Nein, die Innenstadt von Recklinghausen ist für Ruhrgebietsverhältnisse zwar klein, aber nicht hässlich. Es gibt die üblichen Bausünden der 70ger und 80ger Jahre, denen ein Teil des historischen Baubestandes geopfert wurde, aber es gibt eben auch immer noch die Altstadt in ihrem typischen, kleinteiligen Maßstab, mit den entsprechenden Gassen und Plätzen, die man, wie im neusten Werbeclaim der Stadt, mit Recht als „Gute Stube“ bezeichnen kann.
Keine Frage, das neue Citypalais sprengt zwar diesen Maßstab, kann aber im Rahmen der sonst üblichen Mall-Architektur und im Verhältnis zu anderen Großgebäuden in der Recklinghauser Einkaufszone als ästhetischer Gewinn betrachtet werden. Städtebaulich angepasst oder nicht, was die gastronomische, einzelhändlerische und fachmarktliche Nutzung dieses Gebäudekomplexes betrifft, ist das Palais, wie alle Malls, aber auch eine wettbewerbliche Kampfansage an die restliche Innenstadt.
Die örtliche Kaufmannschaft hat, in Anbetracht der unbestreitbaren organisatorischen und marketingtechnischen Übermacht dieser Mall, stattdessen die Kooperation gewählt. Sie wird von Seiten der Planungsverwaltung mit einem integrierten Handlungskonzept für die Innenstadt begleitet und abgesichert. Die Parole heißt Wettbewerbskonkurrenz bei gleichzeitiger Standortkooperation, wobei letztere durch die Selbstorganisation von Händlern, Gewerbetreibenden, Gastronomen und Immobilienbesitzern in 5 Innenstadtquartiere umgesetzt wird, von dem das Citypalais selbst eines bildet.
Dazu gibt es einen Verfügungsfonds Innenstadt, der finanziell je zur Hälfte aus privaten Mitteln der Quartiersgemeinschaften und dem NRW-Städtebauförderungsprogramm „Aktive Stadtteilzentren“ gespeist wird, um im planerischen Rahmen des integrierten Handlungskonzeptes einzelne Projekte in den jeweiligen Quartieren zu realisieren. Bis zum Jahresende 2018 sind so insgesamt 120.000€ projektiert, die zur Aufwertung der gesamten Innenstadt beitragen sollen.
Ein Teil der neuen innerstädtischen Kooperation bilden dabei auch die Altstadtkonferenzen, deren dritte ich in der letzten Woche besucht habe. Die dort besprochenen Sachthemen waren für mich zwar nicht neu, denn ich habe mit anderen Experten schon im Jahre 2008 ein planungspraktisches Buch dazu verfasst habe (siehe unten). Überraschend für mich und offensichtlich auch für die Veranstalter war jedoch, dass der historische Rathaussaal übervoll mit Konferenzteilnehmern war.
Wer die Lage der Ruhrgebiets-Innenstädte und speziell die der Recklinghausener näher betrachtet, kann dieses zunehmende Interesse jedoch nachvollziehen. Sie wird nämlich immer bedrohlicher. Die WAZ schrieb vor kurzem zwar was von der Renaissance der Urbanität auch im Pott, weil es in einigen Gemeinden gegen alle Prognosen wieder einen Zuzug und damit eine Vergrößerung der Bevölkerung gibt. Insgesamt sinkt die Bewohnerzahl des Ruhrgebiets jedoch weiter und damit auch die Kaufkraft, während auch hier der Siegeszug des Online-Handels bislang nicht aufgehalten werden kann.
Die Recklinghauser City befindet sich obendrein inmitten des nördlichen Armenhauses der Ruhrstadt, regionalplanerisch auch Emscherzone genannt, nicht weit entfernt von der weitaus angebotsstärkeren, selbst im nationalen Vergleich immer noch hochfrequentierten Dortmunder Innenstadt und dem riesigen, gerade erst erweiterten und gestalterisch aufgemotzten Einkaufszentrum Ruhrpark direkt am Ruhrschnellweg mit bester und kostenloser Parkplatzversorgung.
