Ein Krimi um die A40 – Die Abbieger

Er ist ein typischer Untertan, wie er nicht nur im Ruhrgebiet vorkommt, „dieser vielleicht etwas eigene, aber völlig harmlose Sachbearbeiter Klaus-Werner Lippermann, genannt Klausi, der in seinem ganzen Leben noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, der bei seiner Mutter wohnte und immer die SPD gewählt hatte“. Privat  hat dieser Junggeselle nur ein Hobby, seine beiden Kaninchen Molly und Whitey. Beruflich pendelt der 43-jährige jeden Tag von seinem Wohnort Dortmund zu seiner Arbeitsstelle nach Duisburg.

Als Klausis Kaninchen nachts ermordet werden, sieht Lippermann rot: Er rechnet aus, wie viel Zeit er zu deren Lebzeiten nicht mit seinen Tieren verbringen konnte, weil er in Autobahn-Staus gefangen war. Er tut sich mit seinem Essener Kumpel Alfred „Freddy“ Kruppel zusammen, der als Kind sehr unter seinem Namen gelitten hat, obwohl da so viel Krupp drinsteckt: Die anderen Kinder haben ihn Krüppel gerufen, jedenfalls so lange, bis er mit 14 Jahren das Boxtraining aufgenommen hat.  Klausi und Freddy machen ernst, sie entführen den Chef von Straßen.NRW, den sie für unnötige Staus durch Schlafbaustellen und andere Fehlplanungen der Landesbehörde verantwortlich machen. Der Topmanager muss sie dann täglich von Dortmund aus zu Klausis  Arbeitsstelle  und wieder zurück fahren:  „Diesen Spieß werde ich jetzt umdrehen. Denn einen Stau von Zeit zu Zeit, den hält jeder aus. Aber Sie, Herr Dr. Weissfeldt, sollen ein Gefühl dafür bekommen, wie das ist, diese Situation täglich ertragen zu müssen. Morgens und abends wieder, wenn man sich nach Hause sehnt, zu seiner Mutter und seinen Tieren, und stattdessen auf der A 40 steht und zwanzig Minuten lang auf den Schwachsinnsspruch ‚Ich komm aus wir‘ vor einem Autobahntunnel starren muss. Und wenn man es dann endlich nach Hause geschafft hat, schon weiß, dass das Murmeltier morgen wieder grüßt.“

Man weiß natürlich nicht, welche Drogen der Autor zu sich genommen hat, um auf solche Ideen zu kommen: Als Waffen benutzen die Geiselnehmer grüne Wasserpistolen, den Topmanager lassen sie in einem Kaninchenstall übernachten, der in seinem ersten Leben ein Kleiderschrank war. Als zweiten Fluchtwagen klauen sie einen VW-Transporter mit einer riesigen, auffälligen Möhre auf dem Dach. Aber das fügt sich: In den Spielzeugwaffen befindet sich Schwefelsäure, das Gefängnis der Geisel  ist gegen Flucht mit einem selbstgebastelten Elektroschocker gesichert, und den Bio-Lieferdienst „Flotte Karotte“ gibt es auch im wirklichen Leben. Beziehungsweise in Wattenscheid.

Erster Kriminalhauptkommissar Georg Schüppe aus Gelsenkirchen-Schalke mit Vorlieben für einen dort ansässigen Fußballverein und Dienstort Dortmund und damit eigentlich schon gestraft genug, eine in allen Kriminalromanen dieser Reihe auftretende Figur, hat nicht nur seinen Polizeipräsidenten und zwei Minister im Nacken sitzen –  die Fahndung wird auch durch das unorthodoxe und damit unberechenbare Vorgehen der beiden Entführer erschwert: „Weil sie das Handwerk der Kriminalität nicht beherrschten, machten sie Fehler, die Profis nicht passierten und die das Leben der Geisel gefährden konnten.“

Die  Erpresserbriefe  mit ihren Forderungen –  55.000 Euro, Aufklärung der Kaninchenmorde und Abschaffung der von Straßen.NRW künstlich geschaffenen Staus – unterzeichnen die beiden Vollpfosten im Namen einer Organisation namens „TuS-V!“, was für „Tierfreunde und Staugegner-Vereinigt!“ steht. Weil sich viele Menschen mit diesen Zielen identifizieren können und der Organisation beitreten wollen, stehen die Telefone in den Redaktionen nicht mehr still, laufen die Email-Briefkästen über. Der TV-Journalist Tom Balzack und der BILD-Reporter Andreas Schneidengel (auch das zwei wiederkehrende Figuren in den Romanen dieses Autors)  haben Druck durch ihre Chefredaktionen, sie sollen mehr zu dieser populistischen Bewegung herausfinden. Was sonst noch passiert bis zum furiosen Finale wird hier jetzt nicht verraten.

Dieses vierte Buch einer Reihe, jeder Band ist für sich abgeschlossen und einzeln lesbar, unterscheidet sich schon sehr von den Vorgängern, die eher in Richtung Thriller tendierten. Aber auch in diesem Krimi bleibt einem das Schmunzeln über die skurrilen Situationen und die in Satire verpackte Gesellschaftskritik schnell im Halse stecken, wenn solch eine lustige Szene in einem Mord mit einem Bolzenschussgerät endet…

Natürlich, darauf legt Schweres Wert, ist bei seinem Roman alles erfunden. Einschließlich Innenminister Förster, der in die Ermittlungen eingreift, und Verkehrsminister Groschonnek, der sich auf ein Jahrzehnt voller Baustellen freut. Na denn.

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