Mein Junge, der große, war nun eine Woche in einem Kinderzirkus in Bottrop-Kirchhellen. In den Ferien, um Spaß zu haben, Zaubern zu lernen und um betreut zu werden, wenn ich und meine Frau arbeiten. Eine tolle Sache so ein Ferienzirkus, ein richtiges Zirkuszelt, echte Artisten, Schausteller und Zauberer. Allerdings recht teuer. Eine Woche Spaß hat 120 Euro gekostet.
Jetzt zu Ostern war die große Aufführung des Kinderzirkus am Ende der Woche. Knapp über 100 Kinder traten auf – vor einem halben tausend Eltern, Brüder, Schwestern, Omas und Opas, Onkel und Tanten. Ein volles Zelt, ein großes Spektakel mit Musik und Clowns und Tamtata. Stolze Kinder im tosenden Applaus.
Ich habe im Dunkeln gesessen und über Gerechtigkeit nachgedacht. Gerechtigkeit ist vor allem Chancengleichheit. Jeder sollte auf der Welt möglichst die gleichen Chancen haben. Daran glaube ich.
Der Kinderzirkus ist nicht wichtig, um zu überleben. Er ist nicht wichtig, um Abitur zu machen. Aber es ist sicher besser, einmal als Kind in die Manege zu gehen, etwas zu wagen und dann zu bestehen, als dies nicht zu tun, und seine Ferien vor der Playstation zu verplempern.
Kinder von Hartz IV-Empfängern mussten für den Zirkus nur 15 Euro bezahlen, den Rest trägt die Stadt, damit sie teilnehmen dürfen. Das ist ganz sicher gut.
Kinder von Eltern, die arbeiten, bekommen keinen Zuschuss.
Ich kenne ein Ehepaar, die sind ehrlich. Die arbeiten viel. Beide, für ihre beiden Kinder. Sie verdienen nicht viel, aber sie kommen klar. Sie sind stolz auf ihre Selbstständigkeit. Sie fallen niemanden zur Last, im Gegenteil, von ihrem Lohn geht was an den Staat, damit der seine Aufgaben erfüllen kann. Dieses Ehepaar konnte sich die Woche Ferienzirkus für ihre Tochter nicht leisten. 120 Euro so nebenher waren zu viel.
Ich frage mich, ob das gerecht ist? Wo sind die Grenzen?
Das Ehepaar jedenfalls war traurig. Und ihre Tochter auch.
Foto: def110 auf Flickr.com unter creative commons
Mir ist nicht ganz klar, was in den Zusammenhängen die Bemerkung „die sind ehrlich“ soll? Nee, ist schon klar …
Das mit dem „die sind ehrlich“ ist echt ne blöde Aussage, die doch suggerieren soll, dass sie auch unehrlich Hartz IV beziehen könnten um es ihrem Kind zu ermöglichen. Das könnte man leicht interpretieren als, die HartzIV Empfänger die das machen sind unehrlich… Imho hat Ehrlichkeit nichts mit Hartz IV zu tun. Es gibt auch unehrliche Millionäre und ehrliche Hartzer.
Folglich sagt der Satz praktisch nichts aus, außer das die ganz nett zu sein scheinen… Aber schon komisch… Einen Satz wie „Ich kenne ein Ehepaar die haben nen blauen Teppich“ (mit gleicher Aussagekraft) lese ich trotzdem nicht…
Damit will ich nur sagen, dass die beiden ehrlich ihren Euro verdienen. Mehr nicht.
„Gerechtigkeit ist vor allem Chancengleichheit“
Quatsch! Dann wäre es ja gerecht wenn jede(r) BürgerIn einen Lottoschein zur Geburt bekommt. Haben dann ja alle die gleichen Chancen auf den Jackpot …
Wenn es im Leben nur darum ginge, Lotto zu spielen, wäre das richtig, Olaf in #4. Dann wäre es gerecht, wenn jeder einen Lottoschein kriegt.
Aber es geht um Schulzugang, um Unizugang, und auch um den Zugang zu Ferienangeboten.
Die Geschichte hier ist klein. Ganz klein. Aber sie hat mich ans Denken gebracht. Ist es gerecht, wenn ein Mann und eine Frau, die arbeiten, ihrem Kind keinen Zugang zu einem Kinderzirkus geben können, weil das 120 Mark kostet? Ein Hilfeempfänger aber nur 15 Euro zahlen muss und sich das leisten kann, obwohl er nicht arbeitet?
