Eine erfolgreiche Blockade an der Katharinentreppe und eine geringe Teilnehmerzahl sorgten dafür, dass die Kundgebung der Nazis zum zweiten Jahrestag des Verbotes der Kameradschaft Nationaler Widerstand Dortmund (NWDO) zu einer armseligen Veranstaltung geriet. Doch wieder gab es strategische und taktische Fehler der Polizeiführung.
Gestern Nachmittag gegen 15.00 Uhr schien es ein guter Tag für Dortmund zu werden: Das Anti-Nazi Bündnis Blockado hatte die Katharinentreppe friedlich besetzt, gegenüber dem Hauptbahnhof demonstrierten Teilnehmer des Christopher Street Days bunt und laut gegen die Nazis. Die standen zu dieser Zeit auf der Kampstraße, weit entfernt von allen Gegendemonstranten. Ein paar BVB-Fans kickten in sicherer Entfernung von ihnen, die Polizei hatte eine lockere Kette gebildet. Alles sah nach einem entspannten Nachmittag aus. Hätten die Nazis ihre Kundgebung auf der Kampstraße abgehalten – ihr ursprünglicher Zielort war ohnehin nicht erreichbar – wäre es ein ruhiger und etwas verregneter Nachmittag geworden.
Aber es kam anders. Obwohl die Polizei mit, gemessen an der Situation, deutlich zu geringen Kräften vor Ort war, marschierte die lockere Polizeikette die Kampstraße hinunter, gefolgt von den Nazis, die sich im rechten Teil der Straße an den Hauswänden nach vorne drängelten – wo mittlerweile zahlreiche Nazigegner standen. Die Eskalation der Ereignisse nahm ihren Lauf: Die dünne Polizeikette überdehnte sich und wurde löchrig, einzelne Neonazis rannten auf die Nazi-Gegner zu, was die Polizei nicht verhindern konnte – sie hatte nicht genug Kräfte vor Ort. Alle Seiten wurden durch diesen taktischen Fehler so überrascht, dass sie längere Zeit brauchten, um die Situation zu begreifen, die sich da gerade ergeben hatte. Dass die Polizei die beiden Gruppen wieder trennen konnte bevor die Lage schon hier eskaliert, war pures Glück.
Auch während der Nazi-Kundgebung auf dem Petrikirchhof hatte die Polizei Mühe, die verfeindeten Gruppe zu trennen und einen vernünftigen Abstand herzustellen – wieder rächte sich, dass zu wenige Beamte vor Ort waren. Die Einsatzkräfte die dort waren, wurden so einem unnötigen Risiko ausgesetzt und waren währen der gesamten Kundgebung überfordert.
Vollends eskalierte die Lage beim Abmarsch der Nazis, der wieder über die Kampstraße erfolgte, auf der sich kurz vor 17.00 Uhr hunderte Gegendemonstranten eingefunden hatten. Die wenigen Polizeikräfte hatten die Lage nun nicht mehr im Griff: Nazis warfen Flaschen auf die Gegendemonstranten, die warfen Flaschen zurück. 13 Polizeibeamte wurden von Linke verletzt, Nazis griffen Pressevertreter an, Polizeibeamte wurden von Rechtsradikalen mit Pfefferspray angegriffen, Polizisten wurden gegenüber Pressevertreter handgreiflich. Es waren chaotische Szenen. Chaotisch war die Lage dann auch am besetzten Haus in der Nordstadt. Polizei und Nazis erreichten das Haus gleichzeitig und wurden von den Besetzern mit Steinen beworfen. Das dort nicht bereits im Vorfeld Polizeikräfte standen, um ein Zusammentreffen ebenso zu verhindern wie militante Aktionen der Besetzer, ist unbegreiflich.
Es geht in Dortmund das Gerücht um, Teile der Polizei würden gegen Polizeipräsident Gregor Lange arbeiten und wünschten sich die Zeiten von Polizeipräsident Hans Schulze, der im Gegensatz zu seinem Nachfolger Norbert Wesseler jeden Protest gegen Nazis unterband. Das Lange den Kurs seines Vorgängers Wesseler fortsetzen will, der Protest gegen Nazis in Dortmund in Sicht- und Hörweite zuließ, ist ebenso bekannt, wie die Zweifel vieler leitender Beamter an dieser Strategie.
