Es wurde in den letzten postmodernen Jahrzehnten viel über die neue Unübersichtlichkeit und die zunehmende Fragilität und Krisenanfälligkeit sowohl der materiellen als auch der sozialen Verhältnisse lamentiert. Ernst genommen wurde sie von den Protagonisten jedoch nicht. Die von ihnen entworfenen Untergangs- und Gefahrenszenarien waren nie mit dem eigenen Niedergang verbunden, weil sie selbst in der Mehrzahl aus einer Schicht stammen, der es finanziell und/oder materiell nie so gut ging, wie in eben diesen letzten Jahrzehnten.
Auch ihre weniger betuchten Epigonen und Nachplapperer waren selten selbst betroffen, waren ihnen doch zwar in der Regel geringer bezahlte, dafür aber lebenslang abgesicherte Positionen und Stellen in staatlichen und staatlich alimentierten Bereichen zugefallen. Im Lehr- und Bildungsbereich sowie in den öffentliche rechtliche Medien haben sich dabei, mehrheitlich ebenfalls lebenslang versorgt, besonders viele Vertreter des postmodernen Schwafelns angesammelt, während andererseits der harte Kern des Staatsapparates im Bereich, von Ordnung Sicherheit und schneller Rechtsprechung mit den zunehmen gesellschaftlichen Problemen nicht mitwuchs.
Was wiederum diese postmoderne Kaste nicht interessierte und auch nicht zu interessieren brauchte, denn die gesellschaftlichen Schieflagen konzentrierten sich zunehmend in den Vierteln und Regionen des Landes, in denen sie nicht wohnen wollten und auf Grund ihrer ökonomischen Lage auch nicht mussten. Wenn überhaupt, schrieb man in den besseren Vierteln wortgewaltig über diese abgehängten Gebiete. Das alltägliche Lösen und Schlichten der dortigen Probleme überließ man jedoch denen, die weitaus schlechter oder gar nicht bezahlt und unterbesetzt an diesen Orten ihr Bestes gaben: Grund- und Hauptschullehrern, Erzieherinnen und Erziehern, medizinischem Pflegepersonal, Sozialarbeitern und vielen ehrenamtlich engagierten Bürgern jeden Geschlechtes.
Statt deren Bedingungen und die Verhältnisse in den Stadtteilen in denen sie arbeiten dauerhaft zu verbessern wurden immer wieder mal das nationale und internationale Kunst- und Kulturgeschwader eingeflogen, um in solchen Vierteln und Regionen durch sogenannte urbane Interventionen und Performances eine Art kreativ-provokativen Erweckungsprozess zu forcieren. Genutzt haben solche Bemühungen in der Regel nur den selbst ernannten Rettern, nicht aber den zu Rettenden. Dafür kamen aber zu solchen Events gerne die lokale und regionale Kulturschickeria in diese Quartiere um danach nur noch sehr selten oder gar nicht mehr dort gesichtet zu wurden.
Menschen die von Postmaterialität überzeugt sind und die Welt nur noch als Text begreifen, bekamen aber auch die flächendeckende Vernachlässigung und Verwahrlosung der technischen und baulichen Infrastruktur ihres Landes erst dann mit, wenn die Brücke, über die sie selber fuhren, wegen Einsturzgefahr gesperrt wurde. Bis dahin kämpften sie vorrangig mit Begriffen, die es neu zu definieren galt und deren Veränderung sie persönlich nichts kosteten. Dafür legten und legen sie umso mehr darauf wert, dass alle ihnen gleich tun. Noch weniger konnten sie begreifen, dass viele Menschen ganz andere Sorgen hatten und haben.
Die Wiederkehr der materiellen Realität
Am weitesten von den Postmaterialisten entfernt war und ist jedoch jede Form von Krieg. Bedeutet er doch die ultimative physische Realität in Form des Geschosses, das absichtlich, gezielt und weiträumig tötet und zerstört. Dem, wenn man ihm im Wege steht, auf Grund seiner Geschwindigkeit nicht zu entkommen ist. Wo kein Text, keine kulturelle Interpretation und Dekonstruktion mehr weiterhilft sondern nur bewaffnete Ab- und Gegenwehr oder die Flucht. Wo Materialität nur mit Materialität beantwortet werden kann. Wo der Mensch auf seine Physis und Biologie und auf seine technische Ausrüstung zurückgeworfen ist.
