Heute kann jedes Smartphone unendlich viele Bilder in jeder Situation schießen. Viele Jahrzehnte vor dem theatralischen Ritsch-Ratsch-Klick der Generation Selfie wurde eine Methode mit einer sogenannten Kollodium-Nassplatte entwickelt. Die beiden TüftlerFrederick Scott Archer und Gustave Le Gray haben um das 1850 herum eine fotografische Platte erfunden, die mit einem Negativ-Verfahren so eine Fotografie erzeugt. Der in Dortmund lebende Fotograf und Grafik-Designer Thaisen Stärke hat sich diesem altertümlichen Verfahren angenommen und eröffnet unter dem Namen „Doctore Minutera“ nun ein eigenes Studio für diese Art von historischer Fotografie.
Thaisen, auch in anderen Bereichen greift man gerne auf analoge Techniken zurück – zum Beispiel bei der Malerei oder ebim Musik-Mastering. Nicht nur, weil althergebrachte Verfahren einen gewissen Charme, sondern auch weitere technische Vorzüge haben, die digital oftmals verloren gehen. Ist das bei deiner Art zu Fotografieren auch so?
››Ich finde den Look meiner Bilder schon wärmer, gerade gegenüber denen, die digital erzeugt werden. Allerdings weiß ich nicht genau, ob das so eine Fachidioten-Nerd-Schiene bedient – oder ob das auch wissenschaftlich wirklich belegbar ist. Durch diese Art der Fotografie, die ich mit „Doctore Minutera“ ausübe, erhalten die Bilder eine wahnsinnige Vertiefung. Gerade wenn die Bilder auf Glasplatten entwickelt werden: wenn du dann durch das Glas schaust – und das Bild ist dahinter, hat das noch mal eine ganz eigene Tiefe. Alleine der Prozess wenn auf der Glasplatte aus dem Nichts langsam das Bild entsteht ist wahnsinnig faszinierend. Alte Fotoabzüge, die noch auf Papier abgezogen worden sind, da habe ich persönlich eine wahnsinnige Freude dran. Ich betrachte die Bildoberfläche – und mein Herz geht auf. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das nur mir so ergeht, oder ob der Laie da genau so empfindet.‹‹
Du hast in Dortmund an der Fachhochschule Fotografie studiert. Hast du dich während deines Studiums auch schon mit historischer Fotografie beschäftigt?
››Ja, eigentlich kommt man auch immer wieder auf die Wurzeln zurück. Ohne das, was damals passiert ist, wird es ja auch schwierig heutige Fotografien im Kontext einzuordnen. Aber auch schon vor dem Studium war mir die Fotografie wichtig. Ich habe ein langes Praktikum bei einem Fotostudio absolviert – und das war ein bisschen wie eine Ausbildung, gerade was den technischen Bereich angeht. Damals hat mir mein Chef alte Klassiker gezeigt, wie zum Beispiel Aufnahmen von August Sander. Mit diesen zeitlosen Porträts habe ich mich dann immer weiter mit auseinandergesetzt – und diese Art von Fotografie fasziniert mich bis heute.‹‹
Vieles von deinem Equipment hast du dir selber zusammen gebaut – was war für dich das Hauptmotiv, dass du dich der Fotografie der 1850er Jahre widmest?
››Ganz einfach gesagt ist es die Entschleunigung. Ich will die digitale Fotografie überhaupt nicht verteufeln, aber es ist gerade bei Porträt-Terminen oftmals so, dass man manchmal nur sehr begrenzt Zeit hat. Du hast dann die Vorgabe, in fünf Minuten so oft wie möglich auf den Knopf zu drücken – und da wird schon irgendwie was Passendes dabei sein. Wenn du dann aber sagst, lass uns doch kurz um die Ecke gehen, da ist ein schöner Hintergrund und eine besondere Licht-Atmosphäre, da ist die Zeit dann einfach nicht da. Und mit dieser historischen Art des Fotografierens hast du eine verlangsamte Dynamik, die einfach durch die Technik gegeben ist. Du kannst gar nicht „schnell“ arbeiten. Dadurch, dass der Prozess einfach länger dauert, musst du viel mehr Zeit einplanen. Und dadurch bringen die Leute dann auch viel mehr Muße dafür mit. Denn es dauert schon mal bis zu einer Stunde bis ein ausdrucksvolles Bild entsteht.‹‹
Wenn Helge Schneider Roman schreibt, tippt er die am liebsten auf einer alten Schreibmaschine und nicht auf einem Computer. Denn so muss jeder Satz direkt beim Tippen stehen, weil er als Autor dann nicht die Möglichkeit hat unendlich viele Korrekturschleifen anzusetzen. Wenn man diese Art zu schreiben auf deine Art zu Fotografieren überträgt – da gibt es schon eine Verwandtschaft, oder?
