Ein weiteres Beispiel meiner frühkindlichen Indoktrination

Emrah Erken Foto: Olivier Brandenberg Lizenz: Copyright


Diejenigen, die meine Posts auf X lesen, erinnern sich vielleicht an den Tweet, in welchem ich über meine frühkindliche Indoktrination berichtete und wie ich gelernt hatte, Griechen zu hassen und wie ich diesen Hass erst nach Jahren ablegen konnte. Von unserem Gastautor Emrah Erken.

Nachfolgend möchte ich auf eine weitere frühkindliche Indoktrination eingehen, die mich nie verlassen hat, und zwar bis heute nicht und ich gedenke auch nicht, irgendetwas daran zu ändern, weil ich es auch nicht kann.

Meine Kindheit in der Türkei (1970-1979) war geprägt vom türkischen Laizismus, den ich nicht nur in der Schule, sondern auch zuhause eingetrichtert bekam. Dazu gehört unter anderem auch meine Fundamentalopposition gegenüber allen Verschleierungsarten des Islam.

Als Kind erzählte mir meine Großmutter immer wieder, wie sie circa mit 13 Jahren an ihrer Schule in Bursa Atatürk sah, und zwar im Rahmen eines Schulbesuches. Wenn man den Stellenwert von Atatürk in der republikanischen Türkei kennt, kann man sich vielleicht vorstellen, wie sehr mich dies beeindruckte. Ich war ein kleiner Junge und war furchtbar stolz, dass meine Oma Atatürk gesehen hatte und ihm auch Blumen überreichen durfte.

Bei diesem Schulbesuch, der in der ersten Hälfte der 30er Jahre stattfand, die historisch betrachtet den Höhepunkt des türkischen Laizismus darstellen, hatten die Schülerinnen und Schüler des Untergymnasiums, welches auch von meiner Großmutter besucht wurde, ein Theaterstück vorbereitet. Meine Großmutter hatte die Rolle eines Mädchens, welches mit einem «kara çarşaf» vollständig verhüllt war. «Kara çarşaf» ist die türkische Variante der islamischen Vollverschleierung, ähnlich wie der Niqab oder die Burqa.

Bei diesem Theaterstück hatte meine Großmutter die Vollverschleierung, die sie trug, aus dem Inneren des Kleidungsstücks zu zerrissen und nachdem sie dies tat, erschien sie mit einem wunderschönen Kleid vor dem türkischen Staatsgründer. Das Foto unten zeigt meine Großmutter mit einem ähnlich schönen Kleid nur wenige Jahre später im Jahr 1935.

Szenenwechsel…

Nachdem ich zwischen 1991 und 1993 in Genf Politologie studiert hatte, wechselte ich zum Jurastudium in Basel (1993-1998). Aufgrund meiner «akademischen Herkunft» aus dem Fachbereich der Politologie war ich von Anfang an sehr interessiert an staatspolitischen und verfassungsrechtlichen Themen, obwohl mir klar war, dass diese Begeisterung brotlos bleiben würde. Ich studierte, obwohl die Thematik für das frühere Berufsleben komplett irrelevant ist, auch rechtsvergleichendes Verfassungsrecht bei Prof. Luzius Wildhaber, dem ersten Präsidenten des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Nachdem dieser zu dieser Funktion berufen worden war, nahm er sich die Zeit, die wenigen Studenten, die er in diesem eher exotischen Fachbereich hatte, aus terminlichen Gründen an einem Samstag zu prüfen. Mein Prüfungspartner und ich waren die letzten, die von ihm geprüft wurden. Wir diskutierten über diverse Verfassungsordnungen über bekannte Urteile des BVerG und des U.S. Supreme Court. Mein Lehrer, den ich wie einen Halbgott verehrt hatte, gab mir am Schluss eine summa cum laude und gab an, dass es für ihn eine Freude gewesen sei, mit mir zu diskutieren.

Diese Lehrervergötterung ist übrigens ein fester Bestandteil der türkisch-republikanischen Kultur, die ich nie abgelegt habe. Natürlich war ich differenziert genug, dass nur Lehrer Subjekte dieser Apotheose wurden, die es auch wirklich verdienten. Zu diesen Lehrern gehört auch Georges Handlery, ein ungarischer Flüchtling, der im Gymnasium mein Geschichtslehrer war. Von ihm habe ich meine starke Ablehnung gegenüber dem Kommunismus und Marx.