Der Krieg ist neben seiner ihm eigenen Schrecklichkeit und Inhumanität für einen Postmaterialisten vor allem aber auch eine philosophische Beleidigung, weil er alle seine Denkprinzipien in Frage stellt, ja im Einzelfall sogar ad absurdum führt. Eine gesperrte Brücke kam man notfalls umfahren, einer maroden Schule durch Schulwechsel entkommen. Einer flächendeckende Bombardierung bei der Niemand weiß, wo das nächste Himmelsgeschoss einschlägt nicht. Da hilft nur, weit weg davon sein und das als physischer und nicht als gelesener Körper. Wie ein Körper gelesen wird ist nämlich einer Bombe völlig egal.
Seit Putins Angriffskrieg ist aber weder in Deutschland noch in Europa der Krieg nicht mehr weit genug weg, als dass man ihn postmateriell verdrängen könnte. Seine Geschosse sind zwar noch auf die Ukraine begrenzt, seine Auswirkungen jedoch indirekt in ganz Europa zu spüren, und das wiederum auch ganz materiell. Die mögliche Gefährdung der Grundversorgung der Bevölkerung bedeutet Im Ernstfall auch für die Menschen in Deutschland die Bedrohung ihrer ökonomischen, sozialen, ja sogar ihrer physischen Existenz.
Damit kehrt aber die die Angst vor Abstieg und sozialem Chaos auch da ein, wo die Mehrzahl genau der Menschen wohnen, die sich in ihrer postmateriellen Blase vor beidem in Sicherheit wägten und sich durch ihr postmodernes Denken ideologisch selbstreferentiell immer wieder darin bestätigen konnten. Zusammen mit der anstehende Bewältigung aller anderen materiellen Krisen im Bereich des Klimas, der Energie und der baulichen und technischen Infrastruktur sowie der biologisch-medizinischen Gefährdung durch Pandemien ist damit aber das Ende der Postmoderne als Ganze eingeläutet.
Der neue Verteilungskampf auf den Niemand vorbereitet ist
Nicht, dass die postmaterielle Gesellschaft nicht schon immer eine postmoderne Schimäre war. Ab jetzt fällt sie aber den Postmodernisten selbst auf die Füße. Nur, dass sie nicht darauf vorbereitet sind, weil kein noch so kunstvoll gesponnenes Narrativ etwas ändert, wenn das, was zum Leben dringlich gebraucht wird, real weniger und genau deswegen teurer wird. Erst recht da, wo selbst ein höherer Preis das Problem der Knappheit nicht beheben kann, weil so schnell kein Ersatz zur Hand ist.
Es ist dem Bankensystem dabei auch völlig egal, mit welchem Geschlecht Kreditnehmer gerne gelesen werden möchten, die ihre Schulden nicht zurückzuzahlen in der Lage sind. Es ist vielmehr eine mathematische Tatsache, dass bei mehrheitlichem und dauerhaften Ausblieben von Zins- und Rückzahlungen das Finanzsystem über kurz oder lang kollabiert, so dass auch die daheim gehortete Geldreserven nichts mehr wert sind. Das gleich gilt für Immobilien und Waren jeder Art, weil es dann auch keine zahlungsfähigen Mieter und Käufer mehr gibt.
Die postmoderne Durchdringung der Gesellschaft hat jedoch dafür gesorgt, dass unser ganzes ökonomisches, politisches und kulturelles System genauso wenig auf die damit unvermeidlich verbundenen härteren Verteilungskämpfe vorbereitet ist wie auf die allseits geforderten Wenden im Bereich Verkehr, Energie, Klima und Gesundheit. Vor allem aber fehlen gerade die in solchen Dekaden besonders erforderlichen funktionstüchtigen und lernfähigen Ordnungs- und Sicherheitsinstitutionen sowie ein innovationsorientiertes Bildungssystem, die zusammen die damit verbundenen massiven Konflikte fair zu regeln und sozial abzufedern in der Lage sind.
