Für Kassel ist die Documenta ein großes Geschäft, das man sich durch Antisemitismus nicht kaputtmachen lassen will.
Seit Monaten berichtet die Hessisch Niedersächsische Allgemeine über aktuelle Vorbuchungszahlen in den Herbergen Nordhessens, Restauranteröffnungen und regionale Unternehmen, die Merchandising für die Documenta herstellen. Auch wenn Heinz Bude, der Leiter des von der Ausstellung unabhängigen Documenta-Instituts, vor wenigen Wochen sagte, dass die Kasseler mittlerweile auch andere Quellen des lokalen Selbstbewusstseins hätten, ist die Messe ein wichtiger Imageträger. Alle fünf Jahre wird über die Stadt berichtet, Kassel nennt sich „Documenta Stadt“. Antisemitismus auf der Messe stört da nur und ist schlecht für das Geschäft. Christian Geselle (SPD), der Oberbürgermeister, hat wenig Interesse daran, Konsequenzen aus der Folge von Skandalen zu ziehen und inszeniert sich stattdessen lieber als Kämpfer für die Kunstfreiheit, dem der Dialog mit dem „Globalen Süden“ am Herzen liegt. Realistisch gesehen ist für einen Kasseler Oberbürgermeister der Frankfurter Flughafen der globale Süden. Zu den Kernaufgaben von Lokalpolitikern gehört nicht der Dialog über die Kontinente hinweg. Zumeist sind sie gut damit ausgelastet, ausreichend Kindergartenplätze zur Verfügung zu stellen und dafür zu sorgen, dass die Stadtfinanzen nicht vollständig kollabieren. Geselle dürfte denn auch die Kolonialgeschichte Indonesiens weniger am Herzen liegen als die lokale Wirtschaft. Über 100 Millionen Euro haben die Documenta-Besucher in der Vergangenheit in der Stadt gelassen. Das ist eine Menge Geld.
Geselle versucht das Image seiner Stadt zu retten, das eng mit der Documenta verknüpft ist. Mag sein, dass seine trotzige Art bei den Kasselanern gut ankommt. Im Rest der Republik schüttelt man eher den Kopf. Mit jeder Bemerkung, jeder Haltung Geselles und seiner Parteifreunde von der SPD wirkt die Stadt provinzieller und kleiner als sie ist: Geselle kommt wegen einer Sitzung im Rathaus nicht zum Kulturausschuss des Bundestages, seine Genossen träumen davon, die Documenta unabhängig von Bund und Land gemeinsam mit dem Museum of Modern Art zu veranstalten und Hessen Ministerpräsident Boris Rhein wird zum „südhessischen Ministerpräsidenten“. Und der hat natürlich im Norden des Landes nichts zu sagen.
Die Documenta ist eine von mittlerweile über 200 Biennalen weltweit. Sie zeigen nicht die Weltkunst der Gegenwart. In ihrem Zentrum stehen, wie Steen Kittl und Christian Saehrendt in ihrem Buch „Ist das Kunst oder kann das weg?“ schreiben „Rockstar-Kuratoren und Theoriegeklingel.“ Und das Theoriegeklingel wird von postmodernen Denkrichtungen wie dem gerade angesagten Postkolonialismus bestimmt, in dem Antisemitismus oft zum guten Ton gehört und der Westen abgelehnt wird. Auf den Ideologieshows trifft man häufig die Künstler, die es – noch – nicht geschafft haben, im kommerziellen Kulturbetrieb erfolgreich zu sein. Kommerzialisierung gilt in den Biennale-Kreisen zum Teil als ein großes Problem. Man mag Kunst, für die Menschen bereit sind, Geld auszugeben, nicht besonders und schätzt die Finanzierung durch den Staat und Stiftungen.
Kassel, aber auch der Bund und das Land Hessen müssen sich überlegen, ob sie auch in Zukunft Hetze gegen die Aufklärung, die der Postkolonialismus nach Ansicht des Soziologen Natan Sznaider ablehnt, und den Westen finanzieren wollen, deren Wesensmerkmal auch der Antisemitismus ist. Auf dem Markt hätte all das eher überschaubaren Erfolg. Entscheidet man sich dafür, könnten in Kassel auch während der Documenta 2027 viele Würstchen verkauft und zahlreiche Hotelbetten durchgelegen werden. Aber auch der nächste Antisemitismusskandal wäre fast sicher, wenn bis dahin die intellektuelle Mode nicht wechselt.