Während meines Studiums der Rechtswissenschaften bekam ich selbstverständlich auch mit, welche Bereiche die Glaubens- und Gewissensfreiheit schützt, und habe die entsprechenden Informationen durchaus auch gelernt und studiert. Ich hatte allerdings aufgrund meiner frühkindlichen Indoktrination schon immer eine Auffassung, welche nicht unbedingt dem geltenden Verfassungsrecht entsprach, wenn es um die islamische Frauenverhüllung ging. Ich sprach das als Student natürlich nicht aus, aber meine schlechte Meinung gegenüber dem Hijab und vor allem der islamisch motivierten Vollverschleierung änderte sich nie.

Obwohl Verfassungsrecht und im Besonderen auch die Grundrechte ein Hauptfokus meines Jurastudiums waren und obwohl ich die entsprechenden Fächer mit Bravour bestand, gab es etwas, das stärker wirkte als die rationalen Argumente im Bereich des Verfassungsrechts. Das war namentlich das, was mir bereits als Kind eingeflößt worden war. Ich dachte dabei auch immer, dass diejenigen, welche islamische Sachverhalte mit verfassungsrechtlichen Argumenten verteidigten, schlicht und einfach den Islam nicht kannten und dessen gesellschaftsgestaltende Dynamik.

Ich konnte meine Auffassungen auch relativ gut begründen. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit war zu einem Zeitpunkt entstanden, als Religion in westlichen Gesellschaften noch eine Rolle spielte und den Zweck verfolgte, zwischen verfeindeten christlichen Gruppierungen, die sich über Jahrhunderte bekriegt hatten, Frieden herzustellen und damit eine Friedensordnung war, die in erster Linie in einem christlichen (und später in einem jüdischen) Kontext zu verstehen war. Ich war schon immer dagegen, dass dieses Recht quasi als Türöffner der Scharia fungieren sollte. Mir war dennoch schon immer bewusst, dass solche Auffassungen, wie ich sie vertrat und immer noch vertrete, in der Lehre und Rechtsprechung keine Rolle spielten.

Nachdem ich Anwalt wurde, fing ich damit an, mich mit dem Islam zu beschäftigen, nicht weil ich den Islam, den ich schon in der Türkei im Vorschulalter abgelehnt hatte, toll fand, sondern um diesen zu dekonstruieren und zu delegitimieren. Da die Theologie ähnlich wie die Jurisprudenz eine dogmatische Wissenschaft ist (damit keine Wissenschaft im engeren Sinne), hat das mir auch gewissermaßen Spaß gemacht. Als ich genügend Wissen angehäuft hatte, fing ich damit an, Blog-Artikel unter dem Pseudonym «Giordano Brunello» zu veröffentlichen, ein Wortspiel, das sich aus Giordano Bruno und Brunello di Montalcino zusammensetzt. Mein Blog, den ich in der Zwischenzeit gelöscht habe, hieß «Freiheit oder Scharia».

Nachdem der deutsche Islamapologet Lutz Jäkel bei einem Interview mit dem in der Zwischenzeit verstorbenen Gunnar Kaiser die Scharia verteidigte und den Deutschen die Scharia schmackhaft machen wollte, war ich dermaßen getriggert, dass ich eine Facebook-Gruppe mit dem Namen «Before Sharia Spoiled Everything» gründete, um dieser offenkundigen Liebe gegenüber der Scharia zu widersprechen, und zwar mit der Kraft von Fotos. Ich zeigte in dieser Gruppe, die in der Zwischenzeit archiviert ist, sehr bewusst unverhüllte Frauen aus der muslimisch geprägten Welt, um dem linken Hijab-Empowerment-Aktivitäten der politischen Linken zu widersprechen. Diverse Medien, darunter die Welt, Emma, Süddeutsche Zeitung, Basler Zeitung und 20 Minuten, haben darüber berichtet.

Wenig später wurde ich von Saša ojin Saša Vukadinović kontaktiert, einem Historiker und Doktor der Geisteswissenschaften, der mir die Gelegenheit gab, im Sammelband «Freiheit ist keine Metapher» einen Aufsatz zu veröffentlichen. Mein Aufsatz handelte vom islamischen Kopftuch, was sicherlich für viele keine Überraschung ist. Aufgrund der Lektüre einiger Aufsätze einiger Co-Autorinnen und Co-Autoren in diesem Buch stellte ich fest, dass Wokeness das weitaus größeren Problem war als der Islam und Islamismus und verlor danach mein Interesse an diesen Themen. Damals, im Jahr 2018, war der Begriff Woke, der auch im Buch nicht vorkommt, noch nicht so allgegenwärtig wie heute.