Das in Anbetracht dieser grundsätzlichen Standortproblematik und des neuen City-Palais der angeschlagene Karstadt Konzern nun auch in Kürze seine Filiale in der Stadt der Ruhrfestspiele schließen will, ist da wenig verwunderlich. In Anbetracht der offensichtlichen Unvermeidlichkeit und Unbeeinflussbarkeit dieser Entscheidung war sie keinem der Konferenzredner auch nur eines Wortes der Erwähnung wert. Nicht zuletzt wohl auch, weil das der mit der Premiere eines neuen Werbefilms hoffnungsvoll inszenierten Aufbruchsstimmung einen herben Stimmungsdämpfer versetzt hätte.
Dabei war sicher jedem der für diese Konferenz Verantwortlichen klar, dass damit zu den bislang noch überschaubaren, aber sich ausdehnenden, kleiner dimensionierten Leerständen nun ein unübersehbar großer in zentraler Lage hinzu kommt. Ein stärkeres Zeichen des potentiellen Niedergangs ist in einer so kleinen Innenstadt wie der von Recklinghausen kaum möglich. Auf jeden Fall paralysiert es das städtebauliche Aufbruchs- und Erneuerungssymbol „City Palais“, wenn dieser Leerstand nicht schnell behoben wird.
Wer allerdings das Schicksal z.B. des Karstadt Gebäudes an der nicht weit entfernte Herner Bahnhofsstraße kennt, der weiß, wie schwierig das sein wird. Selbst das Oberzentrum Bochum musste viele Jahre mit dem Leerstand des wunderschönen ehemaligen Wertheim-Komplexes an der stark frequentierten Kortumstraße hadern, bis sich endlich ein Saturn-Fachmarkt fand, der das Gebäude mit anderen, kleineren Nutzern wieder zu füllen in der Lage war. Ob er da drin bleibt, wenn die neue Bochumer Innenstadt-Mall auf dem ehemaligen Justizgelände wirklich gebaut wird, ist jedoch jetzt schon fraglich.
Betrachtet man die Ruhrgebietsentwicklung realistisch, so könnte es sehr wohl sein, dass das bei den hiesigen Stadtpolitiker äußerst unbeliebte Entwicklungskonzept des sogenannten Speer-Plans (siehe unten) über kurz oder lang doch noch Wirklichkeit wird: Nur noch 2 große Oberzentren Namens Dortmund und Essen mit entsprechend angebotsstarken Innenstädten und der Rest der Citys als Nebenzentren. Recklinghausens innerstädtischer Einkaufsbereich könnte sich dann räumlich wohlmöglich nur noch direkt um das City Palais konzentrieren, sofern dieses Einkaufszentrum bis dahin nicht ebenso verschwunden ist wie Karstadt und seine leere bauliche Hülle sich vom städtebaulichen Wahrzeichen in ein weiteres städtebaulichen Problem verwandelt hat .
Schrumpfen ist keine angenehme Perspektive für eine alte und gewachsene Innenstadt, wie die von Recklinghausen, und deswegen war auch davon auf der Konferenz nicht ein einziges Mal die Rede. Dafür klang so mancher im offensiv optimistischen Stadtmarketing-Sprech vorgetragene Beitrag mehr wie das angestrengt fröhliche Pfeifen im dunklen Wald. Dazu passten erfolgsschwanger ermunternde Gastbeiträge der Innenstadtinitiativen von Münster und Aachen, deren regionale Ausgangslagen, Innenstadtgrößen und deren Einkommens- und Kaufkraftstruktur in keinem Fall mit denen von Recklinghausen und Umgebung zu vergleichen sind.
