Gert Lindemann. Sagt Ihnen der Name etwas? Gert Lindemann ist Niedersachsens Landwirtschaftsminister, also derjenige, der am Sonntagnachmittag kurzfristig zu einer Pressekonferenz geladen hatte und verkündete, im Grunde sei die „Quelle“ des EHEC-Erregers gefunden. Er habe zwar noch keine Beweise, da die Laboruntersuchungen erst am Montag erste Befunde lieferten. Aber die Indizienkette – bestehend aus Lieferbeziehungen – sei so dicht, dass die Sprossen und der Biobauernhof aus Bienenbüttel faktisch überführt seien.
Am Montag meldete das Labor o.B. – „ohne Befund“. Armer Gert Lindemann. Am Dienstag ergab dann die Überprüfung einer älteren Tüte Sprossen, die ein Kunde im Kühlschrank vergessen hatte, ebenfalls „negativ“. Ganz negativ nicht nur für Lindemann, sondern für alle mit dieser Angelegenheit befassten Stellen. Man stand wieder am Anfang, ein Rückschlag auf Punkt Null, die Suche musste von vorn beginnen.
Es kann davon ausgegangen werden, dass – wie in etwa drei Viertel aller Fälle – auch diese Suche im Sande verlaufen wird. Die Annahme scheint sich zu bestätigen, dass sich der ganze Spuk so unerklärlich verzieht, wie er gekommen ist. Seit vier Tagen ist die Zahl der Neuinfizierten rückläufig, werden mehr und mehr EHEC-Erkrankte aus den Kliniken entlassen, kurzum: ist die Hoffnung berechtigt, dass sich die Situation allmählich entspannt.
Es ist wahrscheinlich, dass der arme Lindemann mit seinem Hinweis auf den Sprossenhof Recht hatte, auch wenn er für diese These nie und nimmer wird Beweise liefern können. Immerhin kann er jetzt auch anführen, dass auf dem Hof selbst eine Reihe von Mitarbeiterinnen an EHEC erkrankt ist, wobei freilich sein anfänglicher Hinweis auf die Abnehmer des Hofes noch gewichtiger war. Niemand konnte Lindemanns Behauptung widerlegen, faktisch alle Fälle schwerster Krankheitsverläufe ließen sich bis zum Hof zurückverfolgen.
Nur eine einzige Charge einer inzwischen einige Wochen zurückliegenden Sprossenlieferung dürfte mit dem todbringenden Keim verseucht gewesen sein. Wir haben gelernt, dass das Ziehen dieser Sprossen unter Bedingungen geschieht, die auch ideal für Kolibakterien sind: Wasserdampf, 38 Grad Celsius. Dass in diesem Milieu auch so ein brandgefährliches „Hybridbakterium“ gedeihen kann, ist ebenfalls keine Überraschung. Es ist müßig, nach Ort und / oder Ursache der Verunreinigung zu fahnden.
Es wird nicht herauszufinden sein, ob das Bakterium erst in Bienenbüttel oder bereits bei einem Zulieferer den Zugang zu den Sprossen (-samen) gefunden hat. So etwas passiert schnell, eine kleine Unachtsamkeit, nennen wir sie „Schlamperei“ oder „menschliches Versagen“. Wer weiß? Eine Berührung mit der Hand oder etwas, das auf den Boden gefallen ist, doch einmal kurz wieder dahin getan, wo es –eben nicht! – hingehört. Verzeihlich, unverzeihlich? Wo Menschen sind, wird sich jedenfalls der Fehler niemals vollständig ausschließen lassen.
Umso dringender ist es, die Möglichkeiten staatlicher Reaktion auf einen laufenden Seuchenprozess zu optimieren. Man mag bezweifeln, ob dies in der aktuellen EHEC-Krise die Spurensuche nennenswert beschleunigt hätte. Aber niemand bezweifelt, dass der Kompetenzwirrwarr zwischen den diversen Behörden suboptimal ist. Schon dass zwei Bundesministerien (Verbraucherschutz und Gesundheit) gleichrangig zuständig sind, erscheint als probleminadäquat.
Das größte Hindernis einer effektiven Seuchenbekämpfung stellt in Deutschland jedoch zweifelsohne der Föderalismus dar. Auch während der EHEC-Krise hat sich (abermals) gezeigt, dass die Bundesländer auf ihre verfassungsmäßigen Rechte pochen und keineswegs bereit sind, sich der Weisungsbefugnis irgendeiner „Bundeszentrale“ zu beugen. Dies aber ist offensichtlich grotesk. Europäische Partnerländer spotten über die daraus resultierende strukturelle Handlungsunfähigkeit deutscher Behörden, und auch kein deutscher Politiker würde den Status Quo als optimal bezeichnen.
