Unser Gastautor Manfred Barnekowüber Georg Elsers gescheitertes Attentat auf Hitler.
Der Krieg hatte sein blutiges Werk schon verrichtet. Das Böse hatte begonnen, die Deutschen setzten ihre völkische Rassenlehre um, ihr Volkskörper sollte die slawischen versklaven und mit den Polen machten sie den Anfang. Einsatzgruppen nannte man die Mörderbanden, die die polnischen Führungsschichten durch blanken Mord und Konzentrationslager ausrotten wollten, um dem Volk der Polen jeden Halt zu rauben und sie zu Leibeigenen ohne Kultur und Bildung für die Herrenmenschen zu machen. Ihre Hybris wird sie scheitern lassen, die Polen ließen sich niemals brechen, aber die Zahl ihrer Opfer wird am Ende in die Millionen gehen. Auch die Juden in Polen mussten die völlige Entrechtung und erste Verfolgungswellen über sich ergehen lassen. In den kommenden drei Jahren wird das polnische Judentum, weit über zwei Millionen Menschen, bestialisch ermordet werden.
Doch gibt es eine letzte Chance in jener Zeit nach dem Ende der Kampfhandlungen in den ersten Oktobertagen 1939. Diese letzte Chance, dass dem Krieg Einhalt geboten würde und das Verbrechen gestoppt, endete am 8. November 1939 um 21:07 Uhr. Adolf Hitler verließ den Saal. Es war Nebel in Berlin. Der Deutschen Führer hatte zu seinen Horden im Bürgerbräukeller gesprochen, zur Erinnerung an die von tapferen Münchner Polizisten erschossenen Putschisten an der Feldherrenhalle 16 Jahre zuvor. Nun wurde entschieden, Hitler solle statt zu fliegen mit dem Sonderzug zurückkehren, weshalb er seine Rede abkürzte und aufbrach. Nur 13 Minuten danach explodierte die Bombe in der Säule, die hinter dem Rednerpult stand. Sie hatte pünktlich um 21:20 Uhr gezündet, ihre Wirkungsmacht war wie berechnet, die Decke brach zusammen, acht Menschen starben bei der Explosion, 62 wurden zum Teil schwer verletzt. Niemals hätte der primitive Mann an der Spitze, der die Welt in Brand setzte und zur Vernichtung von Millionen antrat, dies überleben können.
Ein schlichter Mensch mit dem Sinn für die Koordinaten des Gut und Böse, ein Mensch der zwei Jahre zuvor zu der Erkenntnis gekommen war, dass das absolute Böse sein Land beherrschte, dass es Krieg und Mord geben würde, hatte ganz allein, nur für sich selbst entschieden, den Kampf dagegen aufzunehmen und Adolf Hitler möglichst samt seiner engsten Spießgesellen zu töten. Es gibt in der deutschen Geschichte keinen reineren Helden, als den Schreiner aus Hermaringen in Württemberg, den Tüftler und Perfektionisten mit einem Mut, von dem sich niemand der Deutschen des 21. Jahrhunderts eine Vorstellung machen kann. Sein Name war Georg Elser.
Er hatte sich als Hilfsarbeiter in einem Steinbruch einstellen lassen und auf diese Weise Sprengstoff beiseite geschafft. Da hatte er bereits seinen Plan, wie er es anstellen wollte. Im Jahr zuvor betrachtete er das Naziritual genau, in jenem furchtbaren Jahr, in dem Goebbels an derselben Stelle das Novemberpogrom startete. Elser kannte nun den genauen Ablauf, wo Hitler stehen würde, hätte er noch einen Anstoß gebraucht, so war die erste organisierte Mordwelle, die über die deutschen Juden fegte, unter seiner Beobachtung losgebrochen. Er trennte sich von seiner Freundin, die er eigentlich heiraten wollte, um sie heraus zu halten. Er zog nach München, mietete eine kleine Werkstatt, wo er, der Bastler, seine Höllenmaschine konstruierte. Und er wurde Stammgast im Bürgerbräukeller, trank am Abend sein Bier, versteckte sich vor Ladenschluss. Wenn alle fort waren, das Lokal verschlossen, dann begann er die Säule auszuhöhlen. 32 Nächte lang. Auf den Knien, die alsbald wund waren und sich entzündeten, mit Meißel, Bohrwinde und Steinbohrer. Am 6. November 1939 war er fertig, die Bombe untergebracht, der Zeitzünder auf den 08. November 21:20 Uhr gestellt.
