Eine verrückte Verschwörungstheorie

Sie wissen, was eine Verschwörungstheorie ist? – Nun ja, eine Theorie ist ein in sich logisches Erklärungsmodell, und eine Verschwörung ist eine auf Täuschung basierende, geheime Unternehmung einer kleinen Gruppe zur Verwirklichung eines Plans zulasten Dritter. Eine verrückte Verschwörungstheorie unterstellt, dass es auch Verschwörungstheorien geben muss, die nicht verrückt sind. Meistens sind jedoch Verschwörungstheorien verrückt, es sei denn, sie liefern ein realitätskongruentes Bild eines Ereignisses, das auf eine Verschwörung zurückzuführen ist. So weit, so klar; alles Nähere dazu können Sie ja nachsehen – nur so als Beispiel – bei Wikipedia. Nicht etwa bei Wikileaks, das ist etwas Anderes.

Ich gebe zu: ich habe ein Faible für Verschwörungstheorien. Verrückt, nicht wahr?! Aber mein Gott! Andere Leute lesen Krimis, manche tauchen sogar ab in Science-Fiction oder in Fantasyromane. So etwas interessiert mich nun einmal nicht, allenfalls Polit-Krimis. Wenn überhaupt. Aber Politkrimis funktionieren nun einmal am besten, wenn eine Verschwörung dargestellt wird. Das ist alles.

Die politischen Verschwörungstheorien heutzutage befassen sich meistens mit den USA. Der Kennedy-Mord, die Mondlandung, und zuletzt der 11. September – eine, wie ich in allem Ernst finde, besonders bösartige Verschwörungstheorie, die allen Ernstes suggerieren will, es gäbe im Grunde keinen islamistischen Dschihad-Terror, die USA hätten vielmehr den Massenmord vom 11.9.2001 „selbst gemacht“. Ein übles Geschwätz, in das relativ schnell antisemitische Figuren eingebaut werden. Seither sind mir Verschwörungstheorien sehr suspekt.

Aber ich habe nun einmal dieses Faible, und manchmal gibt es ja tatsächlich so etwas wie Verschwörungen. Zum Beispiel in diesen Tagen diese Wikileaks-Enthüllungen, die sind doch eine ziemlich große Sache. Und wie man sie auch immer dreht und wendet, irgendwie liegt hier eine Verschwörung vor, weshalb man hier ohne eine – wie auch immer geartete – Verschwörungstheorie nicht auskommt. Zunächst jedoch fasse ich in aller Kürze zusammen, was wirklich geschehen ist – also die Wahrheit, bevor ich Ihnen eine ziemlich verrückte Verschwörungstheorie präsentieren werde.

Hier also die Wahrheit: wie alle anderen Staaten unterhalten auch die USA in (fast) allen Ländern der Erde diplomatische Vertretungen. Aus diesen Botschaften wird in die Heimat gemailt (hier sagen wir: „gekabelt“), was sich in dem entsprechenden Staat politisch so tut, mit welchen Politikern man es zu tun hat, wie die die Welt so sehen, was die so vorhaben usw. usf. Möglicherweise ist dies auch ein Grund, warum die Botschaften Botschaften heißen. Egal.

Selbstverständlich sind diese Berichte, die im Fachjargon Depeschen heißen, in aller Regel geheim. Deshalb heißt die Diplomatie zum Beispiel Geheimdiplomatie. Im Fall der USA sah das dann so aus, dass diese paar hunderttausend Depeschen jeweils mit Vermerken wie „secret“, „top secret“ und manchmal sogar auch noch geheimer versehen waren. Und weil diese Berichte so streng geheim waren, durften sie auch von kaum jemanden gelesen werden. Nur so etwa achtzigtausend, höchstens zweihundertfünfzigtausend Leute kamen überhaupt rein in dieses Computernetzwerk. Und das waren auch noch alles Beamte!

Dennoch hat einer von ihnen, so ein charakterlich noch nicht recht gefestigter Schnösel von Anfang 20 alles verraten. Denn im Internetzeitalter geht so etwas ruckzuck. Musste James Bond noch jedes Blatt einzeln kopieren, reichten diesem Bubi ein paar Mausklicks, und schon waren die paar hunderttausend Dokumente bei Wikileaks.

Und diese Kameraden haben das ganze Zeug – wie könnte es anders sein – natürlich hochgeladen. Jetzt liegt die gesamte US-Außenpolitik in Scherben, eine riesengroße Blamage! Sogar Menschen sollen in Lebensgefahr sein. Dieser US-Milchreisbubi wird wohl mit 52 Jahren Gefängnis davon kommen, wohingegen der Boss von Wikileaks als Staatsfeind Nr. 1 der Weltmacht Nr.1 freilich damit rechnen muss, in absehbarer Zeit das Zeitliche segnen zu müssen.