Hier jedoch rasch Fortschritte im Sinne der Fähigkeit zu einer schnellen Krisenreaktion erzielen zu können, muss gegenwärtig als ein fast aussichtsloses Unterfangen bezeichnet werden. Zum einen wegen der starken Stellung der Länder und Landespolitiker, die nicht bereit sind, kampflos Positionen zu räumen. Zum anderen wegen der im Grundgesetz „felsenfest“ verankerten föderalen Strukturen – eine Reaktion auf den Zentralstaat der Nazis. Im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts wie der politischen Wirklichkeit erscheint eine Überwindung dieser Dysfunktionalität als nahezu ausgeschlossen.
Eine Lösung dieses Dilemmas könnte darin bestehen, die europäische Ebene mit weitreichenden Befugnissen in der Seuchenbekämpfung auszustatten. Dies ist ohnehin auch von der Sache her geboten: Bakterien und Viren pfeifen nämlich nicht nur auf die Grenzen der Bundesländer, sie respektieren die Staatsgrenzen ebenfalls nicht. Es sind keine günstigen Zeiten für eine Europäisierung dieser Aufgaben, insgesamt dürfte es aber aussichtsreicher sein, eine solche, mit „robusten“ Befugnissen ausgestattete „Schnelle Eingreiftruppe“ in Brüssel zu implementieren als in Berlin.
„Eine Lösung dieses Dilemmas könnte darin bestehen, die europäische Ebene mit weitreichenden Befugnissen in der Seuchenbekämpfung auszustatten.“ Natürlich, was auch sonst? Weiterer Zentralismus soll es also bringen, das passt zum allgemeinen Zeitgeschehen. Meine Lösungsvorschlag: Verbraucherschutz und Gesundheit endlich privatisieren!
Eine andere Lösung besteht darin, Salat vor dem Verzehr zu waschen (Hygiene war schon immer die beste Seuchenprävention) und zu warten bis auch dieser Politik- und Medienhype sich wieder totgelaufen hat.
Eine Lösung dieses Dilemmas könnte darin bestehen, dass, wie Trotter5 bereits geschrieben hat, Salat vor dem Verzehr zu waschen .
Eine andere Lösung dieses Dilemmas könnte darin bestehen, dass die Kontrolle von lebensmittelverarbeitenden Betrieben verstärkt wird, und das heißt, insbesondere auf kommunaler Ebene müssen entsprechend ausreichend Kontrolleure vorhanden sein.
Eine weitere Lösung dieses Dilemmas könnte darin bestehen, dass die gegenwärtigen Konsumgewohnheiten, nämlich immer öfter fertig belegte Brötchen/Baguettes/Sandwiches oder fertig zubereite Salate für auf die Hand und/oder aus Großkantinen zu erstehen und zu verzehren, überdacht wird. lles was bereits zubereitet ist und gelagert wird, man dabei aber die Lagerungsvorschriften nicht peinlich genau einhält, ist ein Herd für böse Erkrankungen (man denke an Eiersalate/Mayonaise im Sommer > Salmonellen).
Eine noch eine weitere Lösung dieses Dilemmas könnte darin bestehen, einfach mal genauer hinzuschauen, bevor irgendwelche Theorien in die Welt geblasen (insbesondere von staatlicher Seite) und medial (öffentlich-rechtlich wie privat-rechtlich) breit getreten und ausgeschlachtet werden. Das führt zu einer völligen Verunsicherung und zu einem (bewussten hingenommen) wirtschaftlichen Aus für Unternehmen und trägt nicht zu einer Klärung der Ursachen bei.
Keine Lösung dieses Dilemmas ist darin zu sehen, auf Begrifflichkeiten der Sicherheitspolitik zurückzugreifen und eine Zentralisierung der Aufgaben der Lebensmittelkontrolle zu setzen. Denn diese ist, auch in Notlagen, nicht geeignet, umfangreiche Kontrollen vor Ort vorzunehmen. Ganz abgesehen davon eignen sich zentralisierte Strukturen wesentlich besser, unangenehme Befunde unter den Tisch zu kehren.
Man hat vor Ort die erforderlichen Befugnisse und Kenntnisse, man hat das erforderliche Personal (nur nicht in ausreichender Zahl, ähnlich wie bei der Steuerprüfung), weshalb also der Ruf nach einer Zentralisierung?
Vielleicht war es auch einfach eine Verkettung von Ereignissen, die sich trotz der Einhaltung aller Hygienevorschriften ergeben hat. Kann passieren, auch wenn es den Erkrankten und Gestorbenen nicht mehr hilft, sehr zu meinem Bedauern.