Georg Elser versuchte sich vergebens in die Schweiz abzusetzen. Am Grenzübergang fiel er auf, wurde festgenommen, während im Radio die Berichte über das Attentat liefen vernommen, verdächtigt, seine zerschundenen Knie verrieten ihn. Am nächsten Tag, bei der Gestapo in München, bekannte er sich freimütig und ehrlich, wie er war. Er begründete es sogar: „Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten bereits 1937 das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch eine Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden könnten. Unter der Führung verstand ich die ‚Obersten‘, ich meine damit Hitler, Göring und Goebbels. Durch meine Überlegungen kam ich zu der Überzeugung, dass durch die Beseitigung dieser drei Männer andere Männer an die Regierung kommen, die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, die kein fremdes Land einbeziehen wollen und die für eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden.“
Hitlers Drang nach Westen
In den ersten Oktobertagen endeten die letzten Kampfhandlungen in Polen. Hitler machte den Westmächten am 6. Oktober ein Friedensangebot vor dem Reichstag, gab aber ohne eine Antwort abzuwarten vier Tage später die Weisung, die Offensive gegen Frankreich unmittelbar vorzubereiten und am 12. November zu beginnen. Damit löste er helles Entsetzen unter seiner Generalität aus. Moralische Fragen bewegten nur wenige, hingegen hatte der Polenfeldzug der Führung der Wehrmacht erhebliche Schwächen zu Tage gefördert. Die Rüstungswirtschaft war auf einen langwierigen Krieg, mit nichts anderem rechneten die Veteranen des ersten Weltkrieges in den hohen Positionen, überhaupt nicht vorbereitet, schon der Krieg mit Polen hätte kaum ein oder zwei Wochen länger dauern dürfen, dann wären Nachschub und Munition ausgegangen. Ein Angriff im Westen musste zu diesem Zeitpunkt in die Katastrophe für die Deutschen führen. Es bleibt rätselhaft, was Hitler zu seinem rastlosen Drang, es dennoch zu versuchen, bewegte. Die Vermutung ist legitim, dass es vor allem sein Gefühl war, nun in Abhängigkeit von Stalin den falschen Krieg zu führen, statt endlich daran gehen zu können, seinen Vernichtungskampf im Osten gegen die Sowjetunion zu entfesseln und er darum das Ende der Feindseligkeiten im Westen möglichst rasch befördern wollte, natürlich durch einen Sieg. Hitler war ein Hasardeur, das sollte nie vergessen werden, wenn man seine Entscheidungen verstehen will.
Die militärischen Führer begriffen das nicht, sie waren fassungslos darüber, ihre Truppen in die sichere Niederlage führen zu müssen. Sie hatten zu wenig Soldaten, einen zweitklassigen Plan, der im Wesentlichen dem allseits bekannten Schlieffenplan entsprach, der schon 1914 nicht funktioniert hatte, vor allem aber keinerlei materielle Grundlagen. Ihnen war aufgefallen, dass es vielfältige Vorfälle von Disziplinlosigkeit gegeben hatte, die die Kampfmoral schwächten, der Oberbefehlshaber Ost, der Generaloberst Blaskowitz verfasste eindeutige Denkschriften, deren Ausrichtungen das erste und einzige Mal in der Geschichte des zweiten Weltkrieges über eine militärfachliche Opposition hinausgehend Stellung gegen die ungeheuren Verbrechen bezog, die die SS anrichtete und an denen sich oft auch die Wehrmachtseinheiten beteiligten. Auch wenn Blaskowitz schon bald abgesetzt wurde, so zeigte er, wie einfach das Aufstehen möglich war und außer einem Karriereende keinem General etwas geschehen wäre. Blaskowitz Papiere machten die Runde, nachhaltig aber bewegten sie nur jene sehr wenigen, die ohnehin das Verbrechertum, dem sie dienten, erkannt hatten und dagegen Widerstand leisten wollten. Bei allen anderen blieb nur die Gefahr für die Kampfmoral der Truppe hängen. Heydrich lernte daraus und vor dem Überfall auf die Sowjetunion traf er ein Abkommen mit der Heeresführung, das die alleinige Zuständigkeit der SS fürs Menschschlachten festlegte und reibungslos funktionierte.
