Documenta? BDS? Das Problem ist die „Initiative Weltoffenheit“ (Teil 1)

Blick in die Kulturlandschaft: „Rahmenbau“ von Haus‐Rucker‐Co für Documenta 1977 by Olaf Kosinsky cc by 3.0

Die Documenta ohne ihren Kopf, der Vertrag mit Sabine Schormann einvernehmlich aufgelöst, nicht aber der Skandal. Der darin besteht, dass die Documenta mit Steuermitteln gefördert wird, um autonom zu sein, sie aber ihre Autonomie an den antisemitischen BDS verkauft hat. Und die Kunst gleich mit. Jetzt wird  –  Charles Esche vorneweg  –  dem Terror gehuldigt, wenn er sich gegen Israel richtet. Ein Blick auf die Documenta, auf BDS und auf die Frage, wie sich Kultur-Antisemiten auskontern lassen. Morgen Teil 2 über jene Initiative, die Antisemiten nicht bekämpft, sondern hofiert.

Jemand habe Verantwortung übernehmen müssen, heißt es jetzt, wo die Chefin hingeworfen hat, die Frage ist: Verantwortung für was? Für das antisemitische Schlachtengemälde, das Taring Padi aufgespannt hat? Für die Verkitschung, die Picassos „Guernica“ erfuhr, um Israel als Nazi-Macht zu denunzieren? Verantwortung für die Terror-Videos, die einen Massenmord verherrlichen an Leuten, die Israel besuchen und nicht boykottieren wollen? Für den „Humor“, mit dem der mörderische Terror der PFLP als „Halal-Frittierhähnchenimbiss“ plakatiert und der antisemitische BDS als queere „BDSM-Party“ abgefeiert wird?

Die Dichte der antisemitischen Werke, ihre fraglose Einbettung in die Welt der Kunst zeigt, dass sich BDS  –  erst 2019 hat der Bundestag die Hetzkampagne als antisemitisch identifiziert  –  auf dieser Documenta wie zuhause fühlt. Seit der Vorwurf, die weltweit geachtete Ausstellung segele im Fahrwasser des antisemitischen BDS, Anfang des Jahres publik geworden ist, hat sich der Kassler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) als erster Schutzherr der Hetzkampagne inszeniert und BDS beharrlich unter Freiheit der Kunst verbucht. Ohne diese Freiheit, erklärte Geselle schon im Januar, „ist alles nichts und vor allem keine documenta“.

Charles Esche, Terror-Versteher

Nur dass die Kassler Ausstellung zu diesem Zeitpunkt längst an die BDS-Kampagne verkauft war, Beispiel: Charles Esche, der Direktor des Van Abbemuseums in Eindhoven, eine im Kunstbetrieb bestens abgeseilte Autorität, Esche war bereits im Juli 2018 von Geselles Aufsichtsrat in die Findungskommission der Documenta berufen worden, also dahin, wo sich die grundsätzliche Ausrichtung der Kunstausstellung bestimmt. Maßgeblich beteiligt an dieser Berufung: Sabine Schormann. Wenig zuvor, am 22. April, hatte Esche auf seinem im Kunstmilieu gut frequentierten Facebook-Account dies gepostet:

„Was haben all die Kompromisse, die Arafat geschlossen hat, Gutes gebracht für das palästinensische Volk? Was hat die Anerkennung Israels erbracht, die Ansiedlung eines palästinensischen Staates auf 22 Prozent des Territoriums, die Verhandlungen mit Zionismus und Vereinigten Staaten? Nichts außer die Vergrößerung der israelischen Besatzung und die Verstärkung und massive Fortentwicklung des Siedler-Projekts. / What good have all of Arafat’s compromises done for the Palestinian people? What came out of the recognition of Israel, of the settling for a Palestinian state on 22 percent of the territory, of the negotiations with Zionism and the United States? Nothing but the entrenchment of the Israeli occupation and the strengthening and massive development of the settlement project.”

Darunter setzte Esche nur ein Wort wie eine Unterschrift: „True“.

Was seiner Ansicht nach „stimmt“: dass es kein Israel geben soll. Keine Verhandlungen, keine Kompromisse, keine zwei Staaten  –  nichts von dem, was die BDS-Kampagne „Normalisierung“ nennt. Die „Guidelines“ der BDS-Kampagne sind mühelos abzurufen im Netz, sie fordern wie einst die NS-Gesetze in verbissener Präzision, wann welche Begegnung von „Palästinensern und/oder anderen Arabern“ mit Israelis erlaubt sein sollen und wann als „Normalisierung“ und „white washing“ verworfen. Entsprechende Zitate aus dem BDS-Milieu, das irgendein Projekt wegen „Normalisierung“ verhetzt, sind Legion.