Deshalb versteckt der sich, dieser Australier. Sein Name ist bekannt; seine Adresse nicht ganz, nur dass er sich in London aufhält, wissen wir. Die finden den dort aber nicht. Kein Wunder, der tarnt sich nämlich ständig. Ich zum Beispiel habe ihn allein in der letzten Woche mit drei verschiedenen Frisuren / Haarfarben abgebildet gesehen. Frech wie er ist, chattet er auch noch im Internet. Auch wenn er hops gehen sollte, gehen die Wikileaks-Veröffentlichungen weiter, tippt er. Da wissen sie jetzt Bescheid, die Vereinigten Staaten. Ja, auch eine Weltmacht ist verwundbar.

So, das ist das, was wirklich passiert ist, bzw. vor unser aller Augen geschieht. Wenn man ein wenig die Nachrichten verfolgt, weiß man das. Dies ist die Wirklichkeit, wenn Sie so wollen: die Wahrheit. Aber klar, obgleich die Dinge so offen auf dem Tisch liegen, werden wieder irgendwelche Verschwörungstheoretiker kommen und eine völlig andere Version präsentieren. So etwas ist heutzutage eben auch unvermeidlich. Wegen des Internets. Und so werden ihre abstrusen Fantasien weltweit verbreitet und ihre Anhänger finden.

Sie werden behaupten, dass, wenn nicht Obama persönlich, so doch Hillary Clinton oder wer auch immer, jedenfalls einer von denen ganz oben auf die Idee gekommen wäre, dass Informationen, die achtzigtausend oder vielleicht sogar zweihundertfünfzigtausend Leute haben, nicht mehr wirklich geheim zu halten sind. Wüssten mehr als fünfzigtausend Menschen Bescheid, bestünde die Gefahr, dass einer von ihnen auspacken könnte, wird dann jemand aus der US-Führung eingewandt haben, werden sie behaupten. Zynisch.

Und bestimmt werden auch noch ein paar ganz Schlaue kommen und behaupten, dass die ganze Affäre den USA doch gar nicht geschadet habe. Sie werden so weit gehen und bestreiten, dass es überhaupt ein Datenleck gegeben habe. Sie werden die Chuzpe besitzen und andeuten, dass die Veröffentlichungen im Spiegel und all den anderen angesehen Magazinen der Weltpresse gar im Interesse Amerikas gelegen habe. Sie werden andeuten, dass es den USA am liebsten gewesen wäre, die arabischen Staaten hätten selbst öffentlich gemacht, was ihres Erachtens am besten mit dem iranischen Mullahregime passieren solle. Sie werden die Meinung äußern, dass die Veröffentlichung, dass die USA bestimmte Politiker für Trottel halten, deshalb goutiert hätten, weil sie den Trotteln mehr schadet als den Amerikanern.

Den Verschwörungstheoretikern wird keine Unterstellung zu geschmacklos sein. Gut, dass wir wissen, wie es wirklich gelaufen ist. Siehe oben. Unter: die Wahrheit.

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V'kar
V'kar
13 Jahre zuvor

800.000 bis 2.500.000 mögliche Leser.
Meines Wissens. Und was ist mit den Vergewaltigungsvorwürfen?
Passt doch super in die Verschwörungstheorie…

Herjeh2010
Herjeh2010
13 Jahre zuvor

@Werner Jurga,
Vorweg, ich halte die Wickileaksveröffentlichungen, weil sie einseitig sind, und nicht alle Staaten betrifft, für Zündeln am Pulverfaß.
Aber ich versuche aus allem, was das Leben so an Unanehmlichkeiten bietet, jeweils da Beste zu machen. Unter diesem Blickwinkel habe ich ihren Artikel gelesen und verarbeitet.

Danke, daß Sie mir Gelegenheit geben, einmal bei einer Verschwörungstheorie ganz vorne mitzumachen. Da kann man dann später, wenn die eigenen Theorie rund gegangen ist, und wieder zurückkommt, vielleicht den Weg verfolgen, den sie gegangen ist. Mein Tipp: Das funktioniert übrigens auch bei selbstlancierten Gerüchten unter Kollegen im Betrieb.

Also jetzt meine Verschwörungstheorie:
(Zeitpunkt der Veröffentlichung wird ja von den Ruhrbaronen festgehalten)

Bei den vielen Dokumenten, die sich in so einem Außenministerium ansammeln, blickt doch nach einiger Zeit kein Schwein mehr durch.
Da liegt es doch nahe, diese durch ausgebildetetes Personal mal auf Verwertbares sichten zu lassen. Und wer würde sich dazu besser eignen, als die Mitarbeiter deutscher Medien?
Nur mal so gefragt.

