Dortmund: Die Nordstadt und die Null-Toleranz-Strategie

Dortmunder Nordstadt

CDU und SPD wollen in der Dortmunder Nordstadt aufräumen. Nicht nur der Straßenstrich wird aufgelöst. Eine Null-Toleranz-Strategie soll die Probleme des Stadtteils lösen. Wer an den Erfolg solcher Maßnahmen glaubt, ist einer Legende aufgesessen.

Die Dortmunder SPD will die Probleme der Nordstadt durch eine Null-Toleranz-Strategie lösen. Selbst kleine Ordnungswidrigkeiten, wie das Schlafen im Auto, sollen laut Der Westen erbarmungslos verfolgt werden:

Wer im Auto übernachtet, muss mit einer kostenpflichtigen Verwarnung rechnen. Wer ein Gewerbe anmeldet und ihm nachgeht, muss sich auf eine Prüfung gefasst machen. Wer duldet und daran verdient, dass seine Wohnungen hoffnungslos überbelegt sind, muss sich gefallen lassen, dass Sicherheit, Statik und Brandschutz begutachtet werden und dass die Stadt das gesamte Repertoire der Bauvorschriften aus dem Köcher zieht. Wildes Parken, ein vermüllter Fredenbaumpark – all das will die SPD jetzt konsequent bekämpft wissen.

Das klingt erst einmal gut: Der Druck auf die Problemmilieus und verantwortungslose Vermieter wird erhöht. Die werden dann, so die Idee, aus Dortmund verschwinden. Plausibel. Oder?

Der Hintergrund dieses Denkens kommt aus den USA und nennt sich  Broken-Windows-Theory. Wikipedia weiß mehr:

Die Nulltoleranzstrategie ist eine Lehnübersetzung eines Terminus („Zero Tolerance Policy“), der vom Manhattan Institute for Policy Research in den USA geprägt wurde und die rigorose Verfolgung von Rechtsverstößen bezeichnet. Grundlage dieser Strategie, die eher als Maxime bezeichnet werden muss, ist die Broken-Windows-Theorie, ihr Ziel, der Verwahrlosung und der Kriminalität in Großstädten zu begegnen. Das Verfolgen einer Nulltoleranzstrategie kann als besondere Form der Kriminalprävention aufgefasst werden. Das Prinzip des radikalen Durchgreifens kann sowohl im großen Maßstab (bundesstaatenweit oder countyweit), als auch im Kleinen, beispielsweise an Schulen oder in der Familie angewandt werden.

Rudolph Giuliani wendete sie in den 90er Jahren in seiner Zeit als Bürgermeister New Yorks an und senkte die Kriminalitätsrate. Für die Nachbarstädte, war das nicht so gut: Während New York sicherer wurde, nahm die Zahl der Straftaten in Newark zu.

Es gibt aber auch Kritiker dieser Theorie, die behaupten, dass ihr Erfolg eine Legende sei und der Rückgang der Kriminalität in New York auch noch zumindest einen weiteren Grund hatte: Die in den 70er Jahren gelockerten Abtreibungsgesetze der USA: Denn zu der Zeit, als in New York die Verbrechensrate runter ging, gab es auch viel weniger Jugendliche und junge Erwachsene in der problematischen Milieus als in den Jahren zuvor. Denn in diesen Milieus war in den 70er Jahren die Rate der Geburten durch die liberalisierten Abtreibungsregeln gesunken. Das zumindest weisen die beiden Ökonomen und Autoren Steven D. Levitt und Stephen J. Dubner in ihrem Buch Freakonomics nach. Wikipedia:

Levitt noticed that years before the 1990s, abortion was legalized. Women who were least able to raise kids (the poor, drug addicted and unstable) were able to get abortions, so the number of children being born in broken families was decreasing. Most crimes committed in New York are committed by 16- to 24-year old males; when this demographic decreased in number, the crime rate followed. At the same time, Levitt also found that the greater number of police as well an increased incarceration rate had contributed to the decline in crime. Levitt’s book is based on published scientific studies that have been subject to peer-review.

In Dortmund  werden wir also in den nächsten Monaten sehen können, wer Recht hat: Die Sozialdemokraten und ihre christdemokratischen Freunde oder Wirtschaftswissenschaftler mit einem Hang zur Statistik.

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Bert
Bert
13 Jahre zuvor

„Die Dortmunder SPD will die Probleme der Nordstadt durch eine Null-Toleranz-Strategie lösen.“

Ein Versuch ist es doch wert, denn so wie bisher, kann es ja auch nicht weitergehen !