An einem sozial durchlässigen und Kreativität fördernden Bildungssystem war aber die hiesige postmoderne Ober- und Mittelschicht nie ernsthaft interessiert, weil das die bestens geförderte eigene Brut benachteiligt hätte. Währenddessen überließ man die Forderung nach mehr Ordnung und Sicherheit gerne den ihnen als Kulturbanausen erscheinenden Menschen. Wenn man zu den Grünen neigte wurde dafür aber sehr gerne der Ruf nach einem bescheideneren Leben herausposaunt, von dem man selbst jedoch nie ernsthaft betroffen war, während die Menschen in den Vierteln, die man mied und immer noch meidet, diese Art des Verzichtes weniger als Beglückung empfanden, denn als Demütigung.
Empörung statt Solidarität
Es geht hier aber nicht darum diesen postmodernen Verblendungszusammenhang den Protagonisten und Befürwortern zum Vorwurf zu machen, sondern die möglichen gesellschaftlichen Folgen dieser neuen Konfrontation mit der Wirklichkeit aufzuzeigen. Denn das letzte, was von dieser Gruppe in dieser Zeitenwende zu erwarten ist, ist Solidarität. Neben erratischer Ratlosigkeit ist stattdessen vor allem ein wildes politisches und kulturelles um sich Schlagen zu erwarten, dass der Sicherung der eigenen Pfründe und Privilegien dient. Man hat sich einfach zu lange an die eigene, in der Regel gut bis sehr gut bezahlte kulturelle und politische Leitfunktion gewöhnt.
Die erste Empörung gilt dabei den Menschen, die die Realität eines Krieges anerkennen, der in seiner Brutalität von Seiten des Aggressors schlimmer kaum sein kann. Allein schon, dass dadurch Militärs und Rüstungsexperten ihre Stimme im gesellschaftlichen Diskurs erheben, wird als Zumutung empfunden. Hat man die Virologen noch als die entscheidenden Experten einer Pandemie angenommen, ja sogar gefeiert, gilt das nicht für Generäle und andere Kriegsstrategen jeden Geschlechtes. Hat man noch jede noch so abwegige Sondersendung zu Corona aufgesaugt, will man von Informationen zum Ukraine Krieg -erst recht wenn sie nicht ins eigene Weltbild passen – möglichst unbelästigt bleiben.
Die zweite Empörung gilt den Menschen, die denken, dass Wissenschaft und Technik, und das vor allem in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, die entscheidenden Lösungsstrategien zur kurz und mittelfristigen Bekämpfung der sich anbahnenden Klimakatastrophe liefern. Es leugnet Niemand von ihnen, dass es auch grundsätzliche Verhaltensänderungen und eine neue Wertediskussion braucht, um diese bedrohliche Klima Entwicklung auf Dauer zu bewältigen. Das ändert für sie aber nichts daran, dass die kurz- und mittelfristigen Auswirkungen des Klimawandels als Hitze, Verwüstung, Sturm und Überschwemmung mit Moral weder zu begreifen noch zu bekämpfen oder auch nur zu mildern sind.
Die dritte Empörung richtet sich gegen alle, die den Kulturschaffenden und ihren Apparaten und Institutionen keine ernstzunehmende Krisenkompetenz zutrauen, ja ihre Privilegien und Exklusivität thematisieren und die Frage stellen, ob nicht auch hier – in Anbetracht der anstehenden existenziellen Krisen – eine Über-, zumindest aber eine Fehlsubventionierung vorliegt. Ob dieses Land wirklich über 3000 staatlich geförderte oder gänzlich finanzierte Museen braucht und fast jede Stadt ein eigenes Theater und wenn möglich auch eine Oper. Ob die Selbstverständlichkeit mit der die freie Kunst- und Kulturszene jenseits von Qualitätsstandards staatliche Förderung beansprucht noch der Lage angemessen ist.
