Thomas Geisel (SPD) unterlag nach sechs Jahren im Amt als Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Düsseldorf bei der Stichwahl am 27. September dem CDU-Herausforderer Stephan Keller. Für viele überraschend früh hatte Geisel am Wahlabend seine Niederlage öffentlich eingestanden. Für seine Zukunft hat er noch keine festen Pläne. Düsseldorf hingegen sieht er gut aufgestellt.
Als am 27. September klar war, dass sie die Stichwahl um das Amt des Düsseldorfer Oberbürgermeisters gegen ihren christdemokratischen Herausforderer Stephan Keller verloren haben, wirkten Sie gefasst.
Thomas Geisel: Ich war nicht glücklich, die Wahl verloren zu haben und wollte natürlich gewinnen, aber ich hab ja schon an dem Abend gesagt: Ich schaue ohne Bitterkeit zurück. Ich hatte eine erfüllende Zeit in meinem Amt und habe der Stadt prägendes hinterlassen.
Was wird denn ihrer Ansicht nach von ihrer Arbeit bleiben?
Geisel: Wir haben gezeigt, dass Düsseldorf eine sympathische Großstadt ist und eben keine Bling-Bling-Metropole – dieses Vorurteil gab es ja.
Das Vorurteile sind ja nicht aus der Luft gegriffen. Ihr Vorgänger Dirk Elbers hatte noch Menschen, die nach einer preiswerten Wohnung suchten, auf das Umland verwiesen.
Geisel: Die Düsseldorfer haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass Düsseldorf eine solidarische Stadt ist. Ob während der sogenannten Flüchtlingskrise, nach dem Orkan Ela oder zurzeit während der Coronakrise: Die Menschen helfen sich gegenseitig und haben ein hohes bürgerschaftliches Engagement. Ich glaube, die Wahrnehmung der Stadt hat sich aus guten Gründen in den vergangenen Jahren geändert und daran hatte ich meinen Anteil – und das war mir auch wichtig. Übrigens auch, dass Menschen in unserer Stadt wieder bezahlbaren Wohnraum finden.
Neuen Wohnraum zu schaffen war 2014 eines ihrer zentralen Wahlversprechen.
Geisel: Unser Ziel war es, jedes Jahr 3000 neue Wohnungen auf den Weg zu bringen. 2019 wurden sogar 4175 Wohnungen genehmigt. Damit habe ich dieses Wahlversprechen mehr als gehalten. 2019 wurden auch erstmals seit Jahrzehnten wieder mehr Sozialwohnungen neu gebaut, als aus der Sozialbindung herausfielen. Um das zu erreichen, haben wir die städtische Wohnungsbaugesellschaft gestärkt und sämtliche Fördermittel abgerufen, die uns Bund und Land für den Wohnungsbau zur Verfügung stellten.
Im Wahlkampf konnten Sie damit nicht bei den Düsseldorfern punkten.
Geisel: Nein, leider nicht. Der Wahlkampf hat darunter gelitten, dass die großen Themen wie Wohnungs- und Schulbau von den Wählern offenbar als abgehakt angesehen wurden. Es drangen Themen in den Mittelpunkt, die für die Stadtentwicklung unbedeutend waren, aber stark polarisierten: Ein Pop-up-Radweg, das Video mit dem Rapper Farid Bang und die Umweltspur. Die überdeckten auch das große Zukunftsthema der Mobilitätswende.
Mit Farid Bang, der auch wegen antisemitischer und sexistischer Texte bekannt ist, sorgten sie bundesweit für Diskussionen.
Geisel: Mit der Idee mit einem Video mit Farid Bang Jugendliche dazu zu bringen, sich in der Pandemie an die Regeln zu halten, habe ich mich natürlich angreifbar gemacht. Das war im Nachhinein gesehen sicher ein Fehler. Über die Umweltspur ärgere ich mich insofern, als wir proaktiv mit der Landesregierung an dem Verkehrsversuch mitgewirkt haben. Ich hätte das nicht machen müssen und den Streit mit der Umwelthilfe dem Land überlassen können. So aber habe ich dem politischen Gegner eine Thema geliefert.
2014 hieß es, nicht sie seien gewählt, sondern ihr Vorgänger Elbers abgewählt worden. Wie schaut es heute aus: Wurde Keller gewählt oder wurden sie abgewählt?