Stattdessen wäre eine gemeinsame Innenstadtkonferenz mit den Anliegerstädten Herne, Herten und Castrop-Rauxel vergleichstüchtiger und damit realistischer gewesen. Regionales Stadtmarketing, sprich die Kooperation nicht nur innerhalb sondern auch zwischen den nirgendwo so eng nebeneinander liegenden Stadtzentren wäre im Ruhrgebiet eher das Gebot der Stunde, als ein letztlich immer ruinöser werdender Wettbewerb gegeneinander, der durch die neuen und geplanten Innenstadt-Malls nur noch verstärkt wird.
Links:
Auch Dortmund bekommt zunehmend "Schandflecke" in bester City-Lage: http://www.derwesten.de/staedte/dortmund/frueheres-karstadt-technik-haus-steht-jetzt-komplett-leer-id11525989.html
Ich bin da übrigens auch so ein ganz konkretes Beispiel, warum es in Recklinghausen im Einzelhandel der Altstadt aktuell wohl inzwischen so sehr hapert. Früher bin ich noch jede Woche mindestens einmal in Recklinghausen gewesen, habe viele meiner Einkäufe dort erledigt. Aktuell fahre ich aber nur noch alle paar Monate mal dorthin. Ich wüsste auch echt nicht, was ich da häufiger sollte…. Das von mir etwas gleich weit entfernte Dortmund wirkt da doch wesentlich attraktiver auf mich. Und das Internet ist inzwischen halt auch ein Faktor bei Einkäufen. Auch das neue 'Palais Vest' in RE wirkt auf mich eher abschreckend als anziehend. Und offenbar bin ich mit der Einschätzung ja längst auch nicht alleine, wenn ich z.B. in der hiesigen Lokalzeitung lesen muss, dass das Ganze wohl auch nur recht mäßig angenommen wird… Traurig, denn dabei hat recklinghause, wie arnold ja auch bereits schrieb, für Ruhrgebietsstädte eigentlich eine optisch ganz nette Altstadt. Nur ist die inzwischen eben schon fast tot.
Arnold,
danke für den Bericht und die dazu von Dir aufgeworfenen Fragen.
Mir scheint, daß Vieles dafür spricht, daß es langfristig nur noch einige wenige "Einzelhandels-Oberzentren" geben wird. Das können wie von Dir angesprochen Dortmund und Essen sein.
Mir scheint zudem, daß es in den kleineren Städten in der sog. Ballungsrandzone eine Chance für jenen Einzelhandel geben könnte, der a:) die Besonderheiten des Kleinstädtischen -z.B hier in Waltrop- nutzt -vorausgesetzt Stadt und Bürgergesellschaft "pflegen diese Besonderheiten, z.B. die architektonischen- und der b.) das anbietet, was den alltäglichen, den normalen Bedarf der Bürger abdeckt befriedigen kann. Letzteres mag hier und da, mag dann und wann eine Anreicherung "vertragen" durch den Betrieb einer weniger kleiner Spezialgeschäfte nebst einiger weniger "anspruchsvoller" Restaurants.
Ganz besonders schwierig scheint mir die Einzelhandelsituation in den mittelgroßen Städten des Reviers wie z.B. CAS-R, Herne, Herten, Gladbeck, Marl, Bottrop. Und dazu könnten auch größere Städte wie GE und Oberhausen zählen wegen ihres "Schattendaseins" im Großraum Dortmund bzw. im Großraum Essen.
Ich kann mir denken, daß Experten wie Du sich mit dem Ob und dem Wie einer solch differenzierten Herangehensweise an das Problem "Zukunft des Einzelhandels in den Städten des Ruhrgebietes" befassen. Ich kann mir zudem denken, daß die Kommunen selbst erkennen, daß die von Dir angesprochene Kooperation zwischen den Ruhrgebietsstädten nicht nur, aber vor allem auch gezielt zwischen den Kommunen geführt wird, die aufgrund ihrer Einwohnerzahl, ihrer Sozialstruktur, ihrer derzeitigen Einzelhandelproblematik, die nach den demographischen Prognosedaten sich "als in einem Boot sitzend" betrachten.
