Ein Tag im Wahlkampf – Unterwegs mit einer Ratskandidatin

Stephanie Kotalla, Piratin aus Bochum
Stephanie Kotalla, Piratin aus Bochum

Die Wahlkämpfe zu den Europa- und Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gehen in ihre Endphase. Die Parteien veranstalten ihre letzten größeren Aktionen, auch Infomaterial muss noch an die Bürger gebracht werden. Eine gute Zeit, um stellvertretend für alle antretenden demokratischen Parteien mal eine Wahlkämpferin in der „heißen Phase“ zu begleiten.

Bewusst habe ich mir dabei eine der kleineren, aber trotzdem bekannten, Parteien ausgesucht. Dort läuft, so war mein Eindruck im Voraus, noch mehr über das Engagement der Einzelnen. Also habe ich am Donnerstag Stephanie Kotalla von der Piratenpartei einmal quer durch Bochum begleitet. Stephanie hat am Donnerstag Geburtstag gefeiert, sie wurde 41, doch das änderte nichts daran, dass sie sich einen ganzen Tag Zeit für den Wahlkampf genommen hat.

Kotalla arbeitet als Landschaftsarchitektin und hat sich für die letzten Tage des Wahlkampfs Urlaub genommen. Auf der Liste der Piraten steht sie auf dem dritten Platz und hofft auf einen Einzug in den Bochumer Stadtrat. Mindestens drei Ratsmitglieder sind auch das Ziel der Piraten, diese Zahl benötigen sie um eine Fraktion bilden zu können. Stephanie und ich treffen uns am Morgen um 08:30 Uhr vor dem Bochumer Arbeitsamt. Die Piratin hat Flyer dabei, die über Rechte bei einem „Jobcenterbesuch“ aufklären sollen. Vor dem Arbeitsamt ist viel los, offensichtlich findet eine Veranstaltung für Schüler statt. Dafür hat die Piratin nicht genügend Flugblätter dabei. Den Nicht-Schülern werden die Flyer der Piraten angeboten, viele Menschen nehmen die Flyer auch entgegen. Scheinbar trifft der Flyer zu den Rechten im Jobcenter einen gewissen Nerv.

Kurz nach 9 Uhr verlassen wir das Arbeitsamt, es geht mit der U-Bahn weiter zur Erich-Kästner-Schule an der Markstraße. Hier hat die AWO eine Diskussion mit Schülern der 10. Klasse und Vertretern und Vertreterinnen verschiedener Parteien geplant. Wir sind zu früh, in der Schulbibliothek werden noch Tische und Stühle gerückt. Für uns Zeit für einen Kaffee. Stephanie nimmt sich auch die Zeit für ein belegtes Brötchen. Dabei erklärt sie, dass Wahlkampfzeit Zeit ist, in der schnell und unterwegs gegessen wird. Sie freut sich über das Brötchen in der Schule, dass „nicht ranzig“ schmeckt. Nach der kurzen Frühstückspause geht es wieder rein in die Schulbibliothek.

Mittlerweile sind auch die Vertreter der anderen Parteien anwesend. Freie Bürger, CDU, FDP, SPD, Linkspartei und Soziale Liste sind erschienen. In einer Vorstellungsrunde erläutern die Kandidaten ihre persönlichen Interessen und die Ziele ihrer Partei. Stephanie Kotalla kann bei den Schülern mit „Facebook“ und „Shoppen gehen“ als Freizeitaktivitäten punkten. Als politisch wichtig bezeichnet sie die Transparenz von Entscheidungen, Datenschutz, und die Idee der Piraten, einen Feldversuch mit sogenannten Cannabis-Social-Clubs in Bochum durchzuführen. Negativ bei der Vorstellungsrunde fällt einzig Ulrich Junge von der Sozialen Liste auf. Er spricht über seine Zeit in der DKP und das Ende der Sowjetunion. Ob die Schüler und Schülerinnen etwas mit der „Deutschen Kommunistischen Partei“ anfangen können, bleibt fraglich.

Benny, Kurtschina (Linke), Stephanie Kotalla (Piraten) und "Maxi" Pischel (FDP) im Hauptbahnhof
Benny, Kurtschina (Linke), Stephanie Kotalla (Piraten) und „Maxi“ Pischel (FDP) im Hauptbahnhof

Die Diskussion mit den Schülern läuft schleppend an, die erste Frage wird der Piratin gestellt, es geht um das Cannabisprojekt. Doch der Moderator schränkt die Frage direkt ein, dabei handele es sich ja um ein bundespolitisches Thema, und das habe bei einer kommunalen Fragerunde keinen Platz. Später erfahre ich, dass es bei dem „Drogenthema“ in anderen Schulen schon hoch hergegangen sei, und dass einige Kommunalpolitiker sich keine Debatte darüber wünschen. Nach einiger Zeit beginnen einige Schüler dann doch Fragen zu stellen. Das erste größere Thema ist die Anschaffung von neuen Taschenrechnern, die momentan in Nordrhein-Westfalen zur Diskussion steht. Die Schüler bemängeln die hohen Preise von ca. 80€ für die neuen Geräte. CDU, Freie Bürger und die Soziale Liste reden ein wenig am Thema vorbei, und schlagen eine Finanzierung nach dem Verursacherprinzip vor. Stephanie Kotalla und Luisa-Maximiliane „Maxi“ Pischel (FDP) stellen fest, dass es darum geht, dass die Schüler die Rechner selbst zahlen sollen. Beide schlagen vor, dass man doch auf Smartphones und Tablets, die die meisten Schüler hätten, zurück greifen solle, eine App würde nur wenige Euros kosten. Doch auch an diesem Vorschlag gibt es Kritik von Seiten einer Schülerin, mit Apps wären Schummeleien doch nicht zu verhindern. Das nordrhein-westfälische Taschenrechnerproblem wird auch an diesem Morgen in der Erich-Kästner-Schule nicht gelöst.