Und um diesen Dokumentenmüll für deutsche Medien wichtig zu machen, mußten sie unbedingt über Wickileaks veröffentlicht werden. Natürlich ist Obama nicht selbst mit den Ausdrucken zum Wickileakschef gegangen und hat gesagt, daß das Zeug an die Sonne soll, sondern, die Amis sind da ganz schlau vorgegangen und haben den jungen Mann, natürlich nach monatelangen Observationen, seinen Deal machen lassen. Die hätten sonst jemand anderen damit beauftragen müssen!
Aber solche Jungens gibt es ja glücklicherweise zu Tausenden.
Wickileaks ist den Umgang mit ihnen auch gewohnt und benötigt sie auch, um überhaupt an Material zu kommen, ist da also auch nur ein kleines Rädchen im Getriebe des großen Plans.
So kam dann ins Netz, was eigentlich im Papierkorb gelandet wäre, und der Spiegel hat es auf Brauchbarkeit gesichtet, und, genau,wie im ursprünglichen Plan vorgesehen, gezielt an die Öffentlichkeit gebracht.
Daß es der Spiegel war, und nicht irgendeine Boulevardzeitung, ist sogar Glück.
Als Obama davon erfuhr, soll er sich vor Lachen auf die Schenkel geklopft habe.

egal
egal
13 Jahre zuvor

zuerst mal – die verschwörungstheorien könnten ruhig noch ein wenig ausgefeilter werden, aber das kann ja noch werden…
zum anderen, und damit zum eigentlichen grund meines kommentars:
@ herjeh
sie halten die veröffentlichung der depeschen für zündeln, da einseitig nur us-amerikanische veröffentlicht wurden. dazu ein ausschnitt eines textes von https://www.spreeblick.com/
„Das sei eine einseitige Beschädigung der USA, wurde oft betont: die letzten Leaks schienen ein klares Opfer zu haben. Und dieses Opfer war Washington. Gestartet ist die Plattform einst mit Enthüllungen über kenianische Diktatoren. Die Welt ein bisschen heller machen, durchsichtiger und besser, so ging oft die Klage, und jetzt liefere sich Assange einen Privatkrieg mit der letzten verbliebenen Supermacht. Diese Version unterschlägt die Loveparade-2010-Planungsdokumente, den Kunduz-Feldjäger-Report, die E-Mails der Climatic Research Unit, den Minton-Report über toxische Abfälle in der Elfenbeinküste und die Interna über Kreditvergaben der Kaupthing-Bank: alles Dokumente, die Wikileaks die letzten beiden Jahre veröffentlichte.“
wahrscheinlich waren diese nachrichten zu wichtig, um sie an die große (mediale) glocke zu hängen, aber dies wäre der beginn einer neuen verschwörungstheorie – herr jurga, übernehmen sie!

Herjeh2010
Herjeh2010
13 Jahre zuvor

@egal,
stimmt, die Veröffentlichung der Dokumente der Loveparade hatte ich jetzt wirklich nicht berücksichtigt.
Da fand ich Wickileaks auch gut.
Aber das jetzt ist doch eine globale Nummer. Der Schritt ist riesig. Es ist ein Schritt von einem Mann, der Gutachter beschäftigt, hin zu einer Gruppe von Staaten, die über atomare Bewaffnung verfügen.
Daraus kann wer weiß was entstehen.
Sorry, daß mir sowas Sorgen bereitet.
Diese Sorgen waren Ursache für meine „Verschwörungstheorie“, mit der ich dann versucht hab, die Bedeutung dieser Veröffentlichung herunter zu spielen.
Quasi als Beruhigung für mich selbst.
Was das ausfeilen angeht, müssen Sie da aber auf die wirklichen Experten warten.
Ich habe meinen Teil geleistet.

Andreas
13 Jahre zuvor

Was mir nicht ganz deutlich wird: Ist der Autor von der Wahrheit als Wahrheit überzeugt?

Arnold Voss
13 Jahre zuvor

Wirklich berühmt wir man als Internplattform erst, wenn man sich mit einer echten Weltmacht anlegt, oder? Ab jetzt kennt wirklich jeder Wickileaks und weiß endlich auch wie man es genau schreibt. Ich denke, darum gings den Machern, und nicht um die USA .Und gleich danach wir was gegen den zweiten Weltfeind angekündigt: Die Weltbanken. Und dann taucht der Chef unter… und chattet weiter. So macht mans, wenn man den Weltinformationsmarkt erobern will. Verschwörungstheorien hin oder her.

Jo Frank
Jo Frank
13 Jahre zuvor

Jetzt hab ich doch glatt gelesen:

„Ich zum Beispiel habe ihn allein in der letzten Woche mit drei verschiedenen Frauen mit verschiedenen Frisuren / Haarfarben abgebildet gesehen.“

;o)

erst Kachelmann, nun Assange. Kommt jetzt eigentlich jeder ins Loch, der der Vielweiberei fröhnt? Dann wird es ja bald voll in den Gefängnissen. Und bestimmt steckt wieder die Schwarzer dahinter!!!1elf

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