››Ja, auf jeden Fall. Wenn du früher mit einem Kleinbildfilm fotografiert hast, dann hattest du 36 Aufnahmen zur Verfügung. Das heißt, du hast schon mal viel gewählter fotografiert – und die Entwicklung war natürlich an andere Kosten gekoppelt. Aber du musst schon genauer hingucken. Wenn ich hier ein Bild mache, baue ich das nicht schnell auf und belichte – sondern ich muss viel genauer schauen, ob alles stimmt: Komposition, Licht, Farbe, sowie die Vielschichtigkeit der Texturen und Bildebenen. Du bist, generell gesagt, viel konzentrierter dabei und musst viel genauer arbeiten. Denn die Fehler, die ich vielleicht im Vorfeld übersehen habe, kriege ich dann auch hinterher nicht mehr raus. Bei der digitalen Fotografie denkst du dir, ach, das kann ich zur Not auch noch mit Photoshop bearbeiten.‹‹
Für den Betrachter wirken deine Bilder lange nach. Denn deine Fotografien leben von mehreren Schärfeebenen und die Porträts wirken wie eine topografische Landschaft, als hätten sie eine dreidimensionale Aura. Ist das nur handwerkliche Qualität oder was spielt da noch eine Rolle?
››Die Linsen und die Optik mit denen ich arbeite, die sind bei diesen alten Kameras unglaublich gut. Die Bereiche, die in die Unschärfe gehen, bekommen einen sehr schönen Look – das ist dadurch gegeben, dass der ganze Prozess relativ lichtunempfindlich ist. Das heißt, ich muss mit einer sehr großen Blendenöffnung arbeiten. Dadurch hat der Kontrast zwischen Schärfe und Unschärfe schon mal einen sehr schönen Wirkungsgrad. Der Silberanteil auf dem Bild ist zudem unglaublich hoch, da ist kein Korn im Bild. Dadurch hast du eine sehr gleichmäßige Fläche. Bei dieser Art von Foto kann auch kein Film mithalten.‹‹
Beim Entwickeln arbeitest du mit mehreren Chemikalien-Wasser-Bädern, in denen du die Bildplatten reintauchst. Könnte man sich dabei auch verätzen?
››Man sollte einen gewissen Respekt davor haben. Wenn du eine Essigsäure hast und die auf die Haut bekommst, klar, da kannst du dich schon mit verätzen. Aber du musst jetzt auch keine wahnsinnige Angst davor haben. Ein gesunder Umgang damit ist ratsam. Ich trage immer eine Schürze wenn ich in der Dunkelkammer hantiere, ich hab Handschuhe an, dann passiert auch nichts. Man muss natürlich schon aufpassen und sollte nicht alles wild zusammen kippen. Du musst die Chemikalien auch pflegen, die müssen einen reinen Zustand haben. Das ist alles eine Frage der Konzentration.‹‹
Gibt es Personen aus der Zeitgeschichte, die du in deinem Atelier gerne mal fotografieren möchtest?
››Puh, da muss ich mal überlegen. Ich finde es eigentlich spannend genug, die Leute, die ich porträtiere, aus diesen Gesichtern dann ihren Charakter herauszukitzeln und auf das Foto zu übertragen. Aber sonst? Den Schauspieler Christopher Walken finde ich ganz spannend. Aber letztlich ist es egal wer es ist. Ich habe Spaß daran, genau das an den Leuten herauszuholen, was sie sind und wie sie aussehen.‹‹
Neben Porträts konzentrierst du dich bei deinen Fotografien auf Stillleben: offene Fenster, Totenköpfe, getrocknete Blumen. Wie findest du hierbei deine Sujets?
››Manchmal ist das einfach Zufall. Kürzlich war ich mit meinem Hund spazieren und hab dann ein paar Disteln am Wegesrand gefunden. Die fand ich interessant und hab die mitgenommen. Das morbide und klassische Stillleben im Sinne eines „Memento mori“ passt halt sehr gut, Totenköpfe lassen sich in zusammen gestellten Arrangements gut ablichten.‹‹
Welche Pläne verfolgst du gerade noch?
››In Zukunft will ich mir auch ein mobiles Labor basteln, ich bin gerade dabei das Equipment dafür zusammenzustellen, damit ich meinetwegen auch auf Festivals, Steam-Punk- oder Mittelalter-Märkten Fotos machen kann. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine kleine Kiste, wo ich mir einen Tisch ausklappen kann und mit einem Tuch eine Art mobile Dunkelkammer dabei habe. Denn ich brauche einen kleinen dunklen Raum, um die Glasplatten zu entwickeln, weil die ja sehr lichtempfindlich sind. Das sind aber Sachen, die laufen nebenbei. Zukünftig will ich auch noch eine weitere Kamera bauen, mit der ich dann Großformate von 80 x 80 cm fotografieren kann. Aber das plane ich erst im Herbst.‹‹
Thaisen Stärke eröffnet sein neues Fotostudio Doctore Minutera am kommenden Samstag (30. März) ab 14 Uhr. In den Räumen von ’Ewig und drei Tage Tätowierungen’ befindet sich sein Atelier im Keller.
Doctore Minutera
Kleine Beurhausstraße 22
44137 Dortmund
Tel.: 0152-274 211 56
Öffnungszeiten:
jeden Mittwoch & Freitag: 12-18 Uhr, Samstags von 11-16 Uhr – und nach Absprache.
www.facebook.com/DoctoreMinutera
doctore-minutera@gmx.de