Politiker und Unternehmen nutzen die Angst vor Gesundheitsrisiken, um ihre eigenen Interessen auf Kosten der Allgemeinheit zu verfolgen. Dabei bleiben Vernunft und Fakten auf der Strecke. Von unserem Gastautor Bill Wirtz.
Nur informierte Verbraucher, die ausreichend über ihre konsumierten Produkte und Dienstleistungen wissen, ermöglichen eine funktionierende Marktwirtschaft. Auch wenn ein völlig transparenter Markt nicht zu verwirklichen ist, braucht ein transparenter Markt Fakten. Leider betreiben sowohl Unternehmen als auch Politiker gesundheitspolitische Panikmache, die niemandem weiterhilft.
Glyphosat, …
Eine Politik der Angst vergiftet nicht nur die Einwanderungsdebatte und den Diskurs zur internationalen Handelspolitik. Kein Konsumgut scheint vor fragwürdigen Gesundheitsangaben verschont zu sein. Das jüngste Beispiel ist Glyphosat. Das Pflanzenschutzmittel wurde attackiert, obwohl die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) herausfand, dass das Produkt sicher ist.
… Phosphat …
Offenbar sind die Ergebnisse der EFSA unbeliebt, wie die Debatte im EU-Parlament über Phosphat in Döner Kebab unter dem Vorzeichen ähnlicher gesundheitliche Bedenken zeigt.
EU-Parlamentarier kümmern sich sehr wenig um Fakten, wenn sie sich von der vermeintlichen Notwendigkeit ständig neuer Verbote und Regulierungen blenden lassen. Die EFSA hat einen Phosphatverbrauch von bis zu 4200 mg pro Tag als unbedenklich eingestuft. Da der durchschnittliche Döner etwa 134 mg Phosphat enthält, müsste jemand mehr als 30 Döner täglich essen, um einer Phosphatvergiftung auch nur ansatzweise nahe zu kommen. Wer dauerhaft 30 Döner pro Tag isst, hat aber sehr schnell dringendere Sorgen als Phosphat im Körper. Trotz dieser Erkenntnisse von 2013 fordern Abgeordnete im nächsten Jahr eine neue Untersuchung. Ob die Parlamentarier einen erheblichen Unterschied zu den letzten Ergebnissen erwarten, ist bisher unklar.
… und Passivrauchen
Beim Tabak sieht man ähnliches. Es gibt es nur wenige Politiker, die einräumen, dass die Politik zum Thema Passivrauchen durch fragwürdige wissenschaftliche Erkenntnisse beeinflusst wurde.
Ein aufschlussreicher Artikel von Jacob Grier im Magazin Slate, hat zahlreiche Studien zum Thema Passivrauchen ausgewertet. Rauchverbote wurden weitgehend erlassen, da verschiedene Studien eine Korrelation zwischen Passivrauchen und Herzerkrankungen nachzuweisen schienen. Politiker hätten jedoch abwarten sollen, bis die Forschung in diesem Bereich mehr Erfahrung sammelt. Grier zeigt, dass eine Studie aus dem Jahr 2006 in der Region Piemont in Italien (veröffentlicht im European Heart Journal) bei Herzkrankheiten einen Rückgang um elf Prozent ergab, ein viel kleinerer Wert als die von den Politikern versprochenen 60 Prozent.
Nach einem weitreichenden Rauchverbot in England fand eine Studie aus dem Jahr 2010 heraus, dass die Zahl der Herzinfarkte nur um 2 Prozent gesunken ist. Diese Veränderung ist so gering, dass ein Zusammenhang mit den Verboten nicht nachweisbar ist. Eine Studie aus dem Jahr 2008 in Neuseeland ergab keinerlei Korrelation. Das Journal of Policy Analysis and Management veröffentlichte 2010 eine Studie, die in keiner Altersgruppe signifikante Auswirkungen zeigte. Ähnliche US-Studien erschienen 2012 und 2014.
Schmutzige Methoden und trockene Hände
Ein bemerkenswertes Beispiel für Gesundheits-Panikmache durch Unternehmen sind Händetrockner. In einer vorbereitenden Studie für den Ökodesign-Arbeitsplan 2015-2017 wurde Papier als Produkt zum Händetrocknen gar nicht auf mögliche gesundheitliche Bedenken untersucht, was elektrische Händetrockner von vornherein benachteiligt.
Die Papierhandtuch-Lobby European Tissues Symposium finanzierte eine Studie der University of Westminster aus dem Jahr 2008, die empfahl, dass aus hygienischen Gründen elektrische Händetrockner vermieden werden sollten. Die Papierhandtuchindustrie im Krieg gegen elektrische Händetrockner? Es mag albern wirken, sich mit der Industrie der Händetrockner auseinander zu setzen. Doch es illustriert, wie interessierte Parteien den Gesetzgeber bei seiner Suche nach Fakten manipulieren.
Wie weit die Taktik elektrische Händetrockner zu kritisieren ging, zeigt sich in diesem Beispiel von Ars Technica: „Der Gebrauch eines Dyson-Händetrockners kommt dem Auslösen einer Virusbombe im Badezimmer gleich„. Derselbe Artikel erklärt dann am Ende, dass es die Aussage die wortwörtlich im Titel steht, eigentlich unbewiesen ist. Nicht unbewiesen genug, um die Überschrift zu korrigieren, wie es scheint…
Fakten oder Gefühle?
So wenig wie wir erwarten können, dass Politiker und Wähler über jedes kleine Problem informiert sind, so wenig sollten es uns überraschen, dass versucht wird, Panikmache im Gesundheitsbereich für den eigenen Zweck zu nutzen.
Ob Glyphosat, Döner Kebab, Passivrauchen oder Händetrockner: Die Politik darf nicht von Gefühlen und fragwürdiger Wissenschaft geleitet werden. Fakten sind besser.
Transparenz sollte eigentlich auch Presse hergestellt werden. Bei aktuellen Veröffentlichungen kommt einfach zu oft der Eindruck auf, dass die Inhalte nicht geprüft/verstanden werden und nur Katastrophen-Überschriften produziert werden.
Insbesondere im Gesundheits.Bereich sind die Qualitäten der Studien zu oft schlimm (Kontrollgruppen, Anzahl der Versuchsobjekte usw ). Dann ist noch offen, ob das Medizinstudium überhaupt darauf setzt, die Fähigkeiten zum wissenschaftlichen ARbeiten und damit zum Bewerten von Studien zu vermitteln.
(WDR 5 Leonardo | 11.01.2018 "Medizinpromotion in der Kritik")
Zum Thema Glyphosat fand ich die Science Busters aus Österreich hilfreich, die sich in 3 Podcasts mit den Studien zum o.g. Thema beschäftigt haben:
http://static.orf.at/podcast/fm4/fm4_science_busters.xml
Da Paper immer wieder auch zurückgezogen werden, wenn die Mängel der Studien/Verfahren kritisiert werden, ist es auch wichtig zu beobachten, welche Studien, die in den Medien waren, auch langfristig den wissenschaftlichen Standards genügen.
http://retractionwatch.com/
Dann gibt es natürlich auch noch das Thema "Wenn Theaterwissenschaftler Grenzwerte definieren".
"Glyphosat ist GESUND"
sollte es heißen, nicht: "Glyphosat ist sicher …"