Die vierte Empörung ist die über die Thematisierung körperliche Stärke, Fitness und Kampfkraft, die einer irgendwie gearteten toxischen Männlichkeit zugeschrieben wird und durch Kriegsrhetorik wieder gesellschaftsfähig werden könnte. Als wäre auch im Ernstfall der Klimakatstrophe nicht gerade die Fähigkeit härtere körperliche Belastungen auszuhalten und möglichst schnell und aus eigener Kraft auch räumlich wegzukommen von hervorgehobener, ja lebensrettender Bedeutung. Als wäre, ganz unabhängig vom Geschlecht, der Einsatz der eigenen körperliche Kraft bei der Selbstverteidigung oder beim Schutz von Schwächeren, bei radikaleren und gewalttätigeren Verteilungskämpfen auch in als zivil geltenden Ländern in Zukunft völlig ausgeschlossen.
Die fünfte Empörung gilt der Erinnerung an das biologische Geschlecht als existentielle Voraussetzung für alle anderen Geschlechtsmerkmale. Dass das Überleben der Gattung Mensch und damit auch die eigene Existenz nur über die Fortpflanzung und damit über biologisch binäre Zellen möglich ist, ist in der Debatte um das soziale Geschlecht und seine gesellschaftliche Konstruktion so sehr untergegangen, dass gleichgeschlechtliche Paare oft vergessen, dass auch ihr berechtigter Kinderwunsch nur durch binär geschlechtliche Zeugung erfüllt werden kann.
Die sechste Empörung richtet sich gegen die Zumutung jeder Art von wirtschaftlichem Risiko. Sie basiert auf Sicherheitserfahrungen jenseits eigener Sicherheitsleistungen, wie sie zum Beispiel der massiv ausgeweitete öffentliche Dienst, die ebenfalls weitverbreitet private Vetternwirtschaft, größere Erbschaften und viele andere lebenslange ökonomische und soziale Privilegien bieten. Privilegien die oft erst die Basis für das postmaterielle Denken boten und lieferten, weil sie die tägliche Auseinandersetzung mit den materiellen Problemen entweder erheblich erleichtern, oder ganz aus dem eigenen Leben fernhalten.
Alles in allem wird das diesbezügliche Erwachen der Anhänger der Postmoderne bitter sein, und es bleibt zu hoffen, das aus ihrer Empörung und der damit verbundenen Vorverurteilung anderer Meinungen sich über kurz oder lange wieder etwas wie ein ernstzunehmende gesellschaftliche Zukunftsdebatte entwickelt. Ganz nach dem Leitsatz des großen Literaten Max Frisch: „Die Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“
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Danke, Arnold Voss, für das Thematisieren der vielen wesentlichen und aktuellen gesellschaftlichen Themen, die inzwischen so gerne verdrängt werden zugunsten der Beschäftigung mit modischen Bauchnabelproblemen oder aber den mehr als fragwürdigen Solidarisierungen mit reaktionären Bewegungen aus dem sogenannten „globalen Süden“ geopfert werden.
Das postmoderne Denken selbst ist Ursache der eigenen Zerstörung, weil es disfunktional bezüglich den Risiken dieser Welt ist.
Wenn man Risiken wie durch Putin einfach negiert, ebenso wie die Probleme der Zuwanderung oder der prekär Beschäftigten, dann darf man sich nicht wundern, wenn die dazugehörige Ideologie verworfen wird.
Das aus einer daraus resultierenden Debatte ein Fortschritt generiert werden kann ist nicht ausgeschlossen aber unwahrscheinlich. Denn zunächst werden die Verteilungskämpfe über die verbliebenen Ressourcen die Landschaft bestimmen.
Ob das friedlich vonstatten geht wird sich zeigen, es hängt von den Dimensionen ab.
Ebenso ob die Bundesrepublik dies in der derzeitigen Verfassung überlebt.