Sie suchen „einen Hit, ohne -ler, einen Sta(r), ohne –lin“. Und veranstalten seit vier Wochen ein Casting nach dem anderen. Sie haben einen eingeladen, aber der lässt auf sich warten. Wagners Musikdrama „Der Ring“ ist in der Jetztzeit angekommen und wird von Ulf Goerke und Matthias Wulst folgerichtig zu einem diskursiven Musical dekonstruiert. Siegfried Superheld – ein diskursives Musical markiert den Start des Nibelungen-Zyklus im Bochumer Rottstr5-Theater.
Inklusive Bonus-Track: 13 Fragen an den Regisseur Ulf Goerke
„Subversiv wie Schlingensief, intellektuell wie Heiner Müller, erotisch wie Carla Bruni“ will diese Inszenierung sein. Drei Musicalmacher suchen für eine Neuproduktion einen Darsteller des Siegfried. Der neue Siegfried soll jedoch weder Held, noch Hitler, sondern überideologisch sein. Er soll als „eine Art Bedürfnisanstalt installiert werden“, die als Mannigfaltigkeit Raum für Utopie und Identifikation mit kalkulierter Halbwertszeit bietet. Geplante Obsoleszenz im Musentempel also. Die Musicalmacher wollen „eine Fresse, in die sie alles reinprojizieren können“. So umgeht das Stück die letztgültige und eindeutige Antwort auf die Frage, wie Siegfried sein müsste, verliert dabei aber die Nibelungenproblematik nicht aus dem Blick.
Alles, was bei der Beantwortung der Frage, was ein Held ist, je scheiterte und historisch festgehalten wurde, lässt Goerke hier Revue passieren. Sämtliche Heilsversprechen erfahren ihre Auferstehung, um kurz darauf niedergemetzelt zu werden. Es ist eine Ruinenschau gescheiterter Deutungsversuche, eine Aufarbeitung, aber auch eine Abnabelung von den Konventionen des Umgangs mit den Nibelungen.
Ruinenschau gescheiterter Deutungsversuche
Von Wagners Hauptwerk bleiben Szenen von Siegfrieds Geburt, Jugend und Adoleszenz – Intermezzi mit dem zwergenhaften Schmied Mime im Ur-Wald, und Brünhilde. Die ewige Weisheit der heiligen Ordnung erhält dank diskursiver Dekonstruktion einen provokativen Gegenpart und verdrängt so die Sprachlosigkeit vor dem Monumentalen. Die Sagengestalt des Drachentöters wird mit Blick auf den potentiellen Darsteller fortwährend transformiert. Mit temporeichen Rollen- und Szenenwechseln entsteht bei dieser Inszenierung Rhythmus statt Zyklus. Sätze mit Symbolcharakter deuten die verschiedenen Diskurse an und aktivieren lebhafte Bilder, die in einem Gedankenfeuerwerk kulminieren – mit reichlich Potential für spontane Lachanfälle im Schlepptau. Dennoch wissen sie: „Die Nibelungen – das ist Trauma – und da müssen wir durch“.
Die Schauspieler Magdalena Helmig, Katja Uffelmann und Andreas Bittl stehen auf drei hölzernen weißen Sockeln. Die Damen treten in prunkvollen Ballkleidern auf, während Bittl Anzug, lila Hemd und Clark-Gable-Bart trägt. Das Trio schaut sich in der Trümmerlandschaft der Gedankenfelder um und spannt unterschiedlichste assoziative Netze und Fluchtlinien. Dabei enttarnen sie die Illusion, dass das System unserer Weltbilder stabil sei. Ihr bombastisches Spiel, Betonung und Timing legen dem Stück ordentlich Gewicht bei. Ein Highlight: Alle drei können nicht nur spielen, sondern auch noch singen.
Tarnkappen-Trio
Uffelmann und Helmig wachsen als Zwerg Mime dank ihres inbrünstigen Spiels über sich hinaus. Beide sorgen bei dieser Inszenierung mit ihrem fulminanten Einsatz dafür, dass es einer der ganz großen Abende werden kann. Andreas Bittl ist bei all dem einfach nur supercool und lässig. Durch feine Nuancen einer gewissen Naivität gelingt es ihm, seiner Rolle eine unsagbare Komik zu verleihen. Nicht nur schauspielerisch kann er überzeugen, auch musikalisch punktet er vor allem mit der Tarnkappen-Reggae-Nummer.
Mit politisch inkorrekten, aber dreifach ironisch gebrochenen Flanken rollen Goerke und Wulst das Diskursfeld von hinten auf. Schonungslos wird das Mark der Inszenierungsproblematik freigelegt. Bisweilen thematisieren selbst goldene Glitzerschnipsel die Reflexion der Situation. Die Perspektiven wechseln fortlaufend. Denn diejenigen, die inszenieren, sind auch jene, die rezipieren. Die Musicalmacher markieren den selbstironischen Wechsel von Objekt- zu Metasprache höchst selbst, so dass Innen- und Außenperspektive gewissermaßen implodieren.
