Es kommt selten vor, dass ich quasi den ganzen Tag über live im TV dem politischen Treiben in Berlin zugucke. Gestern war wieder einmal ein solcher Tag. Die neue Bundesregierung nahm offiziell ihre Arbeit auf. Der Kanzler wurde gewählt, Amtseide wurden abgelegt. Das war schon etwas Besonderes.
Und obwohl ich bei der vergangenen Bundestagwahl keine der drei Ampel-Parteien gewählt habe, erfasste mich am Mittwoch in Anbetracht der Bilder eine gewisse Rührung, als der Regierungswechsel in der Hauptstadt vonstattenging. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, dass ich ausnahmsweise ein Stück weit stolz war, Deutscher zu sein. Und das ist eigentlich eine Emotion, die im Normalfall gar nicht zu mir passt. Wer mich etwas näher kommt, der weiß das. Ich war darüber selber überrascht, um ehrlich zu sein.
Eigentlich sollte es keine große Sache für den Normalbürger sein, wenn die Bundesregierung wechselt. Das kam in der Vergangenheit ja schließlich schon häufiger einmal vor. Meist folgte dann, egal ob man die Regierung nun begrüßte oder auch nicht, eine Phase der einsetzenden Enttäuschung. Fast schon logisch, für den realistischen Menschen, dass Hoffnungen auf wirkliche Veränderungen, auf eine Verbesserung der Lage nach Regierungsübernahmen meist enttäuscht werden. Die Zeit des Wahlkampfs ist schließlich vorbei.
Jetzt müssen die vollmundigen Versprechen in die Tat umgesetzt werden. Das ist meist weniger glorreich als es einem rund um die Wahl angekündigt wird. Das dürfte auch in der neuen Ampelregierung unter SPD-Kanzler Olaf Scholz mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht anders werden. Dessen war ich mir am Mittwoch vollauf bewusst. Und doch standen mir ein paar Mal sogar die Tränen im Auge, hatte ich Gänsehaut. Ich kann mich nicht daran erinnern, dies vor dem Hintergrund von nationaler Politik seit der Widervereinigung Deutschlands schon einmal so intensiv erlebt zu haben.
Der Grund dafür ist einfach: So wie das gestern hierzulande ablief, mit Würde und Stil, ist das keine Selbstverständlichkeit, wie wir in den vergangenen Jahren mehrfach miterleben mussten. Um sich dessen bewusst zu werden, muss man in seinem Gedächtnis gar nicht so weit zurückgehen. Was war das für ein unwürdiges Geschrei und Gezeter, als vor gut einem Jahr US-Präsident Donald Trump sein Amt verlor und die Macht an seinen Herausforderer Joe Biden abgeben musste. Von anderen Verhältnissen, wie von denen in Belarus wollen hier erst gar nicht sprechen.
Im Vergleich zu so unrühmlichen Abläufen war es wirklich vorbildlich, wie das im Jahre 2021 hier in Deutschland ablief. Abschiede mit Blumen und anderen kleinen Geschenken, respektvolle Worte, Dankbarkeit und Anerkennung. Viel Applaus und fast ausnahmslos freundliche Gesichter. Das tat richtig gut. Insbesondere in den aktuellen, schwierigen Zeiten.
Selbst wenn man sich darüber im Klaren ist, dass vieles davon Theater, sicherlich nicht immer ganz ehrlich gemeint war. Es hatte Stil und Klasse. Etwas, was man von der Politik nicht immer behaupten kann und was in dieser Form eher selten zu beobachten ist. Ich fand es trotzdem speziell und war dankbar für die Art und Weise, wie der Tag in Berlin ablief, wenn ich auch weiß, dass ich mich schon bald wieder über politische Entscheidungen und Verhaltensweise in Berlin, Düsseldorf und lokal aufregen werde. Und das natürlich zu recht. 😉
Am Mittwoch war ich wirklich stolz darauf, wie das hier ablief. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Dessen sollten wir uns auch bewusst sein!
Besser als im Mittelalter schon och so fehlerhaft im Behindertenrecht!