Und um diese Strategie zu torpedieren, sagen die Gerüchte, würden nun die eigenen Führungskräfte Lange auflaufen lassen.
Man muss kein Freund von Verschwörungstheorien sein, um diese Gerüchte glaubwürdig zu finden. Denn seit Lange in Dortmund Polizeipräsident ist, häufen sich die Fehler der Polizei. Wesseler war offensichtlich in der Lage, seinen Kurs durchzusetzen und seine Beamten dazu zu bringen, ihm zu folgen. Lange ist das nicht. Die Dortmunder Polizei und ihre Führung lässt keine Gelegenheit zu versagen verstreichen – und jedes Versagen geht auf Kosten von Lange, der am Ende natürlich die Verantwortung trägt:
- Am 1. Mai ließ die Polizei zu, dass Nazis am Rande während einer Demonstration Beamte angriffen und Anwohner beschimpften und bedrohten. Als auf einer Zwischenkundgebung die Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ mehrfach gerufen wurde, schritt sie nicht ein. Einen Tag zuvor reichte das Rufen dieser Parole noch aus, um eine Nazikundgebung aufzulösen. Nazis versorgten sich während der Demonstration an Kiosken mit Bier. Langes konnte sein Versprechen, den Nazis keinen Millimeter mehr zu gewähren, als rechtlich unbedingt nötig sei, nicht halten.
- Am 25. Mai stürmten Neonazis das Rathaus. Der Staatsschutz hatte sich im Vorfeld auf Aussagen von Nazis verlassen, dass diese so etwas nicht vorhätten. Sollte es so etwas wie eine Risikoeinschätzung von Seiten der Polizei gegeben haben, war sie miserabel. Acht schnell herbeigerufene Beamte mussten das Rathaus und demokratische Politiker vor den Nazis verteidigen, bis weitere Kräfte eintrafen. Der Abend sorgte für kontroverse Debatten.
- Als am 12. Juli in Dortmund über 2000 Islamisten gemeinsam mit stadtbekannten Neonazis gegen Israel demonstrierten, hatte die Polizei die Lage im Vorfeld wieder falsch eingeschätzt. Zu Beginn der Demonstration waren nur wenige Polizeibeamte vor Ort. Wieder musste hektisch Verstärkung angefordert werden, die erst nach über einer Stunde eintraf. Es war pures Glück, das nichts geschah: Den mit Hassparolen durch die Dortmunder Innenstadt ziehendes Demonstranten bot sich kein Angriffsziel. Pro Israelische Demonstranten waren nicht zu sehen, jüdische oder als jüdisch geltende Einrichtungen lagen nicht auf ihrer Wegstrecke. Die Polizei wäre im Fall von Angriffen machtlos gewesen.
- In der vergangenen Woche hat Polizeipräsident Gregor Lange in einem Brief an Mitglieder des Dortmunder Rates den Eindruck erweckt, es gäbe eine Absprache mit den Medien zurückhaltend zu berichten. Später ruderte die Polizei zurück und stellte klar, dass es eine solche Absprache nicht gab. Lange hatte sich erneut blamiert.
- Gestern war die Polizei mit deutlich zu geringen Kräften vor Ort. Eine Trennung der verfeindeten Lager war kaum möglich. Dass das zulassen von Protesten auf Hör- und Sichtweite nicht bedeutet, die Kontrahenten auf zwei Meter aneinander herankommen zu lassen, hatte Wesseler bewiesen.
Unter Lange kann Einsatzleiter Keil nun gegenüber der WAZ erklären:
Es war eine bewusste Entscheidung, den Gegenprotest auf Ruf- und Hörweite an die Rechtsextremisten herankommen zu lassen“, erklärte Keil. Leider habe es wieder etliche Gewaltbereite gegeben, die dieses Konzept ausgenutzt hätten, um Straftaten zu begehen, hieß es weiter.
Auch gestern wieder hat die Einsatzleitung der Dortmunder Polizei eine miserable Leistung gezeigt: Zu wenige Beamte in den Innenstadt und in der Nordstadt. Mindestens eine, eher zwei weitere Hundertschaften, wären nötig gewesen. In Dortmund hat die Polizei über Jahre hinweg bewiesen, dass sie Risiken realistisch einschätzen kann.
Entweder will sie diese nun nicht mehr korrekt einschätzen oder sie hat er verlernt.