Hans Oster und die Unentwegten
Elser hatte ein Pedant innerhalb dieser militärischen Kreise, die dem Regime den Krieg führten. Dieser Mann hieß Hans Oster und was ihn mit Elser verband, war die Tatsache, dass es in seinem Leben nicht einen minimalen Moment gegeben hatte, in dem er dem Hitlerregime etwas Positives abzugewinnen vermochte, keinen Zeitpunkt, zu dem er sich anpasste und einfach nur mitmachte. Im militärischen Widerstand ist er damit vermutlich einzig. Dabei hätten sie vom Herkommen nicht unterschiedlicher sein können. Elser war ein ehemaliger Angehöriger des Rotfrontkämpferbundes, der stets kommunistisch wählte, als es noch Wahlen gab. Oster beteiligte sich an der Niederschlagung der kommunistischen Revolten nach dem ersten Weltkrieg, er kannte die viele aus den Freikorps, wurde in die Reichwehr übernommen, wo er die späteren Führungsfiguren des Widerstandes im Laufe der 20er Jahre kennen lernte, Olbricht, Witzleben, Halder. Als er eine Affäre mit der Ehefrau eines Kameraden hatte, entließ ihn 1932 die Reichswehr, schlug er sich als Zivilangestellter in Görings Abhörbehörde, dem Forschungsamt der Luftwaffe durch, was er dort erfuhr, bestärkte seine Ablehnung des Regimes, nach dem Morden vom 30. Juni 1934 war er ein energiegeladener aktiver Gegner. Seine Motivation war so entwaffnend wunderbar und schlicht wie die Elsers. Er schrieb sie seinem Sohn in nur einem Satz aus der Gestapohaft in der Gewissheit, sterben zu müssen. Wichtig im Leben wäre nur, ein anständiger Kerl zu bleiben.
1935 gelang es ihm wieder in die Armee aufgenommen zu werden, er kam zur Abwehr des Admirals Wilhelm Canaris, des deutschen militärischen Geheimdienstes. Schnell wurden der bereits in kurzer Zeit desillusionierte Canaris und Oster Freunde, Vertraute. Oster baute umgehend ein Netzwerk von Regimegegnern auf, damit beginnend, die Verbrechen zu dokumentieren, Hans von Dohnanyi aus dem Justizministerium wurde der Archivar, dazu kam Dohnanyis Schwager Bonhoeffer, beide wurden im Krieg in die Abwehr übernommen. Im Zuge der Fritschkrise ließ sich das Netzwerk erweitern, Oster wurde quasi der Stabschef der Abwehr, zog Fäden, knüpfte engere Bande zu den ihm im Laufe des Dienstes bekannt gewordenen kritischen Offizieren.
Als mit der Sudetenkrise die Kritik an Hitler in der Generalität lauter wurde, entwickelte Oster, durch Canaris abgeschirmt, den Putschplan, führte alle zusammen, überzeugte Halder, den neuen Generalstabschef, soweit das machbar war, formulierte die Planungen für die praktische Machtübernahme und stellte den Stoßtrupp zusammen, der Hitler verhaften sollte, nicht ohne den Auftrag aus eigener Initiative zu erweitern und seinen Männern zu erklären, dass sie bei der Verhaftung Hitler erschießen sollten. Das scheiterte bekanntlich daran, dass sich in letzter Minute eine Verhandlungslösung, die das Sudetenland Hitler auslieferte, fand, scheiterte deshalb, weil fast alle Verschwörer den Krieg verhindern wollten, um Deutschlands Untergang zu vermeiden und nicht wie Oster grundsätzlich das Verbrecherregime beseitigen.
Oster blieb rastlos. Sein Hass galt den nationalsozialistischen Verbrechen, die fachlichen Bedenken der Generäle, ihre Furcht vor dem Ende des Reiches, waren sein Vehikel, der Kreis seiner engsten Mitstreiter sehr klein. Zu den Genannten war Helmuth Groscurth hinzugekommen, letzterer inzwischen in das OKH versetzt, wo dieser nun, im Herbst 1939 der Verbindungsmann zu Halder wurde.
Der Geist von Zossen
Oster erkannte die Möglichkeiten, die sich aus der Ablehnung von Hitlers sofortigen Frankreichfantasien durch die gesamte Heeresführung ergaben und nahm die Fäden wieder in die Hand. Noch einmal schien es, als wäre der Geist vom Herbst 1938 wieder zu beleben. Großcurth, der 1938 innerhalb der Abwehr treibende Kraft war, arbeitete nun im Umfeld des Generalstabschefs. Franz Halder, der wie 1938 die Schlüsselfigur bei einem Handeln sein würde, war an verbaler Radikalität in seiner Einschätzung Hitlers, den er den Emil nannte, manchmal auch Blutsäufer, nicht zu überbieten. Seine wahre Persönlichkeit offenbarte sich als die eines Zauderers und nervenschwachen Feiglings.
