Wie viele Homosexuelle tatsächlich in den Vernichtungslagern Nazideutschlands ums Leben kamen, ist nicht ohne Weiteres ermittelbar. Von den Menschen, welche als Homosexuelle deportiert wurden, definierten sich einige selbst nicht als solche. Manchmal reichte zur Verhaftung eine als „schwul“ geltende, temporäre Einzelaktion, was oft nichts am heterosexuellen Selbstverständnis der Betroffenen änderte. Hinzu kamen jene KZ-Häftlinge, die zwar homosexuell waren, aber aus anderen Gründen inhaftiert waren – etwa als „Zigeuner“, Kommunisten oder Juden. Um den als Homosexuelle verfolgten Menschen zu gedenken, wird am heutigen Donnerstag ein Stolperstein in Dortmund verlegt. Er soll an den Dortmunder Unternehmer Otto Meinecke erinnern – dieser steht symbolisch für die zahlreichen Menschen, die als „Homosexuelle“ dem NS-Vernichtungswahn zum Opfer fielen. Von unserem Gastautor Martin Niewendick.
Sie mussten den Rosa Winkel tragen. Historiker vermuten, dass von 10.000 bis 15.000 in die KZs deportierten, „homosexuellen“ Menschen etwas mehr als die Hälfte ermordet wurden. Der Rosa Winkel war das, was der gelbe Stern für die Juden und Jüdinnen war, mit Ausnahme der Tatsache, dass der Winkel nur innerhalb der Vernichtungslager getragen werden musste. Dabei florierte das schwul-lesbische Leben in Deutschland, etwa in Berlin und Köln, noch bis 1933. Historiker sprechen gar von einer „bedeutsamen Homosexuellenbewegung“. Mit der so genannten Machtergreifung der Nationalsozialisten nahm die Alltagsdiskriminierung erheblich zu, die NS-Propaganda machte mobil gegen die Szene. Relativ offen homosexuell lebende Menschen in ihren eigenen Reihen wurden zunächst zähneknirschend toleriert, spätestens aber seit der „Nacht der langen Messer“ konnten sich diese nicht mehr sicher fühlen. In der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1934 wurde mit dem SA-Führer Ernst Röhm der wohl bekannteste schwule NS-Funktionär ermordet. Zwar gilt seine Homosexualität nur als Vorwand für seine Ermordung. Der wahre Grund lag wohl eher in seinen dissidenten, weil reformerischen Äußerungen. Dies änderte jedoch nichts an der öffentlichen Wahrnehmung als schwulenfeindlich motivierte Aktion. Gerade in der Homosexuellen-Szene verbreitete die Tat Angst und Schrecken. Noch im Dezember desselben Jahres begannen die Deportationen in die Vernichtungslager.
Das Gesetz zur Verhaftung und Vernichtung Homosexueller etablierte sich mit dem Paragraphen 175, von dem lesbische Frauen allerdings ausgenommen waren. Zunächst sanktionierte dieser „nur“ körperliche Intimitäten zwischen Männern. 1935 wurde der Paragraph dahingehend verschärft, als dass nun auch „begehrliche Blicke“ strafrechtliche Relevanz bekamen. Die Bestrafungen gingen von Inhaftierung über Kastrationen bis hin zur physischen Vernichtung. Die Anzahl der Menschen, die wegen Homosexualität verurteilt wurden, hat ihren traurigen Höhepunkt im Jahre 1938. Wurden 1935 noch rund 2300 Menschen verurteilt, waren es drei Jahre später bereits über 9500 Menschen. Der Dortmunder Fabrikant Otto Meinecke selbst starb 1942 im KZ Sachsenhausen. Er wurde von SS-Leuten „auf der Flucht“ erschossen. Dies war eine mehr oder weniger informelle Sprachregelung bei der SS. Neben Meinecke fielen im selben Jahr Schätzungen zufolge insgesamt 80 Männer den gezielten Morden zum Opfer.