Arnold,
wenn Du darauf hinweist, daß das Wort "Schrumpfen" tunlichst vermieden wird, wenn "man" sich mit der Zukunft einer Stadt im allgemeinen und mit der Zukunft des örtlichen Einzelhandels im besonderen , kann ich bestätigen und verstehen. Gleichwohl halte ich diese "Vermeidungsstrategie" für kontraprokutiv, wenn alle Fakten dafür sprechen, daß………….
(Allerdings sind all die Fakten, die a.) die demographische Erkenntnis belegen, nach der die Menschen in beinahe allen Städten des Reviers "weniger, älter und bunter" werden und die b.) belegen, daß der sog. "Einzelhandelsbesatz" in den meisten Städten des Reviers weiterhin kontinuierlich zurückgehen wird, für mich kritisch zu hinterfragen angesichts des Zuzuges der Flüchtlinge. Werden wir mehr? Sinkt das Durchschnittsalter? Werden wir noch bunter? Was kann das für den Einzelhandel bedeuten? Wird es eine sich nenenswert verändernden Nachfrage nach Gütern geben, die der Einzelhandel anbietet aufgrund einer sich nennenswert verändernden Nachfrage durch die ansässig gewordenen Flüchtlinge?
Es kann sein, daß meine Fragen abwegig sind, weil ich nicht bedacht habe, daß……..
Antworten auf meine Fragen, sollten sie nicht abwegig sein, habe ich erstrecht nicht. 9
Wenn ich jedoch weiterhin von den bisher unbestrittenen Fakten zum demographischen Wandel in den meisten Städten des Reviers ausgehe und von den bisher unbestrittenen Prognosen über den weiterhin kontinuierlichen Rückgang des Einzelhandelsbesatzes in den meisten Revierstädten, dann ist es, wie einleitend angemerkt, kontraproduktiv, den Begriff "Schrumpfen" deshalb zu vermeiden, weil "man" mit ihm primär Negatives zu verbinden scheint oder weil "man" meint, mit der Verwendung des Begriffes "Schrumpfen" dem Image der Stadt schaden zu können.
Die "Akteure in der Bürgerkommune", die relevanten Organisationen der Bürgergesellschaft und selbstverständlich Politik und Administration in unseren Städten sollten das Schrumpfen nicht als bedrohliches Problem verstehen und sich aus diesem Verständnis heraus mit dem demographischen Wandel und dem Rückgang des Einzelhandelsbesatzes befassen,, sondern das Schrumpfen als C h a n c e begreifen, nämlich die Lebensqualität der Menschen in ihrer Stadt verbessern zu können.
Jeder, der sich unter diesem Aspekt " C h a n c e n für die Stadt und ihre Menschen wegen des demogr.Wandels, wegen des Rückganges im Einzelhandelsbesatz", Gedanken macht, wird spontan und ohne Fachkompetenz in der Lage sein, eine Vielzahl von Möglichkeiten zu benennen, wie es gelingen kann, aus "dem Schrumpfen" etwas Positives für die Stadt und ihre Bürger zu machen.
(Diese "Philosophie" des Erkennenwollens von Chancen in jeder gesellschaftlichen Veränderung habe ich hier bei den Ruhrbaronen bereits im Zusammenhang mit dem Zuzug von Flüchtlingen angesprochen wider einem ausschließlichen Problematisierungsdenken, wider einem in der Problematisierung verharrenden Denkens und einem aus sich heraus wider alle Fakten bis zur Hysterie anwachsendem "Problematiserungs-Wahnes". Jedermann weiß zudem, daß das, was ich hier bezogen auf Veränderungen in der Gesellschaft anspreche -C h a n c e n erkennen, nicht im Ausmachen von Problem verharren und stets versuchen, nicht vom Prolematiserungswahn ergriffen zu werden- auch für jeden Menschen gilt, wenn er sich radikalen Veränderungen in seinem Leben, in seiner Lebenssituation zu stellen hat.)
Arnold,
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"Von wegen Wohnungsmangel" -Experte fordert kompletten Baustop für Deutschland-"
sh.Beitrag bei T-online!