Auf einmal ist eine Taktik politisch und strategisch falsch, die bei Langes Vorgänger Wesseler noch aufging. Das wirft Fragen auf, die Polizeipräsident Gregor Lange und Innenminister Ralf Jäger beantworten müssen.
Mehr zu dem Thema:
Ein Kessel Buntes, Liveticker zu den Demonstrationen in Dortmund
Fotos Ruhrbarone:
In den letzten Monaten kommt bei mir der Eindruck auf, dass die Polizei in vielen Bereichen, wo immer viel Tamtam mit szenekundigen Beamten etc. gemacht wurde, scheinbar komplett überfordert ist. Auch der Staatsschutz hat ja eine gewisse Personalstärke.
Das fängt an mit Fußballfans, die sich beim Revier-Derby nicht an die abgestimmte Anreiseroute halten, geht über die Wahlnacht bis zur Demo in der Nordstadt.
Was ist dort los? Hier sollten doch Kenntnisse vorliegen. Ist keine Motivation da, fehlt es an Ausbildung?
Weiterhin fehlen mir Berichte über Ermittlungen bzgl. der Täter (Steine aus einem Haus, Täter im abgesperrten Bereich des Stadion, Täter vor den Polizisten in einer Demo).
Selbst bei der Wahlnacht gab es ja wochenlange Auswertungen.
Warum dauert das alles so lange?
Wenn nicht zeitnah auf Verstöße reagiert wird, kann man es sich schenken. Laissez-faire und evtl. Videonachbereitung kann bei Personenschäden doch keine Strategie sein.
Dass die Polizei ein Problem hat, sieht man an den Statistiken. Das gilt auch landesweit. Hier ist die Frage, ob Herr Jäger auch in der Lage ist, ausser viel Show, Resultate zu erzielen. Die Statistiken sind eindeutig.
Wenn immer wieder über das Personal geredet wird, frage ich mich, warum wieder so viel Aufwand für die Show-Veranstaltung Raser-Marathon verwendet wird. Ebenso finden sich immer wieder Polizisten, die an Feiertagen in Gruppenstärke ihre Laser-Messgeräte auf Ausfallstrassen mit niedriger Höchstgeschwindigkeit aufbauen. Personal ist wohl da, aber vermutlich falsch eingesetzt.
Ich habe auch eher die Erfahrung gemacht, dass sich die Polizei auf das Verwalten konzentriert. Bei so vielen relativ dummen Dieben und Einbrechern, die oft auch bekannt sind, ist eine so niedrige Aufklärungsrate indiskutabel.
Ich glaube, dass sich der normale Polizist seinen Job auch anders vorgestellt hat.
Jahrelang wird in Dortmund rumgeheult, zu recht, das die Polizei immer ganze Stadtteile absperrt und keinen Protest in dierekter nähe zu den Nazis zuläßt. Nun wird in Dortmund endlich das geschafft wofür antifa-gruppen und andere initiativen seid jahren arbeiten, nähmlich effektiv blockiert und die nazis in die ecke gedrängt, da wird rumgemosert, das die polizei auch verkehrt gehandelt habe. Das verstehe ich nicht, sicher die polizei dortmund hat, grade in der vergangenheit, fehler begangen die einzigartig waren, der neue pp tut sich auch schwer, aber was hätte den gestern besser laufen sollen? Auch durch die bereitschaft der polizei eine solche nähe zuzulassen war es nur möglich den tag zu extrem für die nazis zu versauen. die andere geschichte mit dem verschweigen der kundgebung im norden ist da sicherlich eine andere nummer…
also bitte, wenn es nächste mal wieder so läuft wäre das mehr als wünschenswert, nazis die in eine ecke gedrängt werden und polizisten die, größtenteils, besonnen mit der situation umgehen.
Was mich aber persöhnlich noch interessiert ist die frage, was den da für eine ominöse Chemikalie versprüht wurde? Seifenblasen? Pfefferspray? Cola?
@ernst: Die Nazis und die Antifa hätten auf der Kampstraße nicht ohne eine Kette Polizei zwischen sich aufeinander treffen dürfen. Und in der Nordstadt hätte die Enscheder Straße vor dem Eintreffen der Nazis von beiden Seiten abgeriegelt sein müssen. Zudem war klar, wie schwierig es sein würde, die Nazis wieder aus der Ecke rauszubekommen, in der sie ihre Kundgebung abgehalten haben. Hätten sie die auf der Kampstraße abgehalten, wäre Protest in Ruf- und Sichtweite möglich, die Blockade wäre erfolgreich gewesen und es wäre wahrscheinlich nichts passiert.