Meine Gedanken gehen in Richtung Mindestlohn. Wer arbeitet, muss auch was verdienen.
Nicht in die Richtung, denen alles zu nehmen, die wenig haben.
Finde das schwierig. Wenn jetzt (wodurch auch immer, Mindestlohn, bedingungsloses Grundeinkommen) jeder sich die 120EUR leisten könnte, wäre da vielleicht einer dabei, der seine kranke Mutter pflegt und finanziell unterstützt (und das nicht ersetzt bekommt, weil es ein Grenz/Sonderfall ist) und seine Kinder _deshalb_ nicht in den Kinderzirkus können. Das wäre auch ungerecht, könnte man meinen.
Vielleicht braucht aber auch jemand Medikamente für 100EUR im Monat, die die Kasse nicht zahlt, die aber helfen.
Wo zieht man die Grenze?
Ich glaube, „gerecht“ gibt’s nicht. Selbst bei Zivilrechtsangelegenheiten (bei „gerecht“ denkt man ja auch gerne mal an „Gericht“ oder „Rechtssprechung“) muss man sich ein Verfahren schon leisten können, um es z.B. in die nächsthöhere Instanz zu tragen. Prozesskostenhilfe gibt es auch nicht für jeden.
Ich finde gut, dass Du das Thema anschneidest.
Das Thema habe ich letztens mit einem Lehrer diskutiert.
Auch hier dürfen Hartz IV- Kinder kostenlos mit auf Klassenfahrten, während Kinder von Geringverdienern solche Ausflüge wegen Geldmangel verwehrt bleibt.
Keine Frage, ich finde gut, dass Hartz IV- Kinder (schlimmes Wort ich weiß) nicht ausgegrenzt werden. Aber schlimmer noch, dass Kinder von Geringverdiener, die Hart arbeiten um dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen, das verwehrt bleibt.
Es gibt im „System“ halt leider noch viele Baustellen.
Wenn Sie David wissen wo man eine gerechte Grenze ziehen kann, dann mal los, sie sind nämlich der erste…
Gruss
Ach und noch was, ich verstehe ihre Nachdenklichkeit, aber wenn die primitiven und besoffenen Hartzis dennoch ihre Kinder dahin schicken kann es mit dem sozialen Gedanken der „Unterschicht ja garnicht so weit sein, wenn sie an ihre Kinder denken. Nein ich weiß, das haben sie so nicht geschrieben und gedacht, wollte ich aber mal so frei im Raum sagen.
Gruss
David Schraven,
Vorweg, ich finde den Gedanken auf jeden Fall diskutierenswert, weil er ja in vielen Köpfen, vielleicht millionenfach grob vorformuliert, bereits Fuß gefaßt hat.
Aber wir sind auf Zahlen angewiesen, wenn es ja um Zahlen geht. Selbst dann ist das Thema schwierig genug.
„Ich kenne ein Ehepaar,die sind ehrlich. Dieses Ehepaar konnte sich die Woche Ferienzirkus für ihre Tochter nicht leisten. 120 Euro so nebenher waren zu viel.“
Diese Aussage beruht nur auf dieser einen Quelle!
Allerdings gibt es ja seit ein paar Tagen eine Vergleichsberechnung bezüglich der von Westerwelle in die Diskussion gebrachte, berufstätigen Kellnerin.
Die „Welt“zitiert einen Bericht der „Leipziger Volkszeitung“ :
„Der CDU-Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Ralf Brauksiepe, habe schriftlich eine Berechnungsanfrage der arbeitsmarktpolitischen Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Jutta Krellmann, beantwortet, berichtete die Zeitung.
Demnach hat die berufstätige Kellnerin bei regulärer Inanspruchnahme von Wohngeld und Kinderzuschlag monatlich 456 Euro mehr zur Verfügung als ein vergleichbares erwerbsloses Paar.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article6958101/Hat-Westerwelle-bei-Hartz-IV-falsch-gerechnet.html
Mich hat dieser Unterschied selbst überrascht.
Aber ich bin überzeugt, daß das Zahlenmaterial so stimmt, denn der CDU-Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Ralf Brauksiepe wird wohl der Vertreterin der Linken keine Steilvorlage hat geben wollen.
Eine Lösung des Problems könnte darin bestehen, dass Sozialtarife bei Angeboten wie dem Kinderzirkus nicht von der QUELLE des Einkommens der Eltern (Arge oder Arbeitslohn), sondern von dessen HÖHE abhängig gemacht werden. Unterschreitet das Einkommen eine bestimmte Höhe, hat die Familie Anspruch auf Sozialtarife, fertig.
