Heute Mittag hat mich die Studie einer im Mai 2008 gegründeten Immobilien-Suchmaschine erreicht. Das Ding heißt Immobilo und soll alle möglichen Immobilienangebote zusammenfassen. Wie auch immer. Jedenfalls haben die Geschäftsmänner die PR-Idee aufgegriffen, über Studien ins Gerede zu kommen.
Dellplatzviertel in Duisburg
Angeblich wollen die Berliner 133.000 Wohnungsangebote in den 30 größten Städten auf ihre Familientauglichkeit durchleuchtet haben. Dabei wollen die Spezialisten herausgefunden haben, dass die „Ruhrmetropolen Duisburg und Essen“ Deutschlands familienfreundlichste Städte sind. Na, wer das glaubt, war noch nicht da. Auf so was können nur Berliner kommen.
Die PR-Frizzen behaupten, dass jede dritte Duisburger Wohnung vier bis fünf Zimmer hat und rund 100 Quadratmeter groß ist sowie mit einen mittleren Mietpreis von 548 Euro erschwinglich. Eine Familienwohnung in München schlage dagegen mit durchschnittlich 1.326 Euro Miete zu Buche. „Wir haben nicht nur die Objektpreise analysiert“, sagte Christian Scherbel von dem Portal. „In die Bewertung einbezogen ist auch die gute Erreichbarkeit von Schulen und Kindergärten, weil dies die Wohnqualität eines Quartiers maßgeblich prägt.“ Nach seiner Ansicht können Eltern, die in Duisburg wohnen, ihre Kinder in 55 Prozent der Fälle auf fünf verschiedene Schulen und Kindergärten schicken, die weniger als einen Kilometer von der Wohnung entfernt sind. Die bayerische Landeshauptstadt erreicht bei diesem Kriterium immerhin 48 Prozent, während Hamburg nur auf 31 Prozent kommt.
Der Berliner Studie spricht sogar von einem "Familienmekka" im Westen. Mit Duisburg, Essen, Wuppertal, Gelsenkirchen und Dortmund würden gleich fünf Städte aus der dicht besiedelten Region unter den Top Ten lanen. Die neuen Länder seien mit Chemnitz und Leipzig zweimal vertreten, während es aus anderen Teilen der Republik nur Kiel, Nürnberg und Berlin auf vordere Plätze schaffen.
Diese angebliche Studie bestätigt den Spruch, der Churchill zugeschrieben wird: Traue nur der Studie, die Du selbst gefälscht hast.
Was haben Wohnungsgröße und Mietpreise mit Familientauglichkeit zu tun. Nach der Methode haben Slums die besten Chancen auf vordere Plätze, wenn sie nur an einen Kindergarten angeschlossen sind. Dass es auch Arbeit vor Ort geben muss und Spielplätze und Grünzüge und keine dreckige Luft, das steht auf einem anderen Papier.
Ach egal. Ich habe Kinder und ich kann aus dem Fenster schauen. Ruhrgebiet ist OK, aber es gibt wirklich bessere Quartiere.
Tja, auch anderen Zahlen (Capital-Immobilienkompass 2008) belegen, dass im Ruhrgebiet zumindest die Mieten extrem günstig sind: In Duisburg geht es ab 3,5 Euro/ qm los und in Essen gibt es etwas ordentiches für 6 Euro/qm. Und die Versorgung mit Kindergärten und Schulen ist auch gut. Komisch kommt mir nur die hohe Zahl von großen Wohnungen vor – das ist für das Ruhrgebiet eher untypisch, in Duisburg bietet der Wohnungsmarkt allerdings deutlich mehr 4 Zimmer Wohnungen als z.B. in Essen oder Bochum vorhanden sind. Eher mau ist übrigens der Zustand vieler Wohnungen und vor allem die Tatsache, das Duisburg kaum „gute“ Quartiere hat. Dellplatzviertel ist OK, Innenhafen auch (aber teuer und schlechte Versorgung mit Schulen) und dann bleibt eigentlich nur noch Alt-Rahm und die schönen Altbauquartiere an der Mülheimer Grenze.
Also ich wohne mit meiner Familie (2 Mädchen ein Junge) in Duisburg und finde es wunderschön hier und kann es voll nachvollziehen dass dieses Ergebnis rausgekommen ist. Kindergarten ist tatsächlich gleich gegenüber…
silvia
Jetzt schlägt es dreizehn!!!! Was auch für die anderen Städte in der Region zählt, warum vergißt man eigentlich die wunderschönen, zum Wohnen sehr attraktiven und für Kinder und Familien idealen Arbeitersiedlungen. Zum Beisiel im Norden, dort habe ich in herrlichster Nachbarschaft mit echten Ruhris drei Jahre gewohnt, Wehofen. Leider hat ein Jahrzehnte langes Belegungsrecht vornehmlich des Bergbau eine gesunde soziale Mischung verhindert und damit auch zu Stigmatisierung und letztendlich zu Problematisierung der Siedlungen geführt.
Diese Region weist allemal gleiche Qualitäten auf, wie sie in Berlin, Frankfurt usw gelten. Wir haben leider selten ein Bewußtsein für unsere städtebaulichen und architektonischen Kompetenzen. Uns fehlt auch besonders eine diversifizierte Sozialstruktur dafür.
Eine Region, welche auffällig wenige „Juppies, Struppies, Schickies und Mickies“ besitzt, hat einen klaren Auftrag zur stärkeren Durchmischung.Dafür steht allemal qualifizierter Wohnraum zur Verfügung.