PFLP und BDS, Esche und Carp

Das Zitat, das Esche, designierter Findungskommissar, 2014 via Facebook verbreitet und mit dem er getreu auf BDS-Linie liegt, stammt selber aus der HAARETZ, einer in Israel weitgehend bedeutungslosen, im internationalen Ausland dagegen breit referierten Zeitung und dort aus der Besprechung einer Biographie über George Habash, den Gründer und Chefideologen der „Volksfront zur Befreiung Palästinas“, PFLP. Diese Terror-Truppe, links-säkular ausgerichtet  –  mehr dazu hier  –   ist verantwortlich für Dutzende Terror-Attacken ua auf zwei Schulbusse im Mai 1970: 24 Kinder ermordet, 44 verstümmelt, insgesamt gehen mindestens 134 Morde und mehr als 500 Verstümmelungen auf das Konto der PFLP und ihrer Ableger.

Soviel zum Terror, den Esche annonciert und der jetzt auf der Documenta in Videos verherrlicht wird und auf eine Weise verniedlicht, die einem die Documenta-Offiziellen   –  hier  –  kunsternst als „Humor“ verkaufen. Esche hat Wort gehalten.

August 2011: 7 Israelis ermordet, etwa 40 lebenslang verletzt | Ariel Hermoni (IDF) CC BY 2.0

Der Brite aus deutschem Haus steht hier als Beispiel für eine Terror-Philie, die sich ähnlich auch woanders, etwa bei Achille Mbembe findet und fassungslos macht: Vier Jahre vor Esches Ja zum Terror wurden vier Menschen in einem Museum in Brüssel, eine Fluchtautostunde von Esches Museum entfernt, weggeschossen, unter ihnen zwei Israelis. Offensichtlich hat dies Esche nicht viel zu denken gegeben, das Museum nebenan war das Jüdische.

Esche steht zugleich als Beispiel dafür, dass, wer BDS promotet, sehr schnell sehr unfrei ist in dem, was er denkt und was er tut: Ebenfalls 2014 war er Chefkurator der Biennale in Sao Paulo, der zweitgrößten weltweit, dort schwenkte er –  hier von uns im Einzelnen beschrieben  –  auf BDS-Linie ein mit der erst kürzlich nachgereichten Begründung, ihm und seinem Team sei völlig klar gewesen, dass sie, sollten sie nicht spuren, andernfalls selber zur „Zielscheibe“ von BDS werden könnten. Esche hat das Drohpotential des BDS, das unsichtbare, früh einkalkuliert, vier Jahre nach ihm hat Stefanie Carp, ihrerzeit Intendantin der zurecht ambitionierten Ruhrtriennale, Esches Berichte bestätigt, das kam so:

2018 hatte Carp die BDS-Band Young Fathers  –  das britische Trio war ein Jahr zuvor als Headliner einer koordinierten BDS-Aktion bekannt geworden, es hatte mit einigem Getöse die Pop-Kultur Berlin boykottiert  –  dieses Trio also hatte Carp nur ein Jahr später erst ein-, dann aus-, dann wieder eingeladen und schließlich absagen müssen. Ihren kuratorischen Eiertanz begründete sie damals damit, dass „das Programm der Ruhrtriennale“ von BDS „unter Druck gesetzt“ worden sei: „Es gab weitere Boykott-Androhungen“, erzählte sie der RHEINISCHEN POST, „‘es hätten wesentliche internationale Künstlerinnen und Künstler abgesagt‘, sagte Intendantin Carp am Dienstag auf Anfrage unserer Redaktion. Welche Künstler genau, sagte Carp nicht.“

Silent Boycott, Silent Pressure

So geht es zu auf Intendantenfluren. Was derzeit als silent boykott begriffen wird, das stillschweigende Wegklicken von Israelis, hat sein Pendant im silent pressure, dem diskreten Telefonat, durchgestellt ins Direktorenzimmer, wo einem BDS-Agenten flüstern, wer alles absagen werde, sollte dieser zusagen oder jene. Spätestens seit Carp sind die Methoden, die BDS verfolgt, in der Kulturbranche bekannt, dem Theaterportal „Nachtkritik“ erzählte Carp damals, sie hätte zusammen mit dem Management der Young Fathers „Wort für Wort“ eine Erklärung abgefasst „ganz genau so, wie die es haben wollten. Das Wort ‚cancelled‘ sollte unbedingt drinstehen, für ihre Fans. Am Tag nach der offiziellen Absage haben sie angefangen, sich darüber zu beklagen: Sie seien zensiert und ungerecht behandelt worden.“

