Dortmund: Wagner hassen, den Ring lieben

Plakatmotiv zu „Der Ring des Nibelungen“ Foto: : Sali Fayssal, Zijah Jusufovic Lizenz: Copyright


Der aktuelle „Ring des Nibelungen“ im Schauspiel Dortmund wurde so konzipiert, damit sich niemand ausgeschlossen fühlt.

Die äußere Handlung ist die eines Gastarbeitersohnes namens Arda, der von einer Regisseurin gefragt wird, ob er beim Ring mitmachen möchte. Er möchte, aber unter einer Bedingung: weil er bildungsfern und in relativer Armut aufgewachsen ist und es unfair findet, dass er das Wissen rund um Hochkultur und Oper nicht mit der Muttermilch aufgesogen hat, soll sein Ring ohne jeglichen Textbezug auskommen. Das kann man selbstbewusst oder trotzig nennen.

So reiht sich Julia Wisserts Inszenierung in den Zeitgeist dessen ein, dass alles Schöne, Erhabene, Elaborierte, Komplizierte oder schwer Durchdringbare nicht mehr erstrebenswert ist. All diese Dinge sind irgendwas-phobisch oder problematisch. Athletische Körper sind fettphobisch, das Heroische, der Held ist problematisch, da es ängstliche Leute an ihre Angst erinnert, schöne Menschen sind problematisch, da sie hässliche Menschen an ihre Hässlichkeit erinnern. Die Liebe zu Wagner ist ein Problem für alle, die sich nicht gut mit Wagner auskennen. Jede große Erzählung birgt das Problem, dass sich jemand ausgeschlossen fühlen könnte, auch das wird als ein Problem des Rings identifiziert. Dass die bayreuther Inszenierung über mehrere Tage geht, schließt die aus, die sich keinen Babysitter leisten können und so weiter und so fort. Nichts ist absurd genug um es als Problem oder Hindernis in dieser Inszenierung zu identifizieren. Unter diesen Prämissen ist fast nicht anderes als das Durchschnittliche oder das Alltägliche möglich. Einzelne Figuren aus dem Ring halten relativ lange, selbstbezogene Monologe über Dinge in der Welt, unter denen sie im Speziellen leiden oder was im Allgemeinen gerade schief läuft. Alberich berichtet über Mobbing, Fricka über das Leben als mittelalte Frau, die sich frisch getrennt hat. Lediglich Wotans Monolog hat Biss und Verstand. Bezeichnend zu sehen, was letzten Endes mit ihm passiert.

Einen interessanten performativen Widerspruch birgt die Tatsache, dass die Figur des Gastarbeiterkindes, die sich so ausgeschlossen und unerwünscht fühlt derart fundamentale Bedingungen stellen kann, unter denen sie bereit ist mitzumachen.

Dass man die Mythen im Ring zu Plattitüden destillieren kann, haben schon andere Inszenierungen gezeigt, dass dies selbstbewusst gewollt ist, ist neu.

Unbestreitbar ist, dass Wagner mit seinem Antisemitismus genug Anknüpfungspunkte für Deutschtümelei oder die Nationalsozialisten hat. Aber es ist auch klar, dass der Ring von intellektueller und künstlerischer Größe ist, wer das verkennt, verhält sich bockig.

„I hate Wagner – but I hate him on my knees“ bringt Leonard Bernstein die ambivalente Beziehung zu Kunst und Künstler auf den Punkt. Wer es nicht schafft, das Besondere im Ring zu sehen macht eine zynische Inszenierung und so eine sieht man noch bis mindestens März im Schauspiel Dortmund.

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Urde
Urde
10 Monate zuvor

Für mich wäre interessant, ob nun Gastarbeiter und deren Kinder sich die Oper ansehen und ob ihnen gefällt, wie ein Gastarbeiterkind Teil der Oper über die germanischen Mörderfrauen und ihre schwächlichen Ehemänner ist. Die Regisseurin hat einen Text von Necati Öziri inszeniert. Öziris Eltern waren Gastarbeiter und Dortmund ist eine Stadt mit einer Geschichte von Gastarbeitern in den Zechen und Stahlwerken. Aus diesen beiden Gründen ist für mich eine Verwendung der Oper von vor mehr als 150 Jahren für eine Oper über Gastarbeiter und Deutsche heute plausibel. Ich habe ein Buch von Öziri gelesen, das fand ich nicht platt oder zynisch sondern vielschichtig, daher kann ich mir, ohne die Inszenierung zu kennen, vorstellen, das dieser Ring versucht, vielschichtig zu sein.

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