Wenn Ruhr eine besondere sozialräumliche Qualität hat, dann ist die mit dem Begriff Familienfreundlichkeit sehr treffend beschrieben. Weniger wegen der Qualität der Wohnungen, die sehr wohl in vielen Gegenden verbesserungswürdig (und -möglich)ist, sondern wegen ihrer Lage und dem unmittelbaren und weiteren Wohnumfeld. Hier stehen die vielen Arbeitersiedlungen ganz oben an. Aber auch in eher innenstädtischen Lagen ist die Durchgrünung und die Anzahl der hauseigenen Gärten enorm.
Hinzu kommt das mittlerweile flächendeckend für Fußgänger und insbesondere für Radfahrer vernetzte regionale Grün- und Freiraumsystem mit seinen Kanälen,der Ruhr und in Zukunft mit den renaturierten Bach- und Flußläufen der Emscher. Wo kann man (spätestens dann) sonst auf der Welt in einer ähnlich dicht besiedelten Agglomeration, wenn man nicht gerade direkt in der City wohnt (und selbst von da braucht man nicht lang),von der eigenen Wohnung aus mit seinen Kindern zum größten Teil autofrei stundenlang durch die Stadt radeln. Auch der immer noch große Anteil innerstädtischer „Wildnis“, hier auch gerne etwas missverständlich „Industrienatur“ genannt,ist für Kinder ein Eldorado und sollte deswegen auch in Zukunft nicht bebaut werden.
Hier zeigt sich die viel geschmähte polyzentral-kleinstädtische Struktur von Ruhr von ihrer positiven Seite. Hier ist sie attraktiver als andere urban verdichtetere Räume. Wenn es denn dann auch wieder genug Familien mit Kindern gäbe,die gerne „auf dem Dorf“ und trotzdem in einer Großstadt wohnen, gibt es auch wieder eine metropolitane Zukunft für Ruhr. Urbanität setzt nicht unbedingt räumliche Dichte voraus, wenn die Menschen sie durch kulturelle Offenheit und intensive soziake Interaktion ersetzen. Dichte ist dann weniger baulich als sozial, wie es die frühere soziokulturelle Tradition der Arbeitersiedlungen schon einmal bewiesen hat.
Wenn dann metropolitanen Kulturangebote nicht weit sind und mehr nationale und internationale Spitzenqualitäten aufweisen denn Menge, und wenn sie sich dann auch noch zu räumlichen Hotspots verdichten, anstatt sich dem raumpolitischen Proporz folgend weit über die Stadt verstreuen, und wenn auch das Loftwohnen in alten Industriegemäuern und innerstädtischen Hinterhöfen üblicher wird, dann und nur dann ist für Ruhr der Weg zu einer Metropole neuen Typs geebnet.
@ Jürgen Dressler,
natürlich gibt es hier tolle Ecken, bestreitet ja keiner, aber zu sagen, Duisburg oder Essen ist familienfreundlich ist viel zu pauschal. Kettwig, kann sein. Vogelheim, eher nicht.
Marxloh – schwierig.
Den Grund haben Sie bechrieben. Es gibt kaum eine nennenswerte soziale Mischung. Wo ist denn das Bürgertum, dass Theater unterhält, Bibliotheken oder sonstige sozial-geistige Einrichtungen, die in Köln völlig normal sind, aber im Nordrevier Ausnahme.
Man kann das, was da ist, nur gut finden, wenn man das, was sein könnte, nicht ahnt.
Ich rate jedem Sozialromantiker einmal im Leben in eine lebendige, sozial gemischte Nachbarschaft zu ziehen.
Es geht besser. Damit dies klar ist, das ist keine Heimatschelte, sondern der Aufruf, es besser zu machen. Es gibt genug Luft nach oben und keinen Grund, wegen einer Panne-Studie aus Berlin zufrieden zu werden.
@ Arnold,
wenn das hier familienfreundlich wäre, würden hier Familien hinziehen. Das tun sie aber nicht, sie hauen ab. Das ist ein Fakt. Wir haben immer weniger Kinder – gerade in den Nordstädten. Der Schwund fällt vor allem bei Familien auf, die auf der Schwelle zur Mittelschicht sind.
@David
Familien bzw. die Personen die für ihren Unterhalt sorgen müssen und wollen brauchen sichere, d.h. längerfristige und qualifizierte Arbeitsplätze. Mit prekären Bohemienverhältnissen, als working poor und oder auf Harz IV ist das nur mehr schlecht als recht hinzukriegen. Gerade solche Arbeitsplätze haben wir in Ruhr zu wenige. Davon gibt es viel mehr im Süden unserer Republik.
Familien brauchen aber auch mehr Sicherheit und vor allem gute Schulen und Kindergärten in der Nähe. Hier wird die Lage auf Grund der immer einseitigeren sozialen Mischung gerade im Norden von Ruhr immer schwieriger. Hätte es in den 80ger und 90ger Jahren in diesen Gebieten jedoch eine ernstzunehmende Integrationspolitik vor allem gegenüber den türkischen Einwanderern gegeben, gäbe es dieses Problem allerdings heute gar nicht oder zumindest erheblich eingeschränkter.
Und das mit der berühmten „sozialen Mischung“ ist auch eine dieser Mittelschichtsschimären. Gemeint ist damit eben nicht die soziokulturelle Mischung generell sondern das Zusammenleben einer bestimmten Einkommensgruppe mit einem bestimmten Bildungsgrad. Die kann dann gerne horizontal, ja dann sogar auch ethnisch gemischt sein. Mit der bildungsfernen Unterschicht, egal welchen Herkunftslandes, wie sie sich zur Zeit geradezu massenhaft ausbildet, will man jedoch nicht gerne Haus an Haus,geschweige denn Wohnung an Wohnung leben, noch schickt man gerne sein Kind in den gleichen Kindergarten oder die gleiche Grundschule.
Das alles ändert jedoch nichts an den enormen familienfreundlichen baulich-räumlichen Potentialen die auch der Norden von Ruhr bietet.