Eine Menschheitsgeschichte – Verbrennungen im Schauspielhaus Dortmund

verbrennungen

Liesbeth Coltof inszeniert einen packenden Familien-Krimi

Am kommenden Samstag, den 30. November, feiert das Stück Verbrennungen des frankokanadischen Autors Wajdi Mouawad Premiere im Schauspielhaus Dortmund. Das Stück erzählt eine berührende Familiengeschichte als kurzweiligen Krimi: Die Mutter Nawal hat ihren in Kanada aufgewachsenen Zwillingskindern Jeanne und Simon rätselhafte Aufträge hinterlassen. Sie sollen den tot geglaubten Vater und den unbekannten Bruder finden. Beide beginnen, im Land ihrer Mutter Nachforschungen über die Herkunft ihrer Mutter Nawal anzustellen. Immer tiefer tauchen sie in deren Leben ein, immer deutlicher wird Nawals Verwicklung in die Wirren eines Bürgerkrieges im Nahen Osten. Was die Zwillinge schließlich entdecken, ist eine erschütternde Wahrheit, die ihre eigene Identität in Scherben zerfallen lässt.

Regie führt die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof, die in der Spielzeit 2012/13 bereits Wer hat Angst vor Virginia Woolf? im Studio des Dortmunder Schauspiels inszenierte. Coltof hat einen ganz persönlichen Zugang zum Stoff: Sie arbeitet seit mehr als 15 Jahren immer wieder in den palästinensischen Gebieten. Über ihre dortigen Erfahrungen und ihren Zugang zum Stück sprach sie mit Dramaturg Dirk Baumann.

 

Liesbeth Coltof, was ist das Besondere an Verbrennungen?

Verbrennungen ist so etwas wie ein Krimi, es beginnt mit einem großen Geheimnis: Die Zwillinge Jeanne und Simon müssen sich nach dem Tod ihrer Mutter Nawal auf die Suche nach dem tot geglaubten Vater und dem unbekannten Bruder machen – eine Reise, um die Wahrheit herauszufinden. Dabei vermischen sich Erzähl- und Spielszenen, die in verschiedenen Zeiten spielen, manchmal sogar gleichzeitig in zwei Zeitebenen – es ist so etwas wie eine ‚arabische’ Erzählweise. Es geht um Fragen wie: Was ist Vergebung? Was ist Hass? Was ist Liebe? Wie kann man Mensch bleiben im Krieg? Wie geht man mit der Wahrheit um? Was will man wissen? Was lieber nicht, um weiterleben zu können wie bisher? Und: Können Hass und Liebe nebeneinander existieren und wenn ja, wie?

 

Verbrennungen ist inspiriert vom Bürgerkrieg im Libanon. Sie arbeiten seit mehreren Jahren auch im Nahen Osten, u.a. in Gaza, Hebron, Ramallah, und Dschenin. Was sind Ihre Erfahrungen?

 

Das Schöne an Verbrennungen ist, dass es keine klare Verortung gibt. Es gibt zwar arabische Namen, das Stück spielt also offensichtlich in dieser Region, aber Wajdi Mouawad hat es so geschrieben, dass es auf andere Bürgerkriege übertragbar ist. Das Stück ist eine Menschheitsgeschichte. Aber die dargestellte Welt ist nicht dieselbe wie in der Realität und wir als deutsche Schauspieler sollten auch nicht so tun, als ob wir im Libanon oder in Palästina wären. Denn das sind wir nicht. Ich arbeite schon seit 15 Jahren in der Region und die Situation dort ist sehr schwer zu verstehen: Was macht man mit einer Gesellschaft, in der alle Menschen verloren haben und noch immer verlieren? Wo immer der Hass ist? Wo es wirklich schwer ist, zu lieben? Am Anfang denkt man, dass man das lösen kann. Aber je länger ich dort bin, desto demütiger werde ich. Und diese Demut gegenüber den Erfahrungen und Erlebnissen der Leute dort – die auch in Verbrennungen stecken – bringe ich mit. Und natürlich spielen auch die Gegebenheiten vor Ort eine Rolle. Etwa die völlig andere Art von Emotionen: Die Menschen können es sich nicht leisten zu weinen. Weil sie sich schützen müssen, nicht zuviel zulassen können. Oder der Hass. Ich habe wirklich den Hass gesehen, ganz anders, als man ihn von hier zu kennen glaubt. Auch das bringe ich mit.