Ich habe die Artikel hier zur Dortmunder Polizei und PP Lange meist mit Interesse gelesen, aber langsam scheint mir die Berichterstattung zu dem Thema etwas zu einseitig. Ich war am Samstag u.a. bei der Demo an der Katharinentreppe dabei und fand den Ansatz der Polizei überraschend kooperativ – kann mich nicht erinnern bei einer Demo so nah an die Nazis ran gekommen zu sein… Und vor Gericht hat Lange den Braunen mit dem Verbot ihres „Stadtschutzes“ mal schön eins reingewürgt, was die wohl auch nebenbei noch ein paar Tausender gekostet haben dürfte. Ich fände ein Interview mit Lange ganz aufschlussreich, vielleicht ist er doch fähiger als sie hier schreiben.
@Moritz Weber: Der Artikel geht nicht gegen Lange…
Erstaunlich ist auch, warum die Polizei nicht die Plastersteinwerfer in der Kirche festgenommen hat ? Wie will man die denn jetzt noch ermitteln ?
Die nächste Nazi-Demo ist in Hamm, bin wirklich gespannt, wie es da läuft. Wäre schön, wenn die Ruhrbarone auch wieder vor Ort berichten können. Der Ticker gestern war top !!!
@Stefan: Bei aller Zustimmung zu einem möglichen *Verdacht* über Strömungen innerhalb der Dortmunder Polizei verstehe ich nur nicht, warum diese Strömungen unter Wesseler, der ja noch intensiver gegen den alten Stil Schulzes vorging, überhaupt nicht zu spüren waren.
Und wenn die Erklärung dafür ist, dass Wesseler seinen Stall halt in den richtigen Griff bekommen hatte, dann muss natürlich wieder die zwangsläufige Frage an Jäger gestellt werden, warum er gehen musste und welche Qualifikation Lange für den Posten auszeichnet.
Um es weiter zu spinnen, kann ich nur hoffen, dass da nicht auch noch erzkonservative Teile (unabhängig von der „Farbenlehre“) der lokalen Politik dran rumschrauben und ihre Fäden bis nach D’dorf ziehen.
@Klaus Lohmann: Kann schon sein, dass da Fäden gezogen werden.
Es gibt da auch noch den Faktor, dass von Landesseite die Mittel für Polizeieinsätze gekürzt werden. Wie ich hörte, waren auch beim Fußball am Samstag so wenige Einsatzkräfte wie noch nie.
@#9 | Ricardo: Das stimmt:
http://www.zdfsport.de/fussball-bundesliga-topspiel-dortmund-gegen-leverkusen-weniger-polizei-nrw-pilotprojekt-startet-34606542.html
Leider wurde auch die Video-Überwachung harmloser Fans verstärkt:
„Außerdem hat der Verein ein Sicherstellungskonzept für Pyrotechnik entwickelt und unter anderem eine neue High-Tech-Kamera zur Beobachtung der Eingänge angeschafft.“
Könnte interessant werden:
http://nordstadtblogger.de/15347
Diskussion mit dem Polizeipräsident Gregor Lange: Rechtsextremismus in Dortmund – Was jetzt?
—
Sind die Ruhrbarone auch vor Ort ?
@#11 | Hubi: Allein das Titelfoto des Artikels ist ja schon oberinteressant und eigentlich genau das, was die Bürger in Dortmund von Lange *sicher nicht* wollen – der Polizei“führer“ mit verschränkten Armen in der sicheren Feldherren-Pose und unten um ihn herum (da er auf dem Bild auf einem Balkon des alten WestLB-Hauses steht) das Chaos seiner planlosen „Truppen“.
Links anne Ruhr (25.08.2014)…
Dortmund: Erfolgreiche Blockaden gegen Nazis und wieder eine überforderte Polizeiführung (Ruhrbarone) – Waltrop: Parkfest Waltrop 2014: 3 Freikarten für alle Tage zu gewinnen (Eva Pallenberg) – Recklinghausen: SPD auf der Suc…