Über Judenhass in Deutschland talken ohne die jüdische Gemeinschaft in Deutschland? Stattdessen mit BDS? Über „anti-palästinensischen Rassismus“? Die Documenta will den Hass auf Juden unter „Kunst, Freiheit, Solidarität“ verbuchen, die BDS-Quote auf ihren Podien liegt bei rund 50 %. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat der bisher renommierten Ausstellung „eindeutige Schlagseite“ attestiert. Sein Weckruf ist an Claudia Roth addressiert. Zur Debatte steht nicht, was Antisemitismus sei und was nicht, sondern wer Staatsministerin für Kultur sein wird.
Im Januar war der Vorwurf öffentlich geworden, die Documenta 15, weltweit bedeutende Ausstellung für zeitgenössische Kunst, liebäugele mit antisemitischen Überzeugungen. Recherchen des Kassler Bündnisses gegen Antisemitismus hatten ergeben, dass sich zwei Mitglieder der Findungskommission für das Kuratorenamt, zwei Mitglieder des Kuratoren-Kollektivs Ruangrupa sowie sechs der bisher überhaupt bekannt gegebenen Künstler zur BDS-Kampagne halten. Der Bundestag verurteilt BDS als „eindeutig antisemitisch“. Die Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth (Die Grünen), erklärte, sie wolle den Vorwürfen gegen die Documenta persönlich nachgehen. Wenig später gab die Leitung der Documenta bekannt, dass sie sich gegen „externe Eingriffe“ verwahre. Ein Konflikt zwischen Politik und Kunst? Oder dessen Inszenierung?
Die Documenta-Leitung behauptet, dass es ihre „Aufgabe“ sei, „der Kunst Räume zu eröffnen, in denen unabhängige und konträre Diskurse stattfinden dürfen“. Damit setzt sie voraus, dass derlei Diskurse andernorts – in Medien und Parteien und Parlamenten, in Schulen, Sportverbänden und Kirchen usw. – weder unabhängig noch konträr stattgefunden hätten oder stattfinden würden.
Klingt nach Pegida. Schon länger wirkt es so, als sei die staatsfinanzierte Kulturbranche anfällig für den Stil der Straße, dafür, sich als Opfer einer Übermacht zu präsentieren und als querdenkende Eminenz. Zuletzt hatten sich die Kulturmandarine der Republik zur „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ zusammenkonspiriert mit dem Ziel, BDS die breite Bühne zu bieten, sie sprachen vom BDS-Antisemitismus als einem „kritischen Dialog“, die Documenta spricht jetzt von einem „konträren Diskurs“.
Die Initiative „GG 5.3“ wurde im Winter 2020/21 diskursiv ausgebremst, auf den Straßen aber liefen jene Demos weiter, die jede Grenze einreißen zwischen dem, was als pro-palästinensisch gelten kann und was als antisemitisch. Der Kultur-Sektor lahmt der Straße hinterher, jetzt ist es die Documenta, die Anschluss sucht an einen „Grundkonsens“, wie ihn die Veranstalter der jüngsten antisemitischen Randale in Berlin formuliert haben: „Unser Grundkonsens ist ein internationalistischer, intersektionaler und damit konsequent antirassistischer“, erklärte das hippe Kollektiv, das für Straßenszenen gesorgt hat, wie sie vor 90 Jahren populär gewesen sind.
BDS-Quote: 50 %
In den Worten der Documenta klingt das Sprech vom intersektionalen Antisemitismus ähnlich, nur fördermittelmäßig glattgeschliffen: Es handele sich um „Kunst“, die „Räume“ eröffne für „konträre Diskurse“, was nicht unter Antisemitismus falle, sondern unter „Art–Freedom–Solidarity“, weshalb es nicht um ein paar Juden gehe, sondern um „anti-muslimischen Rassismus“, also rund 1,6 Milliarden Betroffene, von denen sei am härtesten betroffen, wer unter „anti-palästinensischem Rassismus“ leiden müsse.
Klassischer Touch-Turn-Talk, ihn vorzuführen, habe man Gäste eingeladen „ausschließlich auf Grundlage ihrer wissenschaftlichen Expertise“, wie die Documenta jetzt erklärte, aber da hatten die Ruhrbarone schon nachgeblättert: 10 von 20 Diskutanten dieser Documenta sind Aktivisten des BDS oder dessen Apologeten.
Antisemitisches Engagement als „wissenschaftliche Expertise“? Von der Documenta unter „Kunst“ verbucht? Und unter Kunstfreiheit gestellt? Wenn das die neue „Weltoffenheit“ ist, von der die staatsfinanzierte Kulturbranche träumt, kann man sich ausdenken, was es an Dauerberieselung geben wird auf deutschen Bühnen, wenn BDS in Intendantenbüros einzieht. Es handele sich dabei nur um Parität, wird die Documenta sicherlich bald bekunden.
„Eindeutige Schlagseite“, sagt Josef Schuster. Der Repräsentant der Juden in dem Land, das die Documenta finanziert, hat einen Brief an Claudia Roth adressiert, der es in sich hat: Wiederholt habe der Dachverband der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland darum gebeten, informiert und eingebunden zu werden, berichtet die JÜDISCHE ALLGEMEINE: „Trotz mehrfacher Nachfrage bei der documenta-Leitung sei dies nicht geschehen.“ Und dann direkt an die Kulturstaatsministerin: „‚Auch aus Ihrem Haus wurden wir bedauerlicherweise nicht über den weiteren Fortgang informiert‘“.
