Die Bochumer Rechtsanwältin Anne Mayer war dabei, als der Innenausschuss sich mit dem Rathaus-Überfall der Nazis am Abend der Kommunalwahl beschäftigt hat. Nun hat sie einen offenen Brief an Dortmunds Polizeipräsidenten Gregor Lange geschrieben – und erteilt dem Karrierebeamten mit SPD-Parteibuch kostenlos Nachhilfe.
Bericht des Innenministers zum Überfall auf das Rathaus Dortmund am 25.5.2014
Sitzung des Innenausschusses am 26.6.2014
Sehr geehrter Herr Polizeipräsident Lange,
die o.g. Sitzung habe ich besucht und die Diskussion um den Bericht des Innenministers verfolgt. Neben dem Herrn Innenminister standen auch der Inspekteur der Polizei NRW und ein Vertreter des Polizeipräsidiums Dortmund für Erläuterungen und zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung.
Der Bericht des Innenministeriums beruht ausschließlich auf Angaben der Polizei. Er läßt sich dahin zusammenfassen: Zwei politisch gegensätzliche Gruppen trafen aufeinander.
Beide Seiten waren aggressiv, die Attacken aus der bürgerlich/linken Gruppe gingen auch dann noch „fortwährend“ weiter, als die Lage bereits beruhigt war und heizte dadurch die Emotionen unter den Rechten immer wieder an (S.8).Video-Aufnahmen, so die Kritik im Innenausschuß, geben einen anderen Sachverhalt wieder. Es hätte auch keine Vermummung im strafrechtlichen Sinne gegeben, sondern mit Reizgas angegriffene Menschen hätten sich geschützt. Angreifer war die Neo-Nazi-Gruppe um Herrn Borchardt, was in den Videos deutlich zu sehen sei. Ein Parlamentarier, der sämtliche Videos gesichtet hat, konnte darauf nur einen Fußtritt Richtung Neonazis ausmachen.
Das Verhalten der rechten Gruppierung wird nicht konkret benannt und heruntergespielt. Die Maßnahmen der Polizei ließen die Rechten „ohne größeren Widerstand über sich ergehen“ (S.8). Welch kleinerer Widerstand vorgefallen ist, wird nicht erwähnt. Tatsachen statt Wertungen sind von einem solchen Bericht zu verlangen.
Selbst daß ausländerfeindliche Parolen gebrüllt wurden, wird noch zu entschärfen versucht. Es sei nicht die gesamte Gruppe gewesen, die solches tat.
Diese Darstellung ist sprachlich und von ihrer Intention durchsichtig: es wird nicht beschrieben, was an Bemerkenswertem oder gar Strafbarem passiert ist, sondern es wird dargestellt, was sozusagen positiv war und für die Neonazis spricht: es waren nicht alle aus der Gruppe daran beteiligt.Das Skandieren volksverhetzender Parolen ist auch strafbar, wenn ein Einzelner sie ausspricht und nicht nur dann, wenn alle aus einer Gruppe gleichzeitig solche Parolen rufen. Mit dieser Begründung durch den Innenminister sollte erklärt werden, warum die Polizei Dortmund in den Bericht aufnahm, es habe zu keinem Zeitpunkt entsprechende Rufe durch die gesamte Gruppe der rechten Szene gegeben. Juristisch falsche Aussagen können keine Erklärung dafür bieten, Verhalten zu beschönigen. Sie können – und sollen? – aber verwirren.
Zehn Personen wurden leicht verletzt, wer zu den Verletzten gehörte, bleibt unbenannt. Den Medien war zu entnehmen, daß es Menschen waren, die sich der Neonazi-Gruppe in den Weg gestellt hatten. Einem der Betroffenen wurde eine Flasche gegen den Kopf geworfen, dies führte zu einer Platzwunde direkt neben seinem Auge (WAZ v. 27.5.2014).
Der Alkoholisierungsgrad von Politikern wurde thematisiert. Welche sachliche Bedeutung dies haben könnte, wurde schon deshalb nicht ersichtlich, weil der Alkoholisierungsgrad der angreifenden Neonazis keiner Erwähnung wert war.Der Bericht wirft Fragen auf. Nur noch ein Punkt sei angeschnitten, eines der peinlichsten Beispiele, die Anfrage des Staatsschutzes bei den Rechtsextremen, wo sie den Abend zu verbringen gedenken.
Schon die Frage an Neonazis zu stellen bedeutet, auf deren Antwort könne irgendetwas gestützt werden, deren Gespräche mit der Polizei seien wahrhaftig.
