Ein Plädoyer für den „Einwanderer“

VW-Werk Hannover Motorenbau für Käfer und 412 Foto: Bundesarchiv, B 145 Bild-F040741-0020 / Lothar Schaack. Lizenz: CC-BY-SA 3.0


Nicht alle, die nach Deutschland kommen, sind „Flüchtlinge“. Na und? Von unserem Gastautor Kolja Zydatiss. 

Der Kanzlerkandidat der SPD, Martin Schulz, hat das Thema Flüchtlinge für sich entdeckt. In der Bild am Sonntag warnte er vor einer neuen, großen Krise. Und fing sich sogleich Kritik von der AfD ein. Die Partei kritisierte seine Wortwahl. „Der inflationär genutzte Begriff ‚Flüchtling‘ ist falsch!“, so die AfD in einem Facebook-Post. „Wer über unsere Grenzen kommt, ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,5% nicht ‚Flüchtling‘, sondern illegaler Einwanderer.“

Bei den „99,5%“ handelt es sich wohl um eine Übertreibung. Die reißerische Statistik wird von der Partei nicht schlüssig belegt. Die echte Zahl dürfte weit niedriger liegen. Laut dem Bundessamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurden in der ersten Jahreshälfte 2017 in Deutschland 408.147 Asylanträge gestellt, von denen 39 Prozent abgelehnt wurden. Die BAMF-Zahlen zeigen jedoch auch, dass der Facebook-Post der AfD einen wahren Kern enthält: Viele der Ankommenden haben kein Recht auf Schutz nach dem im Grundgesetz verankerten Asylrecht und können daher tatsächlich nicht als „Flüchtlinge“ bezeichnet werden. Zu den Menschen, die aufgrund von Krieg oder politischer Verfolgung ihre Heimatländer verlassen, kommen nicht wenige, die vor allem aufbrechen, weil sie sich in Europa ein materiell besseres Leben erhoffen. Die vor allem von irakischen und syrischen Kriegsflüchtlingen genutzte Balkanroute bleibt weiter geschlossen, dafür kommen immer mehr Bootsmigranten aus dem politisch stabileren Afrika. Der Anteil an Wirtschaftsmigranten wird also in Zukunft noch steigen.

Man muss kein Anhänger der AfD sein, um anzuerkennen, dass der Begriff „Flüchtlinge“ genutzt wird, um ökonomische Gründe für die Auswanderung herunterzuspielen und die Schuld- und Schutzlosigkeit der Neuankömmlinge zu betonen. Doch auch die Einwanderungsgegner nutzen bewusst Begriffe, die einen bestimmten Blick auf die Einwanderung erzeugen sollen. Rechts heißt es nicht Flüchtlinge, Geflüchtete oder Refugees, sondern „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Asylbetrüger“ oder (wie im AfD-Post) „illegale Einwanderer“.

Das ironische daran: Man kann davon ausgehen, dass die meisten „Flüchtlinge“ selbst lieber Einwanderer wären, wenn es ein Recht auf Niederlassungsfreiheit gäbe, auf das sie sich berufen könnten. Das Asylsystem macht sie von einer Entscheidungsbürokratie abhängig, die ihre Bewegungsfreiheit und Arbeitsmöglichkeiten erheblich (und oft jahrelang) einschränkt. Die Neuankömmlinge sind für den deutschen Staat keine aktiven Subjekte sondern Versorgungsfälle, die in die staatliche Wohlfahrtsindustrie integriert werden müssen. Sie sollen untergebracht und umsorgt werden, und sich brav und dankbar zeigen. Eigenmächtiges Handeln ist suspekt. Empört stellte Bundesinnenminister Thomas de Maizière 2015 fest, dass einige Flüchtlinge ihre Unterkünfte verlassen und sogar die Frechheit besitzen, längere Strecken mit dem Taxi zurückzulegen.

Zwischen dem Flüchtling und dem Einwanderer liegen Welten. Letzterer ist ein Archetyp so alt wie die Menschheit selbst. Häufig Mittellos aber voller Tatendrang geht er dorthin, wo er für sich eine Zukunft sieht. Er schlägt sich durch, nimmt zunächst schlecht bezahlte Jobs an, hat vielleicht eigene Geschäftsideen, scheitert, steht wieder auf und baut sich mit der Zeit ein immer besseres Leben in der neuen Heimat auf. Die Staaten, die von ihm und seinen Millionen Brüdern und Schwestern geprägt wurden, gehören oft, wie die USA, zu den wohlhabendsten und dynamischsten der Erde.

Viele der Initiativen, die sich für eine liberale Einwanderungs- und Asylpolitik engagieren, haben auch die Nutzung des Flüchtlings-Begriffs vorangetrieben. Laut der NGO Pro-Asyl stellt der Begriff klar, dass die Ankömmlinge es nicht „auf unser schönes Land abgesehen haben“. Das ist wohlmeinend aber auch, wie wir gesehen haben, nicht ganz zutreffend. Vor allem aber ist es kontraproduktiv. Der verdruckste Sprachgebrauch schließt sich implizit einem Denken an, das Einwanderung als Last und Wirtschaftsmigration als unmoralisch betrachtet. Er befördert die Sichtweise, dass Einwanderer vor allem Empfänger staatlicher Hilfeleistungen und keine produktiven Gestalter sind.

Die auf Abschottung, Internierung und Deals mit zwielichtigen Machthabern basierende Einwanderungspolitik der EU erweist sich zunehmend als unhaltbar. Menschen, die Einwanderung als Chance sehen, oder vielleicht gar für ein Recht auf Freizügigkeit eintreten (das nicht zwangsläufig mit einem Anspruch auf Sozialleistungen verknüpft sein muss), müssen aus der Defensive kommen. Lasst uns, wie die AfD, von „illegalen Einwanderern“ sprechen. Und fordern, dass aus diesen legale werden!

