Envio – der Name steht seit einem Jahr für einen der größten Umweltskandale der vergangenen Jahre. Das Unternehmen, geführt von Dr. Dirk Neupert, hat über 300 Mitarbeiter mit PCB vergiftet. Mit hoher krimineller Energie wurden von den Verantwortlichen bei Envio jahrelang die Arbeiter vorsätzlich dem weltweit geächteten Gift PCB ausgesetzt. Profitgier ging für Dr. Neupert offenbar über den Schutz der Menschen. Ein Gastkommentar von Ulrike Märkel.
Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat gegen Neupert in 51 Fällen Anklage wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen eines besonders schweren Fall einer Umweltstraftat erhoben.
Die Folgen für die Arbeiter mit bis zu 25.000fach erhöhten PCB-Werten sehen wir nicht als einfache sondern als schwere Körperverletzung an: 272 Menschen haben Diagnosen wie Schilddrüsendefekte, Störungen der Motorik, schlechte Hormonwerte, psychische Probleme, schlechte Leberwerte, Hautveränderungen und Nervenleiden bekommen. Alles typische Folgen einer PCB-Vergiftung.
Ein fatales Signal gab es im letzten Umweltausschuss am 05.10.2011: Der Sachstandsbericht Envio wurde mit den Stimmen von SPD, CDU und FDP an das Ende der Tagesordnung bugsiert. Die Parteien sahen Envio nicht mehr als „Angelegenheit von besonderer Bedeutung“ an: Ein Schlag in’s Gesicht der Arbeiter, der Bürgerinitiative, der Menschen in der Nordstadt und aller die sich seit eineinhalb Jahren um die Aufklärung des Skandals bemühen.
Der schockierende Sachstandsbericht von Prof.Kraus/RWTH Aachen im Umweltausschuss über die signifikant auftretenden Krankheiten bei den Arbeiter liegt gerade mal vier Wochen zurück.
Schlimm daher, dass ein betroffener Arbeiter sich dieses traurige Szenario von der Zuschauertribüne aus ansehen musste. Sein Unmutsäußerungen über das Herabsetzen der Bedeutung des Themas Envio waren deutlich zu hören und zutiefst verständlich. Für ihn wird die PCB-Vergiftung lebenslang von Bedeutung sein.
Das Argument der CDU „Es gibt nichts Neues zu berichten“ ist falsch: Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht neue Details des Skandals herauskommen. Erst gestern kam es zu einem Feuerwehreinsatz auf dem Enviogelände, weil 19-fach überhöhte PCB-Wert auf dem Außengelände gemessen wurde.
Ein anerkannter PCB-Experte hatte bei dem 1.Sanierungsfachgespräch der Stadt Dortmund nachdrücklich auf die Defizite bei der Sicherung des Geländes und des Sanierungskonzeptes hingewiesen. Auf diese Hinweise wurde nicht näher eingegangen.
Vielmehr schreibt die Bezirksregierung in ihrer Pressemitteilung vom 07.10.2011: „Die Bezirkregierung Arnsberg wird weiter die zügige Umsetzung des von ihr initiierten Strategiekonzeptes zur Sanierung des Envio-Geländes verfolgen.“ Die Strategie ist offensichtlich weiterhin möglichst viel falsch zu machen.
Die Chronik der Versäumnisse der Behörden muss dringend mit allen Konsequenzen aufgearbeitet werden, damit sich ein solcher Skandal nicht wiederholen kann.
2006/2007 wurden erste erhöhte PCB-Wert gemessen. Die Behörden äußerten sich so: „Die Quelle scheint im Bereich des Hafens zu liegen.“ Envio liegt im Hafen.
2008 wurde den Schrebergärtnern empfohlen, wegen der nun schon deutlich erhöhten PCB-Werte ihr Gemüse nicht mehr zu essen. Von den Schrebergärten aus blickt man auf die Hallen der Firma Envio.
Im Januar 2010 wurde von den GRÜNEN eine Anfrage an gestellt, die mit einer Frage explizit auf Envio hinwies. Mehrere Arbeiter hatten sich wegen der Missstände bei Envio an die GRÜNEN im Rat gewendet.
Dennoch: Das LANUV und die Bezirksregierung haben seit dem ersten Messwert 2006/2007 drei Jahre gebraucht um den einzigen im großen Stil PCB-verarbeitenden Betrieb als Verursacher herauszufinden und den Betrieb stillzulegen. In diesen drei Jahren konnte Envio ungehindert Straftaten nachgehen.
Umso gravierender das Zeichen, dass von SPD und CDU gesetzt wurde: Die vollständige Aufklärung des Skandals und die Beobachtung der Sanierungsforschritte ist nicht mehr gewünscht. Dass der zuständige Hauptdezernent der Bezirksregierung Arnsberg es schon gar nicht mehr für nötig hielt, im Umweltausschuss zu berichten, zeigt, dass die Koalition aus CDU und SPD und die Bezirksregierung sich in einer Sache einig zu sein scheinen: Das Thema Envio nun zu entsorgen.