Volker
Volker
13 Jahre zuvor

Die angebrachte Kritik an der amerikanischen Null-Toleranz (Geburtenrückgang) kann nicht ohne weiteres übertragen werden. Abgesehen von sozialwissenschaftlichen Problemen gibt es zwischen amerikanischer und deutscher Kultur gravierende Unteschiede. Aber nichts desto troz gibt es ein – ich sage mal in alter Sparache – ein Millieuproblem. Ein Straßenstrich kann sich nur etablieren und halten (!) wenn das Milleu passt. Auf Deutsch „Rotlichtviertel“. (Und die sind in Deutschland noch nie „Kinderviertel“ gewesen). In Essen hat man das Problemviertel Segerot einfach abgerissen und eine Uni draufgesetzt. In Düsseldorf patrolieren permanent „hunderte“ von Polizisten und Hilfsscheriffs auf der Charlottenstraße. Resultat: Hilft. Man muß eben die Milleubildung verhindern. Lieber ein bisschen Rotlicht überall als ein Zentrum!

Mir
Mir
13 Jahre zuvor

Die Theorie (sinkende Kriminaltiätsrate bei Abtreibung in Problemviertel) ist mehr als nur bedenklich. Die Theorie hat Fehler und ist in den USA umstritten. Es basiert auf Hhypothetische Überlegungen. Der ERfolg der Theorie liegt darin, daß die These leicht verständich ist und sich viele Intellektuelle so einfach machen. Die Autoren sind ein Ökonom und ein Journalist, keine Kriminologen oder Soziologen!
Die theoretisch nicht geborenen Jugendlichen-Kriminellen von Kriminellen Eltern begehen keine Verbrechen, so ein Unsinn.

Mehr Polizeipräsenz und härteres Durchgreifen in der Nordstadt bedeutet auch vorbeugen von Verbrechen. Es herrschen schließlich keine Verhältnisse wie in dem Film Minority Report. Da werden Menschen kurz bevor sie was verüben festgenommen.

Gerd Töpfer
Gerd Töpfer
13 Jahre zuvor

Zero Tolerance kann klappen. Aber das muss sehr früh ansetzen. Schon bei kaputten Fenstern.

Stefan
13 Jahre zuvor

@Mir: Die Theorie passt sehr gut zu Heinsohns These zu den Folgen der Youth Bulge. Gewisse Altersgruppen männlicher Jugendlicher sind nun einmal aggressiver als andere. Ist der Anteil dieser Kohorte kleiner, sinkt auch die Zahl der Gewalttaten. Und was die Schlichtheit der Theorie betrifft: Auch „Broken Windows“ ist ja nicht gerade besonders komplex – und wohl auch deshalb so beliebt. Oberhalb eines kriminellen Grundrauschens, dass es einfach gibt und zu jeder Gesellschaft gehört (0-Kriminalität ist genau so unrealistisch wie der drogenfreie Gesellschaft) kann Kriminalität durch Strafe und dem Vorgehen gegen die Ursachen bekämpft und gesenkt werden. Ideen zur Ursachenbekämpfung sehe ich in Dortmund kaum (Müsste mit Hilfe des Bundes auf EU-Ebene geschehen, aber vorschlagen könnten das die Stadt und die Dortmunder Bundestagsabgeordneten ja einmal.). Und auch der Opferschutz (Zwangsprostituierte etc.) spielt in der Diskussion keine Rolle mehr.

lebowski
13 Jahre zuvor

Ich bezweifle, dass die Broken-Windows-Theorie mit der Null-Toleranz-Philosophie gleichzusetzen ist. Der Gedanke hinter der BW-Theorie ist wohl, dass bei einer konsequenten Ahndung kleiner Verstöße große erst gar nicht mehr passieren. So soll man angeblich auch der ausufernden Kriminalität in der New Yorker U-Bahn Herr geworden sein. Obwohl da unten schwere Gewaltverbrechen an der Tagesordnung waren, hat der zuständige Leiter der Sonderkommission erstmal nur das Schwarzfahren konsequent geahndet. Jeder, der ohne Fahrkarte erwischt wurde, flog raus. Da sich aber Gewalttäter nur selten Fahrkarten kaufen, wurde dadurch auch die Schwerkriminalität gemindert.

Frau Rose
Frau Rose
13 Jahre zuvor

@ Stefan: Dein Foto ist verwirrend, dort sieht die Nordstadt recht idyllisch aus. Ist sie ja teilweise auch, aber eben nur teilweise und daher spiegelt das Foto nicht die Problematik wieder. Und wirkt eben darum verzerrend bzw. unterstützend zu Deinem Artikel. Sorry.

