Gut an der gegenwärtigen Debatte ist, dass die Opfer endlich wagen zu sprechen. Das befreit. Doch dringt der aktuelle Diskurs in den Massenmedien, der stark an die sprichwörtliche durchs Dorf getriebene Sau erinnert, zum Kern des Problems vor?
Kein Mitleid mit der katholischen Kirche! Die öffentlichen Aggressionen treffen hier sicherlich keine falsche Adresse. Aber ist die Tatsache, dass sie sich auf dieses Ziel richten, nicht schon ein Indiz für eine rapide verfallende Macht? Der Kölner Kabarettist Jürgen Becker glänzt manchmal auch als scharfer Analytiker: für ihn ist die katholische Kirche, wie sie sich hierzulande darstellt, ein Auslaufmodell – „die wäre imgrunde nur noch durch die Frauen zu retten“ meint er sehr richtig. Das wird sie natürlich nicht zulassen; lieber geht sie unter. Fast ist es schon mitleidserregend, dass diese streng hierarchisch strukturierte Organisation, mit einer besonders hohen Schwulenkonzentration in den Führungsebenen, sich als führende Organisation des Schwulen- (und damit Selbst-!)Hasses zu profilieren versucht. Herrgott, wirf Therapeuten vom Himmel! Welche Erkenntnisse werden sich erst auftun, wenn mann parallel mal die diversen Islamistenzirkel darauf untersucht? Aber das ist ein anderes Thema.
Obwohl nicht ganz. Das, was wir den Islamisten oftmals zu Recht als mittelalterlich unterstellen, wenn wir ihre gesellschaftliche Unterdrückung individueller Freiheiten anklagen, ist hierzulande noch nicht einmal eine historische Hundertstelsekunde her: egal, ob es die Rechte von Kindern, Menschen diverser sexueller Orientierung oder auch von erwachsenen Frauen betrifft. Ich selbst bin 53 Jahre alt, als Kind in der Mitte des Ruhrgebietes in Gelsenkirchen, Gladbeck und Essen aufgewachsen – nicht sexuell missbraucht worden, auch als Messdiener nicht – aber selbstverständlich wurde noch auf mannigfachste Art geschlagen und geprügelt, zuhause, in der Schule (Volksschule und Gymnasium) und der Kirche.
Vieles hat sich gebessert. Vor allem natürlich, dass das alles keine Privatsache mehr ist, sondern öffentlich debattiert wird. Auch dass die Eltern heute mehr wissen über die Erziehung von Kindern, und dass sie so engagiert für ihre Kinder Partei nehmen, wie sie es niemals zuvor getan haben. Was selten ist, ist wertvoll. In den Straßen, in denen ich aufgewachsen bin, sehe ich heute keine Kinder mehr toben. Nicht nur, weil es viel weniger Kinder gibt. Die Eltern haben vor lauter Kindesliebe- eine bedauernswerte Kehrseite – auch Angst, das Kind noch alleine auf die Straße zu lassen – bekanntestes Symptom: die berühmten „Mama-Taxis“. Und die Aufregung, wenn es mal zu einer Prügelei gekommen ist; das steht heute sofort in der Zeitung. Weil es dort häufiger steht, heisst das aber nicht, dass es häufiger vorkommt, sondern vor allem, dass wir heute besorgter darum sind, was ja kein Fehler ist. An „Jugendgewalt“ hat es jedoch durch alle Zeiten keinen Mangel gegeben.
Die Kriminalitätsstatistiken geben klare Auskunft, wo es für Frauen und Kinder am gefährlichsten ist. Es ist nicht in der Schule, nicht im dunklen Stadtpark, nicht in Bus und S-Bahn, sondern zuhause in der eigenen Wohnung. Die ist aber heilig, ebenso wie die Familie, hier gilt, wie in den Schulen, aus denen der Missbrauch jetzt öffentlich wird, das „besondere Gewaltverhältnis“, das sich weiter austobt, mit einer Riesendunkelziffer. Und übrigens scheint es kein Klassenproblem zu sein; Frauen und Kinder werden auch in der Oberschicht misshandelt.
Es ist also gut, dass es die Diskussion heute gibt. Aber sie darf nicht stehen bleiben. Das Private ist politisch. Da gibt es noch vieles, von dem bisher kaum die Rede war.
