Das Gremium zur fachwissenschaftlichen Begleitung der Documenta fifteen unter dem Vorsitz von Nicole Deitelhoff hat seinen Abschlussbericht vorgelegt. In Kassel reagierten Documenta-Geschäftsführung und künstlerischer Leitung im Skandal um antisemitische Werke demnach mit einem Dreischnitt aus Ignoranz, Verharmlosung und Umdeutung.
Ende Juli, die Debatte um Antisemitismus lief, angestoßen durch einen Beitrag des Blogs des Bündnisses gegen Antisemitismus Kassel, bereits über ein halbes Jahr, setzten der Aufsichtsrat und die Gesellschafter der Kunstshow ein Gremium zur fachwissenschaftlichen Beratung unter dem Vorsitz von Nicole Deitelhoff ein. Nachdem sich dieses bereits während der laufenden Documenta zu Wort gemeldet hatte und antisemitische Kunstwerke benannte, legte es nun seinen Abschlussbericht vor.
Auf 133 Seiten zeichnen die Autorinnen und Autoren den Verlauf der Documenta-Debatte nach, analysieren die ausgestellten antisemitischen Arbeiten, entlarven während des Streits vorgebrachte Legenden zur Geschichte Indonesiens als Lüge und den Umgang der Geschäftsführung der Show sowohl unter Direktorin Sabine Schormann als auch unter ihrem Nachfolger Alexander Farenholtz mit dem Thema Antisemitismus als dilettantisch. Zu keinem Zeitpunkt habe es an der Spitze der Documenta einen Begriff davon gegeben, was Antisemitismus sei. Eine gewollte Orientierungslosigkeit, denn Zeit, sich kundig zu machen, war genug.
Das Team um Deitelhoff zeigt auf, dass auf die Antisemitismusvorwürfe pauschal mit dem Gegenvorwurf des Rassismus reagiert wurde, es kein Interesse an einer ernsthaften Auseinandersetzung gab und die Arbeit des fachwissenschaftlichen Gremiums von Ruangrupa boykottiert wurde.
Detailliert werden in dem Abschlussbericht die Werke, die in der Diskussion standen, analysiert und in ihren historischen Kontext gestellt. Seine Bewertungsmaßstäbe legt das Gremium dabei offen. Eine Transparenz und Ernsthaftigkeit, die man bei allen anderen Akteuren der nordhessischen Kunstshow vermisste. Auch wer sich intensiv mit der Documenta 15 beschäftigt hat, erhält so neue Einblicke. Eine so tiefgehende Analyse der Vorfälle hat es bislang nicht gegeben, man liest den Text stellenweise wie einen Krimi. Hier waren Kultur-Forensiker am Werk. Das Chaos an der Spitze der Documenta wird ebenso beschrieben wie das Desinteresse der Leitung an der Antisemitismus-Debatte.
Was der Abschlussbericht für die Zukunft der Documenta bedeutet, lässt sich natürlich noch nicht sicher sagen. Aber Anlass für viel Optimismus, dass es in Kassel in Zukunft besser läuft und sich die Vorfälle des vergangenen Jahres nicht wiederholen, besteht nicht. Sechs Maßnahmen für die künftige Organisation des Kunstevents schlägt das Gremium vor. In einer wird vorgeschlagen, die Findungskommission für jede Documenta jeweils neu aus Persönlichkeiten zusammenzustellen, „die bisher nicht für die documenta gGmbH tätig waren.“ Der im November vorgestellte Findungskommission für die Documenta 16 gehören ausschließlich ehemalige künstlerische Leiter der Show an, alle waren sie also früher für die Documenta gGmbH tätig. Mit dabei ist auch Adam Szymczyk, der Kurator der Documenta 14. Szymczyk ist ein glühender Israelkritiker und unterstützt des Boykotts des Landes. Es kann gut sein, dass nach der „Antisemita“ vor der Antisemita ist.
Kurz zuvor hat es ein Symposium der HBFK gegeben, bei dem man sich in Ambivalenzen und Ambiguitäten zu flüchten suchte( Zeit: „Darf man dieses Bild noch zeigen – und wer entscheidet das?“).
Was ein Teil der Personals auf dem Podium offensichtlich nicht erkennen konnte ist, hat man keine Ahnung ist sehr viel mehr ambig oder ambivalent als eigentlich nötig.
Für Ruangrupa und ihre Unterstützer bietet die Sachlage nur wenig erfreuliches, sie sind entweder dumm oder verlogene Antisemiten.
Für Ruangrupa ist ersteres nicht so unwahrscheinlich, es wurden antisemitische Narrative aus der arabischen Welt oder des realexistierenden, kolonialisierend antikolonialistische Rhetorik pflegenden Sozialismus unkritisch übernommen.
Deutsche, die Israel allein als Ausfluß eines kolonialen Erbes sehen, kennen vieles das dem Widerspricht vom Wegsehen. Letzteres muß man wollen. Dazu kommt fehlendes Wissen zur jüngeren und jüngsten, vulgo postkolonialen Sozial- und Religionsgeschichte Indonesiens.
In einem gewissen Sinne hat das Tradition. Zum Antisemitismus gehört schon immer, wie bei jeder Form des Rassismus, eine gewollte Dummheit dazu.