Ulrike Märkel (Die Grünen) ist Mitglied im Rat der Stadt Dortmund
Ja, Ulrike Märkel, leider,leider erneut ein Anlaß, die Glaubwürdigkeit von Behörden und verantwortlichen Politiker kritisch zu hinterfragen. Das kann ganz grundsätzlich damit zu tun haben, daß sich CDU u.SPD im Land und in den Kkommunen mit wachsendem Eifer in einem Wettbewerb um die Position der industriefreundlichsten Partei in NRW befinden. Und dazu paßt eben ein kritischer Umgang mit dem Fehlverhalten einzelner Unternehme nicht, auch dann nicht, wenn geltendes Recht, vor allem das dem Gesundheitsschutz der Menschen dienende, behördliche-politisches Handeln „an sich“ zwingend gebieten würde. „Man“ sanktioniert nicht,“man“ versucht vielmehr rechtswidrige Zstände im nachhinein “ zu heilen“ und wenn das nicht gelingt, tut „man“ zumindest alles, unternehmerisches Fehlverhalten und unzureichendes behördliches Handeln schnellstens dem Vergessen anheim zu stellen.Ich habe auf allen mir möglichen Wegen versucht, den behördlichen Umgang mit Envino zu problematisieren;ohne Resonnanz. Das behördliche Verhalten, vor allem der Bez.Regierung Arnsberg, einhergehend mit dem, vorsichtig formuliert, seinerzeit sehr unternehmensfreundlichen Verhalten der Genehmigungs- , Prüf- und Kontrollbehörden in den ersten Gen.- Verfahren zum E.on-Kohlekraftwerk Datteln IV, waren für mich über den Einzelfall hinaus Anlaß, zu fragen, ob in NRW „nicht etwas schief läuft“, wenn es um die selbstverständliche, ja simple Pflicht der Behörden geht, ohne Wenn und Aber, und ggfls.auch ohne Rücksicht auf den vordergründig gebotenen Erhalt von Arbeitsplätze, ihr Handeln, ihre Unterlassen ausschließlich am geltenden Recht und bei Abwägung zwischen unterschiedlichen Interessenslagen vorrangig am Schutz der Gesundheit der Menschen auszurichten.Ich habe u.a. in einem Leserbrief -erschienen in den regionalen Zeitungen des Bauer-Verlages Marl am 28.7.2010 dazu geschrieben; „Vertrauen und Glaubwürdigkeit gegenüber Behörden als einem wichtigen Bestandteil unseres System? Envino, ein Dotmunder Entsorgunsunternehmen -schuldhaft rechtswidriger Umgang mit PCB-haltigen Stoffen;ein Umweltskandal! Skandalös daran ist zunächst, dass Menschen, die in dem Unternehmen gearbeitet haben, in erheblichem Umfang in ihrer Gesundheit geschädigt worden sind. Skandalös ist aber auch, dass die Bezirksregierung in Arnsberg erst im Mai 2010, nachdem in der Öffentlichkeit tagtäglich über neue Befunde in und aus dem Unternehmen diskutiert wurde, den Betrieb von Envino in Dortmund stillgelegt hat. Obwohl der Bezirksregierung Arnsberg über Jahre bekannt war, dass PCB-haltiges Material nicht ordnungsgemäßt gelagert wurde, dass Betriebsstätten ohne Genehmigung umfunktioniert wurden, ist sie nicht mit dem notwendigen Nachdurck und letztlich eben nicht erfolgreich diesen Mißständen begegnet, indem die Bezirksregierung sie stillegt, sondern mit dem behördlichen Hinweis, diese Anlagen seien nachträglich genehmigungsfähig und deshalb nicht stillzulegen, da das Unternehmen beabsichtige, die dazu notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, was nie geschehen ist. Vertrauen gegenüer Behörden, hier gegenüber einer Bezirksregierung?“ Ich habe leider keinen Anlaß, das, was ich im Juni 2010 geschrieben habe, zu revidieren. Vielleicht ist der Envino-Skandal – weitere vergleichbare lassen sich benennen-auch für die Grünen Anlaß, kritischer als bisher zu sein, wenn es CDU/FDP/SPD darum geht, rechtswidrige Zustände im nachhinein „zu heilen“, weil die beteiligten Behörden und Politiker alles andere „als industriefeindlich“ diffamieren -sh. die Beschlüsse des RVR in Sachen E.on Kohlekraftwerk Datteln IV- Da ich selbst ‚mal „Chef einer Behörde war“, fehlt mir jedes Verständnis dafür, wenn die Behörden nicht mit aller Konsequenz geltendem Recht entsprechend handeln und ggfls. dann, wenn es um den Schutz der Gesundheit der Menschen geht, handeln „ohne Rücksicht auf Verluste“! Politiker, die einschlägige Skandale zu entsorgen versuchen, geben damit den Behörden für die Zukunft einen „Persilschein“ für weiteres (rechts-)fehlerhaftes Tun oder Unterlassen.