Eine öffentliche Debatte über Körperpolitik gibt es kaum. Fast rührend hilflos sind die Versuche, Jugendliche vor den Gefahren der Pornografie zu bewahren, sind es doch die Kids, die heute Eltern und Lehrern Technik- und oftmals auch Medienkompetenz vermitteln müssen.
Einerseits ist es moralisch notwendig und richtig, sexuelle Handlungen nur zwischen Personen zu erlauben, zwischen denen ein gleichberechtigtes und kein Gewaltverhältnis besteht. Andererseits werden in unserer Gesellschaft immer mehr Lebensbereiche durchökonomisiert und vermachtet, eine Entwicklung, die die Kids sehr aufmerksam rezipieren und uns mit ihren neuesten Pornotrends oftmals brutal den Spiegel vorhalten. Verdruckste erzieherische Moralisiererei hilft da nicht viel weiter. Die Älteren tragen selbst noch schwer an der Ideologie von Körper- und Lustfeindlichkeit, die sie nicht nur in einer Kirche, sondern – zumindest in Deutschland – auch in linken Bewegungen eingebimst bekommen haben. Das hat dazu geführt, dass sich eine Mehrheit der Alten und der Jungen in ihrem Körper unwohl fühlt – zu dick oder zu dünn, aber keinesfalls richtig, ganz so, als wenn ein Körper „richtig“ oder „falsch“ sein kann. Wie soll jemand, der oder die so wenig zur Selbstliebe fähig ist, andere lieben oder ihnen Liebesfähigkeit beibringen können? Als „MärtyrerIn“ vielleicht? Womit wir wieder bei Lattenjupp und den Parallelen zum Islamismus wären …..
Eins ist doch klar, wenn gestern im „heute-journal“ Mixa mit den Worten „die eine oder andere Watschn von vor 20 oder 30 Jahren kann ich nicht aussschließen, aber das war damals normal“ zitiert wird. Wenn dann eine offenbar von der Kirche mächtig beeindruckte Nachrichtensprecherin bestätigt, das sei damals normal gewesen, dann fragt man sich schon, wo diese Leute leben. Ich habe 1983 Abitur gemacht. und während meiner ganzen Schulzeit war klar, dass Schläge durch Lehrer von meinen Eltern nicht tolleriert werden. Spätestens seit 1973 (also inzwischen 37 Jahre her gab es eine entsprechende Bundesweite Gesetzgebung, die Prügelstrafe in Schulen und Heimen bei Straandrohung verbot. Was bildet sich diese katholische-ZDF-Mischpoke eigentlich ein, Misshandlungen herunterzuspielen, mit Geschichtklitterung und Verweis auf eine Zeit, an die man glaubt, die Menschen würden sich nicht mehr erinnern können?
Volle Zustimmung zum Autor und Vorkommentator.
Jesus hat vor 2.000 Jahren Gewaltlosigkeit gepredigt. Wie kann sich ein kath. Funktionär also bei der Rechtfertigung seiner Handlungsmaximen darauf berufen, dass es in 30 Jahren einen enormen Wertewandel gegeben habe? Es ist der Anspruch dieser Funktionäre, Normen zu geben. Wie können sie sich darauf berufen, dass sie wechselnden Normen unterlagen?
Sie verteidigen sich wie alle ertappten vermeintlichen Eliten: Sie vertauschen Ursache und Wirkung und machen Täter zu Opfern und umgekehrt. Und das nur zu dem Zweck ihrer Machterhaltung, ihrer fingierten Autorität.
Und das ist es, was mich an denen so anwidert.
Frank,
Das, was Jesus gesagt hat, spielt für diese Religion so gut wie keine Rolle.
Der Schwerpunkt liegt nach meiner Beobachtung auf seiner Anbetung, und auf dem Auslegungsmonopol des Hierarchieobersten.
Hier an dieser Stelle habe ich endlich Gelegenheit auf einen besonders wichtigen Aspekt des heutigen Christentums hinzuweisen.
Stefan Laurin sollte sich diesen Termin aufschreiben.
Jetzt kommt`s:
Am 28.Oktober 2012, also in etwa 2 Jahren kann die Welt ein Jubileum feiern.
Dann hat vor genau 1700 Jahren die erste christliche Waffensegnung stattgefunden. Eine Nacht vorher träumte Konstantin, daß er unter dem Zeichen des Kreuzes den Sieg über Maxentius erringen würde, und er gewann tatsächlich, wurde Alleinherrscher, und seit dieser Zeit ist die christliche Kirche Staatskirche. Seitdem gibt es für Feinde und unliebsame Freunde Schläge in Hülle und Fülle.