Die Diskussion mit den Schülern plätschert langsam vor sich hin, der Vertreter der Sozialen Liste, und Roland Mitschke von der CDU attackieren sich immer mal wieder verbal. Beide machen keinen guten Eindruck auf die Schüler, die die Parteienvertreter zu mehr gegenseitiger Toleranz aufrufen. „Maxi“ von der FDP und Stephanie von den Piraten gehen mit einigen Sympathiepunkten aus der Diskussionsrunde. Die junge Liberale spricht die Sprache der Schüler noch am ehesten, aber auch die Piratin ist thematisch nah an den Kids dran. Ein wenig blass blieben die Vertreter von den Freien Bürgern, der SPD, und der Linkspartei. Alle drei kamen in der Debatte nicht richtig zum Zug.

Mit Benny Krutschina von den Linken und „Maxi“ von der FDP machen wir uns mit der U-Bahn wieder auf den Weg in Richtung Innenstadt. Die Liberale, der Linke und die Piratin verstehen sich sichtlich gut. Alle drei scherzen über einzelne Bemerkungen bei der Debatte, spekulieren über das Wahlergebnis und tauschen sich über die Anstrengungen des Wahlkampfs aus. Am Hauptbahnhof trennen sich die Wege der drei Jungpolitiker.

Streumittel der Piraten
Streumittel der Piraten

Stephanie und ich fahren weiter zum Wahlkreisbüro der Piraten im Ehrenfeld. Hier sitzen zwei Piraten, schauen den Videostream aus dem Landtag, und tackern kleine Pfeffertütchen an Flyer der Partei. Für die Geburtstagspiratin haben sie Yes Törtchen und Muffins vorbereitet. Nach einem Kaffee geht es mit einem Karton voller Wahlkampflyer, mit Pfeffer, weiter nach Wattenscheid. Dort haben Piraten, „BoWäh“ und Bürger einen „Aktionstag zur Arbeits- und Sozialpolitik“ geplant. Auf der Straßenbahnfahrt nach Wattenscheid haben wir Zeit für ein längeres Gespräch. Aus Stephanies Sicht muss die Piratenpartei für alle da sein, die Flügelkämpfe zwischen linken und liberalen Piraten gehen ihr auf die Nerven. Sie ist der Meinung, Politik müsse sich immer ihrer sozialen Verantwortung bewusst sein. Menschen, die der Meinung seien, es ginge den Leuten im Ruhrgebiet doch gut, empfiehlt sie, mal einige Tage auf das Auto zu verzichten und den ÖPNV zu benutzen.

Torsten Sommer, MdL der Piraten
Torsten Sommer, MdL der Piraten

Gegen 13 Uhr kommen wir am August-Bebel-Platz im Zentrum von Wattenscheid an. Viele Pavillons, eine Hüpfburg und ein als Bühne dienender LKW sind zu sehen. Neben den Piraten haben auch die Stadtgestalter ein Zelt aufgebaut. Die Stände sind nicht allzu clever aufgebaut, so dass eher der Eindruck einer Wagenburg um den LKW entsteht. Auch die Boxen, über die eine Podiumsdiskussion auf dem LKW übertragen wird, sind nicht besonders laut. Steht man nicht direkt vor der Bühne, ist fast gar nichts zu verstehen. Auch der Stand mit Kuchen, Kaffee und Würstchen wird vor allem von Menschen frequentiert, die an der Organisation des Aktionstags beteiligt sind. Einzig die Hüpfburg und die aus orangenen Ballons geformten Säbel und Elefanten ziehen einige Kinder an. Während sie einen Elefanten bastelt, erzählt mir Stephanie von einer Bürgerin, die bei einem Infostand fragte, ob man die Piraten auch für Kindergeburtstage mieten könne. In Wattenscheid ist der Wahlkampf nicht allzu spannend, die meiste Zeit verbringen die Wahlkämpfer damit, sich miteinander zu unterhalten. Gegen 15 Uhr versucht sich Torsten Sommer, Landtagsabgeordneter der Piraten aus Dortmund, noch in einer Rede. Der Platz ist, obwohl Sommer eine gute Rede hält und das Armutsrisiko im Ruhrgebiet anprangert, noch immer leer. Ein junger Mann, der mit Freunden vor einem Kiosk steht, geht auf den Piraten zu und fragt ihn, warum er hier rede, es würde doch niemand zuhören. Der Landtagsabgeordnete antwortet charmant und weist auf den Stream von der Veranstaltung hin, und dass die Menschen seine Rede auch von zuhause aus verfolgen könnten.

