Ilias Uyar ist Rechtsanwalt aus Köln und vertritt die Rechte von Hartz4-Empfängern gegen das Jobcenter. Mit der Plattform hartz4control.de bietet RA Uyar bundesweit die kostenlose Überprüfung von Hartz4-Bescheiden an. Er gibt außerdem Fortbildungen und hält Vorträge zu den Themen Hartz4, Sozialrecht, Schuldnerberatung und Datenschutzrecht.
Leistungen für Bildung und Teilhabe (BuT) sollen hilfsbedürftigen Kindern ein menschenwürdiges Existenzminimum im Bereich der gesellschaftlichen Teilhabe und Bildung sicherstellen. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1990 geurteilt:
„Bei schulpflichtigen Kindern, deren Eltern Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beziehen, besteht die Gefahr, dass ohne hinreichende staatliche Leistungen ihre Möglichkeiten eingeschränkt werden, später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können. Dies ist mit Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG nicht vereinbar.“ (Bundesverfassungsgericht, Urteil des Ersten Senats vom 09. Februar 2010)
Auf die Kritik des Bundesverfassungsgerichts, dass ein Ermittlungsausfall im Hinblick auf den kinderspezifischen Bedarf besteht, hatte die Bundesregierung die Leistungen für Bildung und Teilhabe eingeführt mit dem Ziel, die Teilhabemöglichkeiten von Kindern aus armen Familien zu gewährleisten, damit diese Kinder nicht abgehängt werden und den gesellschaftlichen Anschluss verlieren. So sollen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus Familien mit geringem Einkommen gefördert und unterstützt werden. Das Bildungs- und Teilhabepaket setzt sich aus sechs Komponenten zusammen, die von den Eltern gesondert beantragt werden mussten. Finanzielle Hilfe gibt es für
– Kita- und Schulausflüge/ Klassenfahrten,
– Ausstattung für den Schulbedarf,
– Schülerbeförderung,
– Angemessene Lernförderung (Nachhilfe),
– gemeinschaftliche Mittagsverpflegung und
– Bedarfe zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft
(z. B. Vereinsmitgliedschaften, Freizeiten)
Anspruchsberechtigt für diese BuT-Leistungen sind nicht nur Kinder aus Hartz4-Haushalten die Leistungen nach SGB II erhalten, sondern auch Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus Familien, die folgende Leistungen beziehen:
- Sozialhilfe oder Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (SGB XII)
- Flüchtlingsfamilien, die Leistungen nach dem AsylBLG,
- Familien, die Kinderzuschlag nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKKG) und
- Familien die Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz (WoGG).
Unabhängig von Einkommen der Eltern sollen auch Kinder aus Familien mit wenig Geld auf diesem Wege theoretisch Musikunterricht erhalten können, in den Sportverein gehen sowie Klassenfahrten mitmachen können.
Soviel zur Theorie. Die Praxis sieht jedoch niederschmetternd aus! Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands mit dem Deutschen Kinderschutzbund. Kurz vor dem Weltkindertag 2018 haben beide Organisationen eine Untersuchung für den Zeitraum August 2016 bis Juli 2017 veröffentlicht. Danach konnten 85 % der anspruchsberechtigten Kinder zwischen 6 bis unter 15 Jahren von der BuT-Leistung „Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben“ nicht profitieren. Lediglich 15 % der Kinder haben diese Leistungen für die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben abrufen können, die restlichen 85% der Kinder gingen leer aus, obwohl die Mittel zur Verfügung standen.
Die Gründe für dieses krasse Missverhältnis liegen unter anderem an den verwaltungstechnischen Hürden: Vielfach wurde zu Recht kritisiert, dass anspruchsberechtigte Familien über die Antragsmöglichkeiten durch Behörden nur unzureichend informiert wurden. Nicht nur, dass Eltern von diesen Leistungen nicht mal Kenntnis hatten und aufgeklärt wurden, auch war nach den Untersuchungen offensichtlich das Verfahren der Beantragung zu kompliziert. Daher scheuten viele Eltern überhaupt einen Antrag zu stellen.
Die Bundesregierung startet jetzt einen neuen Anlauf. Mit dem neuen „Starke-Familien-Gesetz“, treten auch Änderungen für BuT-Leistungen in Kraft. Die wichtigste verwaltungstechnische Neuerung der BuT-Leistungen wird ab August 2019 sein, dass kein gesonderter Antrag gestellt werden muss. Eine Ausnahme bildet hier nur die Übernahme von Kosten für den Nachhilfeunterricht.