Hatte Claudia Roth sich diesem Fortgang nicht persönlich angenommen, war es nicht so? Seitdem der Vorwurf, die Documenta hofiere BDS, öffentlich ist, hat die Kulturstaatsministerin immer wieder erklärt, „wir tragen die Verantwortung gegen das Vergessen“, hat eine jüdische Gemeinde besucht, hat den diskursiv entwickelten Antisemitismus scharf verurteilt und hat erkannt, dass „Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, diese Menschenfeindlichkeiten“ Gift seien für eine Demokratie, „sie zersetzen unseren Zusammenhalt und greifen das Leben und die Würde von unseren Freund*innen und Nachbar*innen an, von unseren Familien, von diesem großen Wir Alle“. Man hat dies drei Monate über gelesen und mochte denken, die Staatsministerin für Kultur hätte verstanden, dass Antisemitismus ein „kultureller Code“ ist, der es, wie Shulamit Volkov analysiert hat, darauf anlegt, sich diskursiv einzufädeln ins „große Wir Alle“.
Und dann keine einzige Info an die, denen dieser Hass gilt? Keine Rückfrage an eine Documenta-Leitung, die den Zentralrat der Juden monatelang abserviert wie eine lästige Junkmail? Sollte es für Claudia Roth tatsächlich denkbar sein: dass die Bundesrepublik einen Talk finanziert über Judenhass in Deutschland, ohne dass die jüdische Gemeinschaft in Deutschland beteiligt wäre? Stattdessen 50 % BDS? Der über „anti-palästinensischen Rassismus“ informiert?
Josef Schuster wählt den höflichen Ton, er zeigt sich „verwundert“. Verwunderlich ist in der Tat, dass Roth noch immer, jetzt im Kulturstaatsamt, einer naiven BDS-Romantik und Terror-Verklärung anzuhängen scheint. Im Mai 2019 hatte sie die Erklärung des Bundestages, in der BDS als eine antisemitische Bewegung verurteilt wird, nicht unterzeichnet und stattdessen in einer „persönlichen Erklärung“ verlauten lassen, wie sie diese von Terror-Firmen orchestrierte Hetz-Kampagne sehe: BDS, so Roth, sei eigentlich aus einer „Zivilgesellschaft“ heraus entstanden, sei „gewaltfrei“ und fordere lediglich die „Umsetzung des Völkerrechts“, somit handele es sich um eine politische Bewegung, deren Strategien sie, Claudia Roth, diskutieren wolle, um sie kritisieren zu können, so etwa gebe es beim BDS eine „ungenügende Auseinandersetzung mit Antisemitismus in den eigenen Reihen“, deswegen seien aber nicht „alle beteiligten Organisationen und Einzelpersonen“ antisemitisch und der BDS in Gänze schon mal gar nicht …
Wie wahr. Nicht alle Nazis waren Nazis, nicht alle AfD’ler sind alternativ, manche Rassisten meinen es gut und auch bei Sexisten gibt es ein Für und Wider – solche Sprüche, als politisches Programm verkauft, bedeuteten das sofortige Aus. Wenn es um Antisemiten geht, geht derselbe Spruch durch: Im „Koordinierungskomitee“ des BDS sitzen Hamas, Islamischer Dschihad und die Volksfront zur Befreiung Palästinas PFLP, alle stehen sie auf der Terrorliste der Europäischen Union, der Antisemitismus dieser Terror-Firmen ist eliminatorisch. Wer BDS unterstützt, unterstützt ihren Terror. Denkt Roth allen Ernstes, man könne sich mit dem mörderischen Judenhass im Lenkungsausschuss des BDS auseinandersetzen, indem man einen Diskurs führt mit BDS, bis es genügend sei? Genügend für wen, für was? Wie bemisst Claudia Roth die Überlebensquote für Juden?
Sie bemisst Bundesmittel. Sollten die jetzt tatsächlich dafür genutzt werden, über Judenhass in Deutschland mit BDS-Akteuren zu talken, ohne die jüdische Gemeinschaft in Deutschland um Beteiligung zu bitten, stellt sich die Frage, ab wann man über Kulturpolitik in Deutschland diskutieren muss, ohne Claudia Roth beteiligen zu müssen.
Die documenta 15 ist seit den neunzigern in der Folge spätestens die fünfte ihrer Reihe, die von der Budgetgröße und der Budgetverteilung auf den finanziellen Profit von Kassels Standortsmarketing als Refinanzierung des heutigen 40 Mio Budgets der documenta ausgerichtet ist. Dabei fließt der kleinste Anteil dieser Summe in Kunst. Durch ruangrupa und das populäre, als Kunst getarnte, zuerst soziale und jetzt auch offensichtlich politische Engagement, hat sich der Aufsichtsrat der documenta, allen voran Christian Geselle, Aufsichtsratvorsitzender und Kassels Oberbürgermeister, jetzt erpressbar gemacht. Das zu dem zurecht sensibelsten, deutschen Thema. Es war von Anfang an sichtbar und deshalb von allen Beteiligten naiv, seit der ersten Pressekonferenz aus politischen Eigeninteressen den Mitgliedern von Ruangrupa bedingslos um den Hals zu fallen.
[…] „anti-palästinensischen Rassismus“ reden. Die Teilnehmer an den Gesprächsrunden waren zur Hälfte BDS nah. Gesprächsangebote des Zentralrats der Juden in Deutschland hatten die Macher abgelehnt und nach […]
[…] macht, nämlich alles richtig. Der Soli-Effekt, auf den BDS setzen konnte, solange die Hetzkampagne auf Claudia Roth hoffen durfte, ist perdu, 2022 scheinen die Abraham Accords aus 2020 anzukommen. Nicht auf der Documenta, […]