Es muss so Ende der 90er Jahre gewesen sein, als ich für das MARABO eine Geschichte über Jugendliche schrieb, die eine Ausbildung bei der DSK begonnen hatten. Dass der Bergbau seinem Ende entgegen ging, war damals längst klar, und dass er für Jugendliche keine langfristige Perspektive bieten würde, sowieso.
Also rief ich bei der Pressestelle der DSK an und bat um die Vermittlung eines Gespräches mit mehreren Auszubildenden.
„An wen hatten Sie denn so gedacht?“, fragte der Kollege von der Pressestelle, und ich erklärte, dass ich gerne mit vier bis fünf Azubis aus verschiedenen Berufsfeldern reden wollte.
Der Mann von der Pressestelle war erleichtert. „Wissen Sie, die meisten Ihrer Kollegen wollen nicht einfach Azubis sprechen, sondern am liebsten welche, die aus Familien kommen, die schon in der fünften Generation unter Tage sind.“ Und die gebe es nun einmal nicht so oft.
Das konnte ich mir ebenso gut vorstellen, wie es mit schwer fiel, an die großen Pütt-Dynastien mit ihrer Liebe zum Bergbau zu glauben. Denn ich stamme selbst aus einer Bergarbeiterfamilie, und alle meine Vorfahren wollten immer nur eins: Raus aus der Zeche.
Mein Urgroßvater mütterlicherseits kam nach Ende des Ersten Weltkriegs aus Wuppertal ins Ruhrgebiet, weil es für ihn als Färber keinen Job mehr gab. Er fuhr einmal unter Tage und schwor sich dann, dass weder er noch seine Söhne jemals dort unten arbeiten sollten. Er selbst hat es geschafft und schaffte auf einer Zeche in Lünen im Maschinenhaus. Seine Söhne machten alle eine Lehre außerhalb des Bergbaus, mussten aber dann doch runter: Es gab keine anderen Jobs für sie. Mein Großvater war mit 13 das erste Mal unter Tage und hatte auch schnell die Schnauze voll. Er versuchte sich als Fuhrmann und später als Lastwagenfahrer. Nach dem Krieg, dem zweiten, gab es auch für ihn nur noch eine Jobmöglichkeit: Hauer.
Viele meiner Freunde, ich bin Jahrgang 64, hatten Väter im Bergbau. Jeder von ihnen nahm die erste Gelegenheit wahr, einen anderen Job zu ergreifen. Den viel zitierten Bergmannsadel mag es in Einzelfällen gegeben haben, aber er war immer eine Ausnahme. Bitte nur einmal kurz nachgedacht: Wer kriecht freiwillig auf allen Vieren bei über 30 Grad und Explosionsgefahr durch niedrige Stollen mit dem Wissen, dass ein Kilometer Erdreich nur darauf wartet, auf ihn hinunterzukrachen? Eben – Bergmann wurde man aus Mangel an Alternativen, aus Angst vor dem Elend und nicht aus Spaß oder Hingabe an einen Mythos.
Übrigens: Von den jugendlichen Azubis, die ich interviewte, wollten alle bis auf einen nach der Ausbildung das Fachabi machen und dann studieren. Nur einer von ihnen schwärmte vom Beruf des Bergmanns: Ein Junge, dessen Eltern erst zwei Jahre zuvor von Köln nach Dorsten gezogen waren. Bergmann war sein Traumberuf von Kindheit an – er hatte keinen Opa, der ihm die Flausen aus dem Kopf treiben konnte.
Zu „Bergmann wurde man aus Mangel an Alternativen, aus Angst vor dem Elend und nicht aus Spaß oder Hingabe an einen Mythos.“
Es gibt sicher beide Extreme, aber die meisten sehen es einfach als ihren Job, die Arbeit ist auch heute noch hart, aber nicht zu vergleichen mit der Arbeit in den 1960ern, man verdient gutes Geld, und das gute Arbeitsklima (nein nicht die 30°C und hohe Luftfeuchtigkeit, gemeint ist der Zusammenhalt unter den Kumpeln) schätzen alle Püttis die ich kenne. was dann natürlich zum Bergmannsmythos stilisiert wird.
Aber mit den speziellen Bedingungen kommt offenbar auch nur ein bestimmer Menschenschlag zurecht. Wer allein aus wirtschaftlichen Zwängen unter Tage arbeiten musste, wird seine Kinder davor bewahren wollen.
Ich komme selbst aus Dorsten, und mehrere Bekannte und Verwandte arbeiten noch im Bergbau (in einem Fall in der dritten Generation). Die Jüngeren machen dort ihre Ausbildung als Elektriker, Mechatroniker o.ä., die Älteren arbeiten schon seit Jahrzehnten auf Zeche. Die Zukunft sieht natürlich niemand unter Tage – weil es in absehbarer Zeit dort keine Arbeitsplätze mehr geben wird, nicht an der Angst, dass einem der Stollen überm Kopf einbricht.
Interessant. In meiner Familie war es ganz ähnlich. Auch mein Großvater wurde nur deshalb Bergmann, weil er seinen Bäckerberuf nach einer Mehrstauballergie nicht mehr ausüben konnte. Getauscht hat er dann Mehl- gegen Kohlestaub. An seiner Staublunge ist er dann letztenendes auch gestorben. Dennoch war er zu Lebzeiten stolz auf seinen Job. Zusammenhalt und Solidarität wurden wirklich groß geschrieben. Wie immer hat auch der Bergbau seine zwei Medaillen-Seiten. Glorifizieren sollte man ihn deswegen noch lange nicht.