Am Nachmittag taucht Vasilka Bettzieche vom Verein „Stimme der Migranten“ auf dem Bebel-Platz auf. Bettzieches Verein kümmert sich um Roma im Ruhrgebiet. Nach einigen Enttäuschungen mit Wohlfahrtsverbänden und anderen Parteien ist sie ein echter Fan der Piraten geworden. Sie wünscht sich Infomaterial zur Wahl, um unter „ihren Leuten“ Werbung für die orangene Partei zu machen. An den Ständen in Wattenscheid ist nach ihrer Meinung nicht genug vorhanden. Stephanie und ich setzen uns in das Auto der Roma-Aktivistin und fahren wieder in das Wahlkreisbüro. Auf der Fahrt erzählt uns Vasilka Bettzieche von ihren Plänen, sie möchte mehr Bildungsangebote für Roma etablieren. Als sie hört, dass ich einen Artikel über den Wahlkampf schreibe, lädt sie mich ein, auch die Roma in Duisburg zu besuchen und darüber zu berichten. Auch Stephanie soll die Roma besuchen. Im Wahlkreisbüro wird Bettzieche mit einer großen Kiste mit Flyern ausgestattet. Als Simone Brand, MdL der Piraten aus Bochum, ins Wahlkreisbüro kommt, ist die Roma-Aktivistin begeistert. Mehrfach erzählt sie, wie Brand zu den Roma gegangen sei und mit ihnen Kaffee getrunken habe. Kein deutscher Politiker habe sich vorher so sehr für ihr Anliegen interessiert.

MdL Simone Brand tackert Pfeffer an die Flyer
MdL Simone Brand tackert Pfeffer an die Flyer

Im Wahlkreisbüro sitzen noch immer die selben Piraten wie am Morgen und tackern Pfeffer an die Flyer. 10.000 Tüten Pfeffer wollen getackert werden. Es ist mittlerweile 17 Uhr, und Stephanie Kotalla sitzt relativ erschöpft auf dem orangenen Teppich des Büros. Als letzter Termin, bevor sie den Abend ihres Geburtstages mit ihrem Freund verbringen kann, steht noch ein Besuch beim Sommerfest der Linkspartei an. Die Piratin hofft, hier auf interessierte Bürger zu treffen und noch einige Flugblätter los zu werden.

"Sommerfest" der Linkspartei
„Sommerfest“ der Linkspartei

Nach dem ersten Regenschauer des Abends brechen wir auf in Richtung Innenstadt, den zweiten und deutlich heftigeren Regenschauer werden wir in einem Café am Rand der Linkspartei-Veranstaltung überstehen. Bei dem schlechten Wetter ist nicht viel los bei den Linken. Die Leute, die gekommen sind, suchen einen trockenen Platz unter einem der zahlreichen Pavillons, oder am Rande des Platzes. Trotz des Unwetters spielt, wie bei beinahe jedem linken Event in der Stadt, die Band Compania Bataclan ungerührt ihre Lieder. Um 18:30 Uhr tritt der Shootingstar der Linkspartei, Sahra Wagenknecht auf die Bühne. Es regnet nicht mehr so stark, und der Platz füllt sich, offenbar hatten viele auf den Auftritt Wagenknechts gewartet. Die Linke-Frontfrau spricht über den Ukraine-Konflikt, Armut in Europa und den Mindestlohn. Stephanie Kotalla findet einiges von dem, was Wagenknecht sagt gut, mit dem Mindestlohn haben die Piraten allerdings Probleme. „Wäre schön, wenn sich Selbstständige und Freiberufler den dann auch selbst zahlen könnten.“ Die Piraten setzen auf das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens, bei dem jeder Bürger genug für ein vernünftiges Leben bekommen soll.  Nach der Rede verabschiedet sich Stephanie von mir. Nach elf Stunden Wahlkampf hat sie an ihrem Geburtstag Feierabend.

Kommunalwahlkampf ist harte Arbeit! Gerade bei den kleineren Parteien ist dabei viel eigenes Engagement gefordert. Eine Garantie, in den Stadtrat einzuziehen, ist dabei nicht gegeben. Im Wahlkampf opfern die Hobby-Politiker viel Zeit und mitunter auch viel eigenes Geld. Wer am Ende die Gunst der Wähler hat und in den Stadtrat einzieht, auf den kommt viel Arbeit zu, wenn man das Mandat denn ernst nimmt. Ratsmitglieder in Bochum erhalten dafür eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 429,80€ im Monat. Kein gut bezahltes Ehrenamt.

 

 

 

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10 Jahre zuvor

„Mindestens drei Ratsmitglieder sind auch das Ziel der Piraten, diese Zahl benötigen sie um eine Fraktion bilden zu können.“

Die Piraten liegen bei 1-2% derzeit, das wird wohl nix mit der eigenen Fraktion. Bedanken kann sich Stephanie Kotalla dafür u.a. bei Anne Helm und Co.

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