Für die Kinder und Jugendlichen werden folgende Regelungen praktische Relevanz haben:
150 EUR statt bisher 100 EUR für Schulmaterial
Bislang lag die Förderung für Schulmaterialien bei 100 EUR für anspruchsberechtigte Schüler, das Schulstarterpaket erhöht sich nun auf 150 EUR. Davon können dann Gegenstände zur persönlichen Schulausstattung finanziert werden, wie Schulranzen, Schulrucksack und Sportzeug insbesondere die für den persönlichen Ge- und Verbrauch bestimmten Schreib-, Rechen- und Zeichenmaterialien.
Kostenloses Mittagessen ohne Eigenanteil
Bislang mussten Eltern einen Eigenanteil für ein Schulessen tragen. Dieser Eigenanteil entfällt ganz, die Kosten für das gemeinschaftliche Mittagessen in der Schule, Kita und Kindertagespflege werden über die BuT ganz übernommen.
Lernförderung auch dann, wenn Versetzung nicht gefährdet ist
Ist eine Nachhilfe für Schülerinnen und Schüler erforderlich, so können die Kosten für die Nachhilfe als BuT-Leistung staatlich getragen werden. Klargestellt ist jetzt auch, dass es für die Anerkennung eines Bedarfs an angemessener Nachhilfe nicht auf eine unmittelbare Versetzungsgefährdung des Kindes ankommt.
Schulfahrtkosten ohne Eigenanteil
Die Kosten für einen Tagesausflug oder Klassenfahrt in Kita oder Schule werden, bis auf das Taschengeld, vollständig übernommen.
Schülerbeförderung
Im Rahmen des BuT-Pakets werden nun die gesamten Aufwendungen für eine Schülerbeförderung übernommen, auch wenn die Schülerfahrkarte zu anderen Fahrten als nur für den Schulweg berechtigt. Der Eigenanteil von 5,00 EUR fällt ganz weg.
Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft
Was sperrig klingt, umschreibt die Möglichkeit eines anspruchsberechtigten Kindes und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr bei Vereinsangeboten, Kulturangeboten, Freizeiten mitmachen zu können oder beispielsweise Musik- und andere Kurse zu belegen.
Dies wird pauschal monatlich mit 15 EUR bezuschusst, früher lag diese Pauschale bei 10 EUR im Monat. Es könnte auch ein höherer Betrag als die Pauschale beantragt werden, wenn nach einer Einzelfallprüfung dem berechtigten Kind oder Jugendlichen nicht zugemutet werden kann, die Leistung für das Angebot aus dem eigenen Regelsatz zu bestreiten.
Sonderfall: Computer, Laptop, Tablet und Schulbücher
Unabhängig von BuT-Leistungen sollte Beratungsstellen, Eltern und Schüler hieran denken: Sind Schülerinnen und Schüler aus Hartz-Haushalten auf einen Computer, Laptop, Tablet oder auf Schulbücher für den Schulunterricht angewiesen, ohne dass die Schule diese Schulbücher und Geräte bereitstellt, besteht die erfolgsversprechende Möglichkeit, dass das Jobcenter diese Kosten übernehmen muss. Mehrere Sozialgerichte haben den klagenden Eltern bzw. Schülern Recht gegeben und die jeweiligen Jobcenter verpflichtet, die Kosten für die elektronischen Mittel wie Laptop oder Tablet zu übernehmen. Wie Beratungsstellen, Eltern und Schülerinnen und Schüler vorgehen sollten, ist in dem Rhurbarone-Interview nachzulesen.
Ab Juli und August 2019 treten die Neuerungen in Kraft. Ob die Neuerungen einen großen Wurf darstellen, möchte ich bezweifeln. Der Wegfall der Eigenanteile und die Erhöhung der Pauschalen, sind vielmehr als dringende Korrektive der Unterdeckung auf unterster Stufe anzusehen. Es bleibt zudem abzuwarten, wie schnell die zuständigen Jobcenter und Kommunen die Umsetzung vollziehen. Aus rein praktischen Erwägungen empfehle ich Beratungsstellen, Eltern und Jugendlichen nicht auf ein unbürokratisches Verfahren zu hoffen, sondern selbst gegenüber der Kommune und dem Jobcenter aktiv werden. Und dabei nicht vergessen: Es besteht ein Rechtsanspruch auf jeder dieser Leistungen für Bildung und Teilhabe.