Dresden sehen und sterben. Ein Hilferuf für Dirk Hilbert

Zu den Dresdner Erfindungen zählen das Mundwasser, der Kaffeefilter und die Bücherverbrennung (hier auf dem Wettiner Platz am 8. März 1933). ©Foto SLUB Dresden / Deutsche Fotothek / Martin Würker

Wer liest heute noch Lokalzeitungen? Klar, eine ältere Klientel findet sich noch, die der Frankenpost, der Märkischen Oderzeitung oder den Oldenburger Nachrichten die Stange hält, aber mal die Hand aufs überregionale Herz: Welcher Großstädter verfolgt solche Veröffentlichungen? Genau.

Und so kann man auch niemandem einen Strick draus drehen, dass die Sächsische Zeitung bis heute eine ostsächsische Regionalzeitung geblieben ist, zumal das in Dresden erscheinende Blatt außerhalb Sachsens wohl maximal unter „Provinz“, schlimmstenfalls direkt unter „Pegida“ abgebucht wird (was insofern nicht ganz fair ist, als die SZ zu vier Zehnteln einer 100-prozentigen Tochtergesellschaft der SPD gehört). Ihre Nichtlektüre ist somit im Prinzip entschuldbar.
Ganz und gar nicht entschuldbar ist es allerdings, wie wenig Unterstützung der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) derzeit inmitten der emotional extrem aufgeladenen Debatte erhält, wie sie in Dresden dem regionalen Groundhog Day 13. Februar als Gedenktag der Zerstörung 1945 alljährlich vorausgeht. Und hier schlug nun die Stunde der SZ, denn nur wer die Regionalpresse vom MDR über die Regio-Bild bis eben zur Sächsischen Zeitung verfolgt hat, konnte bislang mitbekommen, dass Hilbert mit Morddrohungen überzogen wird, seit er es am Donnerstag bei der Ankündigung der städtischen Gedenkveranstaltungen in der Sächsischen Zeitung gewagt hatte, am Dresdner Opfermythos zu kratzen: „Dresden war keine unschuldige Stadt, das wurde wissenschaftlich ausgewertet.“ Und damit nicht genug: Um Totalitarismus desselben Schlages heute zu verhindern, müssten wir „diese Tendenzen beobachten.“

So etwas kann man in Dresden natürlich nicht sagen, ohne dass die üblichen Verdächtigen sofort im Trapez springen. Die lokale Dependance der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative wandte sich noch am selben Donnerstag auf Facebook mit den Worten „Sie widern uns an!“ an Hilbert, und tags darauf wartete die hessische JA mit einem Bild der Leichenverbrennungen der Opfer des Luftangriffes auf. Im Begleittext forderte man „Dirk Hilbert den Kampf ansagen!“ und ein Eintreten „[f]ür die Ehre unserer Opfer“. Fabian Flecken, Vorsitzender der Hessen-JA, fragte rhetorisch: „Von was für Perverslingen lassen wir uns regieren?“

Der Mob hatte verstanden: Kommentare wie „Für so eine Aussage gehört er sofort des Amtes enthoben und aus der Stadt geworfen!!!“ und „Amtsenthebung JETZT!!!“ gehörten noch zum Freundlicheren, andere wurden deutlicher: „Es erstaunt mich doch arg, daß der ‚Dreckskerl‘ noch nicht gelyncht wurde. Na ja – was nicht ist ……………. [Zwinkersmiley]“. Erschwerend kam aus Sicht der Volksgenossen noch hinzu, dass das Stadtoberhaupt die temporäre Kunstskulptur „Monument“ zugelassen hatte und sogar aktiv bewarb, ein ästhetisch natürlich streitbares Arrangement kaputter Busse des syrischen Künstlers und Wahldresdners Manaf Halbouni, das anlässlich des Kriegsgedenkens in Europa an den noch sehr realen Krieg in Syrien erinnern soll. Hierauf dürfte die Transparentaktion der Dresdner JA gemünzt gewesen sein, die ein „würdiges Denkmal auf dem Altmarkt“ verlangte – natürlich für die arischen Opfer von anno dazumal, nicht die morgenländischen von heute.

