Das Arye Sharuz Shalicar einmal ein hoher Beamter der israelischen Regierung werden würde, war in seiner Jugend äußerst unwahrscheinlich: Der in Göttingen geborene Sohn jüdischer Einwanderer aus dem Iran verbrachte seine Jugend im Berliner Stadtteil Wedding. Er war in Gangs, wurde kriminell, prügelte sich und wurde verprügelt und schaffte nur knapp – und wegen des Drucks seiner Eltern – das Abitur. Schule und Bildung interessierten ihn nicht die Bohne. Eigentlich war sein weiterer Lebensweg ebenso vorgezeichnet wie der seiner Jugendfreunde: Eine kriminelle Laufbahn, immer wieder unterbrochen von Knastaufenthalten.
Aber es kam anders: „Doch im Alter von 18 Jahren schwenkte ich um, als mich mein bester Freund, der gerade frisch aus dem Gefängnis kam, nicht an einem Raubüberfall beteiligen wollte, weil er der Meinung war, dass aus mir einmal etwas werden könnte. »Aus mir könnte einmal etwas werden?«, fragte ich ihn verdutzt. Und er antwortete mir im Brustton der Überzeugung: »Ja, ich glaube fest daran, dass aus dir etwas Anständiges werden kann und du den Weg rausfinden wirst, wenn du dich nur bemühst.« Ich folgte seinem Rat.“
Shalicar wanderte nach Israel aus, finanzierte dort sein Studium mit zahllosen Nebenjobs, denn seine Eltern konnten ihn nicht finanziell unterstützen. Er machte erst als Pressesprecher im Rang eines Majors Karriere bei der israelischen Armee und arbeitet heute als hoher Beamter für die israelische Regierung. In Deutschland wurde er bekannt durch seine Bücher „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude: Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde“ und „Der neu-deutsche Antisemit: Gehören Juden heute zu Deutschland? Eine persönliche Analyse“. Nun ist mit „100 Weisheiten, um das Leben zu meistern: Selbst wenn du aus dem Ghetto stammst“ sein drittes Buch erschienen. Es wendet sich an Jugendliche wie er einer war die in den miesen Stadtteilen wohnen und deren Leben oft schon vorbei zu sein scheint, bevor es richtig begonnen hat. In dem Buch gibt Arye Sharuz Shalicar 100 Tipps, wie man sein Leben in den Griff bekommen kann, auch wenn man in einem der Stadtteile lebt, denen Politiker „besonderem Entwicklungsbedarf“ bescheinigen. In so einem Viertel aufzuwachsen hat für Shalicar auch Vorteile. „Meine Vergangenheit auf den Straßen Berlins hilft mir, auch den »einfachen« Menschen zu verstehen, zu tolerieren und, wenn möglich, ihm unter die Arme zu greifen. Es hilft mir, ihm auf Augenhöhe zu begegnen. Und genau das ist Gold wert!“ er, der früher Bildung nach Möglichkeit mied, ruft jetzt zum Lernen auf: „Außer Donald-Duck-Comic-Heften hatte ich im Laufe meiner Kindheit und Jugend kein einziges Buch aufmerksam gelesen. Das war mir in bestimmten Situationen äußerst peinlich. Ich wusste, dass ich viel aufzuholen hatte, nur fiel es mir sehr schwer, einen »Switch« zu machen, den Spaß beiseitezuschieben und Zeit ins Lernen zu investieren.“
In dem Buch geht es viel um Disziplin, Fleiß und die Bereitschaft aus eigenen Fehlern zu lernen. Und die Fehler, um die es geht, sind vor allem die des Autoren, der sich an keine Stelle schont und seinen Patzern im Buch weiten Raum gibt. Hier schreibt kein geborener Supermann, sondern jemand, der Fehler macht, sich blamiert und bis heute oft unsicher ist – aber gelernt hat, damit umzugehen, und sich nicht unterkriegen zu lassen. Shalicar ist Jemand, mit dem sich die Kids im Wedding, Marxloh oder im Hasenbergl identifizieren können. Er war wie sie und er redet in ihrer Sprache. Wohltuend ist ein fast amerikanischer Optimismus, der Lichtjahre von den Opfermythen deutscher Sozialarbeit entfernt ist. Hier redet jemand mit seinen Lesern auf Augenhöhe und will ihnen Mut machen und zeigen, was in ihnen steckt. Denn dass viel auch in den Jugendlichen der Problemvierteln steckt, da ist sich Shalicar sicher: „Du kannst (fast) alles erreichen, wenn du willst! Habe keine Ehrfurcht vor anderen Menschen oder neuen Herausforderungen. Du bist nicht schlechter, aber auch nicht besser als die meisten Menschen auf dieser Welt. Wir sind alle Menschen, mit ähnlichen Grundvoraussetzungen. Auch wenn es dir manchmal so vorkommen sollte, als ob du nichts könntest und alle um dich herum erfolgreicher sind als du, solltest du nie vergessen, dass wir alle, mehr oder weniger, gleich sind.“
Arye Sharuz Shalicar: 100 Weisheiten, um das Leben zu meistern: Selbst wenn du aus dem Ghetto stammst, FinanzBuch Verlag, 14,99 Euro
[…] Politologe, Publizist und Buchautor (Hundert Weisheiten um das Leben zu meistern, Der neu-deutsche Antisemit, Ein nasser Hund) mit deutsch-iranisch-israelischen Background hat […]