Unser Gastautor Klaus R. Kunzmann, emeritierter Professor der TU Dortmund und seit seiner Gründung bis 1993 Leiter des dortigen Instituts für Raumplanung , verfasste einen Beitrag für das kürzlich erschienene Buch „Dortmund bauen: Masterplan für eine Stadt“. Sein Text wurde ohne Begründung nicht veröffentlicht. Das holen wir gerne nach.
Strategien und Perspektiven der Dortmunder Stadtentwicklungspolitik im 21.Jahrhundert
Jeden Montagmorgen berichtet die von der Regierung in Beijing herausgegebene und kontrollierte englischsprachige Tageszeitung China Daily regelmäßig über die Ergebnisse der deutschen Fußball Bundesliga. Die Redakteure der Zeitung wissen, dass der Präsident des mächtigen Landes ein begeisterter Fußballfan ist. Die Erfolge von Borussia Dortmund werden immer aufmerksam verfolgt. Doch außer den Berichten über Fußballergebnisse ist Dortmund keine Stadt, die in China besondere Bedeutung erlangt hat. Während die Stadt, von innen betrachtet, sehr große Lebensqualität hat, kann sie von außen gesehen nicht mit anderen Städten mithalten. Das ist nicht besonders fair und es entspricht auch nicht der Realität, aber es spiegelt wider, dass die Stadt, von außen betrachtet, neben Fußball und einem Fußballmuseum neugierigen Besuchern nicht viel anzubieten hat.
Dortmund ist kein Ort, an dem internationale Schriftsteller Inspiration suchen oder Halt machen. Die Stadt ist nicht Handlungsort großer Romane. Das wäre sicher anders, wenn Mark Twain nicht über Heidelberg, sondern über Dortmund geschrieben hätte. Tröstlich vielleicht, dass es auch bei Thomas Bernhard, der Orte gern wüst beschimpfte, nicht als öder Ort auftaucht: Dortmund war ihm jedenfalls keine Zeile wert. Dortmunder Stadtkulissen sind auch für Filmemacher kein Anreiz, es sei denn für Tatortfilme, die zwar in China gezeigt werden, die aber kein Marketing für Dortmund machen.
Eine Stadt wird von außen durch Bilder wahrgenommen, selbst wenn die Zeiten von Postkarten vorbei sind. Dortmund hat nur wenige Postkarten-Bilder anzubieten, die Botschaften nach außen in die Medien tragen, die von Investoren und Führungspersönlichkeiten auch außerhalb der Stadt betrachtet werden. Vielleicht sind es Bilder des Dortmunder Fußballstadions und des Dortmunder U und zuletzt auch Bilder des anstelle eines Stahlwerkes entstandenen Phoenixsee-Quartiers. Als die Internationale Bauausstellung neue Bilder vom Ruhrgebiet in die Welt geliefert hat war Dortmund sehr zurückhaltend. Die neuen altindustriellen Ikonen des Ruhrgebiets, die die Internationale Bauausstellung vor 20 Jahren vor dem Abriss und kommerzieller Verwertung gerettet hat, stehen seitdem in Bochum, Essen und Duisburg. Das Stahlwerk von Hoesch, das später von Thyssen-Krupp übernommen wurde, steht inzwischen in Zhangjiagang in China nicht weit von Shanghai. Dort sieht es genauso aus wie früher, als es noch in Hörde stand. Das Dortmunder U, ein imposanter Bau der Dortmunder Unions-Brauerei, der zu Beginn des 21. Jahrhunderts in ein Kulturzentrum umgewandelt und in das das Ostwall-Museum umgesiedelt wurde, deutet noch darauf hin, dass Dortmund einmal die Bierstadt Deutschlands war. Doch die sechs Dortmunder Brauereien fanden sich nicht zusammen, um als globales Aushängeschild der Stadt in die Ferne zu wirken
