
Es läuft aktuell nicht gut für die Ukraine und den Westen. Die große Gegenoffensive der Ukraine im Jahre 2023 ist gescheitert: Vor allem die Uneinigkeit des Westens hat zu dieser Niederlage beigetragen. Panzerlieferungen an die Ukraine sind ausgeblieben oder kamen zu spät. Bei der Lieferung von Kampfjets kam es zu Verzögerungen. Das Budapester-Memorandum – der Westen garantiere der Ukraine Sicherheitsgarantien, im Gegenzug gab die Ukraine ihre Atomwaffen aus sowjetischen Beständen ab – hat keine Gültigkeit mehr.
Im Vorfeld von Putins Invasion wünschte sich die Ukraine die Lieferung von MILAN-Panzerabwehrwaffen und Bundeswehrbeständen: Die Bundesregierung unter Olaf Scholz lehnte die Lieferung letaler Waffen ab. Berlin schickte stattdessen 5000 Helme. Man darf spekulieren, ob die ersten Kriegstage – oder aus russischer Sicht: die ersten Tage der Spezialoperation – anders verlaufen wären, hätte die Ukraine die Möglichkeit gehabt der russischen Soldateska größeren personellen und materiellen Schaden zuzufügen.
Putins erstes Kriegsziel, die Einnahme Kyjiws, ist nach wenigen Tagen gescheitert. Seit 2022 sieht der Westen dem Abnutzungskrieg in der Ukraine zu.
Krieg gegen den Westen
Der Westen spielt dabei nach den Regeln des früheren KGB-Offiziers Wladimir Putin. Dieser hat die westliche Gesellschaft durchanalysiert: Bei angekündigten Waffenlieferungen und logistischen Hilfen für die Ukraine, betont Russland immer wieder gerne sein Nuklearpotential und warnt vor einen nuklearen Krieg, der das Ende der Menschheit bedeuten könnte. Putins fünfte Kolonne – in Deutschland in Form der (sogenannten) Friedensbewegung, des BSW, der AfD und der Linkspartei – warnt dann vor einer Eskalation und betont die Wichtigkeit einer Verhandlungslösung: Die Putin nie wollte und immer noch nicht will. Mit der Wahl von Donald „Krasnov“ Trump zum US-Präsidenten ist die Lage noch komplizierter geworden: In den US-Wahlkampf ging er mit mit dem Versprechen, den Ukrainekrieg in kurzer Zeit zu beenden. Es spricht viel dafür, dass dies dann zu russischen Bedingungen geschieht.
Was würde passieren, wenn dies geschieht? Was passiert, wenn Russland gewinnt?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala in seinem Buch „Wenn Russland gewinnt – ein Szenario“, das am 20.03.2025 veröffentlicht wurde.

Das Szenario
Das Jahr 2028: Russische Truppen erobern die estnische Kleinstadt Narwa, als Begründung dient eine angebliche Diskriminierung der russischen Minderheit in Estland. Auf der Ostsee-Insel Hiiumaa hisst ein russisches Kommando, ausgesetzt von einem U-Boot, die russische Flagge und hinterlässt eine Flasche Wodka. Eine Anspielung auf den bis 2022 andauernden Konflikt zwischen Dänemark und Kanada um die Hans-Insel.
Der Westen bekommt jetzt die Auswirkungen des „Friedensvertrages von Genf“ zu spüren, der im Jahre 2025 beschlossen wurde: Die Ukraine hat ihre Kapitulation unterschrieben.
Keine klassische Kapitulation, aber die Aufgabe von mehr als 20% ihrer Gebiete. Land, für das sie drei Jahre unter erheblichen Verlusten gekämpft haben. Doch jetzt fehlen ihnen das Personal, das Material und die Unterstützung des Westens, um den Kampf weiterzuführen.
Machthaber Putin hat sich offiziell zurückgezogen und lenkt aus dem Hintergrund. Der neue Präsident Russlands ist jung, charismatisch und sorgt mit angeblicher, neuaufgelegter, „Perestroika“ für eine Lockerung der westlichen Sanktionen. Die „Spezialoperation“ in der Ukraine ist aus russischer Sicht gut gelaufen, abgesehen von der Dauer des Konflikts.