Wir fassen zusammen: Ein Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt stellt zum Jahrestag ihrer Kriegszerstörung fest, dass deutsche Städte im Dritten Reich keine Inseln der Unschuld waren und lässt zugleich auf künstlerischem Wege daran erinnern, dass Krieg andernorts nicht nur eine Frage der Erinnerungskultur, sondern bittere Realität ist – und erhält als Reaktion darauf Morddrohungen, derentwegen er jetzt Polizeischutz benötigt.

Ich bin selbst gebürtiger Dresdner, und es tut mir jedes Jahr wieder in der Seele weh, der Stadt aus der Ferne bei ihrer politisch-moralischen Selbstentleibung zuzusehen. Ich möchte auch keinesfalls mit Dirk Hilbert tauschen, denn natürlich ist alles, was er macht, verkehrt: Pegida ist er mit seiner bedachten Art viel zu gutmenschlich, und für die Bunte Republik Neustadt ist er spätestens, seit er das Antifa-Schlagseiten-Bündnis „Dresden Nazifrei“ nicht zu Besprechungen gegen Pegida einlud, Teil des Problems. Und rund um den 13. Februar drehen in dieser Stadt sowieso alle durch.

Das darf für uns Außenstehende jedoch kein Vorwand sein, Dresden und die vernünftigen Menschen, die es dort auch gibt – und denen wir es verdanken, dass Dirk Hilbert und nicht etwa Pegida-Sternchen Tatjana Festerling im Rathaus sitzt – als lost cause abzutun. Im Gegenteil, unser aller Anspruch muss es sein, zivilisatorische Mindeststandards auch und besonders da zu verteidigen, wo sie von moralbeschränkten Rohlingen und selbstgerechten Einfaltspinseln infrage gestellt werden. Wo wird unsere freiheitliche Grundordnung verteidigt, wenn nicht hier? Unsere Unterstützung und Solidarität müssen jetzt Dirk Hilbert gelten, denn so schmerzlich es ist: Dresden, das sind in diesem Land wir alle. Immer und überall.

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Jens Schmidt
Jens Schmidt
7 Jahre zuvor

Danke, Sie sprechen mir aus der Seele! OB Dirk Hilbert hat großen Respekt dafür verdient, dass er so mit so klaren Worten mit dem Opfermythos aufräumt.

MIchael Kobel
MIchael Kobel
7 Jahre zuvor

Danke für diesen beeindruckenden Artikel eines "Außenstehenden". Ich hoffe, bei uns in Dresden gibt es nun viele, die sich genauso klar hinter OB Dirk Hilbert stellen.

Horst Peters
Horst Peters
7 Jahre zuvor

Wer liest heute noch Lokalzeitung? Im Fall der SäZ mit mehr als 200.000 Abonnenten doch jede Menge. Kann man übrigens bei der IVW nachlesen.

Jens
Jens
7 Jahre zuvor

Das Problem ist nicht, darauf hinzuweisen, dass es in die typischen Erscheinungen der NS-Herrschaft (Judenverfolgung, Mordjustiz), sondern dass immer zum 13. Februar zu tun. Als der alliierte Angriff dafür eine gerechte oder gar logische Strafe. Das ist er aber nicht. Der Angriff war ein Vebrechen. Nicht darauf ausgelegt die Industrie, die Infrastruktur oder das Militär in der Albertstadt zu treffen, sondern die Wohngebiete und die Innenstadt. Bei derartigen deutschen Angriffen auf Warschau oder Gernika hat sich längst der Begriff "Terror" dafür eingebürgert.
Und die Dresdner sind halt nicht blöd, die bemerken diese heuchlerischen Doppelstandards.