Mit diesen Anmerkungen zum Polizeibericht will ich mich begnügen.Erstaunlich war, welche juristische Behauptung seitens der Polizei aufgestellt wurden.
Der Vertreter der Polizei erklärte dem Ausschuß, das Verhalten der Gruppe aus dem linken bürgerlichen Spektrum auf der Rathaustreppe sei strafbar gewesen, es erfülle den Tatbestand einer Nötigung. Eine Nötigung werde auch dann verwirklicht, wenn psychische Gewalt ausgeübt werde, das ergebe sich aus dem sog. Läpple-Urteil.
Es ist kaum zu glauben, daß eine solche Auffassung im Jahr 2014 ernsthaft vertreten wird. Das Läpple-Urteil erging im Jahr 1969. Psychischer Zwang sollte nach der damaligen Auffassung des BGH den Tatbestand einer Nötigung in der Variante Gewaltausübung erfüllen. Nicht nur am Rande sei bemerkt, daß dieses Urteil unter dem Vorsitz eines Richters erging, Herrn Paulheinz Baldus, der juristischer Mitarbeiter in der Präsidialkanzlei Hitlers war und im Krieg als Feldkriegsgerichtsrat gewirkt hatte ( Ingo Müller, „Furchtbare Juristen“ S. 274/275, Neu-Auflage 2014).
Diese uferlose Ausweitung des Nötigungstatbestandes entgegen des Wortsinns und Zweck des Gesetzes war von Anfang an umstritten. Am 10.1.1995 erging dann die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die diese Auslegung als verfassungswidrig qualifzierte. Damit kann die Auslegung des Gewaltbegriffs nicht mehr erfolgen wie im sog. Läpple-Urteil, dies wäre verfassungswidrig.Die BGH- Entscheidung wurde vor bald 20 Jahre aufgehoben, sie hat aktuell keinerlei rechtliche Bedeutung mehr, sie ist rechtshistorisch noch interessant – dennoch beruft sich ein Vertreter der Polizei Dortmund noch heute auf eine obsolete, wegen Verfassungswidrigkeit aufgehobene Entscheidung. Der Vertreter der Polizei, der gerade auch zum Einsatz am 25.5.2014 in Dortmund Angaben machen sollte, begründete damit die Strafbarkeit derjenigen, die sich der Neonazi-Gruppe entgegenstellten.
Dieser Auslegung soll gefolgt werden, um damit das Vorgehen gegen die protestierende Gruppe aus dem linken/bürgerlichen Spektrum zu rechtfertigen. Ermittlungsverfahren wegen Nötigung anzustrengen ist dann logische Folge. Zwar aufbauend auf einer falschen Prämisse, weil damit eine verfassungswidrige Rechtsauffassung weiter angewandt werden soll, deshalb auch als Folge nicht haltbar ist.Sollte die Dortmunder Polizei eine solch grundlegende gerichtliche Entscheidung wie das Blockade-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht kennen, wäre das äußerst bedenklich.
Genauso bedenklich wäre es, die Polizei kennt dieses Urteil, verbreitet aber öffentlich die
überholte Rechtsprechung als geltendes Recht und stützt darauf polizeiliche Maßnahmen.Mit nachdenklichen Grüßen
Mayer
Rechtsanwältin
Sowas bereitet natürlich physische Schmerzen. Ich befürchte auch Frau Mayer benötigt dringend juristische Nachhilfe.
Wieso benötigt Frau Mayer juristische Nachhilfe? 1995 wurde festgestellt, dass das Urteil verfassungswidrig war und somit aufgehoben. Das ist fast 20 Jahre her.
@#2 | S. Brocks: Das Urteil wurde ein halbes Jahr später wieder aufgehoben, das kann man in 2 Minuten mit Google finden, das sollte auch eine Rechtsanwältin hinbekommen oder ?
http://vowinckel.blogspot.de/2014/02/das-demonstrationsrecht-ist-ein.html
Dieses Urteil des BGH vom 08.08.1969 behielt bis zum 09. Januar 1995, also 26 Jahre, lang Gültigkeit. Vier Grundrechtsbeschwerden wurden mit Mehrheit oder Stimmengleicheit (4 zu 4) zurückgewiesen. Bis dann durch Neubesetzung eines Senats eine Mehrheit den „vergeistigten“ Gewaltbegriff als verfassungswidrig ablehnte.
Das war natürlich eine schallende Ohrfeige für den Bundesgerichtshof. Aber die brannte und schallte allenfalls ein halbes Jahr lang. Mit ihrer nächsten Aburteilung von Blockadeaktionen am 20. Juli 1995 entwickelten die Richter ihre „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“, mit der auch gewaltfreie Blockaden weiterhin verboten wurden, und diese herrscht inzwischen auch schon wieder seit fast 20 Jahren, mit Duldung des Bundesverfassungsgerichts.