Helden haben ausgedient
Humorvoll verfremden Goerke und Wulst die Suche nach einem passenden Darsteller und erzeugen mit diesen Effekten ganz nebenbei einen Erkenntnisgewinn. Das Publikum erlebt, wie mithilfe des Wechsels von klassischen Wagnerpassagen über Song-Einlagen von Altmeister Nick Cave und Scott Matthew zur Metaebene krasse Brüche entstehen, die von kontrastreichen Stimmungswechseln begleitet werden.
Das Prinzip heißt zwar ‚Kill your Darlings’, aber am Ende erfolgt die Rettung durch die Radikalität der Liebe. Dabei gelangen die Musicalmacher zu der Schlussfolgerung: Das Heldengen steckt in jedem, aber Vorsicht, wenn es Überhand nimmt. Denn der Fall ist ebenso im Helden angelegt. Genau wie Siegfried haben auch wir die Verletzlichkeit stets im Rücken. In jedem Fall ist mit Superheld Siegfried der Boden bereitet für einen viel versprechenden Nibelungenzirkus.
Es folgt das Interview mit Regisseur Ulf Goerke:
Ulf Goerke war mehrere Jahre selbst als Schauspieler tätig. Nachdem er sein Regie-Grundstudium an der Ernst-Busch-Schule in Berlin absolvierte, machte er 2005 an der Bayerischen Theaterakademie in München sein Diplom für Sprech- und Musiktheater. Er inszenierte unter anderem in Hamburg, München, am Staatstheater Braunschweig und in Nürnberg.
Wie kam es dazu, dass gerade du dieses Stück als ersten Teil des Nibelungenzyklus im Rottstr5-Theater inszenieren solltest?
Ich kenne das Theater schon länger und mag es, wie man hier arbeiten kann. Die „Rott“- igkeit. Die Freiheit, die ich hier habe, ist anders als am Stadttheater. Arne Nobel hat mich gefragt, ob ich Interesse habe, „Nibelungen I“ zu inszenieren, und ich habe gerne zugesagt.
Warum ein diskursives Musical?
Matthias Wulst und ich haben uns erst einmal mit den Nibelungen beschäftigt, mit dem, was uns daran inhaltlich interessiert. Und sind dabei auf das Thema des Helden gestoßen. Da wir keine passende Textvorlage gefunden haben, haben wir uns entschlossen, selber zu schreiben. Und das Thema „Held“ auf der Bühne diskursiv zu bearbeiten. Neben dieser inhaltlichen Ebene ist die Musik ein stark sinnliches Element.
Du hast dein Diplom für Sprech- und Musiktheater gemacht. Inwiefern konntest du bei der Inszenierung von Siegfried Superheld davon profitieren?
Sicher kommt es mir in der Arbeit grundsätzlich zugute, dass ich das Genre der Oper kenne. Auch eine Sprechtheaterinszenierung hat viel mit Rhythmus und Musikalität zu tun.
Was zeichnet deine Regiearbeit aus?
Das können andere wahrscheinlich besser beurteilen als ich. Was mir in meinen Inszenierungen wesentlich ist, das ist die Arbeit mit den Schauspielern. Das heißt, ich versuche, die Figuren dicht an die Persönlichkeit des jeweiligen Spielers heran zu bekommen. Je mehr eigene Phantasie der Schauspieler für die Gestaltung der Figur einbringt, desto lieber ist es mir. Das ist im Ergebnis immer deutlich zu sehen, ob ein Spieler die Phantasie des Regisseurs erfüllt, oder er selber die Innengestaltung der Figur erarbeitet hat. Das bringt eine andere Vitalität hervor. Und auf die stehe ich. Und vielleicht zeichnet das auch meine Arbeit aus: Oft wird mir gesagt, das sie den Schauspieler noch nie so gut gesehen haben, wie bei mir.
Gibt es bestimmte Regisseure, die dich bei deiner Arbeit beeinflussen?
Ich mag Regisseure, die das Stück, das sie zu inszenieren haben, ins Zentrum der Arbeit stellen und nicht die von ihnen gefundene „Regiehandschrift“. Luk Perceval ist dabei ein ganz Großer, finde ich. Und für die Inszenierung „Siegfried Superheld“ ist es sicher nicht schlecht gewesen, die eine oder andere Inszenierung von René Pollesch gesehen zu haben.
Was war das Besondere bei der Inszenierung Siegfried Superheld?
Das Experimentelle daran war, dass ich, zum ersten Mal den Text selbst mitgeschrieben habe. Das war ein Abenteuer und sicher was Besonderes für mich. Wir sind in die eh knappen dreieinhalb Probenwochen mit einer Grundlage des Textes gegangen. Dann haben wir eine Woche nur am Tisch gesessen, weil ich hören wollte, was die Schauspieler zu dem Thema zu sagen haben. Das hat natürlich noch mal spannende Seiten aufgemacht, die Matthias und ich bis dahin nicht berücksichtigt hatten. Außerdem haben sich die Spieler so ganz anders mit dem Stoff auseinander gesetzt, als wenn ich ihnen ein fertiges Stück vorgelegt hätte. Danach haben wir das Stück noch einmal überarbeitet. Für die eigentlichen Proben hatten wir dann noch zehn Tage.