Frau Rose
Frau Rose
13 Jahre zuvor

Ich weiß, was Du meinst. Aber ist es denn in der Tat nur dieses kleine Stück, was gewisse Problematiken angeht? Andere Strassen sind doch auch längst abgehängt….

Ein Foto kann da bestimmt nicht die Realität ablichten. – Kann man dies überhaupt?

Frank (frontmotor)
13 Jahre zuvor

Hallo zusammen,

ich habe zu dem Thema diese Woche einen interessanten Podcast im Dradio Kultur gehört. Es geht darum, wie in Japan nach Erdbeben, Tsunamis und in der Angst vor der Radioaktivität die Einhaltung der Formen für Sitte auf den Straßen führt.

Hier der Link: https://www.dradio.de/dkultur/sendungen/politischesfeuilleton/1418982/

Besagt, dass sehr wohl von der Sichtbarkeit der Einhaltung der Regeln durch alle eine beruhigende Wirkung zurück auf Alle ausgeht. Der Fokus liegt hier aber nicht auf Null-Toleranz, sondern es gar nicht erst soweit kommen zu lassen, dass auf ein Vergehen reagiert werden müsste. Also auf der Vermeidung des ersten Vergehens, also mithin des ersten broken window.

marc
marc
13 Jahre zuvor

Das die Nordstadt dort so idyllisch aussieht, liegt daran, daß das Foto in der Düsseldorfer Strasse aufgenommen wurde. Die befindet sich in der Innenstadt-Ost bzw. im „Kaiserstrassenviertel“. In der Nordstadt gibt es aber Strassen, die ähnlich indyllisch aussehen.

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[…] Dortmund: Die Nordstadt und die Null-Toleranz-Strategie … ruhrbarone […]

Erika
Erika
13 Jahre zuvor

Was sagen denn die heiligen Götter, ähhh Polizei dazu?
😉

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[…] Die Nordstadt und die Null-Toleranz-Strategie (Ruhrbarone) – Siehe auch Streit um Dortmunder […]

Kirsten
Kirsten
13 Jahre zuvor

Ich finde die Frage viel wichtiger: Was sagen die Nordstadtbewohner dazu?
Sind sie alle wirklich bereit, bei sich selbst mit einer „Null-Toleranz-Strategie“ anzufangen?
Werden sie, wenn ihre Nachbarn Müll im Hinterhof horten, erst die Nachbarn selbst, dann den Vermieter auffordern, für eine Abstellung zu sorgen? Wird der Vermieter unverzüglich eine Abmahnung an die vermüllenden Mieter richten und bei Nichteinhaltung die Kündigung aussprechen und durchsetzen?
Genau das würde nämlich in fast jedem Miethaus in Dortmund passieren.

Ich kriege Post vom Vermieter, wenn ich den Flur nicht pünktlich putze oder mein Hund einmal zu laut gebellt hat. Meine Nachbarin hat sehr lange „Besuch“ von ihrem Freund und wurde jetzt aufgefordert, ihn als Mitmieter anzugeben, damit die Nebenkostenabrechnung, soweit sie nach Personenzahl berechnet wird, auch gerecht verteilt wird.
Ich lebe in einer solchen Null-Toleranz-Zone und finde es manchmal echt nervig. Dafür habe ich keinen Müll im Hinterhof. Alles hat zwei Seiten. Ich nehme diese Null-Toleranz-Zone zähneknirschend hin, denn ich sehe auch die Vorteile, die ich dadurch habe.

Gilt die Null-Toleranz-Ansage auch für diskriminierende Äußerungen und Taten gegenüber Roma, Huren, Drogengebrauchern und anderen Randgruppen in der Nordstadt? Werden die Huren auf der Ravensberger Straße angeleitet und unterstützt, jeden anzuzeigen, der sie beleidigt, mit Müll bewirft oder anspuckt?

Bekommt jeder ne Anzeige wegen Rufschädigung und Diskriminierung, der noch öffentlich Prostitution und Kriminalität in unbewiesene Zusammenhänge stellt?

Null-Toleranz gegenüber Verbreitung unwahrer Mythen, Gewalt, Antiziganismus, aufhetzender Rhetorik, Menschenhandel, Schutzgelderpressung und unsachlicher Hysterie?

Cool, da bin ich dabei.