Es hätte durchaus Chancen gegeben, mehr Bilder in die Welt zu senden. Als Mitte der 70er Jahre ein geeigneter Standort für die neue Universität gesucht wurde, baute man die Universität an den Südrand der Stadt, weil die zuständigen Universitätsgründer-Innen in Düsseldorf und Dortmund idyllische amerikanische Campus-Universitäten vor Augen hatten und im Stadtzentrum kurzfristig keine Flächen zur Verfügung standen. Es dauerte lange bis Dortmunder TaxifahrerInnen wirklich wussten, wie sie Fahrgäste zur Universität bringen konnten. Das ist natürlich heute nicht mehr der Fall, aber ein richtiges Studentenmilieu hat sich am grünen Rand der Stadt nie entwickeln können. Der Tradition der Region folgend ist die Universität ein Ort der Arbeit, keine Lebenswelt. Wie anders wäre es gewesen, wenn es damals eine Chance gegeben hätte, die Hoeschwerke auf dem Union-Gelände zu einem innerstädtischen Campus in alten Industriebauten zu wandeln, so wie es in Belval in Luxemburg geschehen ist. Dies hätte frühe Signale nach außen ausgesandt, wie aus alten Industrien neue Wissensindustrien entstehen können, nicht nur Flächen für Logistik. Dies hätte auch der Dortmunder Innenstadt-Konsummeile neue Vitalität und mehr Urbanität eingehaucht. Aber vielleicht ändert sich dies, wenn, wie geplant, neue Studentenwohnungen in der Innenstadt gebaut werden.
Die Nordstadt ist seit einem halben Jahrhundert das Sorgenkind der Stadtentwicklung. Daran konnten auch die Bemühungen der neu gegründeten und inzwischen international sehr bekannten Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nichts ändern, die den Bezirk als Laboratorium für partizipative Stadtentwicklung entdeckt und mit innovativen Projekten unterstützt hat. Manche dieser Projekte ( Planerladen, Grünbau, Künstlerhaus) haben auch außerhalb der Stadt Aufmerksamkeit gefunden. Das engagierte Projekt „nordwärts“, das an diese ersten Bemühungen und Erfahrungen anknüpft, wurde 2017 als einzige deutsche Stadt mit dem internationalen European Public Sector Award (EPSA) ausgezeichnet. Die Zukunft wird zeigen, ob es gelingt die dortigen sozialen Herausforderungen auch wirklich zu bewältigen.
Der Technologiepark in Dortmund-Dorstfeld ist eines der wenigen gelungenen städtebaulichen Ensembles in Dortmund, aber in seiner pragmatischen und wohltuenden Bescheidenheit wirkt auch er nicht über die Stadtgrenzen hinaus. Nur wenige architektonisch bemerkenswerte Bauten ragen aus der Mittelmäßigkeit der Stadtlandschaft heraus und verdienen überörtliche Beachtung, wie zum Beispiel die Stadt-und Landesbibliothek von Mario Botta, das Harenberg-Hochhaus am Bahnhof oder die Glashalle der Firma WILO AG des Dortmunder Architekten Eckhard Gerber oder auch das Iduna Park-Westfalen-Stadion, Elitestadion der UEFA von Dortmunder Architekten und Ingenieuren.
Aus sozialer Verpflichtung gegenüber der Arbeiterklasse hat das Ruhrgebiet über Jahrzehnte hinweg die Wohnwünsche der Mittelklasse, ohne die der wirtschaftliche Wandel der Region nicht gelingen kann, sehr vernachlässigt. Wer es sich leisten konnte und längeren Pendlerwege in Kauf nehmen wollte, zog in das südliche Münsterland oder das nördliche Sauerland. Mit dem PHOENIX See Projekt im Dortmunder Süden ist inzwischen ein neues Stadtquartier entstanden, das auch überregionale Aufmerksamkeit findet. Die Entscheidung, Teile des Geländes des nach China verkauften Stahlwerkes in einen See zu verwandeln, privates Wohnen rund um den See zu entwickeln, und das Seeufer anspruchsvoll zu gestalten, war für Dortmund ungewöhnlich mutig. Die Architektur und städtebauliche Gestaltung des Stadtquartiers sind nicht außergewöhnlich, aber das Projekt zeigt Wege auf, wie das Ruhrgebiet diese für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung der Region unentbehrliche Mittelklasse an die Region binden kann.