Was begann, war eine kurzatmige Putschplanung mit verschiedenen Ansprechpartnern, die teils nebeneinander tätig waren, sich wieder zurückzogen oder zeitweise Nervenzusammenbrüche erlitten. Halder verweigerte sich anfangs dem Werben von Groscurth und Oster, während er gleichzeitig aktiv den Umsturz vorbereitete, zog dann die Canaris Gruppe ins Vertrauen, zwei der Oberbefehlshaber im Westen, Witzleben und von Leeb sagten zu, für einen Putsch bereit zu sein. Der Oberbefehlshaber des Heeres, ohne den auch Halder nichts befehlen konnte, von Brauchitsch, war eine schwache Persönlichkeit mit Sympathie für den Nationalsozialismus. Seine Bereitschaft war ausschließlich durch die Gegnerschaft zu einem sofortigen Frankreichfeldzug geweckt. Jetzt verweigerte er sich nicht mehr. Als sich ein Attentäter, der Diplomat Erich Kordt aus dem Außenministerium fand, schien es realisierbar zu werden. Die Truppen, die danach Berlin sichern sollten, wurden festgelegt.
Brauchitsch aber wollte noch einmal mit Hitler sprechen. Am 5. November legte er diesem alle militärischen Bedenken da. Hitler bekam einen Wutausbruch, bei der er seine Verachtung für die alte Generalität herausließ, sie des Defätismus anklagte, die Berichte über Disziplinlosigkeiten zu Beleidigungen des deutschen Soldaten uminterpretierte und schließlich vom Geist von Zossen (wo sich das OKH befand) sprach, den er ein für alle Mal ausrotten wolle. Brauchitsch schlotterte, auch Halder, sie glaubten, ihre Umsturzgedanken wären aufgeflogen, nichts mehr hatten sie im Sinn, als nur noch alle Beweise dafür zu vernichten. Halder befahl dies umgehend. Ein verzweifelter Oster reiste noch einmal zu Witzleben im Westen, zu Halder, aber traf auf keine Resonanz mehr, seine Unvorsichtigkeit, Putschdokumente bei sich zu führen, brachte Witzleben gegen ihn auf und Halder verbot ihm, sich jemals mehr ihm zu nähern. „Die Generale unternehmen nichts“, notierte Groscurth.
Hitler verschob kurz darauf wegen der Wetterlage den Angriff. Er sollte es noch 29 weitere Male bis zum 10. Mai 1940 tun.
Der einsame Elser jedoch handelte. Ein toter Hitler hätte den vorbereiten Umsturz sofort ermöglicht. Sein Grundgedanke, wäre Hitler tot, so würden sich Männer finden, das Blutvergießen zu beenden, war realer, als er je geglaubt haben mag.
Oster, verzweifelt darüber, wie wenige Offiziere verlässlich gegen die Verbrecher zu handeln bereit wären, wurde nun auch in den nächsten Monaten zum Einzelkämpfer. Er verriet jeden neuen Termin des Westfeldzuges den Alliierten. Die vielen Verschiebungen machten ihn unglaubwürdig.
Epilog
Die Aufrichtigkeit, mit der Elser der Gestapo gegenübertrat, nütze ihm nichts, er wurde entsetzlich gefoltert. Niemand konnte sich vorstellen, dass er das alles ganz allein, aus eigenem Antrieb, vorbereitet und durchgeführt hatte. Hitler befahl Heydrich persönlich, eine Verschwörung aufzudecken. Er war sich sicher, die Engländer wären die Drahtzieher.
Der SD hatte ein Unternehmen gegen führende britische Geheimdienstler durchgeführt und vorgespielt, Widerständler aus Deutschland suchten Kontakt zu Großbritannien. Sie lockten die Geheimdienstoffiziere Best und Stevens ins an der Grenze gelegene holländische Venlo und entführten sie dort am 9. November. Sie zerschlugen damit für Monate die britische Aufklärung gegen das Reich. Stevens und Best aber wurden jetzt durch Hitlers Paranoia zu den Hintermännern von Elser ernannt. Aber wo nichts war, konnten weder das Reichkriminalpolizeiamt noch SD und Gestapo etwas finden.
Die Briten wurden in Sachsenhausen und Dachau festgehalten. An beiden Orten werden sie Elser kennen lernen können. Hitler sparte diesen auf, für einen Schauprozess nach dem Krieg.