Egon
Egon
7 Jahre zuvor

Ja, Dirk Hilbert hat sich, seit er Bürgermeister geworden ist, bei verschiedenen Gelegenheiten mit Selbstverständlichkeiten zu Wort gemeldet und sich so zur Zielscheibe des Hasses der Pegidisten gemacht. Das ist lobenswert, aber er kann es sich eben auch leisten, denn er bekommt prompt Polizeischutz und öffentliche Unterstützung wenn er mit dem Tode bedroht wird. Bedrohungen sind wiederum für andere weniger prominente Menschen, die sich zum Beispiel in der Flüchtlingshilfe oder gar gegen Nazis engagieren ganz alltäglich und werden weder von der Polizei noch von der Öffentlichkeit mit einer Reaktion gewürdigt (von sogenannten Asylbewerbern ganz zu schweigen, die anscheinend Freiwild sind). Das ist dann wiederum eine Wahrheit die Hilbert nicht ausspricht, nämlich das er privilegiert ist und durch seinen Status geschützt. Auch die erinnerungspolitische Wende (zum besseren), die sich in den letzten Jahren ganz zögerlich vollzogen hat ist ihm nur schwerlich zuzurechnen. Diese hat wohl eher etwas mit dem penetranten Protest der sogenannten Antifa zu tun und ganz entschieden mit der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde zum Protest gegen das ganz klar politische Gedenken am Dresdner Heidefriedhof. Es ließen sich viele Beispiele anführen was Antifa und linke Zivilgesellschaft beigetragen haben um ein Umdenken beim Gedenken ein zu läuten. Mir fällt dagegen nicht ein was Dirk Hilbert dazu abgesehen von Sonntagsreden dazu beigetragen hätte. Dirk Hilbert verdient Solidarität gegen die Bedrohungen der braunen Schreihälse, genau so viel Solidarität, wie jene die ebenfalls angegriffen werden. Er verdient aber auch Kritik wegen seiner Salamipolitik, die immer nur zugesteht was nun wirklich nicht mehr zu leugnen ist (das Dresden eben keine unschuldige Stadt war, das Nazis das Gedenken politisch instrumentalisieren) ohne jemals darüber hinaus zu gehen und etwa zuzugestehen, dass die Dresdner Erinnerungspolitik und vor allem das politische Klima in der Stadt bis in die aller jüngste Zeit eben auch für Nazis anschlußfähig waren, dass diejenigen die das angesprochen haben, dafür mindestens verbal angegriffen wurden und so weiter.

Günzel
Günzel
7 Jahre zuvor

Die Aussage von Herrn Hilbert ist unverzeihlich. Meine Großmutter, die den Angriff mit ihren beiden Töchtern glücklich überlebt hat, war politisch unschuldig und in der Zeit des Nationalsozialismus mit Arbeitsverbot belegt. Während mein Großvater kommunistischen Idealen hinterherlief und sich nicht um seine Familie kümmerte. Herr Hilbert macht damit alle Opfer zu Schuldigen. Offenbar bezieht er seine Aussage auf die Herstellung von Waffen im 3. Reich in Dresden?
Wie sieht das mit der Waffenproduktion in heutiger Zeit in Deutschland aus? Also sind wir jetzt auch alle schuldig, weil wir deren Einsatz gar nicht verhindern können.

Burkhard
Burkhard
7 Jahre zuvor

Günzel hat völlig Recht. Der OB hat absoluten Blödsinn verzapft. Das rechtfertigt natürlich in keiner Weise die Reaktion der angehängten Jugend. Eklig.

Gerd
Gerd
7 Jahre zuvor

@1:

Richtig, dass macht ja sonst keiner! 😉

Was er gesagt hat, wurde bereits in der Vergangenheit oft von vielen anderen gesagt. D.h. er schwimmt mit seiner Aussage mitten im politisch-medialen Mainstream. Da sowas keinen Mut erfordet, muß man ihm dafür auch keinen Respekt zollen.

Was die anonymen Drohungen angeht, da sage ich nur "Bridge of Spies". Der Verteidiger des Spions bekommt Haßbriefe, aber sonst passiert ihm null und garnix. Seitdem es Emails gibt, kann man Dampf noch leicher ablassen, aber damals wie heute bleibt es bei Worten.