Gewaltanwendungen ohne Ende.
Was sind dagegen ein paar Watschen durch Mixa?
Der ist im Prinzip doch nicht mal von den traditionellen Normen abgewichen!
Der wahre Grund für die nun Jahrtausende währende Macht und Arroganz (nicht nur) der katholischen Kirche ist ihr geniales Produkt: Die Versicherung des Lebens nach dem Tod.
Niemand kann beweisen dass es das gibt, aber auch niemand kann absolut eindeutig verifizieren dass es das nicht gibt. Wer also auf Nummer Sicher gehen will, tritt der Kirche bei, selbst wenn er nicht fest an das ewige Leben glaubt.
Kombiniert man diese Ewigkeitsversicherung mit dem Angebot, unter bestimmten Bedingungen das religiöse u n d das weltliche Strafregister der Mitglieder noch vor dem Eintritt in das ewige Leben komplett zu löschen, kann man sich eigentlich fast alles erlauben, ohne dass einem die Kunden massenhaft von der Fahne gehen.
Obendrein kann man, wenn man dieses Absolutionsangebot auf sich selbst als Anbieter anwendet, sich auch selbst jede Sauerei schlussendlich verzeihen.
Auf so ein Geschäftsmodell muss man erstmal kommen.
Das Christentum besteht seit zwei Jahrtausenden. Warum soll es sich ausgerechnet zu unseren Lebzeiten verabschieden? Was soll an seine Stelle treten?
Moin!
@emden09: Auf meiner Schule gab es das, in Emden nicht? Bei uns auf der Schule sehr wohl, nicht hart, nicht brutal…! Ja, wir reden von den 70/80 ‚ern! Ich war auch Messdiener, ich war sogar Pfadfinder, das volle Programm!
Hat Jesus Gewaltlosigkeit gepredigt?
„Jesus sprach: „Die Menschen denken wohl, daß ich gekommen bin, um
Frieden auf die Welt zu bringen. Und sie wissen nicht, daß ich gekommen
bin, um Zerwürfnisse auf die Erde zu bringen, Feuer, Schwert, Krieg. Denn
es werden fünf sein in einem Hause: drei werden gegen zwei und zwei
gegen drei sein, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater.
Und sie werden allein dastehen“ [Thomas/16]
@Helmut Junge: Hätte es den einen oder anderen Krieg im Namen des Kreuzes nicht gegeben, wäre Europa wohl heute, richtig, Islamisch, wollte ich nur mal anmerken!
@Helmut Junge und Arnold Voß:
Ja, das ist die Reduktion der Religion auf das Nützliche, das rein Funktionale. Und das Un-Spirituelle.
Wenn das Neue Testament die größte Geschichte aller Zeiten ist, dann ist die kath. Kirche das größte Missverständnis aller Zeiten.
Der ehemalige CDU-Bürgermeister in Essen und Volksschullehrer Hanns Sobek, in den 1980er Jahren auf seine Prügel-Pädagogik angesprochen, äußerte sich sinngemäß, es war falsch und es täte ihm Leid. Er wußte es des weiteren nicht besser und ihm fehlten, wie anderen Kollegen, die Sensibilität für die gequälten Kinder.
Das ist eine Haltung, der Respekt gebührt. Genau diese Haltung aber wird bei Mixa und Ratzinger vermißt. Lüge, wird von „Einzelfällen“ gefaselt, Lüge, ebenso, „nichts gewußt zu haben“! Die Gewalt gegen Kinder war „Deutsche Leitkultur“ und die Schreie der Gequälten waren deutlich vernehmbar.
Es geht nicht um den Ratzinger-Verein, es geht um die überlebenden Opfer. Sie, denen die Kindheit gestohlen wurde, denen oft die Menschen fehlten, die ihnen halfen, über diesen Verlust hinwegzukommen und den geschundenen Körper zu akzeptieren, die Gefühle tiefster Minderwertigkeit zu verlieren, nur um sie geht es. Hier sind klare Worte vonnöten. Klare Aussagen der Gesellschaft, die die Gewalt, vollzogen an den Schwächsten beim Namen benennt. Der Gesellschaft, die sehr genau wissend, die Schwächsten den Prügellehrern und -Pfaffen auslieferte.
Bei jedem Differenzieren seitens der Täter, bei jedem Geschwurbel seitens Ratzingers, bei jedem Leugnen Mixas, wird die Demütigung, die Ohnmacht der Opfer auf’s neue erlebt. Und das darf nicht sein.