Mir
Mir
13 Jahre zuvor

@ Frau Rose, #8
Ein Fotograf meinte mal: Die Fotografie erhebe den Anspruch auf Wahrhaftigkeit. Dem erwidere der amerikanische Fotograf Richard Avedon zurecht „Alle Fotografien sind genau, doch keine ist die Wahrheit“.
Ein Foto sei immer eine beschränkte Sicht auf die Welt, da bestimmter Blickwinkel, bestimmter Ausschnitt, Entscheidung des Fotografen ein Ereignis in einem bestimmten Moment abzulichten und dann noch die Entscheidung dieses bestimmte Bild der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ob das Bild mit Fotoshop bearbeitet wird oder nicht es sei immer eine beschränkte Sicht.
Hilfreich wäre, wenn jedes! Bild auf dem gesamten Blog vollständig! beschriftet wird.

Frau Rose
Frau Rose
13 Jahre zuvor

@ MIR: Schönes Zitat von Avedon und genau auf jenes zielte ich mit meiner Frage ab.

@ Stefan: Es ist m.E. schon etwas anderes, ob man ab und zu mal in die Nordstadt kommt und ggf. dann noch die etwas schöneren Ecken besucht.
Ich habe genau 1 Jahr und einen Monat am Borsigplatz verbracht (wie ich in diesem Blog schon mehrfach erwähnt habe) und ich fand es dort schon ziemlich „hart“. Hart, obwohl ich auch viele schöne Ecken per Rad oder zu Fuß erkundet habe! Will sagen, ich kenne das Gefälle, von dem Du schreibst. Ich traue mich auch überall auf die Strasse. Aber dennoch muss ich sagen, dass ich froh bin, wieder „normale“/geordnete Verhältnisse um mich herum zu haben.

Und ich habe schon in mehreren dt. Städten gewohnt, aber bisher habe ich einen Stadtteil noch nie so „abgehängt“ erlebt.

Frau Rose
Frau Rose
13 Jahre zuvor

@ Stefan: OK. Zu Offenbach vermag ich nicht so viel zu sagen, da mich außer die HfG, der Hafen und vielleicht 1-2 andere Sachen nie viel nach OF gezogen hat. Aber es ist wohl nicht falsch zu sagen, dass OF als einkommensschwächer als FFM gilt und auch mit einigen sozialen Problemen zu kämpfen hat. Aber es gibt einige Projekte, um die Viertel etwas durchzumischen. So hat man vor einigen Jahren bspw. Wohnungen für Studenten und Professoren in der östlichen Innenstadt angemietet.

Was die Nordweststadt angeht, so kann ich da deutlich mehr sagen, auch wenn ich bislang eine „Westendlerin“ war. Und in der Tat würde ich sagen, dass dort das „Klima“ rauh ist. Aber es gibt inmitten des Stadtteils das Nordwestzentrum u.a. mit den Titus Thermen. Das zieht – man mag zu Einkaufszentren stehen wie man will – auch Leute aus der ganzen Stadt an. Und angrenzende Stadteile wie die Römerstadt oder Niederursel sorgen auch noch mal für eine gewisse Durchmischung etc.

Was Du mit den Dörfern oder dem Gerede ansprichst, so dürfte man wahrscheinlich auch in kein Bergdorf mehr in Urlaub oder so fahren.
Und sowas, was bspw. in Fluterschen/ Westerwald passiert ist, finde ich ein absolutes Unding. Kann auch nicht verstehen, warum da niemand etwas gesehen oder gehört haben will like gewissen 3 Affen und nun angeblich viele vor Ort furchtbar aus dem „Wolken gefallen“ tun. Prinzipiell lenkt aber die Problematik der „Inzestdörfer“ m.E. von denen der Nordstadt und der Null-Toleranz-Strategie genauso ab, wie das andere Beispiel.
Ich glaube nämlich, dass man sich dem Gerede auch gewissermaßen entziehen kann oder einfach dazu stehen muss. Es lebt sich auch ganz gut, wenn man nicht jede Woche sein Auto wäscht, die Straße fegt oder den Rasen mäht, geschweige den bei jedem Ortsverein mitmischt.
Ob in einer Stadt weniger „geschwätzt“ wird, wage ich zudem zu bezweifeln. Aber Du hast natürlich recht, dass es auf dem Land einfacher ist, durch „anderssein“ (welcher Art auch immer) aufzufallen und manchmal das Leben nicht unbedingt einfach macht. Aber wie gesagt, lenken diese Beispiele von der Problematik der Nordstadt ab…und da habe ich mich an anderer Stelle hier schon ausführlich zu geäußert…

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