P.Reinike
P.Reinike
7 Jahre zuvor

Was soll das „Dresden war keine unschuldige Stadt, das wurde wissenschaftlich ausgewertet" konkret bedeuten. Ist es nicht dasselbe unkonkrete Rumschwadronieren, das man Populisten ankreidet? Daß es "schuldige" Städte gibt, die das Schicksal Dresdens für was auch immer verdienen? War Rotterdam schuldig, war Coventry schuldig? Durch was werden Städte schuldig, wo Feuersturm eine Art der Vergeltung wird? Am 7.März 33 wurden in Dresden Bücher durch die SA, nicht durch spontane Mobs verbrannt. Wurden in Stalingrad oder Kiew Bücher vernichtet, nicht organisiert durch die SA, sondern durch Poltikommissare? War Stalingrad, war Kiew daher schuldig?

Hilbert rührt im korrekten diffusen Wohlgefühl derer, die ihm nun Beifall klatschen. Für was eigentlich konkret?

thomasweigle
thomasweigle
7 Jahre zuvor

Der Angriff auf Dresden war u.a. von der Roten Armee gefordert worden, denn Dresden war ein für die "Abwehrschlacht" gegen die Rote Armee wichtiger Verkehrsknoten ( u.a. Ruhrgebiet-Schlesien), über den ein Großteil des deutschen Nachschubs lief.

Thomas Baader
Thomas Baader
7 Jahre zuvor

Ein paar Dinge zum Nachdenken:

– Der Opfermythos Dresden wurde zu DDR-Zeiten von der SED gepflegt – noch heute gibt es davon im Dresdner Stadtbild Spuren.
– Stadtbevölkerungen sind nicht pauschal schludig oder unschuldig, die Menschen, aus denen sie bestehen, sind es (angeblich gab es in Dresden ja auch Kinder…)
– Hiroshima hatte eine wichtige Militärbasis.
– Nagasaki hatte beträchtliche rüstungsrelevante Industrie.

Bebbi
Bebbi
7 Jahre zuvor

Aber was hat das nun mit der lokalen Lokalzeitung zu tun und dass die im Ruhrgebiet kaum jemand liest?

KE
KE
7 Jahre zuvor

Was soll e Begriff "unschuldige Stadt"?

Es gab und gibt immer viele zivile Opfer bei militärische Operationen. Die wenigsten werden eine Schuld auf sich geladen haben, die den Tod durch Spreng- / Brandbomben rechtfertigt.

Aktuell haben wir in vielen Ländern Soldaten im Häuserkampf bzw Soldaten, die Städte erobern.

Hier wird dann die Entscheidung fallen, wie viele zivile/gegnerische Opfer akzeptiert werden, um ein eigenes Ziel schnell und mit wenig Risiko auf der eigenen Seite zu erreichen.

Bei Drohnen reduziert sich das eigene Risiko, Roboter werden bald auf dem Schlachtfeld sein. Die moralische Dimension ist dann unter anderen Parametern zu diskutieren.

Dann hibt es noch den Terror und die Macntdemonstration (Raketen auf Städte, A Bombe etc)

Was wurde jetzt konkret wissenschaftlich ausgewertet?

Paul
Paul
7 Jahre zuvor

Der Hilbert hat Plätze der Stadt verschandeln lassen von einem Halboni, welcher vorgibt Künstler zu sein auf seiner Webseite unter anderem eine Karte des islamischen Sachsens zeigt in Arabischer die Beschriftung.Was soll das????
Öffentliche Plätze sind keine fiktiven Friedhöfe und die Nachbildung des Schutzschildes aus Bussen,welche in Aleppo von der Meliz Aschra Asch Asch Charakter aufgestellt wurden und somit kein Rühmliche Denkmal sind falsch.
Wo Hilbert von der Schuldigkeit der Dresdner gelesen hat,welche den 13.021945 rechtfertigen soll,wer weiss,doch ist er als OB der Stadt untragbar.

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