Stefanie Carp und Christoph Marthaler Foto: Edi Szekely/Ruhrtriennale 2016

Man muss es Stefanie Carp heute beinahe anrechnen, dass sie so treuherzig berichtet hat darüber, wie diskret BDS ihre Kampagnen eintütet und internen Druck aufbaut. Andere tun sich schwerer damit, ihren Kniefall vor BDS zu erklären, jüngstes Beispiel: Big Thief, grandiose Indie-Band aus New York, die ihr schroff-melodisches Handwerk in Kaschemmen und Clubs erlernt hat, die also keinem BDS-spießigen College-Umfeld entstammt, sie kündigte im Juni an, das sie zwei Shows in Tel Aviv spielen wolle, ihr Bassist, Mark Oleartchik, stammt aus der Stadt. Fünf Tage später zog die Band, kürzlich Grammy-nominiert, kleinlaut zurück: BDS hatte den Großen Dieb, Big Thief, nahezu lautlos mit Tausenden Threats gehäckselt.

“The reaction they received for announcing a performance in Israel was horrible and terrible,” sagte der Vater von Mark, Alon Oleartchik, selber erfolgreicher Berufsmusiker: “They were crushed by it. They are the most non-political band I know, they have no statement about Israel, they write songs about relationships and humanity.”

Mithin über das, was BDS “Normalisierung” nennt und wie den Teufel bekämpft: Die Einnahmen aus beiden Konzerten in Israel hatte Big Thief für NGOs bestimmt, in denen Palästinenser und Israelis „gemeinsam für eine bessere Zukunft arbeiten“, indem sie „medizinische und humanitäre Hilfe für palästinensische Kinder leisten“.

Deutlich also, dass BDS eine anti-israelische, aber auch anti-palästinensische Hetzkampagne ist. In deren Leitungsgremium sitzt die von Charles Esche promovierte PFLP zusammen mit den islamistischen Killern von Hamas und Islamischer Dschihad. Terror-Cliquen, die kein Problem damit haben, palästinensischen Kindern nicht nur medizinische Hilfe zu verweigern, sondern für Selbstmordattentate zu stählen.

Darum wird Kunst gefördert

Die Frage ist, wer solchem Kulturterror  –  „Kunst im Befreiungskampf“ heißt dies in der Charta der Hamas   –  etwas entgegen setzen kann, die Antwort liegt auf der Hand: Zur Wehr setzen gegen BDS kann sich, wer es sich leisten kann. Wer unabhängig ist vom BDS-Milieu wie etwa Nick Cave, der Ende 2017 mit The Bad Seeds zwei Konzerte in Tel Aviv gespielt hat und dann, von BDS malträtiert, öffentlich erklärte, das ganze BDS-Getue sei „feige und beschämend“. Nicht alle, die es sich leisten können, reagieren so klarsichtig und souverän wie Cave oder Thom Yorke   –  dessen Kommentar zu BDS: „Some fucking people“  –  oder wie zuletzt 50 Cent, der Rapper hat im Juli völlig ungerührt von BDS zwei Konzerte in der Menora Mivgachim Arena in Tel Aviv gegeben.

Nick_Cave 2013 by Amelia Troubridge cc by 4.0

Die drei  –  Cave, York, 50 Cent  –  sind eben gut im Geschäft, und gerade dies schafft den Zusammenhang mit der Documenta: Wer sich BDS nicht unterwirft, besitzt die nötige Unabhängigkeit im Kopf, besitzt sie aber auch auf dem Konto. Ganz so wie die Kassler Ausstellung  –  was das Konto angeht:

Bei einem Gesamtetat in Höhe von 42,5 Mio Euro wird sie massiv mit öffentlichen Mitteln gefördert sowie mit halböffentlichen Mitteln der Sparkassen-Gruppe. Warum? Damit sich Kunst, wie Charles Esche es proklamiert, gegen die Macht jenes Marktes behaupte, der sie finanziert? Natürlich nicht, subventioniert wird die Documenta, damit Kunst ein Maß an Autonomie gewinnen kann, das einer Marktmacht vergleichbar wäre. Es ist der Markt, der das Maß vorgibt: Wie viel tut Not, um wirklich unabhängig zu sein? Um keinen Vorgaben folgen zu müssen, wie BDS sie aufnötigt? Gefördert werden Künstler, damit sie gar nicht erst in die Versuchung geraten, politischen Trends hinterher zu gackern, sondern in eine Lage, in der sie ästhetische Trends entwerfen können.

