicht, aber angeblich soll es der Verbesserung von spracherkennungssytemen dienlich sein. Nur im Interesse des TV-"Patienten" ist es nicht. Die werden gar nicht gefragt, können aber, falls sie die Technik kapieren, diese Funktion abschalten.

ke
ke
6 Jahre zuvor

Es gilt wie immer: Zu Risiken und Nebenwirkungen ….

Es ist eine weitere Option. Insgesamt sehe ich diese Optionen eher positiv:
– Wie war mein Blutdruck vor ein paar Monaten/Jahren?
– Wie war mein Gewicht?
– Was sagt die Permanentüberwachung über meine aktuellen Blutzucker aus ….

Zu viele Medikamente verschwinden im Müll- Zu viele Medikamente werden falsch dosiert. Ein Feedback auch über Infos an eine Krankenschwester etc. kann hierbei helfen.

BTW: Warum sind Medikamente für alte Menschen in kleinsten Pillen gepresst, die dann noch von 80jährigen geteilt werden sollen? Da braucht es keine gesonderte Forschung, sondern nur Lebenerfahrung, dass dies nicht funktionieren kann.

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