Bevor solche grundsätzlichen Lösungen gefunden und umgesetzt sind, wäre den Eltern des Kindes, die sich den Kinderzirkus nicht leisten konnten, zu raten gewesen, das Gespräch mit den Anbietern zu suchen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dem Kind der ermäßigte Tarif und damit die Möglichkeit zur Teilnahme verwehrt geblieben wäre, wenn die Eltern ihre Situation dargelegt hätten. Welcher Anbieter wäre so hartherzig, die Kinder aus H-4-Familien aufzunehmen, andere Kinder aus ebenfalls finanziell schwachen Familien aber abzuweisen? Es wäre bestimmt möglich gewesen, dem betroffenen Kind durch eine Einzelfallentscheidung den Rabatt zu gewähren.
@Eva, …“wäre den Eltern des Kindes, die sich den Kinderzirkus nicht leisten konnten, zu raten gewesen, das Gespräch mit den Anbietern zu suchen.“
Das wäre so etwas wie betteln, was sich dann, bei der nächsten Attraktion für Kinder, wiederholen müßte.
Wir hätten das nie gemacht. Dann lieber verzichten. Unsere Kinder haben so viel bekommen, wie wir bezahlen konnten.
Aber die Idee von den Sozialtarifen, die vom Einkommen der Eltern abhingen, finde ich interessant.
@ Helmut Junge: Diesen Einwand habe ich erwartet. Tatsächlich ist es unschön, sich selbst als bedürftig outen zu müssen. Allerdings müssen das die H-4ler doch auch – um den Sozialtarif zu bekommen, müssen die eine Bescheinigung der Arge vorlegen. Macht bestimmt auch keinen Spaß.
Es bleibt aber natürlich dabei, dass die Sache grundsätzlich geregelt werden muss. Anspruch auf Sozialtarife sollten die Kinder haben, deren Eltern wenig Geld haben, ganz egal aus welchem Grund. Es kann ja nicht sein, dass bei gleichen finanziellen Verhältnisssen eine Gruppe von Kindern anders behandelt wird als eine andere.
@ eva
Womit der Kreis zum ursprünglichen Gedanken zur Gerechtigkeit geschlossen wäre.
Sie schreiben: „Tatsächlich ist es unschön, sich selbst als bedürftig outen zu müssen.“
Outen, also das öffentlich machen eines gesamtgesellschaftlich wenig akzeptierten Zustandes im Zusammenhang mit bedürftig sagt bereits, dass Bedürftigkeit etwas sein soll, wofür sich jemand schämen sollte.
Finden Sie das gerecht? Ich nicht.
Mit dem Chancenvergleich auf den Lottoschein bezogen meinte ich durchaus den Schulzugang, den Unizugang, und auch um den Zugang zu Ferienangeboten.
Alle hätten die gleichen „Chancen“ den Jackpot zu gewinnen und sich all das zu ermöglichen. Unabhängig vom Geschlecht und der Familie/Umgebung in die sie hineingeboren werden (vgl. OECD Studien)
Was ich meinte (okok, schwer zu lesen in meiner einen Zeile 😉 ist das der Begriff Chancengleicheit zu kurz gegriffen ist für mich.
Meine Gedanken gehen nicht nur in Richtung Mindestlohn sondern weiter in Richtung „bedingungsloses Grundeinkommen“ und dem Paradigmenwechsel von „Nur wer arbeitet ist etwas Wert“ zu „Du existierst, also habe Spaß. Wir haben Bildung hier, Kunst da, Sport dadrüben, da kannst du anpacken. Mach dir keine Sorgen woher du etwas gesundes und ausreichend zu essen herbekommst, Kleidung, Transport sowie ein Dach über dem Kopf gibt es auch!“ beginnen etwas entgegen zu setzen.
Wir arbeiten und perfektionieren uns selber überflüssig oder verlagern die Arbeit an andere Stelle und verschieben unsere Anforderungen in andere Bereiche (Dienstleistung statt Stahl & Kohle z.B. a.k.a. Strukturwandel).
Wenn man dem Menschen den ego-ismus und weitere -ismen austreiben könnte wäre das so einfach und sogar der theoretisch funktionierende Kommunismus wäre „gut“.
Aber man ist sich ja nunmal selbst am nächsten ;).
Schade, dass ich davon nicht vorher wußte…