Vielleicht muss Dortmund aus anderer, nicht aus baubezogener Perspektive betrachtet werden. Bauen ist nur eine Dimension der Stadtentwicklungspolitik. Unbestritten ist die Lebensqualität der Menschen in Dortmund vergleichsweise sehr hoch, vielleicht gerade, weil die Stadt weder allein noch in Kooperation mit den anderen Städten im Ruhrgebiet einen Metropolenanspruch hat. Die Lebenshaltungskosten sind niedriger, auch Wohnungen und Immobilien und Wohnungen. Eine breite Auswahl von Krankenhäusern ist am Ort. Das Freizeitangebot ist abwechslungsreich. Das lokale und regionale Kulturangebot ist vielfältig. Von Dortmund aus sind nationale und internationale Metropolen (Köln und Düsseldorf, oder Frankfurt, Hamburg oder Berlin, aber auch Amsterdam, Brüssel und schließlich auch London und Paris) ohne Flugzeug sehr gut erreichbar.
Als Stadt, die den Strukturwandel vergleichsweise erfolgreich bewältig hat, ist die Stadt im Gegensatz zu Pittsburgh, Turin, Lyon oder Kattowitz international kaum bekannt. Dortmund überrascht: Eine Stadt, Viele Stärken ist der Titel einer Broschüre, die die Stärken der Stadt treffend benennt, aber aus vielen Gründen dringt diese Nachricht nur selten in internationale Medien vielleicht weil diese Broschüre nur in Dortmund verteilt wird., vielleicht auch, weil es in Dortmund nur wenige ausländische Konsulate gibt. Die Tatsache, dass Dortmund soziale Verantwortung für seine Bürger immer sehr ernst genommen hat, ist leider kein Faktor, der internationale Aufmerksamkeit findet. Es bleibt noch viel zu tun. Im 21. Jahrhundert, in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung, muss eine Stadt sich vor allem auch international und digital profilieren, wenn sie ihren Bürgern und Unternehmen eine zukunftsorientierte Perspektive aufzeigen will. Eine solche integrierte und von Stadt, lokalen Unternehmen und Hochschule gemeinsam formulierte, vor allem aber auf internationale Dimensionen ausgerichtete Stadtentwicklungspolitik ist erst noch zu erarbeiten. Sie sollte Visionen erarbeiten, die nicht, wie so oft in der Vergangenheit, zeitgeistigen Moden folgen, sondern Mut zur Eigenständigkeit dokumentieren.
Endlich mal ein Artikel, der wohltuend im Gegensatz zur üblichen Schwarzmalerei des Ruhrgebietes und v.a. Dortmunds auf diesen Seiten steht. Diese hier so oft übliche Schwarzmalerei hat das Ruhrgebiet nicht verdient. Jedenfalls von Ostwestfalen aus betrachtet.
Klaus Kunzmann bei der Ruhrbaronen. Wer hätte das gedacht. Willkommen!
Nur kurz. Natürlich gab es auch Autoren von Weltruhm, die sich hier inspirieren ließen.
https://www.freitag.de/autoren/norbert-w-schlinkert/samuel-beckett-in-der-dortmunder-nordstadt
Bekanntheit?
Sind Pittsburgh, Turin, Lyon oder Kattowitz international bekannt? OK in Turin waren Winterspiele. In Dortmund war ein Fußball WM Halbfinale.
Was ist mit den vielen Millionenstädte der aufstrebenden Industrienationen, die keiner kennt? Insbesondere die chinesischen Millionenstädte?
Ist Düsseldorf eine Metropole? Auf dem Flughafen wird die Meisterschale der 2. BL ausgestellt :-).
Das Dortmunder U wurde zumindest auf der Weltausstellung in Shanghai 2010 im Deutschland-Pavillon präsentiert.
In der Übersicht vermisse ich die große Umgestaltung der Innenstadt in den 80er Jahren (?) mit Fußgängerzonen, Rathaus, Hansaplatz …
Aktuell sehe ich großes Potenzial im Bereich des Spundwand-Geländes. Mal sehen, was passiert.