Malte,
zwischen 312, dem Jahr der ersten christlichen Waffensegnung, und den Anfängen des Islam liegen mehr als 300 Jahre. In dieser Zeit gab es Glaubenskriege vor allem gegen die Arianer, einer christlichen Sekte, der viele Germanenvölker angehörten, den Mithrasanhängern, den Manichäern, und vielen anderen mehr. Gegen die sogenannten Heiden sowieso.
So einfach, entweder Christentum, oder sonst hätte uns das „gedroht“, ist Geschichte nicht.
Die politisch und militärisch erfolgreichste religiöse Kraft hat sich durchgesetzt.
Die Missionierung Europas ist überwiegend militärisch erfolgt. Von freiwilligem Übertritt zu einer Religion wird zwar immer gerne gesprochen, aber in der Praxis galt viel häfiger der Satz:
„Willst du nicht mein Bruder sein, schlag ich dir den Schädel ein.“
Normalerweise mischt man sich ja nicht in die Personalpolitik des politischen Gegners ein, aber in diesem Fall muss ich mal realpolitsich sagen: Nicht nur dieser Bischof, sondern auch sein Pressesprecher und die gesamte deutsche Bischofskonferenz sollten Ihre übergroßen Hüte nehmen, u.a. weil sie vorschnell die Opfer als Lügner hingestellt haben.
Alleine der Duktus dieses Pressesprechers Dirk Hermann Voß gegenüber den ehemaligen Heiminsassen, die sich die katholische Heuchelei nicht mehr gefallen lassen wollten, war schon am Rande der angedrohten Nötigung.
Und genötigt haben die schwarzen Herren in den letzten Jahrhunderten schon genug. Das sollen die Botschafter von Liebe und Versöhnung des Neuen Testamentes sein?
Angewidert
M. A. Richter
@ Frank (7)
Ich habe den von meinen Eltern geschlossenen kirchlichen Versicherungsvetrag mit meinem 18 Lebensjahr gekündigt weil er mir schon damals perfide vorkam und mich der spirituellen Seite des Glaubens zugewandt. Ich bin da aber auch nur auf viel Hokuspokus und Selbstbetrug gestoßen. Die Philosophie war da als Hilfe zur Werteorientierung und zu Fragen der Transzendenz viel ergiebiger.
Ausgechnet Simon, derjenige unter den Jüngern, der das Schwert ergreift und einem anderen Menschen ein Ohr abschlägt, wird von der katholischen Kirche als erster Papst angesehen, obwohl er nach dem Tod von Jesus, in der christlichen Urgemeinde in Jerusalem keine bedeutende Rolle gespielt hat. Dort war laut Paulus der „Jakobus, Bruder des Herrn“ der Chef. Dieser Jakobus war es vermutlich, der gesagt hatte, daß die Taten zählen, und nicht der Glaube, was die beiden Kirchen bis heute nicht akzeptieren. Denen ist eben der Glaube wichtiger als die Tat. Ich frag mich, ist der katholische Bezug auf den Schwertaktivisten Simon, den sie ja Petrus nennen, Zufall, Absicht, oder geheimnisvolle Fügung?
@Frank,
wenn Ihr Gedankengang(7) stimmt, lag das Mißverständnis bereits damals vor. Immerhin hat Jesus den von ihm angerichteten Schaden an Ort und Stelle repariert und sinngemäß gesagt: „Du-du, das macht du bitte nie wieder.“
@Arnold Voß: Das klingt sympathisch 🙂 Ich bin vor 15 Jahren ausgetreten, als der Klerus anfing, Eugen Drewermann zu schikanieren. Und der Philosophie bin ich schon länger zugewandt. Höre jede Woche den Podcast von Jürgen Wiebicke auf WDR5 🙂
@Helmut Junge: Simon hatte wahrscheinlich einen epileptischen Anfall o.ä., ein Gehirngewitter, das mitunter sehr erhellend sein kann, wie ich mal gelesen habe. Auch Nahtoderlebnisse kann man biochemisch erklären. Sehr eindringlich beschrieben in „Das Echo der Erinnerung“ von Richard Powers.
Zur Lage der Schwulen im Kirchendienst, und wie mit und gegen sie dort Politik gemacht wird, ist heute dieser interessante Beitrag bei Telepolis erschienen:
https://www.heise.de/tp/blogs/6/147493