Unser Gastautor Sven Leimkühler arbeitet mit Jugendlichen aus Duisburg, die ein Stück gegen Antisemitismus erarbeitet haben.
Manches mal macht mir meine Arbeit als Sozialarbeiter richtig Spaß. Dann, wenn ich merke, dass die Arbeit etwas bewegt und zu Veränderungen führt. Gestern zum Beispiel, ein Tag, an dem die neue Theatergruppe der Duisburger HeRoes, „Die Blickwandler“, ihr bewegendes Stück „Benjamin und Mohammed“ auf die Bühne im Saal der jüdischen Gemeinde Duisburg brachte. Und das mich tief beeindruckt hat. Als Mitarbeiter des Trägervereins habe ich natürlich mit den HeRoes Duisburg, den jungen Muslimen in Auschwitz, aber auch den Theaterprojekten zu tun. Aber wenn, dann nur am Rande, in der Organisation. Meine pädagogischen Arbeitsschwerpunkte sind andere, und trotzdem, oder auch gerade deshalb war ich sehr gespannt auf das Theaterstück, welches von Menschen inszeniert wurde, die sich alle durch das Projekt „junge Muslime in Auschwitz“ bereits mit dem Thema Antisemitismus auseinander gesetzt haben. Gandhi Chahine, Gründungsmitglied der Sons of Gastarbeita, führte Regie bei diesem Stück in 7 Szenen.
Es ist für mich nach wie vor bedrückend, wie wenig selbstverständlich ein unbedrohtes jüdisches Leben in Deutschland ist, in Duisburg, mitten im Ruhrgebiet. Eine Synagoge, die von der Polizei nach wie vor bewacht werden muss, und eine Sicherheitsschleuse, bei der ein Durchgang erst möglich ist, nachdem die Außentür geschlossen ist, und der Name angeben werden muss. Die Besucher kamen nur nach Voranmeldung rein, so auch ich. Im Hof der Synagoge verfliegt jedoch das kurze Gefühl der Anspannung wieder. Natürlich wird Sicherheit großgeschrieben, und dass nicht erst dieser Tage. Das Thema Antisemitismus ist wahrlich kein neues, und dass Juden und jüdische Einrichtungen immer wieder bedroht sind, wird auch in der Öffentlichkeit mittlerweile wahr genommen.
Im Saal des Gemeindehauses, im Gebäude gegenüber der eigentlichen Synagoge gelegen, findet die Aufführung statt. Nun bin ich im schätzen von Teilnehmerzahlen nie besonders gut gewesen. Ich schätze aber mal, dass sich letztlich um die 100 Menschen eingefunden haben, um die Aufführung zu sehen. Nach der offiziellen Begrüßung seitens der jüdischen Gemeinde durch Alexander Drehmann, und der Projektleitung des HeRoes- Projektes in Duisburg, Susanne Reitemeier- Lohaus, ging es auch schon los. Gandhi Chahine und Burak Yilmaz, Gruppenleiter bei HeRoes Duisburg, führten aus, wie es Ihnen ging, sich mit einem Thema auseinander zu setzen, welches aufgrund aktueller Vorfälle zwar öffentlich heiß diskutiert, aber dann doch lediglich so geführt wird, das man es bequem abschieben kann. In der öffentlichen Debatte wird die Täterposition eingenommen, der oder die Täter beleuchtet, der Migrationshintergrund steht im Vordergrund, nicht jedoch die permanente Präsenz von Antisemitismus, und zwar weit bevor es überhaupt zum Zuzug vieler geflüchteter Menschen in den Jahren 2015 und folgende kam. Gandhi Chahine weisst darauf hin, wenn er davon spricht, dass 70 Jahre geschichtlich ein Wimpernschlag sind. 70 Jahre, die zwischen der nahezu vollständigen Auslöschung jüdischen Lebens in Deutschland und den von Deutschland eroberten Gebieten und dem heutigen Tag liegen. Das Stück relativiert nicht, versucht nicht, durch den Hinweis auf den Antisemitismus der Mehrheitsgesellschaft jenen zu beschönigen, welcher