Die behördliche Verfolgung Homosexueller sollte sich 1936 manifestieren. SS-Führer Heinrich Himmler, Blutsäufer und Hitler-Intimus, gründete am 10. Oktober des Jahres die „Reichzentrale zur Bekämpfung von Abtreibung und Homosexualität“. Sie sammelte Daten und Informationen über vermeintliche Homosexuelle, 1941 waren davon bereits 41.000 Menschen betroffen. Mobile Greiftrupps organisierten dann den Alltagsterror. Zur „Säuberung“ der eigenen Reihen schuf Hitler 1941 den „Erlass des Führers zur Reinhaltung von SS und Polizei“. Dieser war faktisch das Todesurteil für schwule SS-Männer und Polizisten. Während Hitler von Homosexualität als „anormales Leben“ sprach, forderte Himmler die „Ausrottung der Homosexualität im deutschen Volke“.
In den Vernichtungslagern selbst waren die Häftlinge mit dem Rosa Winkel, wie alle anderen Inhaftierten auch, massiven Pressionen ausgesetzt. Es kam zu „Umerziehungsmaßnahmen“. Diese sahen dann zum Beispiel so aus, dass schwule Häftlinge zwangsweise ein „KZ-Bordell“ aufsuchen mussten, dies geschah unter Aufsicht anwesender SS-Leute. Auch dienten sie als Versuchsobjekte für grausige „medizinische“ Experimente. Ziel dieser war es, eine „Heilung“ für Homosexualität zu finden. In vielen Fällen aber wurden sie von der SS einfach ermordet. Die Aktionen wurden oftmals gekonnt verschleiert. Die erwähnte „Erschießung bei Fluchtversuch“ war eine Variante. Berichten zufolge soll auch Wasser eingesetzt worden sein, da man auf diese Weise die gezielte Tötung gut vertuschen konnte. Dabei wurde Häftlingen über längere Zeit ein kalter Wasserstrahl auf den Oberkörper gespitzt. Wer nicht zuvor an Herzversagen starb, den richtete meist die daraus folgende Erkältung zu Grunde. Im KZ Sachsenhausen wurde 1938 gar ein speziell abgetrennter Bereich für „Homosexuelle“ eingerichtet. Hier konnte die SS relativ ungestört morden.
Nach der Befreiung 1945 blieb der Paragraph 175 in der BRD noch bis Ende des 20. Jahrhunderts weiter bestehen. Dies konnte dazu führen, dass Menschen, die unter den Nazis als „Homosexuelle“ in Vernichtungslager deportiert wurden, nach Kriegsende in der BRD erneut inhaftiert wurden, so sie die KZ-Tortur nicht „umgepolt“ hat, sie also weiterhin homosexuell waren. Erst 1969 wurde der Nazi-Paragraph in der BRD reformiert, 1973 ein zweites Mal. Nun war Sex unter erwachsenen Männern legal, eine Entscheidung, die in der DDR bereits ab Ende der 1950erJahre beschlossen wurde. Erst 1994 entschied sich die Rechtsnachfolgerin des Dritten Reiches, den Paragraphen endgültig zu streichen.
Mit der Verlegung des Stolpersteines vor dem damaligen Wohnhaus Otto Meineckes soll, stellvertretend für die zahlreichen genannten und ungenannten Opfer des NS-Vernichtungswahns, ein Zeichen wider das Vergessen gesetzt werden. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“. Gemäß dieser Losung von Stolperstein-Erfinder Gunter Demnig sind weitere Stolperstein-Verlegungen im Ruhrgebiet und darüber hinaus geplant. Sie sollen das Gedenken im Alltag etablieren – können letztlich aber nur mühsam kaschieren, mit welcher Perfidie NS-Kontinuitäten im deutschen Strafgesetzbuch noch bis Mitte der Neunziger Jahre aufrecht erhalten wurden.
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