Geisel: Das ist immer schwer zu sagen. Herr Elbers wurde sicher auch deshalb abgewählt, weil viele sich fragten, was er eigentlich für Düsseldorf geleistet hatte. Bei mir war es vielleicht eher umgekehrt. Immerhin darf ich darauf verweisen, dass unmittelbar nach meiner Wahl von der Rheinischen Post ein OB-Meter eingerichtet wurde, anhand dessen überprüft werden sollte, ob ich meine Wahlversprechen einhalten würde. Tatsächlich wurde dieses OB-Meter bereits nach drei Jahren eingestellt, weil ich schon zu diesem Zeitpunkt praktisch alle Versprechen erfüllt hatte. Vielleicht war dieses Tempo für den einen oder die andere in der Stadt ein wenig zu hoch und mancher Wähler hat sich leichter getan mit den eher etwas wolkigen Wahlversprechen von Herrn Keller – klimagerechte Stadt, beste Kinderbetreuung oder staufreies Düsseldorf beispielsweise – deren Einlösung naturgemäß nicht ganz einfach zu überprüfen sein wird. Mal sehen, ob es wieder ein OB-Meter gibt…
Den Städten brechen die Steuereinnahmen weg und der Bund und die Länder werden nicht alles ausgleichen können. Die Gestaltungsspielräume der Politik werden enger. Sind sie nicht insgeheim froh, dass das jetzt die Probleme ihres Nachfolgers sein werden und nicht mehr ihre?
Geisel: Wer mich die letzten Jahre beobachtet hat, wird nicht behaupten können, dass ich mich wegducke. Die nächsten fünf Jahre werden, aus den von Ihnen genannten Gründen, nicht einfach. Aber Düsseldorf ist so aufgestellt, dass es aus der Krise gestärkt herauskommen kann. Düsseldorf ist wirtschaftlich und finanziell besser auf die Krise vorbereitet als fast alle anderen Städte.
Was würden Sie im Rückblick im Wahlkampf anders machen?
Geisel: Wir haben im Wahlkampf nicht geschafft, die großen Erfolge der letzten sechs Jahre in den Mittelpunkt zu stellen. Das hätten wir tun müssen. Ich darf nur die Themen Schulbau, Wohnungsbau, Bäderbau, Sanierung der Kulturinstitute, Bau von neuen Radwegen und Ansiedlung von neuen Unternehmen nennen. Nicht nur meins, auch das Ergebnis der SPD, die mit 17 Prozent hinter CDU und Grünen auf Platz drei gefallen ist, war enttäuschend. Als SPD wären wir besser mit breiter Brust und mit dem Claim „Wir sind die Düsseldorf Partei“ in den Wahlkampf gegangen. Stattdessen glich der SPD-Wahlkampf eher dem einer Oppositionspartei. So erklärt sich das schlechte Ergebnis der SPD bei der Ratswahl, dass sich auch auf mein Ergebnis bei der Oberbürgermeisterwahl ausgewirkt hat.
Sie haben mit einer Ampelkoalition im Rat regiert. Vor der Stichwahl haben die Grünen nicht dazu aufgerufen, Sie zu wählen.
Geisel: Wenn ich mir die Schnittmenge zwischen der Programmatik der Grünen und meinen Zielen anschaue, wäre es naheliegend gewesen, wenn die Grünen mich bei der Stichwahl unterstützt hätten. Dass sie es nicht getan haben, hatte wohl eher taktische als inhaltliche Gründe.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Geisel: Bis zum 31. Oktober bin ich noch Oberbürgermeister Düsseldorfs. In einer Krise wie wir sie zurzeit erleben, bin ich damit ganz gut beschäftigt. Danach werde ich eine Auszeit nehmen. Hinter mir liegen sechs schöne aber auch anstrengende Jahre. Dann werde ich gemeinsam mit meiner Familie überlegen, was ich künftig machen will. Ich habe eine gute Ausbildung und reichlich Berufserfahrung.
Steigen Sie nun aus der Politik aus?
Geisel: Ich habe nicht vor, mich aus der Politik zurückzuziehen. Ich werde mich vor dem Hintergrund gefährlicher Spaltungstendenzen gerade in unserer sehr heterogenen Stadtgesellschaft weiterhin für sozialen Zusammenhalt und gegen Ausgrenzung, Ausländerfeindlichkeit und Rechtspopulismus engagieren. Aber mein Ratsmandat werde ich nicht annehmen. Das ist für mich eine Frage der politischen Hygiene. Der alte OB sollte nicht der Dauermäkler an seinem Nachfolger im Stadtrat sein.
Das Interview erschien in ähnlicher Form bereits in der Welt am Sonntag