Am Montag hatte die nordrhein-westfälische AfD zu einer Schiffstour auf dem Rhein eingeladen. Die Partei wollte den Bürgern ihr Programm „live und ohne Filter“ vorstellen. Dabei ging es um „Rechtsbrüche der Regierung Merkel“ und Sozialpolitik. Eindrücke von einer besonderen Kreuzfahrt.
Die AfD hat es im Wahlkampf nicht immer leicht. Hallen sind kurzfristig ausgebucht, auf öffentlichen Plätzen protestieren Bürger gegen die rechtspopulistische Partei. Was liegt da näher als sich auf ein Schiff zurückzuziehen und ohne störende Proteste zu verkünden, wofür man steht. Menschen, die der Partei nicht schon nahe stehen, erreicht man so zwar nicht, erst recht nicht, wenn der Ort des Ablegens geheim gehalten wird und man ihn nur nach vorheriger Anmeldung per E-Mail erfährt. Aber wen stört das schon. Drei Wochen vor der Bundestagswahl war es für den Oberhausener AfD-Bundestagskandidaten und IT-Unternehmer Uwe Kamann, der die Tour organisiert hat, wohl ausreichend, das nähere Umfeld der Partei für den Endspurt im Wahlkampf zu mobilisieren.
Vor dem Einstieg auf das AfD-Wahlkampfschiff gab es erstmal Anweisungen. Die Crew des Schiffes wolle nicht gefilmt werden, da sie „Repressalien der Antifa“ befürchte, so einer der Organisatoren. Ein Crew-Mitglied stellte dies anders dar: „Ich will mit diesem blöds, ähh dieser Sache nichts zu tun haben.“ Auch das mediale Interesse an dem „außergewöhnlichen Event“ war nicht, wie AfD-Mann Kamann vorher verkündet hatte, „sehr groß“, sondern eher klein. Neben mehreren AfD-eigenen Filmern, Schreibern und Fotografen verirrten sich nur ein Kollege vom „Spiegel“ und zwei Fotografen auf das Schiff. Einer Journalistin der „Rheinischen Post“ war am Montagmittag abgesagt worden. Es gebe „persönliche Ressentiments“ gegen sie in der Partei. Die Pressekonferenz zu Beginn der Tour fiel entsprechend klein aus, und eine wirkliche Nachricht hatten die AfD-Politiker und der Autor Thorsten Schulte auch nicht zu verkünden. Marcus Pretzell, Ehemann von Frauke Petry und Fraktionsvorsitzender der AfD im NRW-Landtag, sagte nach dem „TV Duell“ am Sonntag hätten die Journalisten nun die Gelegenheit, echte Alternativen zu hören. Auf die Frage, wie er das Duell denn bewertet, musste Pretzell passen. Er habe es „nicht gesehen“ und nur „auf Twitter verfolgt“.
Die Spitze der NRW-Landesliste für die Bundestagswahl, Martin Renner, war bei der Bootstour, die unter dem Motto „Leine los – Berlin, wir kommen!“ stand, nicht mit an Bord. Dies dürfte am tiefsitzenden Konflikt zwischen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten in der Partei liegen. Dieser Konflikt durchzieht auch Nordrhein-Westfalen. Auf dem Schiff waren überwiegend gemäßigte Rechte, die sich mittlerweile in der „Alternativen Mitte“ organisieren. Von den Aussagen eines Björn Höcke oder eines Alexander Gauland möchten sie sich klar abgrenzen. Die Frage, ob nach der Bundestagswahl und bei einem nicht zufriedenstellenden Parteitag im Dezember auch eine Spaltung in Frage komme, beantworten mehrere AfD-Funktionäre mit „Ja“. Man könne nicht weiter nach Rechts rücken heißt es, dort gebe es keine Wähler.
Im großen Saal des Schiffes roch es nach Pommes und Currywurst, die von den Teilnehmern in Plastikschalen auf den Beinen balanciert wurden, als die inhaltlichen Vorträge begannen. Marcus Pretzell sprach über die Ehe für Alle, mit der Angela Merkel die Axt an die „kleinste Zelle unserer Kultur, die Familie“ gelegt habe. Rechtsbrüche habe Merkel bei der „Euro-Rettung“ und der „Flüchtlingskrise“ begangen. Mehrfach versprachen die Redner, sich nach der Wahl für einen „Untersuchungsausschuss Merkel“ einzusetzen, um die angeblichen Rechtsbrüche aufzuklären. Als es dann um die Sozialpolitik der AfD ging, wurde der rassistische Charakter, der auch bei den „gemäßigten“ AfD-Funktionären zum guten Ton gehört, deutlich erkennbar. Die Sozialausgaben für die Flüchtlinge seien zu hoch, darunter leide die deutsche Mehrheit. Migranten, das hätten Studien aus Dänemark bewiesen, zahlten zu „80-90% nicht in die Rentenkassen ein“, dies sei auch in Deutschland der Fall. Die AfD werde aber dafür sorgen, dass wer nicht einzahlt auch nicht viel Rente bekommt.
Nach mehr als drei Stunden war die bizarre Kreuzfahrt mit der AfD dann vorbei. Applaus gab es an diesem Abend am meisten, wenn über Muslime oder die Regierung hergezogen wurde. Konzepte oder Lösungsansätze für soziale Probleme wurden von der Partei nicht benannt. In der kommenden Woche könnte es allerdings noch absurder werden, dann wollen Vertreter des völkischen Flügels der AfD in einem türkischen Hochzeitssaal in Dortmund auftreten.
Die Aussage der AfD-Funktionäre, "Man könne nicht weiter nach Rechts rücken", da es dort "keine Wähler" gebe, wird durch die aktuellen Umfragen widerlegt. Derzeit ist die AfD wieder zweistellig, trotz der jüngsten Nazi-Rhetorik von Gauland oder Meuthen. Habe eher das Gefühl, dass die "Wutbürger" wieder zu "Mutbürgern" werden, nach dem Motto: jetzt erst rechts. Auch die TV-Debatten haben der AfD in die Karten gespielt. Die Fronten sind verhärtet und die Rechtsextremen zelebrieren die Opferrolle.
Und glaubt tatsächlich jemand an einer neuerlichen Spaltung der Partei? Wer jetzt noch dabei ist, der ist eh schon schmerzfrei genug und der hat den Weg der Radikalisierung zumindest toleriert. Es gibt nunmal einen Teil in der Bevölkerung, der völkisch und nationalistisch denkt und handelt – früher eher latent, mittlerweile offen. Die Leute will und kann die AfD nicht verlieren, wenn sie sich etablieren möchte. Und danach sieht es wohl aus.
Und wenn dann die Funktionäre austreten, die sich für gemäßigt halten, wird das auch keinen mehr interessieren. Die Sache ist durch.
Warum habe ich beim Lesen des Artikel unweigerlich Egotronics "Ich versenk die Bismarck" im Ohr?