@ ##1 und 2 |R.Nuwieder und Notarius: Da haben Sie die geltende Rechtsprechung des BGH nicht richtig verstanden oder wollen sie im vorliegenden Fall vielleicht auch nicht verstehen: die sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ betrifft eine völlig andere Fallgestaltung und ist hier nicht einschlägig (vgl. http://de.m.wikipedia.org/wiki/N%C3%B6tigung_(Deutschland)). Frau Mayer hat also völlig Recht mit ihrer Kritik.
Was mich persönlich seit diesem Wahlabend beschäftigt und worauf ich noch keine passende Antwort gefunden habe: Ich hatte insg. zwei mal in meinem Leben mit der Dortmunder Verfassungsschutz-Abteilung zu tun, beides Mal wg. rechtsextremer Tatbestände, einmal rein als Zeuge und vor wenigen Monaten auch noch als Fremdenhass-Beschuldigter in einer Blog-/Foren-Geschichte.
Beide Male waren die Mitarbeiter des Staatsschutzes äußerst kommunikativ (beim zweiten Mal mit „Hausbesuch“, aber trotzdem sehr nett und ohne Stress;-), eloquent, gebildet und keinesfalls darauf aus, Jemanden zu verar…en. Die Fremdenhass-Geschichte nach einer Anzeige wurde dann nach kurzem Gespräch im Präsidium sofort fallengelassen, da ich ohne großen Aufwand erläutern konnte, dass da Jemand unter falscher Flagge fremdenfeindliche Sprüche abgelassen hatte.
Ich kann mir auch nach dem obigen, passenden Brief von Anne Mayer einfach nicht vorstellen, dass im Dortmunder Präsidium *normale Mitarbeiter* gegen die Verfassung arbeiten, indem sie vorsätzlich Gesetze und Grundgesetz-Artikel beugen. Ich weiß auch nicht, warum erst beim Aufschlagen des Themas im Landtag diese offenkundig falsche Rechtsauffassung um sich griff.
Mittlerweile ist ja auch die Dortmunder Staatsanwaltschaft halb zurückgerudert, als sie sich sehr spät von der Meldung über „nur noch“ 5 Ermittlungsverfahren gegen Nazis distanzierte und nun wieder von insgesamt 22 braunen Hohlbirnen spricht, deren Fälle evt. zur Anklage kommen (http://www.ruhrnachrichten.de/staedte/dortmund/44141-Innenstadt~/Neonazi-Angriff-am-Wahlabend-Rathaus-Krawalle-Ermittler-haben-68-Personen-im-Fokus;art930,2429991).
Wer also sabotiert in Dortmund oder in dessen direkter Linie nach Düsseldorf wirklich Recht und Gesetz?
@#5 | Klaus Lohmann:
Cui bono ?
#6 | Hugo: Keine echte Ahnung. Vielleicht meschpokieren da noch Altfreunde von unserm Ex-Präsi Schulze rum, der nach 18 Jahren Polizeidienst an der Spitze in Dortmund weder das Naziproblem in Dortmund begriffen hatte noch zum Schluss von Irgendjemandem in der Stadt gut gelitten war. Und die plötzliche Abberufung seines fast überall gut angekommenen Nachfolgers Wesseler muss ja auch ihren Grund gehabt haben.
Warum diese Häme, R.Nuwieder und Notarius?
Die genannte „Zweite-Reihe“ -Entscheidung des BGH befaßt sich mit einem gänzlich anderen Sachverhalt und ist auf den Abend des 25.5.14 nicht anwendbar. Googlen zu können alleine genügt nicht. Die jeweilige – abstrakte – Norm und die Rechtsprechung dazu müssen mit dem konkreten Geschehen abgeglichen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Rechtsprechung nach der Entscheidung zu Sitzblockaden von Januar 1995 nicht geändert, sondern die Wertung des BGH eines anderen tatsächlichen Geschehensverlaufes als Tatbestandsverwirklichung der Nötigung für verfassungmäßig erklärt.
freundliche grüße
Es geht immer noch eine Stufe schräger: Mittendrin dürfen bewaffnete Funktionäre der konservativen Polizeigewerkschaft rumlaufen, der auch noch mit Assesoirs rumläuft, die jetzt nicht gerade auf eine liberale oder linke Gesinnung hindeuten …
http://www.vice.com/alps/read/pizzeria-anarchia-bewaffneter-polizeigewerkschafter-in-der-sperrzone