Im Jahr 2021 schließlich stimmte die Schweizer Bevölkerung über die SVP-Initiative «Verhüllungsverbot» ab. Obwohl ich nie ein Freund der Schweizerische Volkspartei war und noch nie diese Partei gewählt habe, war es für mich wichtig, hier an vorderster Front zu kämpfen. Ich hätte dasselbe getan, wenn die Grünen, die ich noch weniger mag, eine solche Initiative lanciert hätten. Es war mir komplett egal. Ich fand auch den Initiativtext jenseits von Gut und Böse. Auch das war mir völlig gleichgültig. Ich kämpfte auch nicht Seite an Seite mit der SVP, sondern quasi als eine Art One-Man-Show. Die Argumente der Befürworter und der Gegner interessierten mich nicht. Ich hatte eigene.

Mir war auch bewusst, dass meine Auffassungen nicht unbedingt dem geltenden liberalen Verständnis entsprachen, obwohl ich schon seit Jahren ein FDP-Anhänger war. Da ich mich auch sehr gut im Bereich des Initiativrechts auskenne, erkannte ich auch eine Parallele zur ersten Volksinitiative überhaupt, zum Schächtverbot, angenommen am 20.August 1893 mit 60% der Stimmen. Mir war klar, dass die letztgenannte Initiative lanciert worden war, um Juden das Leben schwer zu machen und nicht um Tiere zu schützen. Im völligen Bewusstsein, dass die Annahme des Verhüllungsverbotes dazu führen könnte, Salafisten aus der Schweiz rauszuekeln, wie man dies beim Schächtverbot gegenüber Juden getan hatte, setzte ich mich für dies Volksinitiative ein. Mein überdurchschnittliches Vorwissen im Bereich der Geschichte und des Verfassungsrechts waren keine «Red Flags», sondern ein Antrieb. Außerdem hatte ich festgestellt, dass meine neuen politischen Gegner, namentlich die Woke-Linken, sich gegen diese Initiative starkmachten. Ich wollte um jeden Preis verhindern, dass diese den Abstimmungskampf gewannen. Sie waren auch meine eigentlichen Opponenten in diesem Abstimmungskampf und nicht etwa irgendwelche Muslime.

Nachdem die Islamismus-Kritikerin Saida Keller-Messahli nach einer ersten Arena-Sendung im Schweizerfernsehen über diese Initiative massiv angefeindet worden war, trat sie an mich heran und fragte mich, ob ich in der zweiten Arena-Sendung an ihrer Stelle auftreten wolle. Ich stimmte dem sofort zu. Die Arena-Redaktion des Schweizer Fernsehens wollte mich allerdings nicht in dieser Sendung, obwohl ich zu dieser Thematik mehrfach publiziert hatte. Als Vorwand gab die Redaktion an, dass ich nicht in einem Verband Mitglied war. So musste ich, nur um in dieser Sendung teilzunehmen, dem Verein von Keller-Messahli beitreten, der «Forum für einen fortschrittlichen Islam» heißt und eigentlich eine One-Woman-Show ist.

Da ich unbedingt an dieser Sendung teilnehmen wollte, ließ ich mir vom Schweizer Fernsehen einen Muslim-Stempel aufdrücken, was ich als stigmatisierend empfand und was mich wahnsinnig wütend machte. Einzelne Freunde lachten über mich und sagten «Hey, Emrah… Seit wann bist du eigentlich ein Muslim?».

Als mich der woke-linke Moderator Sandro Brotz in der Arena-Sendung beim Sprechen unterbrach, weil meine Ausführungen seinem Narrativ nicht entsprachen und dem Ziel des Schweizer Fernsehens widersprachen, dass die Initiative abgelehnt würde, beschloss ich, auf eine gute Gelegenheit zu warten, um ihn und die Arena-Sendung anzugreifen. Das manipulative Vorgehen des Moderators nutzte nichts und die Initiative wurde knapp angenommen. Einige sagten, dass mein Auftritt in der Arena maßgeblich dazu beigetragen habe, dass auch Nicht-SVPler der Initiative zustimmten. Ich kann das nicht beurteilen und möchte hier auch nicht spekulieren, auch wenn die Annahme des Volksbegehrens äußerst knapp erfolgte.

Am Abstimmungssonntag, als klar war, dass die Initiative angenommen würde, bekam ich nochmals die Gelegenheit, im Fernsehen aufzutreten, wieder als «Mitglied» für das «Forum für einen fortschrittlichen Islam». Mit Ausnahme dieser beiden Fernsehauftritte hatte ich mit diesem Verein nie wieder etwas zu tun. Als ich in Bern ankam und mich an den Ort begeben hatte, wo das Interview stattfinden sollte, merkte ich die langen Gesichter der woke-linken SRF-Journalisten. Die Dame, die mich später interviewen sollte, konnte sich nicht beherrschen und bevor das Interview stattfand, fragte sie mich: «Sagen Sie, schämen Sie sich eigentlich nicht, dass Sie sich mit der SVP ins Bett gelegt haben?» Ich entgegnete: «Keineswegs. Eine andere Frage: Schämen Sie sich eigentlich nicht, dass Sie sich mit Islamisten ins Bett gelegt haben?» Eine Antwort darauf gab es freilich nicht.

