#EM2020: Der Wahnsinn ist zurück!

Fußballfans. Foto: Msamy Lizenz: Gemeinfrei

Überraschend gutklassig und unterhaltsam war er, der 4:2-Sieg der Auswahl Deutschlands gegen den amtierenden Europameister Portugal am Samstag. Wenige Tage nach der 0:1-Auftaktniederlage gegen Weltmeister Frankreich ließ sich die DFB-Elf im zweiten Gruppenspiel dieser Europameisterschaft dabei auch von einem frühen 0:1-Rückstand nicht verunsichern und siegte am Ende recht souverän. Das war stark!

Bundestrainer Joachim Löw und seine Jungs standen vor dem Spiel schon mächtig unter Druck, wäre eine zweite Niederlage in der Münchener Arena den Millionen im Lande doch kaum zu vermitteln gewesen. Ein frühes Aus in der Gruppenphase hätte dann im Raum gestanden. So aber ist die Stimmung am heutigen Sonntag in Fußballdeutschland deutlich positiver. Viel zu kritisieren gab es an diesem Auftritt der Mannschaft ja auch nicht. Schaut man durch die mediale Landschaft sind die Reaktionen sogar so positiv, dass dies in dieser extremen Form auch schon wieder absurd wird.

Viele Beobachter sehen nach diesem einen guten Spiel jetzt schon wieder den Europameistertitel für die Löw-Truppe in Reichweite, sprechen gar von einer Art Auferstehung der deutschen Mannschaft.

Es ist schon krass, wie sehr sich die mediale Aufregung in den vergangenen Jahren beim Fußball in den Extremen gesteigert hat. Mittel- oder gar langfristige Entwicklungen werden unter diesen Bedingungen immer schwerer mit der erforderlichen Ruhe und Konzentration zu realisieren.

War ‚Deutschland‘ bei der Niederlage gegen die Franzosen gefühlt für viele Beobachter noch die große Lachnummer des Turniers und eine wahre Schande, sind genau diese Spieler vom Samstag plötzlich schon wieder die großen Helden. Robin Gosens, zum Beispiel, der gegen Portugal tatsächlich ein gutes Spiel gezeigt hat und als Torschütze glänzte, wird am Tag nach dem Kick regelrecht zum kommenden Top-Star gehypt und es wird ihm von etlichen ein Superstar-Status attestiert, der so einfach (noch) nicht zu begründen ist.

An einem Tag Flop, am anderen top. Das ist eine Entwicklung, wie sie auch sonst im Fußball leider immer häufiger zu beobachten. Gewinnt eine Mannschaft zum Beispiel in der Fußball-Bundesliga einmal zwei Spiele nicht, ist sie für viele gleich in einer Krise, schlägt sie aber kurz darauf einmal ein paar Gegner in Folge, ist sie gleich anbetungswürdig gut drauf.

Das ist in dieser Ausprägung nicht nur blödsinnig, es verhindert häufig eben auch angerstrebte und wünschenswerte Entwicklungen, weil der dadurch entstehende öffentliche Druck nicht nur Trainerkarrieren häufig früher in Frage stellt als dies sinnvoll wäre, verhindert wird, dass ein Coach die Früchte seiner begonnenen Arbeit ernten kann.

Auf der anderen Seite sind auch die betroffenen Spieler kaum noch in der Lage sich ein paar Monate der persönlichen Entwicklung zu gönnen. Sie bekommen diese Zeit zur Eingewöhnung oder Steigerung häufig einfach nicht mehr. Nicht von den Medien, die gerne frühzeitig ihren Stab brechen, nicht von ihren eigenen Vereinen und Trainern, weil auch diesen die Zeit um in Ruhe zu arbeiten nicht mehr zugestanden wird. Im Falle der Nationalmannschaft ist das inzwischen auch nicht (mehr) viel anders, wie man gerade wieder einmal erleben kann.

Also, bitte heute nicht zu früh freuen! Es ist gut möglich, dass alle die, die heute für den titelreifen Auftritt gegen die Portugiesen noch so lautstark und überschwänglich gefeiert werden, schon in wenigen Tagen wieder die Deppen der Nation sein werden, wenn das abschließende Gruppenspiel der DFB-Elf gegen die Vertretung Ungarns verloren gehen sollte. Nichts ist bekanntlich vergänglicher als der Erfolg von gestern. Sie sind inzwischen echt nervig, diese übertriebenen Aufgeregtheiten!