Groscurth wurde zur Truppe versetzt, 1941, als Stabsoffizier in der 6. Armee, versuchte er vergebens die Ermordung jüdischer Kinder zu verhindern, deren Eltern bereits den Einsatzgruppen zum Opfer gefallen war. In Stalingrad geriet er in Gefangenschaft und starb kurz danach an Auszehrung und Typhus. Halder würde nie wieder sich einem Widerstand anschließen. Stattdessen führte er Hitler den Krieg. Im Sommer 1942 wurde er gefeuert, weil er gegen die Doppeloffensive auf Stalingrad und den Kaukasus argumentierte, Brauchitsch schon während der Schlacht um Moskau abgelöst, er spielte keine Rolle mehr und starb kurz nach Kriegsende in amerikanischer Gefangenschaft. Witzleben wurde nach dem 20. Juli in Plötzensee ermordet.
Ein ebenso groteskes wie tragisches Schicksal führte die Hauptprotagonisten im Sterben zusammen. Dohnanyi und Bonhoeffer wurden Anfang 1943 verhaftet, weil eine Veruntreuung von Mitteln der Abwehr aufgeflogen war, die tatsächlich der Rettung einiger Juden galt. Es gelang zwar in vielen Monaten, das auf eine Korruptionssache zu reduzieren, aber Oster, ihr Vorgesetzter wurde seiner Funktion enthoben, in der er inzwischen die entscheidende Schaltstelle aller organisierten Handlungen gegen Hitler war. Kein Schlag gegen Hitlergegner war nachhaltiger als dieser. Bonhoeffer und Dohnanyi blieben in Haft, Canaris wurde wenige Monate später kaltgestellt, am 20. Juli daher keiner mehr beteiligt, doch verdächtig genug, sie festzunehmen waren alle. Langsam erschloss sich den Ermittlern, dass es Widerständler in der Armee schon vor dem Krieg gegeben hatte, wie weit es gegangen war. Halder wurde nun auch verhaftet, aber Hitler lehnte es ab, sie zu Freisler zu verbringen, er wollte nicht zugeben müssen, dass es mehr als den Stauffenbergkreis gegeben hatte. Himmlers Schergen fanden Dohnanyis Dokumentation ihrer Verbrechen, nicht aber die Tagebücher von Canaris, die alle Planungen beinhalteten. Da sie nicht geständig waren, wurden sie auf verschiedene KZ verteilt. Sonderhäftlinge wurden sie nun, wie schon Elser, Best und Stevens, wie französische Vorkriegspolitiker, der letzte Kanzler Österreichs Schuschnigg. Fast vergessen.
Fast. Das OKH war in eine Bunkeranlage bei Zossen gezogen. Der Nazigeneral Buhle bekam Anfang April 1945 dort sein Büro und fand einen Safe, den er öffnen lies. In ihm waren die Tagebücher des Admirals. Er brachte sie sofort zur Gestapo, diese sandte sie unmittelbar an Hitler, dessen ganzer Hass sich noch einmal entfalten konnte. Er erinnerte sich daran, wer noch lebte und befahl den Mord, die Opfer persönlich festlegend. Am Abend des 8. April wurde der schwerkranke Dohnanyi in Sachsenhausen wahrscheinlich unter furchtbaren Umständen umgebracht, in den frühen Morgenstunden des 9. April Canaris, Oster, Bonhoeffer, dazu der Heeresrichter Sack und die Abwehrleute Gehre und Strünck in Flossenbürg. Danach erschossen die SS-Schergen Georg Elser in Dachau. Sie starben alle an einem Tag.
Überleben sollten Best, Stevens und Halder. Erstere nahmen ihren Dienst in ihrer Heimat wieder auf, nach fünf Jahren KZ-Odyssee, Halder kam erst in Kriegsgefangenschaft, sagte in Nürnberg als Zeuge der Anklage aus und führte dann lange Jahre die deutschen Abteilung der kriegsgeschichtlichen Forschungsgruppe der United States Army, wodurch es ihm gelang, der Kriegsgeschichtsschreibung für Jahrzehnte seine Sicht aufzudrücken, die Sicht der unbefleckten Wehrmacht und des unfähigen Hitler, an dem er sich wieder abarbeitete, ohne je ein Wort über das eigene mehrfache Versagen zu finden.
Es war der Nebel in Berlin, der fünfeinhalb Jahre weiteren Krieg und mehr als 50 Millionen Menschen den Tod bringen sollte.