in einigen muslimischen Communities vorherrscht. Es wird nicht relativiert, es wird aber im Vorwort gerade gerückt, ins Verhältnis gesetzt, und das tut gut. Während des ganzen Theaterstücks wird nichts beschönigt, es wird nicht anhand von relativistischen Erklärungsmustern erklärt, was nicht zu erklären ist. Aber es wird die Vielschichtigkeit des Themas aufgezeigt, es geht auf die unterschiedlichen Ebenen ein. Da ist Benjamin, ein junger Jude, der sich auf der Arbeit nicht traut, zuzugeben, dass er Jude ist, der eine junge Frau kennenlernt und stockt, als er erfährt, dass sie libanesische Wurzeln hat und zunächst nur rausbekommt, dass sie aber besseres Humus machen würden, und zum Schluss zusammen mit seinem Freund Mohammed von einer Gruppe Jugendlicher angegriffen wird. Da ist Mohammed, sein Freund, der von seinen Erfahrungen von Ausgrenzung und Diskriminierung berichtet, aber sie nicht gegen die Erfahrung von Benjamin stellt. Es ist Mohammed, der die Erfahrungen nachvollziehen kann, es ist Mohammed, der nicht in Frage stellt, sondern Partei ergreift, auch dann, wenn es ernst wird.
Die Geschichte von Benjamin und Mohammed ist der Rahmen, die Klammer, die das Stück zusammen hält. Andere Szenen erzählen von Vorurteilen, von Rassismus, vom Deutsch-sein als Türke oder dann doch umgekehrt oder gar nichts von beiden und dem fortwährenden Fremdsein, von der Erfahrung der Flucht, dem hinter sich lassen von allem, was man kennt, von der Unfreiheit in der Familie, wenn der Vater vehement verhindern will, was er selber falsch machte, oder wenn die Angst davor, als nicht männlich zu gelten, in der Umkehrung zu einer maskulinen Farce wird, all das wird gezeigt. Und die Auseinandersetzung um all das sieht man dem Stück an, nicht krampfhaft, nicht gewollt, sondern mit Spaß und Lust am wachsen und lernen, aber auch mit der gebotenen Ernsthaftigkeit. Es schmälert aber die Ernsthaftigkeit nicht, wenn es in manchen Situationen witzig wird, ganz im Gegenteil. Das die Jungs wissen, wovon sie reden, worin sie agieren, merkt man ihnen an. Dass sie sich nichts anmaßen. Natürlich kriegt die Mehrheitsgesellschaft ihren Fett weg, und dass mit Recht, wenn über die Erinnerungskultur gesprochen wird, dessen Vater „Vergangenheitsbewältigung“ und deren Mutter „Nie wieder!“ heisst und letztlich nichts anderes ist als das aktive Verdrängen und Verschieben. Um keine Haltung zu zeigen, um nicht einzuschreiten, wenn es um Antisemitismus geht, um zu verdrängen, wenn es um das Wohl von Menschen geht. Menschen die noch Leben wollen, frei von Antisemitismus, frei von Rassismus, aber auch frei von einschränkenden Geschlechterrollen, frei von unerfüllbaren Erwartungen. Es liefert aber keine Entschuldigungen, nicht für die Mehrheit in der Gesellschaft, aber auch nicht für die Minderheit. Insofern ist es auch konsequent, dass die Szenen nicht immer aufgelöst werden. Und zum Teil auch schwer auszuhalten sind.
Ein spannendes und vielschichtiges Stück von und mit jungen Menschen, die vom Publikum eine Haltung einfordern, die sie selber zeigen: Gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, für eine offene Gesellschaft, in der ein Anders-sein angstfrei möglich ist.
Weitere Termine stehen noch nicht fest, werden aber auf Facebook auf der Seite der HeRoes Duisburg und Jungs e.V. angekündigt werden, oder unter www.jungsev.de und www.heroes-net-duisburg.de.