Insgesamt passt die Einschätzung. Mit 600.000 Einwohnern sind wir nicht der Nabel der Welt, sondern eher eine kleinere Stadt am Hellweg. Warum sollte uns die Nicht-Fußball-Welt kennen?
Die Bibliotheksmitarbeiter*innen, die andauernd unter der Geräuschkulisse von zwei Rolltreppen arbeiten müssen, haben sicherlich andere Vorstellungen von gelungener Architektur als der Verfasser.
"architektonisch bemerkenswerte Bauten" – Westfalenstadion??? Dieser aus mehreren Epochen zusammengeklumpte Betonhaufen, der nur das Ziel der Besucherzahlen-Maximierung hatte? Er ist – groß, ja, aber das war's auch schon. Allein die Akustik ist ein mittelschweres Verbrechen an der menschlichen Ohren-Gesundheit, die nix mit "Architektur" im eigentlichen Sinne zu tun hat.
Ansonsten liest sich Kunzmanns Beitrag eher wie der kürzlich wieder ausgegrabene städtische Werbefilm über Dortmund aus den 60ern (https://www.youtube.com/watch?v=chQnMxLnlO4) – halt 50 Jahre später geschrieben, aber ebenso ohne Hoffnung auf einen Ausbruch aus der Provinz, da sich die SPD-Herzkammer weiterhin so dröge in ewigem Stahlbeton präsentiert wie deren bekanntes Aushängeschild.
Womit Kunzmann dann allerdings recht hat, sind die auch im damaligen Film schon stark betonten sozialen Komponenten des Lebens in Dortmund. Mehr war und ist aus der im Krieg zerstörten und durch stadtplanerische Gewaltverbrechen danach völlig verunstalteten, typischen Autostadt leider nicht mehr rauszuholen – außer man verschüttet zweistellige Millionensummen an Fördergeld für Infrastrukturmaßnahmen – wie grad großflächig geschehen – in Flüsterasphalt für Tempo-30-Zonen, weil man sonst nix Besseres damit anzufangen wusste:(( Ich liiieeebe Stadtplaner…
@ke In Kattowitz fand 1976 die Eishockey-WM statt, bei der Polen die Russen schlug. Ein Sieg, der damals eigentlich nur dem CSSR-Team zustand. Der Sieg, so sehr er auch die Eishockeywelt jenseits der NHL elektrisierte, nutzte den Polen aber nix, weil ein hessischer Landsmann von mir, der Bad Nauheimer Rainer Phillip im entscheidenden Spiel um den Klassenerhalt 26 Sekunden vor Schluss mit seinem Tor zum 2:1 gegen den UdSSR-Bezwinger Polen das DEB-Team vor dem Abstieg rettete. Das bis zu diesem Tor gültige 1:1 hätte den Polen zum Verbleiben in der A-Gruppe gereicht.
In Dortmund wurde früher auch höherklassig Eishockey gespielt und die Handballer vom TUS Dortmund- Wellinghofen spielten gar viele Jahre erstklassig. Die Gummersbacher feierten ihre großen Erfolge in der Westfalenhalle und in dieser Halle fanden zwei Handball WM-Endspiele statt, 61 und 82.
Als 82 die Jugos sieben Minuten vor Schluss mit 2 Toren gegen den großen Favoriten SU führten, standen die Zuschauer wie ein Mann hinter den Jugos. Ich saß in der ersten Reihe, direkt hinter den Mannschaftsbänken, das Trampeln vieler Zuschauer auf den oberen Rängen wurde von mir dort unten durchaus als beunruhigend empfunden.
Und groß geboxt wurde auch in der Halle, Bubi Scholz bspw holte oder verteidigte um Ostern 64 gegen einen unfair boxenden Italiener den EM-Titel.
Dortmund war also zumindest sportlich lange Jahre nicht nur im Fußball ein Markenname.
[…] des Leiter des Instituts für Raumplanung an der TU-Dortmund, der Lesern dieses Blogs auch durch mehrer Gastbeiträge bekannt ist. Dock Kunzmann antwortete wenig […]