Auf einem Strategietreffen der russischen Eliten aus Militär, Präsidialverwaltung, Inlandsgeheimdienst FSB und dem Militärgeheimdienst GRU wird die Lage analysiert und eine Fortsetzung der Politik Wladimir Putins beschlossen:
Aus meiner Sicht, so argumentiert der Chef des GRU, ist der Westen in mehrfacher Hinsicht schwach: Zum einen sind seine Bemühungen zur Auf- und Ausrüstung der eigenen Streitkräfte erheblich ins Stocken geraten. Zum Anderen scheint es nicht so, als ob die politischen Eliten oder die Gesellschaften bereit wären, nach den drei Jahren der Unterstützung der Ukraine, noch einmal einen hohen Preis zu zahlen. Selbst für die Verteidigung kleinerer Territorien innerhalb des NATO-Vertragsgebietes. Und schließlich ist die Furcht vor einer nuklearen Eskalation eines solchen Konfliktes immer noch überragend groß. Insbesondere in Deutschland.
Moskau, 27. März 2028: Der Plan, der aus dieser Analyse des Westens hervorging, wurde umgesetzt. Die estnische Kleinstadt Narwa wurde durch Russland besetzt, mit Hilfe der russischen Minderheit in Estland, die im Vorfeld mit Waffen versorgt wurden. Die Verwirrung im Westen ist groß. Aufgrund dieses Erfolges, eskaliert Russland weiter. Man kommuniziert gegenüber dem Westen „begrenzte Interessen“ – die das Risiko eines nuklearen Konfliktes nicht wert sind. Der Plan ist, dem Westen eine gewisse Schizophrenie vorzuspielen: Dass er glaubt, das Russland keine Konfrontation möchte. Während es weiter eskaliert. Als Angriffsziel wird eine unbewohnte Insel ausgewählt, auf der die russische Flagge gehisst werden soll, ohne direkt NATO-Truppen anzugreifen. Wie reagiert der Westen?
Aus den Erfahrungen des Ukraine-Krieges und der nachlassenden Unterstützung des Westens, erstellt Carlo Masala hier ein düsteres Szenario. Russland hat die europäische Sicherheitsstruktur geschwächt. Den Ukrainekrieg, auch wenn die Kriegsziele Kyjiw einzunehmen, die Ukraine komplett zu besetzen und Präsident Wolodymyr Selenskyj loszuwerden nicht erreicht wurden. 20% der Ukraine sind in russischer Hand. Den hybriden Krieg gegen den Westen hat Russland gewonnen: Ehemalige Militärs des Westens, Teile der Bevölkerung und Politiker wollen den Frieden mit Russland, zu Russlands Bedingungen, akzeptieren. Masalas Quintessenz:
Warum besteht die NATO den Test nicht, vor den sie gestellt wird? Wie realistisch sind die geschilderten Abläufe und was können wir tun um zu verhindern, dass sich das Ergebnis in der Realität wiederholt? Es geht also um Lehren, die aus diesem Szenario zu sehen sind, für die Konfrontation mit Russland.
Denn die wird andauern. Ganz egal, wann und wie der Konflikt in der Ukraine endet.
„Wenn Russland gewinnt – ein Szenario“ ist ein Buch, das man sich auf den Nachttischen der westlichen Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Militär wünscht: Die Lehre aus diesem (realistischen) Szenario kann nur lauten: Ein Appeasement gegenüber Russland, wird die gleichen Folgen haben wie die Beschwichtigungspolitik 1938. So wie die Tolerierung der Annexion des Sudetenlandes in München 1938 Hitler ermutigte weiter zu eskalieren, wird eine Tolerierung der Annexion von Teilen der Ukraine den russischen Machthaber nicht besänftigen: Sondern zu weiteren Eroberungen ermuntern. Was dabei hilft: Mehr Waffen für die Ukraine und keine Beschränkungen für deren Einsatz. Das man der Ukraine durch Bedingungen für die Waffenlieferungen aufzwang quasi mit gebundenen Händen zu kämpfen, ist für Carlo Masala ein Grund für deren vergangene und aktuellen Misserfolge beim Zurückdrängen der Invasoren.
- Wenn Russland gewinnt – ein Szenario
- 119 Seiten, Erschienen: 26. März 2025