Wie sich BDS auskontern lässt

Wer das begriffen hat und  –  jetzt wieder vom 24. – 26. August  –  auf hohem Niveau realisiert, ist die Pop-Kultur Berlin. Im Sommer 2017 wurde das noch junge Festival zum Ziel der ersten größeren BDS-Kampagne hierzulande, sie hat damals „immensen Druck auf alle arabischen Künstler*innen in unserem Line-up ausgeübt“, so das mit öffentlichen Mitteln der Landes, des Bundes und der Europäischen Union geförderte Event im August 2017. Acht Acts  –  unter ihnen die Young Fathers  –  sagten damals ihre Auftritte ab, Katja Lucker, die Geschäftsführerin, teilte ihr Bedauern mit, lud abermals israelische Künstler ein und erklärte:

„Wir lassen uns durch Boykott nicht einschüchtern. Wenn Menschen nicht bei uns auftreten möchten, weil wir eine Unterkunfts- und Reisekostenbeteiligung von der israelischen Botschaft in Berlin bekommen, so bedauern wir das. Das Nicht-Auftreten, der Boykott, ist nicht unsere Entscheidung. Wir sind jederzeit offen für einen konstruktiven Dialog …“

So einfach ist das. 2018 waren es nur noch fünf von 150 Acts, die „boykottierten“, 2019 war das Thema, so sehr sich BDS auch bemühte, weitgehend durch. Auch dies eine Erfahrung, die sich bis Kassel herumgesprochen haben sollte: BDS ist immer nur so stark, wie man die Hetzkampagne macht. Was umgekehrt heißt: Wo BDS stark wird, geschieht dies mit Intention.

Riff Cohen aus Israel auf der Pop-Kultur Berlin 2017 by Camille Blake (c)

Unmittelbar nach dieser Erfahrung, im Herbst 2017, startete Malca Goldstein-Wolf ihre Initiative, sie brachte den WDR in kurzer Zeit dazu, seine Kooperation mit dem wohl prominentesten BDS-Ideologen, dem Ex-Pink Floyd-Bassisten Roger Waters zu beenden. Auch hier eine klare Linie, seitdem läuft jeder BDS-Künstler Gefahr, dass er, wird er im WDR gespielt, von seiner eigenen Blase zur Rede gestellt werden könnte.

Eine Strategie, die wir ähnlich mit der Christuskirche Bochum verfolgen, deren Programm und Bewirtschaftung der Autor dieses Beitrags verantwortet: Was für die Pop-Kultur Berlin die Reisekostenzuschüsse der israelischen Botschaft sind, sind hier Sponsoren, die enge Wirtschaftsbeziehungen mit Israel pflegen. Jeder Angriff, den BDS einmal fahren sollte  –  die Christuskirche Bochum ist die wohl größte Kulturkirche in Deutschland mit jährlich mehr Kulturbesuchen als beispielsweise die Ruhrtriennale  –  lässt sich so entspannt parieren. BDS ist keine Phalanx. Wobei unklar ist, ob und was so eine Strategie in Deutschland kostet, ob einem Spielort, der sich gegen BDS positioniert, bestimmte Acts erst gar nicht angeboten werden, weil er  –  stiller Boykott  –  längst von den Zetteln verschwunden ist, auf denen eine Tourplanung entsteht. Oder ob es umgekehrt nicht einen stillen Applaus geben mag dafür, BDS auf Abstand zu halten …

Von solchen Erfahrungen her ließe sich in aller Höflichkeit ein Tip nach Kassel entrichten: Die dort regierende SPD möchte, um auf den BDS-Skandal zu reagieren, „eine Institution mit internationaler Reputation im Bereich moderner Kunst als Gesellschafter“ gewinnen, berichtete kürzlich die HNA: “So eine Institution könnte etwa das New Yorker MoMa oder die Tate Modern in London sein …“

Könnte sein. Naheliegender wäre es, das TAMAT anzufragen, Tel Aviv Museum of Art oder das Museum of Art in Haifa.

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Hier Teil 2 über Documenta? BDS? Das eigentliche Problem ist die „Initiative Weltoffenheit“

 

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Jens
Jens
2 Jahre zuvor

Klasse, danke! Bin gespannt auf Teil 2

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[…] und die antisemitische Hetzkampagne herauszuhalten aus dem bundesdeutschen Kulturbetrieb (siehe Teil 1). Nicht ohne Erfolg und doch umsonst, im Dezember 2020 traten die Direktoren und Intendanten von […]

Knut Ludwiczak
Knut Ludwiczak
2 Jahre zuvor

Es ist leider linksliberaler Mainstream und insofern deutsche Tradition: An allem sind die Juden/Israel schuld, die Araber haben sich nur verteidigt, selbst als sie sich zusammenschlossen, um das das zu beenden, was das Deutsche Nazireich begonnen hatte. Von deutscher Verantwortungsübernahme ist leider bei der Documenta nichts zu spüren.

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[…] gesetzt, eines, das so sinnfällig wäre wie das Logo der israelischen Botschaft oder  –  so machen wir das in der Christuskirche Bochum  –  das Logo israelischer Sponsoren. In Kassel haben sie BDS kleingeredet und darum […]

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