Einige Zeit später sah ich in einer Arena-Sendung, wie der Arena-Moderator Sandro Brotz bei einem Interview mit dem SVP-Fraktionschef Dinge tat, die ich in rechtlicher Hinsicht höchst fragwürdig fand. Ich sagte mir «Jetzt habe ich dich, Bürschchen!» und prozessierte gegen das Schweizer Fernsehen und gewann. Natürlich hatte ich sehr gute rechtliche Gründe, um gegen dieses Interview vorzugehen. Aber die Wut, die ich gegen ihn hatte, war ein wesentlicher Faktor, um diese Arbeit, die völlig unbezahlt blieb und mit der SVP auch nichts zu tun hatte, zu verrichten.

Man kann diese Dinge kaum mit rationalen Argumenten begründen, weil es hier auch um Emotionen geht, die sehr wesentlich mit meiner frühkindlichen Indoktrination zu tun haben. Es gibt Aspekte in der Persönlichkeit eines Menschen, die über der Ratio stehen, selbst wenn man ansonsten rational und objektiv ist. Die Macht und die Stärke von frühkindlichen Eindrücken darf man daher niemals unterschätzen. In meinem Fall hatte ich mich über sehr viele Dinge hinweggesetzt, die ich bestens kannte, und ich tat das mit vollem Vorsatz, weil der Eindruck, der im Zusammenhang mit dem Auftritt meiner Grossmutter vor Atatürk stärker war als meine Studien bei einigen der besten Verfassungsrechtler der Schweiz.

Mir ist bewusst, dass jetzt einige denken, dass all diese Dinge, die ich tat, im Ergebnis gut waren. Ich bin allerdings selbstkritisch genug, um mich selbst und meine irrationale Wut und die Energie, die ich investierte, zu hinterfragen. Ich tat dies vor allem auch, als ich erfuhr, dass sich Sandro Brotz nach der Niederlage des SRF krankschreiben liess und in der letzten Zeit weitaus weniger die Arena-Sendung moderiert. Vielleicht mag ich nicht der einzige Grund sein, warum es ihm nicht gut ging, was mir auf einer menschlichen Ebene allerdings aufrichtig leid tat, natürlich nicht auf der sachlichen und juristischen Ebene. Nichtsdestotrotz war er gewissermaßen ein Opfer der frühkindlichen Indoktrination, die ich erfahren hatte, was selbstverständlich auch für mich äußerst fragwürdig ist. Natürlich wollte ich ihn als Fernsehmoderator demontieren und ihn bloßstellen. Ich dachte, als ich das tat, keine Sekunde an Sandro Brotz als Menschen. Das ist natürlich auch für mich selbst und im Besonderen für meine eigene Wahrnehmung über mich wenig schmeichelhaft und auf dieser menschlichen Ebene schäme ich mich auch dafür.

Ich hoffe, dass diejenigen, die diesen Text bis zum Schluss gelesen haben, die Macht und die Stärke von frühkindlichen Indoktrinationen etwas besser verstehen, auch wenn sie selbst keine entsprechenden Erfahrungen gemacht haben. Gesund ist das Ganze natürlich nicht und sicherlich auch bis zu einem gewissen Grad neurotisch, auch wenn das politische Ergebnis für mich immer noch stimmt.

Man muss sich jetzt nur noch vorstellen, welche Wirkung derartige Indoktrinationen haben, die an den UNRWA-Schulen erfolgen, die wesentlich intensiver und radikaler sind und natürlich auch weitaus bedenklicher. Obwohl ich heute 54 Jahre alt bin, gibt es Charaktereigenschaften, die ich in mir trage und die mir noch vor meinem neunten Lebensjahr eingeflößt wurden, die nicht einfach so weggehen und mich geprägt haben und mich weiterhin prägen werden.

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Klafuenf
Klafuenf
7 Monate zuvor

Mein Blog, den ich in der Zwischenzeit gelöscht habe, hieß «Freiheit oder Scharia».

Schade, ich habe dort immer gerne fachkundige Informationen gelesen. Und in der URL las ich gelegentlich »Freiheit Tod oder Scharia«.

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