Kolja Zydatiss ist Novo-Redakteur und Social Media Manager. Der studierte Psychologe lehrt zudem an der BiTS Hochschule in Berlin. Der Artikel erschien bereits auf Novo-Argumente.

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mike
mike
7 Jahre zuvor

warum sollten wir das tun???? damit noch mehr menschen illegal hierhin kommen wollen??wo ist der sinn alle menschen der welt hierhin einzuladen

Michael
Michael
7 Jahre zuvor

an #1

Sie haben es korrekt erkannt: es können nicht alle zu uns kommen, Die Erde ist – wie Sie wissen – eine Scheibe. Wie Sie ebenfalls wissen liegt am rechten Rand der Scheibe Deutschland. Die Deutschen und alle die kommen würden einfach runterrutschen. Das könnte Aua machen.

Lösung: es können alle kommen, wenn alle, die so sind, wie Sie sind, auf die anderen Seite der Scheibe wechseln. Dank der sozialpolitischen Differentialphysik (SPD) wird der rechte Rand damit zum linken und alles bleibt in der Waagerechten.

Ich kenne viele Leute, die Ihnen gerne beim Wechseln auf die andere Seite helfen. Melden Sie sich einfach bei mir.

ke
ke
7 Jahre zuvor

Die Realität ist aus meiner Sicht, dass Deutschland den gut ausgebildeten Migranten, die überall auf der Welt Jobs finden, zu wenig bietet.
Die vielen Programme, mit denen bspw. IT-Inder angeworben werden sollten funktionieren kaum.

Das Ziel sind die Nachbarn mit Jobs, guten Löhnen und geringen Lebenskosten oder die USA.

Der klassische Weg über einfache Jobs in bessere Jobs funktioniert kaum noch. Deutschland hat keine weiten Flächen, die besiedelt werden müssen, und die zusätzliche Konkurrenz auf dem Niedriglohnsektor führt aus meiner Sicht eher langfristig zu Wachstumsschwächung. Unsere Produktivität leidet, d.h. wir haben keine Innovation. Warum automatisieren, wenn Arbeitskräfte günstig bzw. subventioniert da sind?

Auch die Jugend aus Südeuropa wandert nicht mehr aus, obwohl die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist.

RobinS
RobinS
7 Jahre zuvor

"Lasst uns, wie die AfD, von „illegalen Einwanderern“ sprechen. Und fordern, dass aus diesen legale werden!"

Was will der Verfasser des Beitrages uns eigentlich sagen?

Das ist doch alles kalter Kaffee, nichts Neues, wird spätestens seit der Änderung des Asylrechts in den 1990er Jahres genau so diskutiert.

Es werden weiter jedes Jahr tausende auf dem Weg nach Europa und Leben kommen, ob sie nun vor Krieg und Verfolgung oder vor dramatisch schlechten Lebensbedingungen flüchten.

Derartige Wortspielereien, wie sie vom Autor angeboten werden, sind da völlig sinnfrei und auch makaber. Weder werfen die Probleme noch Lösungen – außer eben dieser Wortklauberei- angeboten, stattdessen wird rechten Phrasendreschern auf den Leim gegangen.

Viel wichtiger als solche – nur vermeintlich die Welt verbessernden – Phrasen sind zum einen Maßnahmen, die die Integration der Einwanderer und Flüchtlinge substanziell und strukturell verbessern- ausreichend Kitas und Schulplätze und Erzieherinnen und Lehrerinnen für die Jungen, Qualifzierung für die Erwachsenen. Das wird alles in allem einige hundert Milliarden Euro in den nächsten Jahren Kosten.
Ein hoher Preis ? Ja.

Aber auch gut investiertes Geld? Wieder ja.

Trotz aller Probleme wird die große Einwanderungsbewegung in 2015 und darauf nicht nur die Wirtschaft ankurbeln, sondern hat auch bereits jetzt schon die Demografiedebatte, die vor 2015 jahrelang die gesellschaftliche Debatte grprägt hat, abgelöst.

Die hiesige Gesellschaft würde und wird in Zukunft merklich verjüngt,was dazu beitragen kann, die Rentenpolitik zu verändern. Wer Merkel für ihre Septemberentscheidung in 2015 kritisiert –
ich nicht- und ihr Kalkül vorwirft , mag mit letzterem Recht haben – auch Merkel wusste, dass vor allem junge Menschen in Ungarn auf Einlass warteten und einen positiven Einfluss auf die damals Sorgen bereitende demografische Entwicklung in Deutschland haben können.

Und-auch der andere Aspekt von Einwanderung – egal, aus welchem Grund- wird vom Autor nicht thematisiert.

Die globalen Wanderungsbewegungen, die auch weiterhin anwachsen und auch Europa als Ziel haben – die Zahlen der kontinentalen Binnenwanderungen liegen um ein Vielfaches über der suprakontinentalen Wanderungsbewegungen- müssen politisch kalkuliert werden.

Die nach Europa fließenden Wanderungsströme bedürfen der Planung und der Kanalisierung durch eine europäische Einwanderungspolitik. Gelingt dies nicht, wird Europa und insbesondere die EU über kurz oder lang und eher früher als später zerbrechen- nicht wegen der Einwanderer, sondern wegen der Dumnheit und nationalistischer Idiotie, die Notwendigkeit und Alternativlosigkeit sowie die großen Chancen einer gemeinsamen Zuwanderungspolitik zu erkennen.

Ke
Ke
7 Jahre zuvor

#4
Junge Leute können nur Renten finanzieren, wenn sie selber aktiv in das System einzahlen.
Auch viele Kinder helfen nicht, wenn sie nicht einzahlen.

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