Wie sah die Arbeit mit dem Schauspielern am Tisch genau aus?
Ich habe den Spielern erst mal dieselben Fragen gestellt, die Mattias und ich hatten: Was sind für euch Helden? Was kann man als Held definieren? Ganz neu und super spannend an der Diskussion war ja, dass ich mit Katja und Magdalena zwei Frauen dabei hatte. Das Thema des „weiblichen Helden“ ist leider aufgrund der knappen Zeit wieder rausgeflogen. Schade!
Und kommen wir zu einer Beantwortung der Frage nach dem Helden? Das war sicher das Schwierigste, zu sagen, der oder die ist ein Held. Individuell ist das vielleicht möglich, aber als Gesamtaussage zum Stück? Auf der einen Seite wollten wir das nicht konkret beantworten, aber nur die Frage zu erörtern, war uns auch zu wenig. Was war also schlussendlich das Ehrlichste: „Held sein heißt Liebe“
Welche Rolle spielt bei dieser Inszenierung der Humor?
Humor spielt in meinen Arbeiten immer eine große Rolle. Erst mal langweile ich mich bei so ernsten, ernsten, ernsten Inszenierungen ganz schnell. Und das tue ich im Theater ungern. Außerdem ist Humor ein gutes Mittel, um tragische Stellen vorzubereiten. Humor hat natürlich nichts mit Witzigkeit, also das kollektive Lachen einer Komödie zu tun. Humor ist was sehr Individuelles. Das ist mir in dieser Inszenierung, glaube ich, ganz gut gelungen. Wenn der Zuschauer nicht weiß, ob das jetzt als Witz gemeint ist, also darf ich jetzt lachen, oder nicht?
War es dir auch wichtig, zu zeigen, wie am Theater gearbeitet wird?
Du meinst, weil die drei auf einen Musicaldarsteller warten? Und viel über das Theater geredet wird? Ich glaube, ich kenne das Theater ganz gut von innen. Und da ich selber den Text geschrieben habe, wollte ich über was schreiben, worüber ich was erzählen kann. Ich hoffe, es ist nicht bei dem Insiderwissen stecken geblieben, sondern dass jeder was für sich mit den Inhalten anfangen kann. Die Theaterebene gibt nur den Rahmen vor.
Verfolgst du mit Siegfried Superheld auch eine politische Aussageabsicht?
Ja, sicher. Es geht ja nicht nur um eine psychologische Auseinandersetzung, sondern auch um den Umgang bzw. Missbrauch des Mythos durch die vergangenen Jahrhunderte. Der „deutsche Urmythos“ ist immer von den jeweiligen Machthabern für ihre Zwecke missbraucht worden. Das hat eine gewisse Absurdität und Komik, dass Siegfried sowohl von Hitler, wie auch von den Sozis als große Ikone genutzt wurde. Das wollte ich schon auch zeigen. Außerdem sollte Theater immer politisch sein. Im Theater setzte ich mich öffentlich mit der Gesellschaft auseinander, in der ich lebe. Und das ist politisch – auch wenn ich eine wunderschöne Liebesgeschichte dreier glücklicher Menschen erzähle.
Warum hast du dich dazu entschlossen, auch Songpassagen aufzunehmen?
Ich finde, dass Musik eine gute Gegenkraft zum Diskursiven darstellt. Außerdem war es mir zu wenig, nur zu sagen, die drei warten auf einen Musicaldarsteller. Da müssen die schon selber ran. Als ich mit den Spielern anfing zu proben, wusste ich nur, dass alle drei sehr gut singen können und Andreas Bittl gut mit verschiedenen Instrumenten umgehen kann. Aber die Auswahl der Lieder haben wir zusammen getroffen. Außerdem sind Sänger doch auch Helden.
Hättest du nun tatsächlich die Rolle des Siegfried besetzen müssen, auf wen wäre die Wahl gefallen?
Es gab eine Szene, in der Thomas Thieme der Siegfried gewesen wäre. Er hätte sogar mitgemacht, allerdings nur telefonisch. Aber diese Szene ist dann doch komplett rausgefallen. Aber für mich sind natürlich die drei Schauspieler meine heimlichen Siegfrieds!
Was sollen die Zuschauer von dem Abend mit nach Hause nehmen?
Es gibt keine geplante Message. Mich würde eher interessieren, von den Zuschauern zu hören, was sie mit nach Hause nehmen. Wenn ich sie gut unterhalten habe, haben wir schon viel erreicht, finde ich.
…. „eine Fresse, in die sie alles reinprojizieren können“ …
Ähnlichkeiten mit aktuellen Ereignissen und Personen sind natürlich rein zufällig 🙂
Guttenberg, oder wer ist gemeint? Der kommt in der Inszenierung nur indirekt vor. Aber an Siegfried in Afghanistan wurde auch gedacht.