Barbara Frey inszeniert zum Auftakt der Ruhrtriennale 2023 William Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“.
Da stehen wir also am Eingang einer Riesenhalle und schauen erwartungsvoll in eine schier endlose Dämmerung. Dann ist Einlass, alle Zuschauer schreiten die knapp 170 Meter des Industriedenkmals Kraftzentrale ab, und Schritt für Schritt nähern wir uns einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang, obwohl doch William Shakespeares Kommödie „Sommernachtstraum“ – mit Ausnahme von Botho Straußs in die Gegenwart der frühen 1980er Jahre geholter Adaption „Der Park“ – auf die eine oder andere Weise immer Garant für einen vergnüglichen Abend war. Schritt für Schritt wird denkbar, dass das Publikum selbst auf dem Weg ist in jenen Wald, wo es geistert, ja dass wir zu den Getäuschten, Verwandelten zählen, von denen die Komödie handelt.
Eingehüllt von den Kunstnebelschwaden, die, kunstvoll beleuchtet von Rainer Küng, über der Drehbühne samt Bungalow/ Container in die Höhe steigen, ist traumhafter Entrückung Tür und Tor geöffnet. Das zarte Musikgezirpe, das Josh Sneesby entfacht, lässt jenen Hochofenwind vergessen, der in der Kraftzentrale einst erzeugt wurde, um die Hochöfen mit vorgeheizter Luft zu versorgen, während doch einige zerrupft anmutende Bäumchen von der geschundenen Natur unserer Tage künden. Martin Zehetgruber deutet den romantisch vielfach besetzten Wald nur an und öffnet mit der kreisenden Bühne den Spielraum für die Herumirrenden, Fliehenden, während er mittendrauf den zweiten Schauplatz des Königsschlosses elegant als Bungalow in Szene setzt., der sich eben auch in einen Container inmitten eines Autorfriedhofs verwandelt. Ein Hinweis auf unsere Gegenwart, die an Abgasen erstickt? Hineinlesen lässt sich ja manches in ältere Texte, je nachdem welche Mode gerade die Wahrnehmung steuert.
Der Plot ist schnell erzählt: Die Hochzeit von König Theseus und Hippolyta steht bevor, und eine Laienspielgruppe von Handwerkern plant zu diesem Anlass die Einstudierung eines ernsten Stücks. Wäre da nicht ein Zwist zwischen dem Zauberkönig Oberon und seiner Königin Titania, der die Magie ins Spiel bringt.
Zum „Stück der Stunde“ hat die Regisseurin Barbara Frey das 400 Jahre alte, viel gespielte Lustspiel erklärt und meint wohl auch ihren eigenen respektvollen Umgang mit der literarischen Vorlage, die sich nicht in den kulturpolitischen Debatten der Gegenwart verliert. Achtsam setzen sie und ihr Ensemble sich mit der Dichtersprache auseinander, geradezu lustvoll zelebrieren die Schauspieler Dorothe Hartinger (Puck), Sylvie Rohrer (Oberon, Hippolyta)) Markus Scheumann (Theseue , Titania), Oliver Nägele (Zettel) Shakespeares Sprache und wechseln kunstvoll in Ton und Betonung.
Die hohe Sprechkultur der Burg-Schauspieler lässt den Worten Raum, Pausen werden beredt und Sätze fangen an zu funkeln. Raffiniert wird die eigentliche Bedeutung unter- oder überspielt. Zum Schmunzeln verleiten Sprachspielereien.
Der witzigen Untertreibung steht die Übertreibung gegenüber, ja die Regisseurin treibt den Shakespeare lieben vergnügten Geschlechtertausch auf die Spitze, indem jeweils eine weibliche Figur auch ihren männlichen Widerpart spielt und umgekehrt. Die Verwirrung nimmt ihren Lauf, wenn zwei Paare verzaubert werden und sich kreuzweise ineinander verlieben, und der Zauberkönig Oberon seine Königin Titania in Liebe zu einem Esel entbrennen lässt. Was ist geträumt, was Wirklichkeit? Die Protagonisten fallen buchstäblich in Schlaf und Wahn überkommt sie.
Die Inszenierung lädt auch ein zum Nachdenken über die Kunstform Theater in einer digitalisierten Welt, und die Qualität des unwiederbringlichen Erlebnisses auf der Bühne, die das Leben bedeutet. Die Laientruppe, die ihre liebe Not hat, Spiel und Wirklichkeit auseinander zu halten, mag auch die Zuschauer meinen, die in aller Verwirrung und Orientierungslosigkeit nicht darauf hoffen können, dass Puck sie mit einem Gegengift rette. Die Menschheit, neurotisch verstört und liebesunlustig, kann nur das Theater heilen.
Mit dieser Inszenierung, die gemeinsam mit dem Burgtheater Wien produziert wird, und der dramatisierten Dostojewskys-Erzählung „Aus dem Totenhaus“ verabschiedet sich Barbara Frey als Intendantin der Ruhrtriennale.