 

Verbrennungen spielt zum großen Teil im Nahen Osten. Sie inszenieren in Dortmund mit europäischen Schauspielern – wie wollen Sie erreichen, dass sich die Zuschauer auf diese Geschichte einlassen?

 

Eigentlich sind die Schauspieler in derselben Lage wie ich, als ich das erste Mal nach Gaza kam: Westlich, verhältnismäßig reich. Wir müssen uns dazu verhalten, uns von unserer eigenen Position aus rühren lassen – und nicht versuchen, tatsächlich zu den Figuren zu werden. Die Schauspieler müssen sich berühren lassen von ihrer Rolle, die sie darstellen. Aber sie stellen sie eben dar, sie sind es nicht.

In Gaza und dem Westjordanland waren die Palästinenser immer neugierig auf meine Reaktionen. Als mir in Hebron ein Palästinenser sagte, dass hier sein Onkel erschossen wurde, habe ich mitten auf der Straße angefangen zu weinen. Sie haben mich angeschaut und gedacht: „Die weint um uns!“ Daher dachte ich, dass ich zusätzlich zu den Schauspielern noch Menschen auf der Bühne brauche, die nichts darstellen, nur zuschauen, so wie mir zugeschaut wurde. Und die nicht europäischer Herkunft sind. Weil Verbrennungen nicht nur eine Geschichte vom Libanon ist. Ähnliche Geschichten gibt es auch in Sierra Leone oder China. Ich brauchte Frauen, weil es in diesem Stück darum geht, wie Frauen einen Krieg erleben. Daher haben wir noch sechs Laien engagiert, Frauen verschiedener Herkunft und verschiedenen Alters, die fast immer auf der Bühne sind, und zuschauen wie wir, deutsche Schauspieler, diese Geschichte darstellen. Dadurch habe ich das Gefühl, dass ich dem, was ich erlebt habe, gerechter werden kann.

 

Was glauben Sie kann uns Verbrennungen im Westen erzählen?

 

Dass es wichtig ist zuzuhören, ohne Urteil. Hier hat man ganz schnell seine eigene Meinung. Vom Nahen Osten habe ich gelernt, erstmal ohne Beurteilung zuzuhören. Auch weil viele Menschen, die ähnliche Sachen erlebt haben, von überall auf der Welt, inzwischen unter uns leben. Und die fragt keiner, was sie erlebt haben. Aber es ist wichtig, solchen Geschichten zuzuhören. In Verbrennungen ist das sehr schön: Die Zwillinge, westliche Kinder, in Kanada aufgewachsen, müssen sich plötzlich wegen des Lebens ihrer Mutter in eine ganz andere Welt begeben, wo sie überhaupt nicht hingehören. Verbrennungen ist für mich auch eine Geschichte darüber, wie man seine Menschlichkeit bewahren kann. In einem Krieg ist das natürlich viel schwieriger. Aber auch in unserer Gesellschaft, in der man so viel hat und fast alles machen kann, ist es schwierig. Es gibt immer einen innerlichen Kampf, um die Menschlichkeit zu bewahren oder zu finden. Und das allerschwerste ist, Vergebung oder die Liebe wiederzufinden. Man kann zwar einfach sagen: „Ich vergebe dir“. Aber ich glaube, der Kampf um die wirkliche Vergebung, das tatsächliche Wiederfinden der Liebe, ist das schwerste Gefecht der Menschheit.

 

Termine: 30.11. (Premiere), 5.12., 14.12., 27.12., jeweils 19:30 Uhr im Schauspielhaus

Karten unter 0231 50 27 222 oder unter www.theaterdo.de

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