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Bart Wolfson
Bart Wolfson
3 Jahre zuvor

Das Foto zu dem Artikel ist vermutlich aus einer Zeit, als man Fußball noch nicht mit einer runden Kugel sondern einer quadratischen Pyramide spielte. Zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, wann Ägypten das letzte Mal bei einer Fussballeuropameisterschaft mitgespielt hat 😉

Joe
Joe
3 Jahre zuvor

Tja das war gegen Portugal berauschend!
Aber genau wie der Autor schreibt, der Kater kann schnell kommen…
Gefestigt ist die Mannschaft nicht (kann sie auch gar nicht sein, da Löw seit 2018 nie eine Stammelf gefunden hat), und daher könnte man an einem schlechten Tag auch gegen Ungarn verlieren…
Aber gerade bei großen Turnieren sollte man den Augenblick genießen und nicht alles zu Ernst nehmen, was geschrieben wird! Immerhin reden jetzt wieder viele über Fußball, die in den letzten 2 Jahren kein einziges Fußballspiel geschaut haben und wahrscheinlich auf Anhieb nicht wüssten, wer dieses Jahr den DFB Pokal gewonnen hat..
Festzuhalten bleibt: Eine Nationalmannschaft, die uns so einen schönen Abend geschenkt hat und gleichzeitig einen AFD-Vertreter wegen einer Regenbogenbinde verstimmt hat (grins), die hat jetzt schon vieles richtig gemacht!

Walter Stach
Walter Stach
3 Jahre zuvor

Robin,
ich stimme Dir zu, wenn Du davor warnst, daß "iwir " Fans uns zu früh freuen könnten in der Gewissheit, nicht nur ins Endspiel zu kommen, sondern das dann auch zu gewinnen.

In Deinem Sinne frage ich mich u.a., was wäre wenn….

Wenn z.B. der Schuß gegen die Latte durch den Portugiesen…..(?) iins Tor gegangen wäre? So stabil schien mir die DFB-Auswahl nicht zu sein.

Zudem, so meine ich, wurde die Auswahl Ungarns in den hiesigen Medien vornherein als die schwächste in "unserer Vierergruppe" ausgemacht und das scheint auch jetzt noch der Fall zu sein; also "kein ernsthafter Gegner" der DFB-Auswahl. Das sehe ich völlig anders. Ich neige zu der Annahme, daß das Spiel gegen die Ungarn der DFB-Auswahl mehr abverlangen wird als die Spiele gegen Frankreich und Portugal, Abwarten, "die Daumen drücken", aber keine vorzeitigen Siegesfeiern.

Robin,
wider meine Erwartungen konnte ich gute/sehr gute Spiele während der bisherigen EM-sehen.
Wider meine Vorsätze habe ich mir die meisten Spiele angesehen und das nicht bereut.
Und wider meine Annahme hat die Anwesenheit von Fans im Stadion bei mir wieder spürbar zure Freude am Fußball beigetragen.

Negatives an der EM versuche ich auszublenden, z.B. das Weiterspielen nach dem plötzlichen Herzstillstand des Dänen Cristensen (?), das Verhalten der Fans in und vor den Stadien wider aller sog. Corona-Regeln, die Zulassung von m.E. viel zu viel Zuschauern in den Stadien -in Budapest ausverkauft!!-, die UEFA-Drohungen gegen Spieler, gegen Staaten und Städte, für den Fall, daß diese …..
Die sog. Spitzenfunktionäre der UEFA unterscheiden sich in ihrer Arroganz, in ihrer Borniertheit, in ihrem Gehorsam gegenüber ihren direkten und indirketen Sponsoren in nichts von denen des DFB (und denen der FIFA).

All das sind für mich Randerscheinungen (mit Ausnahme von Christensen), und das gilt zumindest immer dann, wenn gespielt und über das Spiel und seine Akteure diskutiert wird. Hoffentlich gibt es noch einige Gelegenheiten, "tolle" Spiele zu sehen und über den gebotenen Sport und seine Akteure zu diskutieren.

Robin,
als BVBer denke ich -selbstverständlch- darüber nach, warum Sancho in der englischen Auswahl bisher nicht präsent war. Gibt es dazu Neues?
Und ich denke als BVBer -auch selbstverständlich- darüber nach, ob der BVB sich um eine Gosen-Verpflichtung kümmert -kümmern sollte?.

Roland
Roland
3 Jahre zuvor

werden jetzt alle stadion besucher ausserhalb Deutschlands an covid sterben ?

Walter Stach
Walter Stach
3 Jahre zuvor

Robin,
nicht nur das Ergebnis 2: 2, sondern vor allem die Gesamtleistung der DFB-Auswahl sind -leider- eine nachdrückliche Bestätigung meiner Meinung, die ich unter -4-einleitend im 4. Absatz geäußert habe -wider alle sog. Experten-Meinungen!!

"Der Wahnsinn ist zurück",
ja, diese "Schlagzeile" Deines o.a. Kommentar hat nach dem Spiel gestern eine ganz besondere Berechtigung!
Ob "wir" auch nach dem Spiel gegen England sagen werden : "Der Wahnsinn ist zurück"?

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